Eine plötzlich und kurzfristig auftretende Anorexie kann beim Kaninchen als pathognomonisches
Symptom für eine akute Magen-Darm-Störung aufgefasst werden. Sie führt zur Aufgasung der
präilealen Magen- und Darmabschnitte und damit sekundär und zusätzlich zu einem
Krankheitsverlauf, der den Kreislauf maßgeblich gefährdet (▶ Abb.
[
1
]). Die Brisanz entspricht der einer Magendrehung des Hundes.
Abb. 1 Magentympanie durch einen Fremdkörper im Jejunum.(© S. Roleff)
Ursachen
In 90 % aller Fälle liegen Bezoare vor. Sie können in
unterschiedlicher Größe im Magen liegen oder bereits in den Darm transportiert worden sein.
Dabei sind folgende Lokalisationen prädisponiert:
Die Ursache für die Bezoarbildung liegt in aller Regel in der Aufnahme von Haaren und inadäquatem
Trockenfutter. Besonders saisonal bedingter, verstärkter Haarwechsel führt zu einer
zunehmenden Aufnahme eigener Haare oder derjenigen eines Partnertieres, das intensiv geputzt
wird. Dazu kommt die Aufnahme von Trockenfutter jedweder Art, Haferflocken und anderen nicht
artgerechten Futtermitteln wie fetthaltigen Nüssen, Mandeln oder sogar inadäquatem Trockenfutter
für Hunde und Katzen. Infolgedessen bildet sich ein im Magen unverdauliches Gemisch aus Haaren
und Feststoff, das über einen längeren Zeitraum verdichtet wird und somit Fremdkörperwirkung
entwickelt.
Die übrigen Fälle entstehen durch primär vorliegende
Zahnprobleme: Bei erhaltenem Hunger der Tiere kommt es zwar zur Futteraufnahme, jedoch
durch unzureichende Futterzerkleinerung zum Schlucken zu großer Futterstücke. Diese gelangen in
den Magen und können nicht weiter transportiert werden, oder im ungünstigsten Fall passieren sie
noch den Pylorus und bleiben im Duodenum oder Jejunum stecken.
Des Weiteren können ungeeignete und bisweilen nicht artgerechte
Futtermittel wie übergroße Samenkörner und Hülsenfrüchte (Johannisbrotbaum-Kerne),
getrocknete Karottenschnitzel oder getrocknete Obststücke aufgenommen werden (▶ Abb.
[
2
]). Diese werden unzerkaut – möglicherweise versehentlich – geschluckt
und können im Magen-Darm-Trakt aufquellen und stecken bleiben. Gelegentlich werden auch Fremdkörper aufgenommen (z. B. Dekokugeln, auch Aqualinos,
Gelkugeln oder Wasserperlen genannt), die im trockenen Zustand liebesperlengroß sind und in der
Blumenvase nach Angaben des Herstellers das bis zu 200fache ihrer Größe an Wasser aufnehmen
können (▶ Abb.
[
3
]).
Abb. 2 Für Kaninchen inadäquate Futtermittel.(© M. Ernst)
Abb. 3 a) Aqualinos in trockenem Zustand. b) Aqualinos in aufgequollenem Zustand.(© M. Ernst)
Symptome
Im klassischen Fall fällt das Kaninchen dem Besitzer durch plötzlich eintretende Anorexie und stark reduziertes
Allgemeinbefinden auf, weshalb er sich an den Tierarzt wendet. Im Rahmen der
tierärztlichen Untersuchung werden folgende Befunde erhoben:
Beim Verschluss des Colon ascendens ist der Magen weniger
auffällig, andere mögliche Befunde sind: Zäkumtympanie, Strecken der Hinterläufe nach hinten
oder Hochziehen des Hinterteils.
Im Harntest fallen ein pH-Wert < 7 (physiologischer
pH-Wert: 8–9) auf und bei schon länger bestehendem Zustand (2 Tage und mehr) Ketonkörper.
Diagnostik
Anamnese und allgemeiner Untersuchungsgang mit sensibler Palpation des Abdomens führen zu dem
Verdacht eines Verschlusses des Magen-Darm-Trakts. Die Röntgenaufnahme sichert insbesondere nach Bariumsulfateingabe die Diagnose ab, da ein
Verschluss immer eine Atonie bewirkt und das Bariumsulfat im Magen liegen bleibt (▶ Abb.
[4]). Zudem können Differentialdiagnosen wie Urolithiasis und andere
hochdolente Zustände wie z. B. Endometritis, Nephritis oder Hepatitis abgegrenzt werden.
Abb. 4 Magentympanie und präileale Gasansammlung im Dünndarm.(© M. Ernst)
Prognose
Die Prognose steht in direktem Verhältnis zur Dauer der
Erkrankung.
Die Prognose ist gut, wenn:
Die Prognose ist unsicher bis zweifelhaft, wenn:
-
der Zustand länger als 24 Stunden besteht
-
die Körpertemperatur 35 °C oder weniger beträgt
-
der Kreislauf durch blasse Schleimhäute gekennzeichnet ist und sich tendenziell
verschlechtert
-
auf dem Röntgenbild eine zentrale Gasblase in der Mitte des Magens zu sehen ist
Die Prognose ist schlecht, wenn:
-
der Zustand länger als 2 Tage besteht
-
die Körpertemperatur weniger als 33 °C beträgt
-
intra operationem Blutungen in der Magenwand festgestellt werden
Therapie
Bei Ileus-Verdacht werden dem Kaninchen nach der klinischen Untersuchung Metoclopramid (0,2 mg/kg KM) und ein Analgetikum (Metamizol, 50 mg/kg KM) parenteral sowie Paraffinöl und Bariumsulfatlösung (jeweils 3–5 ml je nach Tiergröße) oral verabreicht. Bei
Untertemperatur wird der Patient zusätzlich mit einer warmen (39 °C) Glukose-Kochsalzinfusion subkutan versorgt sowie mitsamt einem
Käfig auf ein Heizkissen gesetzt. Falls Futteraufnahme
und Kotabsatz nicht spontan wieder auftreten, sollte nach spätestens 60 Minuten ein Röntgenbild
angefertigt und die Kontrastmittelpassage beurteilt werden. Wenn das Bariumsulfat nach einer
Stunde gar nicht aus dem Magen weiter transportiert wurde, kann man auf eine Atonie des
Magen-Darm-Traktes schließen. Im Falle einer festgestellten Stase sollte dann sofort chirurgisch
vorgegangen werden. Die Prämedikation erfolgt mit Metacam (0,15 mg/kg) und die Narkose wird
idealerweise mit Isofluran durchgeführt, ggf. wird die Triple-Narkose (Fentanyl 0,02 mg/kg +
Midazolam 1 mg/kg + Medetomidin 0,2 mg/kg im) eingesetzt.
Andere Lokalisationen
Beim Ileus im Dünndarm (▶ Abb.
[
14
]) muss zuvor die Lokalisation aufgesucht und das Bezoar vorsichtigst mobilisiert und
retrograd in den Magen zurück geschoben werden, bevor es über die Magenöffnung entfernt werden
kann.
Abb. 14 Von links: hochgradig angeschoppter Dünndarmabschnitt, im Zentrum des Bildes festsitzender Fremdkörper (Pfeil), rechts davon normalanatomischer Dünndarm. (© M. Ernst)
Im Falle von Bezoaren oder anderen Fremdkörpern im Colon
(▶ Abb.
[
15
]) können diese im Anfangsteil des Colons im Bereich der
antimesenterialen Darmseite durch Inzision in den Darm entfernt werden. Die Nahttechnik
entspricht dann der gleichen wie oben beschrieben (▶ Abb.
[
16
]).
Abb. 15 Colonanschoppung wegen Bezoar im Colon ascendens.(© M. Ernst)
Abb. 16 Wundverschluss des Colon ascendens auf der antimesenterialen Darmseite. (© M. Ernst)
Postoperative Nachsorge
Nach der OP bekommen die Patienten:
-
Metamizol 50 mg/kg 2 × täglich
-
Metoclopramid 1–5 mg/kg 2 × täglich (nur bei
unzureichender Futteraufnahme)
-
Enrofloxacin 10 mg/kg direkt nach der OP
(darüber hinaus in der Regel nicht notwendig)
Sobald die Kaninchen aus der Aufwachphase vollständig erwacht sind, werden sie mit Päppelbrei
gefüttert. Danach dürfen sie ganz normal fressen und sie werden entlassen, wenn Futteraufnahme
und physiologische Körpertemperatur gegeben sind. Dies kann unmittelbar nach der OP der Fall
sein, bei länger bestandenem Ileus unter Umständen auch erst nach 1–2 Tagen. Somit ist die
Nachsorge hinsichtlich Fütterung und Temperaturkontrolle von ebensolcher Wichtigkeit wie eine
gelungene Operation. Wenn es keine Komplikationen gibt, erfolgt die erste Kontrolle 14 Tage nach
der OP, wenn die Fäden gezogen werden.