Gesundheitswesen 2014; 76(01): 48-55
DOI: 10.1055/s-0033-1343432
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pandemie 2009/10: Betrachtungen zum Nutzen der Impfaktion in Hessen

Pandemic 2009/10: Reflections on the Utility of the Vaccination Actions in Hesse
H. Uphoff
1   Hessisches Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG)
,
A. Wirtz
1   Hessisches Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG)
,
K. Jahn
1   Hessisches Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG)
,
A. M. Hauri
1   Hessisches Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG)
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
11. Juni 2013 (online)

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Zusammenfassung

In Hessen wurden alle während der Pandemie 2009/10 vom Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und von niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen durchgeführten Impfungen zentral erfasst. Die vorliegende Arbeit betrachtet den Nutzen der Impfaktion im Hinblick auf die erreichte Reduktion der Krankheitslast gemessen als Reduktion von Arztkonsultationen aufgrund von akuten respiratorischen Infekten (AK-ARI). Zahlen zu AK-ARI wurden durch das bundesweite Sentinel der Arbeitsgemeinschaft Influenza erhoben. Untersucht wurde der Einfluss der Faktoren „Timing der Impfung“ und „Verteilung der Impfung auf die Altersgruppen“ auf den Nutzen der Impfaktion. Dazu wurde die erreichte zeitliche- und altersgruppenspezifische Verteilung der Impfungen mit weiteren hypothetisch Verteilungen verglichen, wie z. B. einem idealen Impf-Zeitraum 2 Wochen vor der Erkrankungswelle oder einer ausschließlichen Impfung der Altersgruppe der 5–14-Jährigen. Legt man den tatsächlichen zeitlichen Ablauf der in Hessen durchgeführten Impfkampagne zugrunde, wurden nur etwa 1,4% (Deutschland) bzw. 1,1% (Hessen) des Gesamtexzesses verhindert. Wäre der tatsächlich verimpfte Impfstoff vor Beginn der Erkrankungswelle in der besonders betroffenen Altersgruppe der 5–14-Jährigen verimpft worden, wäre 13,9% bzw. 18,2% des Gesamtexzesses zu verhindern gewesen. Die simulierten Szenarien erlauben eine Einschätzung, was theoretisch in der A(H1N1)pdm09-Pandemie in Deutschland erreichbar gewesen wäre. Durch die verzögerte sukzessive Vakzine-Verfügbarkeit, als auch eine nicht optimale Altersgruppenverteilung der durchgeführten Impfungen wurden somit jeweils nur etwa 30% des Optimums erreicht. Der beispielhafte Vergleich der verschiedenen Szenarien unterstreicht das Potenzial einer hinsichtlich Zeit und Priorisierung optimierten Impfkampagne wenngleich lediglich ein Parameter für die Krankheitslast berücksichtigt wurde. Es erscheint es ratsam die Unsicherheiten zur Ausarbeitung einer sinnvollen Priorisierung zu minimieren, z. B. durch eine gute und zeitnahe Surveillance. Eine hohe Flexibilität der Applikationsstrategien ermöglicht Anpassungen der Kampagne durch unerwartete Erkenntnisse oder Veränderungen, z. B. im Epidemieverlauf oder der Impfakzeptanz.

Abstract

In the state of Hesse (Germany) all vaccinations were administered either by the public health-care (ÖGD) or private health-care facilities and were registered by week and age group. In the following article, the benefit of the vaccination campaign will be looked at in terms of preventable consultations due to acute respiratory tract infections (AK-ARI). AK-ARI were registered with the nation-wide sentinel of the AGI. Scenarios regarding timing and age-specific coverage are modelled. The achieved timing and age distribution was compared to assumed ideal distributions, e. g., having achieved the final coverage 2 weeks before epidemic start or having applied the used vaccine exclusively for the most affected age group 5–14 years. The timing and coverage actually achieved (7% overall) prevented an estimated 1.4% or, respectively, 1.1% of the total consultation excess. With the same amount of vaccine but ideally applied at least 2 weeks ­before the begin of the epidemic and exclusively to the age group of the 5- to 14-year olds, an estimated 13.9% or, respectively, 18.2% of the total excess could have been prevented. The simulated scenarios give estimations as to what benefit potentially could have been achieved during the A(H1N1)pdm09 pandemic. Both the delayed successive access to vaccine and the not ideal age distribution reduced the benefit to about 30% of the optimum. These exemplary estimates underline the importance of timeliness and valid prioritising of vaccination campaigns, although footing on just one outcome. It appears beneficial to reduce uncertainties for a solid prioritisation by, e. g., timely extended surveillance. Short-term decisions and adoptions are likely for future campaigns, e. g., due to unexpected changes in the epidemic, demanding flexibility in the application management.