Aktuelle Urol 2014; 45(03): 173-174
DOI: 10.1055/s-0034-1383478
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prostatakarzinom – Erhöht Östrogengabe das kardiovaskuläre Risiko?

Contributor(s):
Elke Ruchalla

Lancet Oncol 2013;
14: 306-316
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Publication History

Publication Date:
16 June 2014 (online)

 

Der Androgenentzug bei hormonsensitivem Prostatakarzinom erfolgt derzeit v. a. mit LHRH-Analoga. Diese Substanzen sind aber nicht unproblematisch: Es kommt gehäuft zu Osteoporose und das Diabetesrisiko ist erhöht. Eine Alternative könnten Östrogene sein, und zwar transdermal verabreicht. So wird der First-Pass-Effekt der Östrogene in der Leber verhindert, der zu dem erhöhten Thromboembolierisiko der Östrogene beiträgt. Erste Daten dazu legt nun eine britische Gruppe vor.
Lancet Oncol 2013; 14: 306–316

mit Kommentar

Die Verabreichung von Östrogenen über ein transdermales therapeutisches System („Pflaster“) kann die Testosteronsynthese bei Männern mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Prostatakarzinom wirksam vermindern und erhöht die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse gegenüber der Standardbehandlung mit LHRH-Analoga nicht wesentlich. Das ist die Schlussfolgerung aus der offenen, randomisierten Phase-II-Studie PATCH (Prostate Adenocarcinoma: TransCutaneous Hormones versus luteinising hormone-releasing hormone agonists), in der zwischen April 2006 und April 2010 zunächst insgesamt 254 Patienten in 27 britischen Zentren behandelt worden waren. Die Männer erhielten randomisiert im Verhältnis 2:1

  • Östrogen-Pflaster (100 μg/24h; n = 169)

  • LHRH-Agonisten (Auswahl entsprechend dem Standard im jeweiligen Zentrum; n = 85)

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(Bild: Alexander fischer / Thieme Verlagsgruppe)

Wenn Testosteronkonzentrationen von 1,7 mmol / l oder darunter (entsprechend den Zielwerten für eine chemische Kastration) erreicht waren, wurde die Östrogendosis auf 75 μg/24h vermindert. Bei Progression der Erkrankung unter der Behandlung konnte die Therapie umgesetzt werden, einschließlich eines Crossovers in den andern Therapiearm.

Der primäre Endpunkt waren kardiovaskuläre Morbidität mit Herzinsuffizienz, akutem Koronarsyndrom, neurologischen Ausfällen bzw. Hinweisen auf einen ischämischen Schlaganfall, sonstige arterielle Thrombosen, venöse Thrombose / Lungenembolien oder Tod aufgrund eines kardiovaskulären Ereignisses. Sekundäre Endpunkte umfassten u. a. metabolische Veränderungen wie das Lipidprofil und die Blutzuckerkonzentration.

Nach 3 Monaten wiesen 70 von 79 Patienten unter LHRH-Analoga (93 %) und 111 von 121 (92 %) unter Östrogenpflastern ausreichend niedrige Testosteronkonzentrationen auf. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 19 Monaten war es zu 24 kardiovaskulären Ereignissen gekommen:

  • 6 Ereignisse traten bei 6 Männern der ursprünglich einem LHRH-Analogon zugewiesenen Gruppe auf (7,1 %).

  • Und 18 Ereignisse fanden sich bei 17 Männern (10,1 %) der ursprünglich Östrogenpflastern zugewiesenen Gruppe, die Hälfte davon allerdings erst mehr als 30 Tage (in 4 Fällen mehr als 12 Monate) nach Wechsel in den anderen Therapiearm.

Über 12 Monate hatte in der LHRH-Analogon-Gruppe die Nüchtern-Blutzuckerkonzentration im Mittel um 0,33 mmol / l (5,5 %) zugenommen, in der Östrogengruppe fand sich eine Abnahme um 0,16 mmol / l (2,4 %). Beim Nüchtern-Gesamtcholesterin fanden sich ähnliche Verhältnisse: eine Zunahme um 0,2 mmol / l unter LHRH-Analoga (4,1 %) und eine Abnahme um 0,23 mmol / l unter Östrogen (3,3 %). Unerwünschte Wirkungen bis Monat 6 umfassten v.a. Gynäkomastie (19 % vs. 75 % für LHRH-Analogon vs. Östrogen), Hitzewallungen (56 % vs. 25 %) und Hautirritationen (13 % vs. 42 %).

Fazit

Die parenterale Gabe von Östrogen kann bei Prostatakarzinom die Testosteronkonzentration ebenso wirksam senken wie LHRH-Analoga und vermeidet dabei möglicherweise einige der negativen metabolischen Begleiterscheinungen. Insbesondere war die Rate kardiovaskulärer Ereignisse unter den Östrogenpflastern nicht signifikant höher als in der Vergleichsgruppe und deutlich geringer als in historischen Kontrollgruppen mit oraler Östrogenverabreichung. Nach diesen Ergebnissen ist nun eine große Phase-III-Studie geplant, die dann Outcomes wie Progression und Gesamtüberlebensraten unter den beiden Regimes untersucht, ebenso wird dann die Osteoporose- bzw. Frakturhäufigkeit dokumentiert.

Kommentar

Weitere Ergebnisse abwarten

Bei der Arbeit von Langley et al. handelt es sich um eine Phase-II-Studie, die naturgemäß geringe Patientenzahlen umfasst und deren Ergebnisse nicht überbewertet werden sollten. Die Diskussion um das kardiovaskuläre Risiko ist nicht neu und aufgrund oft nicht signifikanter Ergebnisse immer noch ein streitbares Thema.

Patientenkohorte bildet klinische Praxis nicht ab

Hintergrund der Studie ist das Vermögen von parenteral applizierten Östrogenen, das Serum-Testosteron unterhalb des Kastrationslevels zu senken ohne dabei die Östrogenspiegel zu vermindern. Hiermit ließen sich unerwünschte Wirkungen durch Östrogenmangel theoretisch vermeiden. Es ist allerdings zweifelhaft, ob sich die gezeigten Ergebnisse direkt in den klinischen Alltag eingliedern lassen, zumal die Einschlusskriterien primär bereits eine ganze Reihe von Patienten ausschlossen, die bereits kardiovaskuläre und thrombembolische Ereignisse in der Vorgeschichte aufwiesen, womit die Kohorte naturgemäß nicht die klinische Praxis abbilden kann.

Kurze Nachbeobachtungszeit

Ein möglicher Nachteil der Studie ist zudem der relativ kurze mittlere Beobachtungszeitraum von 19 Monaten. Es stellt sich die Frage, ob in diesem Zeitraum marginale Änderungen von kardiovaskulären Risikofaktoren, wie Cholesterol und Blutzucker, überhaupt zu signifikant divergenten Resultaten bezüglich der Morbidität und Mortalität führen können. Weitere Risikofaktoren dieser Art wie LDL-Cholesterin oder Triglyzeride wurden in der Studie zudem gar nicht erfasst.

Diethylstilbestrol ist in der Vergangenheit aus dem therapeutischen Armamentarium der Androgenentzugstherapie (ADT) nahezu verschwunden. Dies hauptsächlich bedingt durch das der Östrogentherapie innewohnende höhere Risiko von thrombembolischen Ereignissen. Bei der parenteralen transdermalen Applikation wird, unter Umgehung des hepatischen Kreislaufs, von deutlich geringeren thrombembolischen Risiken ausgegangen. Gleichwohl ist jedoch bei parenteraler Östrogenisierung ein erniedrigter Antithrombin-III-Serumspiegel [ 1 ] sowie eine erhöhte Thromboseneigung bereits vorbeschrieben [ 2 ].

Klare Aussagen durch Intention-to-treat-Ansatz schwierig

Auch in dieser Studie war in der Östrogen-Gruppe mit 10,1 % die anteilige Zahl der kardiovaskulären Ereignisse höher als in der LHRH-Gruppe mit 7,1 %. Vor- oder Nachteile der Östrogenisierung werden durch den Intention-to-treat-Ansatz der Studie stark aufgeweicht, denn zu der Gruppe der Patienten mit Östrogenisierung wurden diejenigen gezählt, die das Östrogenpflaster erhielten, aber auch diejenigen, die zu einen späteren Zeitpunkt auf ein LHRH-Analogen umgestellt wurden. Die Gruppe der LHRH-Patienten umfasste hingegen nur solche Patienten, die allein mit einem LHRH-Analogon behandelt wurden.

Sicherlich ist die Studie z. T. motiviert durch den zunehmenden Kostendruck, insbesondere der neuen vergleichsweise teuren Behandlungsoptionen bei Prostatakarzinom. Die neuen Optionen in der antiandrogenen Therapie werden in der Studie zumindest nicht getestet und auch nicht in der Diskussion erwähnt, wobei Daten hierzu durchaus vorliegen und gerade z. B. die LHRH-Antagonisten bezüglich der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität jüngst untersucht wurden [ 3 ].

Fazit

Zum jetzigen Zeitpunkt kann noch von keinem Paradigmenwechsel in der Hormontherapie des Prostatakarzinoms gesprochen werden. Die höheren kardiovaskulären Risiken der Phase II zeigen möglicherweise ein deutlicheres Risiko bei höheren Fallzahlen im längeren Follow-up. Die Praktikabilität, mehrere Östrogenpflaster in kurzem Intervall zu applizieren und diese an den Serum-Testosteronspiegel anzupassen – wie in der Studie geschehen -, ist zudem umständlicher als z. B. bei einem LHRH-Depotpräparat. Abzuwarten bleibt die geplante Erweiterung der Studie und insbesondere die Daten zur Tumorkontrolle.

Dr. Christoph A.J. von Klot, Prof. Axel S. Merseburger, Hannover


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Dr. Christoph A.J. von Klot


ist Funktionsoberarzt an der Klinik für Urologie und Urologische Onkologie, Medizinische Hochschule Hannover

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Prof. Axel S. Merseburger


ist stellvertretender Klinikdirektor an der Klinik für Urologie und Urologische Onkologie, Medizinische Hochschule Hannover

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  • Literatur

  • 1 Henriksson P, Blombäck M, Eriksson A et al. Br J Urol 1990; 65: 282-285
  • 2 Mikkola AK, Ruutu ML, Aro JL et al. Br J Urol 1998; 82: 63-68
  • 3 Albertsen PC, Klotz L, Tombal B et al. Eur Urol 2014; 65: 565-573

  • Literatur

  • 1 Henriksson P, Blombäck M, Eriksson A et al. Br J Urol 1990; 65: 282-285
  • 2 Mikkola AK, Ruutu ML, Aro JL et al. Br J Urol 1998; 82: 63-68
  • 3 Albertsen PC, Klotz L, Tombal B et al. Eur Urol 2014; 65: 565-573

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(Bild: Alexander fischer / Thieme Verlagsgruppe)