Dtsch Med Wochenschr 2014; 139(23): 1199
DOI: 10.1055/s-0034-1370100
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Klinische Forschung braucht kluge Köpfe

Clinical science needs smart minds
M. P. Manns
1   Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) 2013/14, Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Hannover
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
27 May 2014 (online)

Junge Mediziner haben heute sehr gute Berufschancen. Aber warum sollten sie eine Weiterbildung in Innerer Medizin als wahrscheinlich umfassendstem Gebiet der gesamten Medizin anstreben? Dem „Internisten“ steht nach Abschluss der Weiterbildung die volle Breite der ärztlichen Tätigkeit in Praxis oder Klinik offen. Der demographische Wandel wird dem Gebiet Innere Medizin weitere Bedeutung zukommen lassen. Alternativ kann aber auch eine wissenschaftliche Ausbildung und anschließende Karriere in der Universitätsmedizin angestrebt werden.

Auf der Grundlage guter struktureller Voraussetzungen ist die klinische Forschung wie jede Forschung vor allem abhängig von den „klugen Köpfen“. Neben dem Ehrgeiz muss die Kreativität zur Entfaltung kommen. Der Kampf um diese klugen Köpfe ist seit langem eröffnet, diesem muss mit tragfähigen Konzepten begegnet werden. Ich bin für den Erhalt von Krankenversorgung, Lehre und Forschung in einer Institution, denn aus meiner Sicht ist so am besten Translationsforschung, d. h. klinisch relevante Forschung, erfolgreich zu gestalten. Wir brauchen dazu forschende und zugleich praktizierende Ärzte, auch als „Clinical Scientist“ bezeichnet. Mit Sorge sehe ich daher die Entwicklung, dass immer weniger praktizierende Ärzte, „die Kliniker“, auch selbst forschen. Klinische Forschung heißt nicht, dass Grundlagenwissenschaftler organisatorisch in Kliniken angesiedelt werden und deren wissenschaftliche Leistung, gemessen in „Drittmitteln und Impaktfaktoren“, dann als klinische Forschung bezeichnet wird.

Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) unterstützt die Bemühungen, Karrierewege hin zum „Clinical Scientist“ zu fördern und attraktiv zu gestalten. Forschungsleistungen in Kliniken sollten nicht ausschließlich von Grundlagenwissenschaftlern erbracht werden, sondern auch von klinisch ausgebildeten und klinisch tätigen Medizinern, allen voran Internisten. Forschung in der Inneren Medizin ist ein Musterbeispiel für Translationale Forschung, die von der Politik so sehr gewünscht, gefördert und gefordert wird.

Wir wollen, dass der „Clinical Scientist“ erhalten und attraktiv bleibt. Es ist sicherlich unverändert sinnvoll, nach dem Studium vor Beginn der ärztlichen Weiterbildung eine Postdoktoranden-Zeit (Post Doc) zur wissenschaftlichen Grundausbildung anzuschließen – auch Wissenschaft muss erlernt werden. Danach kehren die Post Docs in der Regel in „ihre“ klinischen Einheiten zurück und etablieren eine eigene wissenschaftliche Arbeitsgruppe. Dieser Zeitraum ist entscheidend und besonders vulnerabel: Wenn es nicht gelingt, in dieser Zeit Drittmittel einzuwerben und eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen, ist die Persönlichkeit in der Regel für die Wissenschaft verloren. In diese Zeit fällt auch die Komplettierung der ärztlichen Weiterbildung. Ad-personam-Forschungsprogramme berücksichtigen in der Regel nicht die Parallelität von Aufbau der eigenen wissenschaftlichen Selbstständigkeit und Komplettierung der Facharztausbildung. Dieser „duale Weg“ muss konsequent weiter beschritten werden. Wie von der DGIM vorgeschlagen, sollten zumindest 6–12 Monate fachbezogene Forschungszeit innerhalb der Facharztausbildung anerkannt werden. Eine Kommunikation zwischen Forschungsförderorganisationen und den Ärztekammern ist hierzu dringend erforderlich. Andererseits muss der „Clinical Scientist“ anerkennen, dass er oder sie die Facharztausbildung nicht in der Mindestzeit komplettieren kann. Gute Forschung braucht Zeit!

Auch der Rückgang der medizinischen Doktorarbeiten ist kritisch zu sehen. Medizinstudenten/innen kommen zu oft im Studium nicht mehr in Kontakt mit der Forschung. Vielleicht nicht zuletzt auch deshalb werden die Töpfe der DFG für die Auslandsstipendien zurzeit nicht mehr voll ausgeschöpft; vor Jahren wurden sie noch hochkompetitiv vergeben. Wenn Medizinstudenten/innen nicht über die Doktorarbeit für eine wissenschaftliche Tätigkeit begeistert werden, müssen andere Wege gefunden werden. Die strukturierten Doktorandenprogramme in der Medizin sind eine Möglichkeit, werden das Problem aber nicht alleine lösen können.

Es wird in Zukunft darauf ankommen, junge Mediziner/innen für die Innere Medizin zu begeistern und die Attraktivität der gleichzeitigen Tätigkeit in Klinik und Forschung nahezubringen. Die Vereinbarkeit von Familie und klinisch wissenschaftlicher Karriere ist hierbei eine besondere Herausforderung, die im klinischen und wissenschaftlichen Alltag organisatorisch gemeistert werden muss – nicht zuletzt auch von uns als Klinikdirektoren. Um parallel zur Forschungstätigkeit eine ausreichende klinische Expertise zu erreichen braucht es Berufserfahrung, denn „man muss vieles gesehen haben“ und „man muss vieles wissen, um wenig zu tun“. Ich wünsche der jungen Ärztegeneration den Mut, sich immer größeren Eingriffen in ihre Arbeitszeitgestaltung zu widersetzen – und sich der hochspannenden Herausforderung der klinischen Forschung zu stellen.