Aktuelle Dermatologie 2013; 39(08/09): 312-317
DOI: 10.1055/s-0033-1344609
Eine Klinik im Blickpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Welche diagnostischen Maßnahmen benötigt eine komplexe Wunde?

Was sollte ein Wundzentrum hierzu leisten?Which Diagnostic Measures are Called for in Complex Wounds?What Kind of Treatment Should a „Wound Center“ Offer?
T. Horn
Klinik für Dermatologie, HELIOS Klinikum Krefeld
,
C. Assaf
Klinik für Dermatologie, HELIOS Klinikum Krefeld
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Dr. med. Thomas Horn
Klinik für Dermatologie und Venerologie
HELIOS Klinikum Krefeld
Lutherplatz 40
47805 Krefeld

Publication History

Publication Date:
11 September 2013 (online)

 

Zusammenfassung

Seltene Wundursachen sind nicht einfach zu diagnostizieren. Häufig behindert die vorschnelle Lokalbehandlung ohne exakte Diagnosestellung eine adäquate Behandlung und produziert einen unnötigen Verbrauch an materiellen und personellen Ressourcen. Jede nicht heilende chronische Wunde sollte multidisziplinär ärztlich beurteilt und wiederholt histologisch reevaluiert werden.

Beispiele für seltene Wunden und diagnostische Empfehlungen werden gegeben.


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Abstract

Rare reasons for chronic wounds are difficult to diagnose. Many times, hasty local treatment without exact diagnosis will prevent adequate treatment and therefore leads to a waste of material and personell resources. Every non healing chronic wound should be evaluated both by a multidisciplinary team of physicians and also by repeated histological analysis.

We present examples of rare wounds and diagnostic suggestions.


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Einleitung

Wundversorgung ist zu einem häufig benutzten Schlagwort geworden. Überall entstehen Wundzentren, ein bisher unterschiedlich definierter Begriff. Im Internet finden wir darunter große Netzwerke von Kliniken mit interdisziplinärer Ausrichtung, die mit Praxen, Pflegediensten, Pflegeheimen, Pathologen, Lymphtherapeuten, Apothekern, Produktherstellern etc. assoziiert sind, aber auch Einzelanbieter, die eine besondere Expertise ausweisen wollen. Zentrum all dieser Bemühungen ist die Behandlung der chronischen Wunde, die nach Dissemond [2] definiert ist als ein über drei Monate bestehender Defekt. Nicht definiert ist häufig die Komplexität der erforderlichen Diagnostik. Da das Ulcus cruris als chronische Wunde wissenschaftlich am besten untersucht ist, soll an diesem Beispiel die notwendige Kompetenz dargestellt werden. Nach Körber et al. [9] leiden ca. 66,1 % der Patienten mit Ulcus cruris ursächlich an einer venösen Erkrankung, 10 % an einer arteriellen Erkrankung, 8,5 % an einer Kombination von beiden. Damit verbleibt mit 16,2 % ein sehr hoher Prozentsatz von Wunden mit einem heterogenen Gemisch an Diagnosen, wie in [Tab. 1] dargestellt.

Tab. 1

Differenzialdiagnose chronischer Wunden (modifiziert nach [10] [12]).

Wundgruppe

Definierte Krankheitsbilder

Labordiagnostik

Apparative Diagnostik

Häufige Krankheitsbilder

Ulcus cruris venosum

Ulzera bei Stammvarikosen, Seitenästen, Perforansinsuffizienzen,
auf dem Boden von Thrombosen bei prokoagulatorischen Störungen1

Basisdiagnostik: keine
Erweiterte Diagnostik: Thrombophiliediagnostik1: Protein C, Protein S (beide nicht unter Marcumar! bestimmen), ATIII, APC-Resistenz (wenn positiv, dann Faktor-V-Leiden-Mutationen), Prothrombin-Mutation[**], Phospholipid-AK, Homozystein-AK

Phlebologische Diagnostik: Doppler, Ultraschall, D-PPG, VVP, arterieller Doppler z. A. einer arteriellen Komponente
Sonderuntersuchungen: Phlebodynamometrie, Phlebografie

Ulcus cruris arteriosum1

Basislabordiagnostik[*]
Blutfette1

Basisuntersuchung wie bei Ulcus cruris venosum,
bei erniedrigten arteriellen peripheren Druckwerten weitere arterielle Diagnostik wie Angio-MRT o. ä.

Seltene Krankheitsbilder

Autoinflammatorisches Syndrom

Pyoderma gangränosum1 [1]
Akne inversa2
M. Behçet3

Basislabordiagnostik[*]
ANA1, Anti-CCP-Antikörper1, Schilddrüsenwerte1

Pathergie-Test3
Histologie1, 2, 3 (für 1 und 3 nur zum Ausschluss anderer Erkrankungen)
Durchuntersuchung auf chronisch entzündliche Darmerkrankungen, rheumatoiden Formenkreis, hämoproliferative Erkrankungen1

Genetische Defekte

Hereditäre blasenbildende z. B. vernarbende oder nicht vernarbende Dermatosen1

Basislabordiagnostik[*]
Spezifische Autoantikörper,
genetische Diagnostik[**]

Histologie1,
spezielle genetische Diagnostik1

Hämatologische Ursachen
einschl. Blutgerinnungsstörungen

Gerinnungsstörungen
Thrombophiliediagnostik (siehe Ulcus cruris venosum)
Livedovaskulopathie [3]
Anämieformen
Blutbildungsstörungen
Sichelzellanämie1
Sphärozytose2
Thalassämie3
Sideroachrestische Anämie4
Myeloproliferative Erkrankungen
Polycythaemia vera5
Thrombozythämie6

Basislabordiagnostik[*]
Differenzial-Bb1, 2, 3, 4, 5, 6, dann Folgeuntersuchungen wie Hb-Elektrophorese, Gerinnungsfaktoren etc.

ggf. erweiterte Diagnostik wie
Knochenmarksbiopsie5, 6, Gerinnungsanalytik bei positiver Anamnese

Iatrogene Ursachen

Arzneimittel-induzierte Ulzera
(Auslöser: Phenprocoumon, Hydoxyurea, Anagrelide, Leflunomid etc.)

Ggf. ANA bei medikamenteninduziertem Lupus (z. B. bei Hydralazin)

Kein spezifisches histologisches Substrat, Diagnosestellung aus zeitlichem Verlauf einschl. Abheilung nach Absetzen des Medikamentes

Infektionen

Bakterielle Infektionen
Mykosen
Protozoeninfektionen
Virale Infektionen

Basislabordiagnostik[*]
Ggf. weitere spez. Infektions-Serologien

Erregernachweis
ggf. Histologie
Röntgen-Thorax, MRT

Metabolische Ursachen

Amyloidose1
Gicht2
Calciphylaxie3
Dystrophe Calcinose4
Porphyrien5

Basislabordiagnostik[*]
Je nach Verdacht: Eiweiß-Elektrophorese1, Kalzium3, Phosphat3, Parathormon3, Vit. D3, Harnsäure2, Porphyrine5

Histologie1, 2, 3, 4, 5,
Röntgen3, 4, Sonografie (Abklärung von Weichteilverkalkungen)3, 4

Neuropatische Ursachen

Diabetische und weitere Neuropathien
Syringomyelie etc.

Basislabordiagnostik[*]
Spezifische Diagnostik wie ggf. Vit. B12, Folsäure

Internistische und neurologische Abklärung mit Sensibilitätsprüfung etc.

Physikalische und chemische Ursachen

Verbrennung
Verbrühung
Friktionen
Decubitus
Erfrierung
Verätzung

Basislabordiagnostik[*]

Anamnese in der Regel ausreichend, ggf. Histologie

Tumoren

Basaliom1
Spinaliom2
Melanom3
Lymphome/Leukämien4
Metastasen5
Kaposi-Sarkom6 etc.

Basislabordiagnostik[*]
Ggf. Tumormarker

Histologie1, 2, 3, 4, 5, 6
Durchuntersuchung 2, 3, 4, 5, 6 mit Lk- und Oberbauch-Sonografie, Röntgen, CT, MRT je nach Befund

HIV-Diagnostik6

Ulcus hypertonicum

Systemischer Hypertonus

Basislabordiagnostik[*]
Orientierende Durchuntersuchung, Ausschluss weiterer Genesen

Histologie, Internistische Abklärung, Ausschlussdiagnose!

Vaskulitis

Vaskulitis bei Autoimmunerkrankungen1
Churg-Strauss-Syndrom2
Polyarteriitis nodosa3
Nodöse Vaskulitis4
Kryoglobulinämische Vaskulitis5

M. Wegener6

Basislabordiagnostik[*], Hepatitis B/C-Serologie und ANA/ANCA1, 2, 3
Wenn ANA positiv, dann ENA und ds-DNA-Antikörper, ggf. weitere spezifische Bestimmungen wie Kryoglobuline/Kälteagglutinine (z. B. bei positiver Hep. B/C-Serologie) etc.

Histologie,
direkte Immunfluoreszenz
ggf. Röntgen-Thorax und weitere Abklärung bei Systemerkrankungen wie Nierenbiopsie bei renaler Beteiligung etc.

Die Diagnostik gliedert sich in:
– Anamnese
– klinisches Erscheinungsbild
– spezifische und unspezifische Laboruntersuchungen (siehe [Tab. 2])
– Probebiopsie

* siehe [Tab. 2]


** Bei Gendiagnostik ist das Einverständnis des Patienten gemäß Gendiagnostikgesetz erforderlich.


Tab. 2

Basislabordiagnostik.

Elektrolyte: Na+, K+

Kreatinin

BSG, CRP

BSG solitär erhöht = immunologisch
CRP erhöht = infektiös

ALAT, GGT, LDH

Nüchtern-Glukose

HbA1c

Ab 60. Lj., sonst gewichtsadaptiert individuell

Eiweiß

Bei Kachexie

Urinstatus

bakteriologischer Abstrich

Bei Erstuntersuchung chronischer Wunden: MRSA-Screening


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Anamnese

Die Anamnese umfasst nicht nur die Entstehung der Wunde, sondern auch vor allem den zeitlichen Verlauf, Erfassung von begleitenden Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Hypertonie, hämatologischen Erkrankungen, Medikation, arteriellen und venösen Durchblutungsverhältnissen etc.


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Spezifische und unspezifische Laboruntersuchungen

Wir unterscheiden eine Basislabordiagnostik und spezifische Laborparameter. Letztere sind nicht als Routinediagnostik angezeigt, sondern sollten im Einzelfall gezielt als erweiterte Diagnostik selektiv hinzugenommen werden.


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Histologie

Probebiopsien sollten möglichst immer wieder aus frischen Effloreszenzen, am besten spindelförmig mit Wundanteil, aus dem Wundrand und der Umgebung mit ausreichender Gewebedicke entnommen werden. Wenn sie nur unspezifisches Granulationsgewebe enthalten sollten, muss auch an die mehrfache Wiederholung der Entnahme gedacht werden.

Leider sind histologische Befunde nicht immer eindeutig, sondern ähnliche Befunde können verschiedene klinische Krankheitsbilder repräsentieren. Daher ist die Zusammenführung von histologischem und klinischem Bild dringend erforderlich, wird aber häufig unterschätzt. Bei komplexen, ungeklärten Wundsituationen ist daher eine klinische und möglichst auch histologische Beurteilung möglichst aus einer Hand zu fordern! Anhand von zwei Problemfällen, bei denen es z. T. zu mehrmonatigen Verzögerungen der Diagnosestellung kam, soll die Komplexität von Wunden näher erläutert werden.


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1. Kasuistik

Anamnese

Ein 72-jähriger Patient, in Indien aufgewachsen, aber schon seit Jahrzehnten in Deutschland lebend, bemerkt sei ca. einem Jahr eine größenprogrediente Wunde im Bereich des Gesäßes mit Betonung der linken Seite ([Abb. 1]). Initial beschreibt er Juckreiz, im weiteren Verlauf eher brennende Schmerzen. Es erfolgen zahlreiche ambulante Behandlungen unter den Diagnosen einer Candidose, eines Erysipels bzw. eines intertriginösen Ekzems ohne klinische Besserung.

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Abb. 1 Flache, saubere, epithelisierte Wunde.

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Aufnahmebefund

Im Bereich der linken Gesäßhälfte besteht eine großflächige, flache, saubere, mit Granulationsgewebe und einzelnen konfluierenden Epithelinseln bedeckte Wunde. Die Aufnahme erfolgt wegen Therapieresistenz bei gleichzeitiger Verschlechterung des Allgemeinzustandes.

Nebenbefundlich bestehen ein arterieller Hypertonus und eine atopische Diathese.


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Labor

Hb 11,1 g/dl, CRP mit 26,6 mg/l leicht erhöht (N < 5), Eosinophile 11 %.


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Apparative Durchuntersuchung

Kein Hinweis auf Organbeteiligung.


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Histologie

Winziges Epidermisfragment mit Akanthose, Spongiose, Durchsetzung durch neutrophile Granulozyten, aber regelrechter Schichtung. Darunter leichte pseudoepitheliomatöse Hyperplasie. Daneben Ulkus der Haut mit umliegender, dichter, gemischtzelliger Entzündungsreaktion, bestehend aus Lymphozyten, Histiozyten, massenhaft Plasmazellen, neutrophilen Granulozyten und zahlreichen Riesenzellen vom Fremdkörper- und Langhanstyp. Ausgeprägte extravasale Hämorrhagien, sarkoidale Granulome ohne zentrale Einschmelzung, fokal aber auch Nekrobiose des Bindegewebes und palisadenförmige Anordnung von Histiozyten und mehrkernigen Riesenzellen. Im Zentrum neutrophile Granulozyten. In der PAS-Reaktion kein Nachweis von Pilzelementen.


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Direkte Immunfluoreszenz

Unauffällig.


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Nativmaterial Ziehl-Neelson-Färbung

Nachweis säurefester Stäbchen.


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Kultur aus Wundabstrich

Mycobacterium tuberculosis.


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Elispot (Mycobacterium tuberculosis)

Positiv.

Thorax ap im Liegen: Unauffälliger kardiopulmonaler Befund ohne Nachweis frischer Infiltrate. Kein Hinweis auf postspezifische Residuen. Deutlicher Zwerchfellhochstand rechts. Normale Herzgröße. Grenzwertige Weite der Oberlappenvenen.

CT Abdomen mit KM: Unauffällige Darstellung der parenchymatösen Organe. Insbesondere zeigen weder die Leber noch die Milz pathologisch kontrastmittelaufnehmende Herde oder entzündliche Parenchymveränderungen. Die Leber ist glatt begrenzt, nicht vergrößert. Die Gallenblase ist mäßig gefüllt mit zarter Gallenblasenwand. Keine Entzündungszeichen. Beidseits zarte Nebennieren. Entlang der großen Bauchgefäße sind vereinzelte, kleinere, disseminiert verteilte Lymphknoten erkennbar. Nach Form, Lage und Größe regelrechte Darstellung der Nieren sowie der ableitenden Harnwege. Die Ureteren sind bis ins kleine Becken gut kontrastiert verfolgbar. Keine Pathologika. An der Grenze der Größennorm liegende Prostata mit einem Querdurchmesser von 5,2 × 3,2 cm und zentralen kleineren Verkalkungen. Kein Ascites im kleinen Becken oder im Oberbauch. Auffallende prominente Leistenlymphknoten, links ausgeprägter als rechts, bis 1,5 cm queroval gemessen.

Zusammenfassend lässt sich eine Organmanifestation bei oben beschriebener Hauttuberkulose weder urogenital noch in Projektion auf das Kolon nachweisen.


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Diagnose

Lupus vulgaris ulcerosus.


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Therapie und Verlauf

Unter der Diagnose eines Lupus vulgaris ulcerosus erfolgte eine tuberkulostatische Therapie nach WHO-Schema mit Isoniazid (5 mg/kg KG), Rifampicin (10 mg/kg KG), Pyrazinamid (20 – 25 mg/kg KG) und Ethambutal (30 mg/kg KG).

Die Lokaltherapie erfolgte flüssigkeitsabsorbierend und epithelisierungsfördernd mit Polyurethanschäumen. Hierunter trat nach kurzer Zeit eine deutliche Befundbesserung auf.

Zur Remobilisierung und Stabilisierung des Allgemeinzustandes wurde der Patient in ein heimatnahes geriatrisches Zentrum verlegt. Dort verstarb der Patient im Verlauf einer unklaren Leukopenie bei Fieberschüben. Eine Obduktion erfolgte nicht.


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Diskussion

Die Tuberkulose ist eine aerogene Tröpfcheninfektion durch Mycobacterium tuberculosis, seltener durch Mycobacterium bovis oder africanum. R. Koch entdeckte 1982 die Tuberkel-Bakterien. Im 19. Jahrhundert war sie eine der häufigsten Todesursachen in Europa. Seit 1950 bestand ein kontinuierlicher Rückgang durch potente Tuberkulostatika. Im Rahmen der Immunsuppression bei HIV-Erkrankungen, durch immunsuppressive Therapien, z. B. Ciclosporin und Biologicals, ist wieder ein Anstieg seit den 80er-Jahren festzustellen.


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Kutane Tuberkulose

Die kutane Primärinfektion ist selten (die häufigsten Primärinfektionen sind pulmonal). Insgesamt zeigt sich je nach Immunlage ein vielschichtiges klinisches Bild:

  • Kutane Tuberkulose bei Anämie mit Entwicklung eines tuberkulösen Schanker (tuberkulöser Primärkomplex)

  • Kutane Tuberkulose bei Normergie (postprimäre Tbc), darunter als klinische Form das Skrophuloderm (Tuberculosis cutis colliquativa) und Lupus vulgaris als häufigste Form der kutanen Tuberkulose

Diagnostik: Der kulturelle Nachweis ist nach wie vor der Goldstandard in der Diagnostik, das Ergebnis ist aber erst nach Wochen präsent. Daneben existieren der PCR-Nachweis der Mykobakterien und der Immuno-Essay (Elispot).

Histologisch nachgewiesene tuberkuloide Granulome beweisen keine Tbc. Erst in der Ziehl-Neelson-Färbung können sich säurefeste Stäbchen nachweisen lassen.

Der Tuberkulin-Test gibt Hinweise auf eine Immunitätslage, der Lupus vulgaris weist klinisch häufig noch das sogenannte Diaskopie- und Sondenphänomen auf.

Die Standardempfehlung nach WHO-Schema:

Initialphase: 4er-Kombination über 2 – 4 Monate

  • Isoniazid (5 mg/kg KG)

  • Rifampicin (10 mg/kg KG)

  • Pyrazinamid (20 – 25 mg/kg KG)

  • Ethymbutol (30 mg/kg KG)

Erhaltungsphase: 2er-Kombination (z. B. INH + Rifampicin über 4 – 8 Monate).


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Epikrise

Kutane Tuberkuloseformen sind bei uns extrem seltene Ereignisse. Aufgrund der zunehmenden Mobilität mit Einwanderung von Personen aus Ländern mit hoher Tuberkulose-Durchseuchung, einer ausgeprägten Tourismusrate und einer erheblichen Anzahl von Patienten, die unter HIV-bedingter Immunsuppression oder medizinisch eingeleiteter immunsuppressiver Therapie (z. B. Einsatz von Biologica bei Psoriasis etc.) stehen, ist auch in der Wundbehandlung an kutane Tuberkulose-Formen zu denken.


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2. Kasuistik

Anamnese

Eine 73-jährige Patientin wird mit seit 8 Monaten bestehenden, großflächigen Erosionen und Ulzerationen im Bereich von Abdomen und Oberschenkeln stationär aufgenommen. Die Patientin beklagt Pruritus und Gewichtsabnahme. Internistische Grunderkrankungen sind ein Hypertonus, eine pAVK und Vorhofflimmern.

Anamnestisch sind mehrere ambulante und auch stationäre Behandlungen unter der Diagnose eines Oberschenkelerysipels frustran erfolgt.


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Aufnahmebefund

Bei Aufnahme sind im Bereich des Oberschenkels Residuen von oberflächlichen Nekrosen im Bereich älterer Venenexhairesenarben bei KHK erkennbar. Im abdominellen Bereich bestehen oberflächliche, teilweise fibrinös schmierig belegte Erosionen mit randständigen Nekrosen und bizarrer Konfiguration ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Teils ulceröse, teils erosive Wunde mit randständigen Nekrosen.

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Apparative Diagnostik

Röntgen-Thorax, Abdomen-Sonografie, Knochenmarkspunktion und CT von Schädel, Hals, Thorax und Abdomen sind sämtlich ohne pathologischen Befund.


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Histologie

Epidermis unauffällig. Durch eine freie Grenzschicht von der Epidermis getrennt sieht man in der Dermis bis in die Subkutis reichend großknotige Proliferationen monomorpher blastischer Zellen mit großen pleomorphen Kernen und prominenten Nukleolen. Tumornekrosen sind nicht nachweisbar. Zahlreiche Mitosefiguren, auch atypisch. Nur ganz vereinzelt kleine Lymphozyten in der Umgebung. Die Diagnose wurde immunhistochemisch bestätigt. Die Tumorzellen weisen eine durchgehende Reaktivität gegen CD20 auf bei einer proliferativen Aktivität von über 90 %.

Diagnose: Primär kutanes, großzelliges B-Zell-Lymphom vom Beintyp.


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Therapie und Verlauf

Unter der Diagnose eines CD20-positiven, großzelligen B-Zell-Lymphoms vom Beintyp erfolgten 12 Zyklen Rituximab (375 mg/m2KOF) und Gemcitabine-Gaben (1200 mg/m2KOF). Darunter kommt es zu einer ausgeprägten Remission, nach Therapiepause Re-Staging bei erneuter Progression. Eine Kombination mit Retuximab/Bendamustin wird bei Progredienz des Befundes abgesetzt. Erneute Gabe von 15 Chemotherapie-Zyklen mit Retuximab und Gemcitabine (Dosierung s. o.), hierunter jetzt weitere Tumorprogredienz. Daraufhin Gabe von Retuximab (375 mg/m2KOF) kombiniert mit Doxorubicin (20 mg/m2KOF) ergibt einen vorübergehenden ausgeprägten Tumorzerfall mit therapiebedingten tiefen Ulcerationen. Die Lokalbehandlung erfolgte mit Octenidin-Spülung, Einlage von silberhaltigen Alginat-Kompressen, später kohlehaltigen Auflagen bei Tumorzerfall. Im weiteren Verlauf rasche Tumorprogredienz mit Exitus letalis.


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Charakteristika

Das aggressiv kutane B-Zell-Lymphom tritt fast ausschließlich im Bereich der unteren Extremitäten auf (bis 80 %). Selten bestehen Erstmanifestationen am Stamm bei einem Haupterkrankungsalter > 70 Jahre. Frauen sind 3 – 4 × häufiger betroffen als Männer.

Die Therapieoptionen sind systemische Chemotherapien (Gemcitabin, Doxorubicin etc.) sowie Antikörpertherapien mit Rituximab.

Lokaltherapien werden entsprechend dem Wundstadium durchgeführt, gegebenenfalls ergänzt durch Radiotherapie.

Prognostisch bestehen häufige Rezidive, extrakutane Manifestationen treten oft erst nach Jahren auf. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt ca. 50 %.


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Fazit

  • Neben der Gruppe der häufigen, ethiologisch klar definierten Wunden existiert eine Vielfalt von weiteren möglichen, zum Teil seltenen Wundursachen. Sie nicht zu berücksichtigen kann von einer deutlich verzögerten Diagnosestellung bis hin zu fatalen Folgen reichen. An erster Stellung steht daher als tragende Säule die Durchführung adäquater Diagnostik bis zur Diagnosestellung.

  • Im Zeitalter der modernen Wundtherapie ist die Lokal-Therapie aufgrund der Entwicklung zahlreicher Wundprodukte zu sehr in den Vordergrund gerückt. Erschwerend kommt hinzu, dass auch fehldiagnostizierte Wunden sich häufig in der Behandlung unter moderner Wundtherapie deutlich bessern, d. h., dass eine fibrinös oder nekrotisch belegte Wunde autolytisch, chirurgisch oder fibrinolytisch debridiert werden kann und dann vom Aspekt eine deutliche Befundbesserung imitiert. Diese Befundbesserung wird aber aufgrund einer fehlenden oder falschen Diagnose ein bestimmtes Abheilungs-Stadium nicht überschreiten und somit eine chronische Wunde mit entsprechendem Verbrauch von materiellen und personellen Ressourcen hervorrufen.

  • Wundmanager, eine sehr heterogene Berufsgruppe mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen, sollten engmaschig mit den zuständigen ärztlichen Fachgruppen (Dermatologen, Diabetologen, Angiologen, Gefäßchirurgen etc.) zusammenarbeiten.

  • Jede nicht heilende chronische Wunde sollte daher immer wieder Anlass zur Reevaluation der Diagnose mit histologischer Abklärung geben.

Es ist daher dringlich zu fordern, dass ärztliche und vor allem auch dermatologische Differenzialdiagnostik einen wesentlichen Anteil an der diagnostischen Beurteilung chronischer Wunden erhält.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Dr. med. Thomas Horn
Klinik für Dermatologie und Venerologie
HELIOS Klinikum Krefeld
Lutherplatz 40
47805 Krefeld

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Abb. 1 Flache, saubere, epithelisierte Wunde.
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Abb. 2 Teils ulceröse, teils erosive Wunde mit randständigen Nekrosen.