Aktuelle Dermatologie 2014; 40(04): 148
DOI: 10.1055/s-0033-1353591
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Generalisierte erworbene Hypertrichose in der christlichen Ikonografie

E. G Jung
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Ernst G. Jung
Maulbeerweg 20
69120 Heidelberg

Publication History

Publication Date:
11 April 2014 (online)

 

Liebe Frau Professor Bayerl,

Kürzlich besuchte ich wieder einmal in Schwäbisch Hall die Ausstellung „Alte Meister“ der Sammlung Würth in der Johanniterkirche. Es handelt sich dabei um die spätmittelalterlichen Schätze Fürstlich Fürstenbergischer Provenienz, die 2004 hier eine würdige Bleibe erhielten und adäquat bewahrt sowie wundervoll präsentiert werden. Es lohnt sich der Besuch und jedermann ist vom Stifter eingeladen.

Diesmal ist mir ein Bild besonders aufgefallen, weil es sich um die Bestätigung einer besonderen christlichen Ikonografie handelt, die ich in der „Aktuellen Dermatologie“ im Jahre 2010 vorstellte [1]. Darauf möchte ich eingehen.

Es handelt sich um das Bild „Die letzte Kommunion Maria Magdalenas in der Kathedrale von Aix-en-Provence“. Der Maler ist nicht bekannt, stammt aber sehr wahrscheinlich aus dem Bodenseeraum, weshalb er als „Seeschwäbischer Meister“ bezeichnet wird [2]. Datiert wird das Bild um 1500 (Sammlung Würth, Inv. 6497). Dargestellt ist eine Schlüsselszene aus dem Leben der Maria Magdalena. Gemeint ist die „ägyptische“ Maria aus Magdala, welche, nach sündigem Leben, als Büßerin auf eine Wallfahrt nach Jerusalem geht und in der Wüste geläutert wurde. Der schöne Körper wird durch wallendes Haupthaar und eine Ganzkörperbehaarung verhüllt. Sie kehrt zurück, erhält vom Abt Zosimas die letzte Kommunion und verstirbt binnen Jahresfrist. Diese Szene in der Kathedrale von Aix-en-Provence ist auf dem Bild dargestellt. Die Geschichte geht zurück auf die „Legenda aurea“ des Jakobus de Voragine, Erzbischof von Genua im 13. Jahrhundert.

Diese Marienlegende war im 15. Jahrhundert sehr bekannt und weit verbreitet. Die Verhüllung des wohlgestalten Körpers durch die Ganzkörperbehaarung dient als Zeichen der Absage vom sündigen Leben und zugleich als Voraussetzung für Gnade und Aufnahme in die Kirche und deren Sakramente. Als Mahnung und Verheißung wirkt sie auf die Kirchgemeinde. Deshalb wurde sie in vielen Kirchen im Altarbereich den christlichen Bildprogrammen beigefügt. Berühmt ist das geschnitzte Halbrelief im Münnerstädter Altar von Tilmann Riemenschneider (1490 – 1492) und die Skulptur von Donatello um 1440. Besonders aber in den Gemeindekirchen fand die Verbreitung statt und ist gelegentlich noch erhalten, so im Magdalenenaltar des Lucas Moser in Tiefenbronn [1]. Andere sind in Museen bewahrt, im Berliner Museum Preußischer Kulturbesitz oder hier in der Johanniterkirche zu Schwäbisch Hall. Zuweilen wurden kompakte Bildprogramme mit mehrere Szenen dargestellt, immer aber die Schlüsselszene der Kommunion als Zeichen der Wiederaufnahme in die christliche Gemeinschaft. Es handelte sich damals um ein beliebtes und für die Künstler wohl auch reizvolles Thema, war es doch geboten, die Monstrosität der Hypertrichose zu verbinden mit dem noch durchschimmernden wohlgestalten Leib. Verhüllte Schönheit in den christlichen Bildprogrammen war damals neu und riskant. Es war eine hohe Zeit der Bildergeschichten, die bald darnach durch „Wort und Schrift“ ergänzt und wohl auch etwas abgelöst wurde (Buchdruck und Bibelübersetzung). Seither hat sich viel verändert. Die „Legenda aurea“ mit ihren Bildergeschichten ruht als musealer Schatz unseres kulturellen Gedächtnisses unter anderem in der Sammlung Würth; wohl behütet und gepflegt. Dies zu erinnern, ist meine Absicht.

Zoom Image
Abb. 1 Die ägyptische Maria Magdalena mit generalisierter, erworbener Hypertrichose; eine reuige Büßerin, die Gnade findet (Bild: Sammlung Würth, Foto: Horst Ziegenfusz, Frankfurt a. M.) .

#

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Ernst G. Jung
Maulbeerweg 20
69120 Heidelberg


Zoom Image
Abb. 1 Die ägyptische Maria Magdalena mit generalisierter, erworbener Hypertrichose; eine reuige Büßerin, die Gnade findet (Bild: Sammlung Würth, Foto: Horst Ziegenfusz, Frankfurt a. M.) .