Zahnmedizin up2date 2015; 9(06): 509-533
DOI: 10.1055/s-0033-1358206
Implantologie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Implantatprothetische Rehabilitationen im Oberkiefer

Michael Fröhlich
,
Falk Nagel
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Publication Date:
01 December 2015 (online)

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Entwicklung des Oberkiefers

Die Maxilla entsteht im Rahmen der Embryonalentwicklung in der 7.–8. Woche als paarige Anlage im Zwickel zwischen den expandierenden Augen, der Nasenkapsel und den beiden seitlichen Gaumenfortsätzen oberhalb der sich ausdehnenden Mundhöhle. Erste Anzeichen einer Knochenbildung der Maxilla werden beim menschlichen Embryo bereits gegen Ende der 6. Schwangerschaftswoche (14 mm SSL) gefunden. Im Mesenchym der paarigen Oberkieferwülste, das sich aus dem Mesoderm herleitet, sind zu diesem Zeitpunkt erste Osteoblasten nachweisbar [1], wobei auch diese Zellen von pluripotenten Zellpopulationen der kranialen Neuralleiste stammen, sodass man von „ektomesenchymaler“ Herkunft spricht. Welche Signalgeber im Detail als Wachstums-, Differenzierungs- und Formgebungsimpuls dienen, ist nicht vollständig geklärt [1]. Dabei scheinen auch mechanische Faktoren in der Gestaltentwicklung eine Rolle zu spielen, z. B. eine Gewebekompression in der Gesichtsregion als Folge des stark expandierenden Hirnbereichs, sog. Entwicklungsbewegungen. Dort, wo an mesenchymalem Gewebe Scherkräfte anliegen, entsteht ein desmal ossifizierender Knochen. Die Schädelknochen entstehen entweder direkt aus dem mesenchymalen Bindegewebe (desmale Ossifikation) oder indirekt über den Umbau eines knorpeligen Modells (chondrale Ossifikation). Auf dieser Basis gründen die Begriffe Desmokranium und Chondrokranium.

Merke: Sowohl der Ober- als auch der Unterkiefer gehören zum Desmokranium.

Die paarig angelegten desmalen Ossifikationszentren am Oberkiefer korrelieren mit den Nerven im Bereich der Maxilla. Als erstes bildet sich ein solches Ossifikationszentrum kaudal vom N. infraorbitalis, danach ein weiteres im Bereich des For. palatinum und danach eines im Bereich des For. incisivum [2]. Die einzelnen Knochenbildungszentren verbinden sich – abgesehen von den Suturae – meist nahtlos. Die Prämaxilla, eine paarige Knochenanlage im Bereich des primären Gaumens, verschmilzt mit dem Corpus maxillae, entsprechende Suturen sind aber noch lebenslang nachvollziehbar.

Die Weichgewebsbedeckung des Alveolarfortsatzes als eine Form der mastikatorischen Mundschleimhaut zeigt bereits in der frühen Fetalperiode die charakteristische Schichtung mit Ausbildung eines parakeratinisierten Stratum corneum [1].

Die postnatale Entwicklung der Maxilla ist durch eine enorme Veränderung ihrer Proportionen gekennzeichnet. Sobald sich die Zähne in ihr entwickeln und durchbrechen, nimmt der primär noch flache Oberkiefer an Höhe zu. Die Entwicklung von Nase und Nasenatmung sowie die Kraft der Zunge fördern die transversale und sagittale Vergrößerung. Auch können Parafunktionen und (funktions-)kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen in gewissem Maß darauf Einfluss nehmen [2]. Das Vorhandensein von Zahnanlagen, deren Entwicklung und der Durchbruch in der 1. und 2. Dentition gehen mit der Bildung von Knochen einher. Für jede einzelne Zahnanlage entsteht eine knöcherne Alveole. Da die Zahnwurzel durch ihren desmodontalen Faserapparat mit dem Knochen verbunden ist, wirkt sie direkt auf die Bildung von Alveolarknochen. Dafür werden nun die Osteoblasten aktiviert, die aus dem eigentlichen Zahnsäckchen stammen und Knochenmatrix sezernieren. Es handelt sich somit um eine zahnabhängige Struktur.

Die desmodontalen Fasern sind am Übergang zum Alveolarknochen zu dicken Bündeln zusammengefasst. Die Faserbündel ziehen in die oberflächenparallelen Schichten der Alveole hinein, weshalb diese faserführenden Schichten des Alveolarknochens als Bündelknochen bezeichnet werden. Dieser Knochenteil bildet zusammen mit der Spongiosa und der vestibulären und oralen Kompakta den Alveolarfortsatz. Die anderen Anteile des Kieferknochens sind zwar in ihrer Entstehung und Erhaltung auch abhängig von der Bezahnung, allerdings entsteht der Knochen unabhängig von der Aktivität der Zahnsäckchen. Die Erhaltung bzw. Anpassung der äußeren Knochenform und die Anordnung der Trabekel beruhen lebenslang auf den Kräften, die auf den Knochen einwirken. Diese Umbauprozesse (heute als Apposition, Resorption und Remodeling verstanden) sind im Transformationsgesetz nach Wolff von 1892 zusammengefasst.

Nach Abschluss des Schädelwachstums, etwa mit dem 22. Lebensjahr, kommt es zu Involutionsprozessen am Knochen. Anzahl und Dicke der Spongiosabälkchen werden reduziert, Markräume vergrößern sich. Auch die bedeckenden Weichgewebe sind von diesen Rückbildungstendenzen nicht ausgenommen. Durch Entzündungen am Alveolarfortsatz sowie durch fehlerhafte zahnärztliche, kieferorthopädische und chirurgische Maßnahmen können bereits Verluste von Knochen und Weichgewebe bei noch vorhandenen Zähnen eintreten. Besonders gravierend aber ist der Substanzverlust nach Entfernung bzw. Verlust der Zähne.