Radiologie up2date 2014; 14(03): 181-182
DOI: 10.1055/s-0034-1377604
Editorial
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Die Bedeutung der Personenfreizügigkeit für die europäische Radiologie

Wolfgang Steinbrich
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Publication Date:
15 September 2014 (online)

Als in der Schweiz tätiger Radiologe mit deutschen Wurzeln hat mich die sog. „Masseneinwanderungsinitiative“ der Eidgenossenschaft erheblich beschäftigt. Auch wenn Radiologinnen und Radiologen eher selten in Massen auftreten – wenn man vom RSNA und ECR einmal absieht – werden die von den Initianten geforderten und vom Volk auf Verfassungsstufe nun beschlossenen Grundsätze doch nach Regelungen verlangen, die zukünftig auch die Radiologie in der Schweiz betreffen werden.

Interessant an der Diskussion ist dabei für jemanden mit „Migrationshintergrund“ vor allem, dass die Initianten die kleine Schweiz hier als Vorreiterin sehen und meinen, die anderen europäischen Staaten würden hier schon noch zur Besinnung kommen. Unumstößlich gehöre es nämlich zur Souveränität eines Staates, den dauerhaften Zugang zu ihrem Territorium regeln zu können. Entsprechend wird heute eine Rückkehr zum früheren Kontingentsystem verlangt, welches in der Vergangenheit bereits zu viel Schreibarbeit auch beim Autor dieser Zeilen geführt hat, in prosperierenden Zeiten allerdings weitgehend restriktionsfrei für uns Spezialisten abgewickelt wurde. „Halb so schlimm“, könnte man also sagen, „das wird sich schon pragmatisch umsetzen lassen“, immer vorausgesetzt, es kippen darüber nicht die ganzen bilateralen Verträge. Der Vorgang aktualisiert allerdings Fragen, die nicht nur für die Schweiz bedeutsam sind: Welche Bedeutung hat die Personenfreizügigkeit für die europäische Radiologie? Wie wichtig ist uns Radiologinnen und Radiologen der internationale Austausch von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (MA) eigentlich? Was bedeutet uns diese „europäische Radiologie“?

Nun ist die Migration von Radiologinnen und Radiologen in Europa zwar kaum mehr durch bürokratische Hürden, dafür aber umso mehr durch Sprachbarrieren behindert. Dies gilt natürlich besonders für die Patientenversorgung, wird hier ein hohes Sprachniveau in der jeweiligen Landessprache von den Arbeitgebern in aller Regel gefordert. Dies setzt aber einen langjährigen Spracherwerb voraus, der am ehesten in der Weiterbildungszeit bewältigt werden kann.

Für die Wissenschaft sind Sprachbarrieren demgegenüber weniger ein Hemmnis, ist hier Englisch ohnehin die allgemeine Verkehrssprache. Für viele europäische Universitäten ist zudem inzwischen ein Auslandsaufenthalt obligater Bestandteil der Karriereplanung ihrer MA. Hier regulatorisch eingreifen zu wollen, wäre absurd und kontraproduktiv. Oftmals erfolgt der Austausch allerdings eher weg von Europa. Gerade die US-amerikanischen Universitäten zeigen uns aber, wie erfolgreich die temporäre Integration ausländischer MA ihre wissenschaftliche Leistungsfähigkeit unterstützt. Für Europa erscheint es deshalb sehr angeraten, zunächst den innereuropäischen Austausch zu intensivieren, gleichzeitig aber auch einen vermehrten Austausch mit aufstrebenden Schwellenländer zuzulassen.

Zweifellos liegt das größte innereuropäische Austauschpotenzial aber in der Weiterbildung. Speziell die Weiterbildungszeit ist lange genug für einen suffizienten Spracherwerb und eignet sich damit hervorragend zum Ausgleich zwischen und zur Befruchtung der national geprägten Gesundheitsmärkte. Selbst wenn die Migration nur temporär erfolgt, ist der Austausch meist zum wechselseitigen Vorteil. Idealerweise sollten die großen Weiterbildungskliniken in Europa mindestens 20 % ihrer Weiterbildungsstellen transnational besetzen, um damit den Austausch zu fördern.

Auch die Fortbildung eignet sich hervorragend für Begegnungen über Sprach- und Ländergrenzen hinweg. Zweifellos wirkt ein regelmäßiger Austausch in der Fortbildung befruchtend auch auf die nationalen Versorgungsstrukturen. Hier haben die europäischen Fachgesellschaften speziell in der Radiologie in den letzten 20 Jahren viel zur transnationalen Wahrnehmung beigetragen und bemühen sich inzwischen vermehrt auch um eine transnationale Standardisierung. Der Bedarf geht m. E. aber weit über die Organisation von Kongressen und Kursen hinaus. Die in Europa immer noch schleppende Spezialisierung in der Radiologie könnte wesentlich von den europäischen Subspezialitäten-Gesellschaften stimuliert werden. Wie in den USA braucht es dafür aber auch ein funktionierendes Fellowship-System, um auf der Ebene der Spezialitäten genügend praktische Ausbildungsplätze anzubieten. Dieses Fellowship-System zu entwickeln erscheint als vordringliche Aufgabe und könnte bevorzugt gesamteuropäisch organisiert werden – der nationalen Organisation unserer Gesundheitssysteme zum Trotz.

Insgesamt besteht also noch viel Potenzial für den Ausbau der europäischen Radiologie, wobei es vor allem gilt, Sprachbarrieren zu überwinden und transnationale Netzwerke auszubauen. Politische Eingriffe werden dabei nicht gebraucht, von welchem Souverän auch immer.

Wolfgang Steinbrich, Basel