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DOI: 10.1055/s-0033-1362518
Da beißt sich die Katze in den Schwanz
Publication History
Publication Date:
28 May 2014 (online)
Sehr geehrte Kollegin,
sehr geehrter Kollege,
die Arbeitsgruppe von Lo hat 1997 gezeigt, dass im zellfreien Plasma einer Schwangeren fetale DNA-Fragmente zirkulieren [1]. Eine der ersten klinischen Anwendungen dieser Entdeckung war der nicht-invasive molekulargenetische Nachweis des fetalen RHD–Gens bei Rhesus-D negativen Schwangeren [2],[3]. T. Legler gibt in dem Beitrag „Fetale molekulargenetische Blutgruppenbestimmung aus mütterlichem Plasma“ einen Überblick über den gegenwärtigen Stand des Verfahrens und über die klinische Versorgung in verschiedenen europäischen Ländern.
In vielen europäischen Ländern gilt die Festlegung, dass einer Rhesus-D-negativen Schwangeren in der 28.–30. Schwangerschaftswoche eine Standarddosis Anti-D-Immunglobulin injiziert wird, um möglichst bis zur Geburt eine Sensibilisierung der Schwangeren gegen Rhesus D zu verhindern. Da in ca. 35 % der Rhesus-D-negativen Schwangeren auch die Feten Rhesus-D-negativ sind, wäre die Gabe der Rhesusprophylaxe in diesen Fällen nicht notwendig (in Deutschland bei ca. 40 000 Frauen jährlich). In einigen europäischen Ländern, z. B. Dänemark [4] und in den Niederlanden, wurde ein nationales Screening-Programm zur präpartalen molekulargenetischen Bestimmung des fetalen RHD-Gens eingeführt. Nur diejenigen Schwangeren, die einen RHD-positiven Feten tragen, erhalten die präpartale Rhesusprophylaxe. Damit werden Rhesus-D-negative Schwangere nicht unnötig mit einem humanen Blutprodukt behandelt. Die Umstellung von einem generellen Prophylaxe-Programm auf ein indikationsbezogenes Programm nach nicht-invasiver fetaler RHD-Bestimmung könnte vermutlich kostenneutral erfolgen. Im Rahmen der nationalen Screening-Programme wird, z. T. zentralisiert, mit sogenannten „In-house-Verfahren“ gearbeitet.
Wenn man fragt, warum z. B. in Deutschland ein generelles Screening-Programm für alle Rhesus-D-negativen Schwangeren bisher nicht eingeführt wurde, stößt man auf ein typisches „Da beißt sich die Katze in den Schwanz-Problem“: Die Diagnostik-Industrie stellt für die flächendeckende Versorgung keine geeigneten Testsysteme zur Verfügung, weil es keine Nachfrage gibt. Es gibt keine Nachfrage, weil die Kosten der Untersuchung von den Kostenträgern derzeit nicht erstattet werden. Die Untersuchung wurde in die Erstattungskataloge nicht aufgenommen, weil (bezahlbare) Testsysteme für die flächendeckende Versorgung nicht zur Verfügung stehen.
Wie könnte dieser Teufelskreis durchbrochen werden? Ein wichtiger Aspekt ist das weitgehende Fehlen von öffentlichen Förderprogrammen für „translationale“ klinische Studien. Eine Studie zum flächendeckenden Einsatz der indikationsbezogenen Rhesus-Prophylaxe nach fetaler RHD-Bestimmung hätte die notwendigen Leistungsdaten eines solchen Verfahrens aufzeigen und die notwendigen Entscheidungsgrundlagen liefern können.
Ein weiterer Aspekt ist, dass wir für unser Fachgebiet keine ausgeprägte Kultur fachübergreifender „Konsensus-Konferenzen“ haben. Eine wissenschaftlich exakt begründete Empfehlung einer „Konsensus-Konferenz“ könnte ebenfalls Entscheidungsgrundlagen für die beteiligten Gremien liefern. Hier sind wir, d. h. unsere Fachgesellschaft, allerdings selbst aufgerufen. Was meinen Sie? Wir freuen uns über Leserzuschriften.
Im Namen der Herausgeber darf ich Ihnen alle Beiträge dieses Heftes zur gewinnbringenden Lektüre empfehlen.
Prof. Dr. med. Gregor Bein, Gießen
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Literatur
- 1 Lo YM, Corbetta N, Chamberlain PF et al. Presence of fetal DNA in maternal plasma and serum. Lancet 1997; 350: 485-487
- 2 Lo YM, Hjelm NM, Fidler C et al. Prenatal diagnosis of fetal RhD status by molecular analysis of maternal plasma. N Engl J Med 1998; 339: 1734-1738
- 3 Faas BH, Beuling EA, Christiaens GC, von dem Borne AE, van der Schoot CE. Detection of fetal RHD-specific sequences in maternal plasma. Lancet 1998; 352: 1196
- 4 Clausen FB, Christiansen M, Steffensen R et al. Report of the first nationally implemented clinical routine screening for fetal RHD in D-pregnant women to ascertain the requirement for antenatal RhD prophylaxis. Transfusion 2012; 52: 752-758