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DOI: 10.1055/s-0033-1360048
Die 7. Revision der Deklaration von Helsinki: mehr als nur eine Empfehlung?
7th revision of the declaration of Helsinki: more than a recommendation?Publication History
Publication Date:
20 January 2014 (online)
Medizinische Forschung am und mit Menschen sollte ethischen Grundprinzipien folgen, die in der Deklaration von Helsinki festgehalten sind. Im Jahr 1964 hat der Weltärztebund die erste Fassung der Deklaration verabschiedet, die sich im Laufe der Jahre weltweit als ärztlicher ethischer Standard etabliert hat. Bis vor kurzem war die 6. Revision (2008, Seoul) gültig. Am 19. Oktober 2013 wurde die 7. Revision durch die 64. Generalversammlung des Weltärztebundes im brasilianischen Fortaleza verabschiedet [4].
Im Folgenden gehen wir der Frage nach, wie die Deklaration von Helsinki in den deutschen Rechtsrahmen integriert ist, und welche Auswirkungen die Änderungen in der neuen Deklaration von Helsinki für das praktische Forschen haben.
Obwohl die Deklaration von Helsinki ethischer Standard ist, wird die Frage der gesetzlichen Verbindlichkeit immer wieder diskutiert. Die Deklaration ist in Deutschland nur für klinische Prüfungen nach dem Arzneimittelgesetz und dem Medizinproduktegesetz (MPG) durch die Integration der entsprechenden Leitlinien bzw. Norm (ICH-GCP [2], DIN EN ISO 14155:2012–01 [3]) gesetzlich bindend. Spezifisch bedeutet das für Studien, die unter das MPG fallen, dass diese nach DIN EN ISO 14155:2012–01 durchzuführen sind.
Der Weg dorthin ist nicht ganz einfach. So startet man mit der Verordnung über klinische Prüfungen von Medizinprodukten (MPKPV), die in § 1(1) als Anwendungsbereich die klinische Prüfung gemäß MPG § 20–24 nennt. Im § 10 der MPKPV wird verlangt, dass eine klinische Prüfung nach dem „Stand der Wissenschaft und Technik“ durchzuführen ist. Der Stand der Technik wiederum wird aktuell in der DIN EN ISO 14155:2012–01 beschrieben. Und in dieser Norm wird in A.12 a) „festgelegt, dass die klinische Prüfung in Übereinstimmung mit den ethischen Grundsätzen, die ihren Ursprung in der Deklaration von Helsinki haben“, durchzuführen ist.
Für die sogenannten Nicht-AMG- und Nicht-MPG-Studien, wie z. B. Therapieoptimierungsstudien, finden diese Gesetze keine Anwendung. Doch Ärzte sind in Deutschland an die Berufsordnung für Ärzte gebunden. Diese länderspezifischen Berufsordnungen basieren auf der Musterberufsordnung der BÄK, in welcher in § 15 folgender Abschnitt zu finden ist [1]: „Ärztinnen und Ärzte beachten bei der Forschung am Menschen … die in der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes in der Fassung der 59. Generalversammlung 2008 in Seoul niedergelegten ethischen Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen.“
In der Berufsordnung von Schleswig-Holstein entfällt z. B. der Hinweis auf die Version, womit immer auf die aktuell verabschiedete Fassung verwiesen wird. Mit diesem Verweis erhält die Deklaration von Helsinki zumindest für forschende Ärzte in Deutschland einen gesetzlich bindenden Rahmen.
Heute wird deren Einhaltung z. B. auch von vielen Fachzeitschriften für die Publikation von medizinischen Forschungsergebnissen als Voraussetzung gefordert. Einen Überblick bietet die Seite des „International Committee of Medical Journal Editors“ (www.icmje.org).
Welche essentiellen Änderungen bringt nun aber die Deklaration von Helsinki 2013 mit sich? Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass sich die Struktur der Deklaration gegenüber der Fassung von Seoul erheblich verändert hat. 13 Bereiche bündeln jetzt inhaltliche Themen und sind durch Zwischenüberschriften kenntlich gemacht. Die wesentlichen inhaltlichen Änderungen der Neufassung sind knapp in [ Box 1 ] zusammengefasst.
Für Ärzte, die an klinischen Studien teilnehmen, ergeben sich für ihre Tätigkeit drei wesentliche Neuerungen:
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Unabhängig vom Ergebnis müssen nun alle an der Studie beteiligten Forscher sicherstellen, dass die Resultate veröffentlicht werden.
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Klinisch tätige Forscher müssen sicherstellen, dass den von ihnen betreuten Patienten bei Bedarf die in der Studie erfolgreiche Studientherapie auch weiterhin zur Verfügung steht.
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Eine Registrierung einer Studie ist – egal ob Interventionsstudie oder andere Studie – in einer öffentlich zugänglichen Datenbank vor Beginn der Rekrutierung des ersten Studienteilnehmers erforderlich.
Wesentliche Änderungen in der 7. Revision der Deklaration von Helsinki (Fassung vom 23.10.2013 aus Fortaleza).
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Umgang mit vulnerablen Gruppen (Nr. 20). Hier ist der gesamte Text neu gefasst worden. Zum einen wird jetzt der Begriff eingeführt. Zum anderen wird explizit gelistet, wie mit diesen Gruppen umzugehen ist.
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Verpflichtung, der Ethikkommission einen Abschlussbericht zu übersenden (Nr. 23). Diese Verpflichtung ist in Deutschland nicht neu, aber neu in die Deklaration aufgenommen worden.
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Einsatz von Placebo und Therapien, die nachweislich schlechter sind als der Standard (Nr. 33). Zum einen werden andere Therapien als Standardtherapien erstmalig genannt. Zum anderen ist jetzt für jegliche Intervention, die nachweislich schlechter als der Standard ist, eine Begründung für ihre Verwendung in einer Studie zu geben.
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Zu treffende Maßnahmen nach Abschluss einer Studie (Abschlussbehandlungen, Nr. 34). Hierzu gehört, dass Studienteilnehmern auch nach Beendigung der Studie Zugang zur wirksamen Studientherapie ermöglicht werden muss, falls diese die Therapie noch benötigen.
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Registrierung aller medizinischen Studien („every research study“) am Menschen in einer öffentlich zugängigen Datenbank (Nr. 35). Zuvor wurde die Registrierungspflicht auf Interventionsstudien („clinical trial“) beschränkt.
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Publikationspflicht: Veröffentlichung von positiven und negativen Ergebnissen nach Abschluss einer Studie (Nr. 36). Neu ist, dass Ergebnisse veröffentlicht werden müssen – unabhängig von ihrem Ergebnis. Außerdem gilt diese Publikationspflicht für Forscher, die an der Studie teilnehmen. Vorher wurde in der Deklaration von Autoren gesprochen. Neu ist ebenfalls eine Verbreitungspflicht der Studienergebnisse.
Vor allem die Strukturierung und Präzisierung der Sprache führt dazu, dass die Deklaration von Helsinki 2013 zu einem gut lesbaren, transparenten und zeitgemäßen Dokument für ethische Grundprinzipien geworden ist.
In Deutschland sind die Konsequenzen für Forscher im Vergleich zu weniger wohlhabenden Ländern durch die Neufassung gering. Allerdings stellt die Erweiterung der bereits vorhandenen Pflicht zur Registrierung klinischer Studien vor deren Beginn in einer öffentlich zugängigen Datenbank auf jegliche medizinische Untersuchungen am Menschen eine entscheidende Änderung dar – für forschende Ärzte auch eine, die gesetzlich bindend ist.
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Literatur
- 1 Bundesärztekammer. (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte. – MBO-Ä 1997 – in der Fassung der Beschlüsse des 114. Deutschen Ärztetages 2011 in Kiel. 2011. http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/MBO_08_20111.pdf. Letzter Zugriff: 20.12.2013
- 2 CPMP. Note for guidance on good clinical practice. 2002. http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Scientific_guideline/2009/09/WC500002874.pdf Letzter Zugriff: 20.12.2013
- 3 DIN EN ISO 14155:2012-01. Klinische Prüfung von Medizinprodukten an Menschen – Gute klinische Praxis. Berlin: Beuth; 2012
- 4 World Medical Association (WMA). WMA Declaration of Helsinki – Ethical Principles for Medical Research Involving Human Subjects. 2013. www.wma.net/en/30publications/10policies/b3/ Letzter Zugriff: 20.12.2013