Zahnmedizin up2date 2014; 8(5): 535-558
DOI: 10.1055/s-0033-1357988
Varia
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Aktive Bewältigung körperlicher und psychischer Belastungen

Ein Verhaltenskonzept für die Zahnarztpraxis
Manfred Just
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Publication Date:
25 September 2014 (online)

Einleitung

Zahnärztliche Arbeit ist belastend, wenn man den Zahlen glauben darf: Für viele Beschäftigte in diesem Bereich gehören Wirbelsäulenbeschwerden, Kopfschmerzen, Schulter-Arm-Probleme, Taubheit in den Extremitäten und Ähnliches zum Alltag.

Oft sind einseitige Haltungen, ungünstige Positionen oder einfach die Dauer dieser Belastungen der Auslöser und der fehlende körperliche Ausgleich der Verstärker der Beschwerden. Wenn dann noch der psychische Stress und weitere externe Einflüsse, wie z. B. Lärm oder ein paar „schlechte“ Gewohnheiten dazukommen, ist „gesund bleiben“ schwierig.

Begünstigt wird dies durch Ausrüstungen und Werkzeuge, die zwar teuer, aber nicht ergonomisch oder bereits veraltet sind oder selbst als neue Möbel nicht den menschlichen Bedürfnissen nach Anpassbarkeit, also der Grundlage der Ergonomie genügen. Und oft erscheint die äußere Gestaltung wichtiger als der ergonomische Nutzen.

Für viele Zahnärzte lauten daher täglich wiederkehrende Fragestellungen [1]:

  • Wie komme ich am Ende des Tages ohne Rücken- oder Schulterschmerzen nach Hause?

  • Wie verhalte ich mich im Arbeitsalltag, um den Feierabend genießen zu können?

  • Wie optimiere ich meine (Arbeits-)Umgebung?

  • Was kann ich tun, um mich am Arbeitsplatz fit zu halten?

  • Was mache ich, wenn doch Schmerzen und Verspannungen auftauchen?

Die täglich feststellbare Tatsache ist aber auch: Es gibt nicht „die“ gute Arbeitsposition oder -haltung, die alles erfüllt. Oft sind die Ausrüstung, das Werkzeug oder auch die eingeschliffenen Verhaltensweisen die größten Hürden für ein „gutes“ Arbeiten. Und zudem ist Gymnastik am Arbeitsplatz für viele (bisher) keine ernst zu nehmende Option, zu negativ ist dieses Thema oft belegt.

Die gute Arbeitshaltung und ergonomische Ausrüstungselemente wurden schon im Artikel „Arbeitshaltung des Zahnarztes“ von Reitemeier et al. [2] ausführlich behandelt. Daher wird dieser Beitrag mehr auf die Aspekte körperlicher Ausgleich, Selbstbehandlung am Arbeitsplatz und Stressoren-Management eingehen.

Dabei bilden zwei Modelle die Grundlage für das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM): einerseits sind dies das Belastungs- und Beanspruchungskonzept von Rohmert et al. [3], das von Scheuch um den wichtigen Faktor „Bewältigung“ erweitert wurde (Abb. [1]) [4]. Andererseits gehört dazu das „5-Säulen-Konzept“ von Just (Abb. [2]) [5].

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Abb. 1 Schematische Übersicht zur Einordnung von Beanspruchungsreaktionen und -folgen in die Belastungs-Beanspruchungs-Bewältigungs-Beziehungen [2].
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Abb. 2 Die 5 Säulen der Ergonomie von Just.

Die zwei Hauptsäulen sind die Verhältnis- und die Verhaltensergonomie: Die Verhältnisergonomie setzt an den Arbeitsbedingungen an, bei der Arbeitsumgebung, den Arbeitsmitteln, den Arbeitsinhalten und der Arbeitsorganisation. Die Verhaltensergonomie geht vom Mitarbeiter aus: Hierunter fallen Maßnahmen zur Verhaltensänderung wie Haltungsschulung (Rückenschule), Bewegungs- und Entspannungsprogramme, Antistressmaßnahmen, aber auch Ernährungs- oder Raucherentwöhnungskurse.

Was aber, wenn trotz guter Verhältnisse und optimaler Haltung durch zu hohe Belastungen Beschwerden hervorgerufen werden, also die Bewältigung nicht mehr funktioniert? Die schnelle und selbstgesteuerte Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ist daher die dritte Kernsäule des Konzepts.

Die Arbeitsstruktur und das Stressmanagement rücken als zusätzliche Belastungsfaktoren immer mehr in den Fokus, denn Burn-out und Erschöpfungszustände steigen quer durch die Bevölkerung überdurchschnittlich [6].

Zahnmediziner berichten häufiger über Stress als andere Mediziner bzw. Selbstständige. Schon vor fast 30 Jahren gaben über 80 % der Befragten einer Studie an, mehr oder weniger stark unter Stresssymptomen zu leiden [7], Tendenz stark steigend. Bei dieser 4. Säule ist vor allem das aktive Pausenmanagement der Schlüssel.

Und schließlich ist die Versorgung des Körpers mit Nahrung und Flüssigkeit sowie die Art der Nahrungsaufnahme (Stress) bei den steigenden Belastungen ein zusätzliches großes Problem, womit die 5. Säule einen wichtigen Baustein darstellt.

Merke: Zur Verhinderung von Schäden sind Abwechslung, gleichmäßige Verteilung der Belastung, ausreichende Erholungs- und Regenerationsphasen und eine „menschengerechte“ Umgebung nötig.

 
  • Literatur

  • 1 Just M. Körperschule – Entspannung. Haltung. Bewegung. Ein Leitfaden für einen gesunden Rücken. Forchheim: Diavolo-Verlag; 1994
  • 2 Reitemeier B, Arnold M, Scheuch K et al. Arbeitshaltung des Zahnarztes. Zahnmedizin up2date 2012; 6: 147-170
  • 3 Rohmert W, Mainzer J, Zipp P. Der Zahnarzt im Blickfeld der Ergonomie. Institut der deutschen Zahnärzte. Bd. 4. Köln: Deutscher Ärzte Verlag; 1985: 13-39
  • 4 Scheuch K. Psychosoziale Faktoren im Arbeitsprozess und Gesundheit. Z ges Hyg 1990; 36: 403
  • 5 Just M. Die 5 Säulen der Ergonomie. Herne: zmf-Verlag; 2011: 8
  • 6 DAK-Gesundheitsreport 2005. Berlin: IGES Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH; 2005
  • 7 von Quast C. Streß bei Zahnärzten. Institut der deutschen Zahnärzte. Bd. 17. Köln: Deutscher Ärzte Verlag; 1996: 61
  • 8 WHO. Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. 1986
  • 9 Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen. Gesundheit durch Bewegung fördern. Empfehlungen für Wissenschaft und Praxis. Düsseldorf: 2011: 18-20
  • 10 Just M, Hilger R. Rückenschule für das zahnärztliche Team. Korrekte Arbeitshaltung, gezielter Ausgleich bei Belastung. Stuttgart: Thieme; 2001
  • 11 Greissing H, Rogers C. Neue Hoffnung Zilgrei. München: Goldmann Verlag; 2000: 15
  • 12 Vitarsa Institut Castagnola. Studienergebnisse der orthopädischen Klinik „Istituto Rizzoli“. Bologna: 1984
  • 13 Just M, Jungkunz W. Schmerz lass nach. JUST-FIVE – das Programm zur Selbsthilfe bei Wirbelsäulen-, Gelenk- und Muskelbeschwerden. Wiesbaden: Universum Verlagsanstalt; 2012
  • 14 Selye H. Einführung in die Lehre vom Adaptationssyndrom. Stuttgart: Thieme; 1953
  • 15 Selye H. Stress. München: Piper; 1988: 22
  • 16 Ruess A, Mai J. Stress – und kein Ende. 2007. Im Internet: http://www.handelsblatt.com/karriere/nachrichte/volkskrankheit-stress-und-kein-ende/2788788.html und www.who.int/occupational_health/topics/stressatwp/en Stand: 11.08.2014
  • 17 WHO – der europäische Gesundheitsbericht 2002. Europäische Schriftenreihe. WHO Regionalbüro Kopenhagen; 97. 38 48–52
  • 18 Epel ES et al. Accelerated Telomere Shortening in Response to Life Stress. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 2004; 101: 17312-17315
  • 19 Schwing R. Wenn die Amygdala feuert – Krisenverhalten im Lichte der Neurobiologie. RKW Magazin 2010; 2: 18-20
  • 20 Vester F. Phänomen Streß. Stuttgart: dtv; 1984: 64-68
  • 21 DAK-Gesundheitsreport 2007. Berlin: IGES Institut für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH; 2007
  • 22 Kivimaki M et al. Job strain as a risk factor for coronary heart disease: a collaborative meta-analysis of individual participant data. Lancet 2012; 380: 1491-1497
  • 23 Sprenger B. Herzinfarkt durch Arbeitsstress. Interview vom 20. 04. 2010. In: Just M, Hrsg. Die 5 Säulen der Ergonomie. Herne: zmf-Verlag; 2011: 156-157 Im Internet: www.de.fitness.com/news/505/herzinfarkt_durch_arbeitsstress.php Stand: 11.08.2014
  • 24 Fox NA, Hane AA, Henderson H et al. Behavioral Reactivity and Approach-Withdrawal Bias in Infancy. Developmental Psychology 2008; 44: 1491-1496
  • 25 Pruessner JC, Dedovic K, Engert V et al. Cortisol awakening response and hippocampal volume: vulnerability for major depressive disorder?. Biol Psychiatry 2010; 68: 847-853
  • 26 Mauritz S. Wenn schon Burnout, dann richtig. Göttingen: mauritz und grewe; 2013: 92-95
  • 27 Kivimäki M, DeVogli R, Ferrie JE et al. Unfairness and health: evidence from the Whitehall II Study. J Epidemiol Community Health 2007; 61: 513-518
  • 28 Mori H, Yamamoto H, Kuwashima M et al. How does deep breathing affect office blood pressure and pulse rate?. Hypertens Res 2005; 28: 499-504
  • 29 Interview rheinruhrmed. Prof. Dr. med. Grotz: Langsames Atmen senkt Blutwerte. Im Internet: http://www.rheinruhrmed.de/interview/interview_bluthochdruck_prof_dr_grotz.php