Zusammenfassung
Die Gewinnung visueller Informationen ist ein komplexer Prozess, der ein fein austariertes Zusammenspiel der Augenbewegungen voraussetzt. Auch die Hirnnerven II – VIII sind, zumindest partiell, am visuellen System beteiligt. Sie funktionieren jedoch nicht isoliert, sondern erhalten Signale zur Koordination der Augenbewegungen von verschiedenen übergeordneten kortikalen Zentren. Die kortikalen Reflexbahnen haben u. a. die Aufgabe, die Augenbewegungen bei der vertikalen und horizontalen Ausrichtung des Blickes als Antwort auf Signale aus dem vestibulären System mit dem Ziel zu kontrollieren, die Augen auf ein Objekt fokussiert zu halten, während sich der Kopf im Raum bewegt. Eine weitere Aufgabe ist die Kontrolle der koordinierten schnellen Augenbewegungen (Sakkaden) beim Einstellen des Blickes auf ein neues Objekt. Andere Reflexbahnen verbinden die am Sehprozess beteiligten Hirnnerven miteinander und ermöglichen so den konsensuellen Lidschlagreflex (Blinzeln) beider Augen, wenn die Hornhaut eines Auges gereizt wird, oder die gleichzeitige Verengung beider Pupillen, wenn Licht durch die Pupille eines Auges fällt. Eine Vielzahl intrakranieller Erkrankungen kann die Funktion der Hirnnerven und die visuellen Reflexbahnen stören, so z. B. benigne und maligne Neoplasmen, Infektionen, Traumata, Autoimmunkrankheiten, Gefäßanomalien, degenerative Erkrankungen und kongenitale erbliche Störungen. Diese Erkrankungen können sich in unendlich vielfältiger Weise manifestieren – sei es als Lähmung der äußeren Augenmuskeln, afferente Pupillenstörung oder okulosympathische Parese (Horner-Syndrom), sei es als internukleäre Ophthalmoplegie, dorsales Mittelhirnsyndrom (Parinaud-Syndrom) oder Verlust des Kornealreflexes. Die Kenntnis von Funktion und Anatomie der Hirnnerven und der visuellen Reflexbahnen einerseits, zusammen mit der Wahl der geeigneten magnetresonanztomografischen Pulssequenz andererseits, erlaubt dem Neurologen die Anordnung einer sinnvollen Bildgebung zur Darstellung des involvierten Hirnnervs bzw. der betroffenen visuellen Reflexbahn auf der Basis der Symptomatik des Patienten und spielt somit eine entscheidende Rolle für die Diagnosestellung und die Therapieplanung.
Abstract
The gathering of visual information is a complex process that relies on concerted movements of the eyes, and cranial nerves II – VIII are at least partially involved in the visual system. The cranial nerves do not function in isolation, however, and there are multiple higher-order cortical centers that have input into the cranial nerves to coordinate eye movement. Among the functions of the cortical reflex pathways are (a) controlling vertical and horizontal gaze in response to vestibular input to keep the eyes focused on an object as the head moves through space, and (b) controlling rapid, coordinated eye movement to a new visual target (saccades). There are also reflex pathways connecting the cranial nerves involved in vision that produce consensual blinking of the eyes in response to corneal stimulation of one eye and consensual pupillary constriction in response to light input on one pupil. A variety of intracranial pathologic conditions, including benign and malignant neoplasms, infection, trauma, autoimmune diseases, vascular anomalies, degenerative diseases, and inherited-congenital disorders, can disrupt the cranial nerves and visual reflex pathways. This disruption can manifest in myriad ways – for example, as extraocular muscle paresis, afferent pupillary defect, oculosympathetic paresis (Horner syndrome), internuclear ophthalmoplegia, dorsal midbrain (Parinaud) syndrome, or loss of the corneal reflex. Knowledge of the function and anatomy of the cranial nerves and visual reflex pathways, coupled with selection of the proper magnetic resonance pulse sequence, will allow the radiologist to order appropriate imaging of the involved cranial nerve or visual reflex pathway based on the patient’s symptoms and thereby play an essential role in establishing the diagnosis and planning appropriate therapy.