Pneumologie 2014; 68(12): 781-783
DOI: 10.1055/s-0034-1390899
Positionspapier
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lungenkrebs-Screening – Update 2014

Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie und der Deutschen Röntgengesellschaft zur Lungenkrebsfrüherkennung mit Niedrigdosis-CTLung Cancer Screening – Update 2014Joint Statement of the German Respiratory Society, the German Society for Thoracic Surgery and the German Society of Radiology on Lung Cancer Screening with Low-Dose CT
F. J. F. Herth
1   Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
,
H. Hoffmann
2   Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie
,
C. P. Heussel
3   Deutsche Röntgengesellschaft
,
J. Biederer
3   Deutsche Röntgengesellschaft
,
A. Gröschel
1   Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Felix J. F. Herth
Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg
Pneumologie und Beatmungsmedizin
Amalienstraße 5
69126 Heidelberg

Publication History

Publication Date:
09 December 2014 (online)

 

Einleitung

Nach wie vor stellt der Lungenkrebs weltweit die am häufigsten zum Tode führende Krebserkrankung dar [1]. Die späte Diagnosestellung ist beim Lungenkarzinom ein relevantes Problem, sodass die Notwendigkeit einer Früherkennung unumstritten ist. Die hierzu größte Studie wurde im November 2011 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt: Die Daten der National Lung Cancer Screening Trial (NLST) zeigten, dass durch die Anwendung eines jährlichen Screenings mit Niedrigdosis-Computertomografie (LCDT) eine 20%-ige relative Reduktion der Lungenkrebsmortalität erzielt werden kann [2]. Die Daten wurden ausgiebig diskutiert und führten zu einer ersten Stellungnahme deutscher Fachgesellschaften [3].


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Hintergrund

Die Notwendigkeit eines effektiven Screenings für Lungenkrebs ist unbestritten. Initial wurden hierzu das klassische Röntgenbild sowie die Sputumzytologie untersucht [4], in mehreren Studien konnte jedoch gezeigt werden, dass diese Verfahren im Screening keinen Nutzen für das Risikokollektiv haben. Mit Entwicklung der Niedrigdosis-Computertomografie (LCDT) wurden erste nicht randomisierte Screening-Studien weltweit initiiert, in denen gezeigt wurde, dass mit dieser Technik Frühkarzinome detektiert werden können, sodass randomisiert-kontrollierte Studien notwendig wurden [5] [6].

Die erste hierzu publizierte Studie, die National Lung Cancer Screening Trial (NLST), kam aus den USA [2]. In dieser wurden 53 445 aktive oder frühere Raucher entweder mit einer LDCT oder mit einer konventionellen Röntgenaufnahme je einmal jährlich über drei Jahre untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass mittels der Anwendung der LDCT die lungenkrebsspezifische relative Mortalität um 20 % gesenkt werden konnte, aber auch die absolute Todesrate wurde um 7 % signifikant gesenkt. In der LDCT-Gruppe starben 13 von 1000 Teilnehmern an Lungenkrebs, in der Kontrollgruppe 17 von 1000, entsprechend einer absoluten Reduktion um 0,04 %. Betrachtet man jedoch alle Teilnehmer, die die komplette Studie durchlaufen haben, so wurde bei 39 % der Teilnehmer ein Rundherd gefunden, wobei 96 % dieser Befunde als nicht maligne Veränderungen diagnostiziert wurden.

Aus Europa sind bisher 3 kleinere Studien zu diesem Thema publiziert worden, die dänische Lung Cancer Screening Trial Study (DLCST, 4100 Patienten) [7] und zwei italienische Studien (DANTE, 2400 Patienten [8] und MILD, 1700 Patienten [9]). Im Gegensatz zur NLST wird dabei im Vergleichsarm keine jährliche Röntgenuntersuchung des Thorax durchgeführt. In keiner dieser Studien war eine signifikante Reduktion an Lungenkrebstoten im mittels LDCT überwachten Arm gezeigt worden, es zeigte sich jedoch eine mit der NLST vergleichbare Anzahl von detektierten Frühkarzinomen. Gründe für ein Nichterreichen der Mortalitätssignifikanz waren in allen Studien die unzureichende Patientenanzahl.

Derzeit ist das „BC-Screening“ auf Patientenwunsch o. ä. bei symptomlosen Risikopatienten von der Röntgenverordnung nicht als rechtfertigende Indikation gedeckt [10].


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Aktuell laufende Screeningstudien

Derzeit werden der UK Lung Cancer Screening Trial (UKLS), die Nelson-Studie sowie die LUSI-Studie durchgeführt. Letztere ist die derzeit einzige randomisierte deutsche Screeningstudie [11]. Mit Überlebensdaten dieser Studien ist frühestens 2015 zu rechnen, die Daten der UKLS-Studie werden 2018 präsentiert werden. Daten aus der Nelson-Studie werden 2015 erwartet. Die niederländisch/belgische Studie schloss 7653 Patienten ein und verglich Screening mittels LDCT gegen kein Screening. Im Gegensatz zu NLST wurde hier eine Volumetrie der Rundherde durchgeführt.


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Wertung der Studienlage

Die große US-amerikanische Studie (NLST) kann sicher als Meilenstein angesehen werden, da klar gezeigt werden konnte, dass mit der Anwendung von Niedrigdosis-Computertomografie die lungenkrebsspezifische, aber auch die Gesamt-Mortalität gesenkt werden können. Infolge dieser Daten haben mehrere amerikanische Fachgesellschaften bereits ihre Empfehlungen ausgesprochen, dass asymptomatische Raucher oder Ex-Raucher in einem Altersrange von 55 – 74 Jahren mit einem Tabakkonsum von mind. 30 pack-years einem Screening zugeführt werden sollten. Nichtsdestotrotz müssen die Daten kritisch gesehen werden und mögliche Risiken betrachtet werden. An der Umsetzung dieser Erkenntnisse für das deutsche Gesundheitssystem arbeiten die Fachgesellschaften und das Bundesamt für Strahlenschutz.


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Problem der Probandenselektion

Streng genommen ist derzeit das Screening aufgrund der NLST-Daten nur bei Rauchern oder Ex-Rauchern in einem Alter von 55 bis 74 Jahren mit einer Raucheranamnese von mehr als 30 pack-years untersucht, die das Rauchen höchstens 15 Jahre vor Screening-Einschluss beendet haben. Liest man die Empfehlungen der unterschiedlichen amerikanischen Gesellschaften, werden diese Daten aufgrund mathematischer Modelle bereits ausgeweitet. So wird ein Screening inzwischen auch bei Personen im Alter von > 50 Jahren empfohlen, sofern noch ein anderer Risikofaktor, z. B. COPD, vorliegt [12] [13]. In einer weiteren Auswertung der NSLT-Daten zeigt sich, dass die Anzahl der unnötig untersuchten Probanden sicher davon abhängt, wie das Krebsrisiko angesetzt wird. Dies beeinflusst sowohl die Zahl der „number needed to screen“ wie auch die Zahl der falsch-positiven Resultate. Kovalchik et al. [14] konnten so zeigen, dass mit entsprechender Adaption die Anzahl der Befunde deutlich variiert werden kann. In der NLST beträgt die Anzahl der Patienten, die in einem Screeningprogramm untersucht werden müssen, um einen BC-bedingten Todesfall zu verhindern, 320 (“number needed to screen to prevent one death from lung cancer”).

Hieraus folgt, dass zusätzliche Risikofaktoren ermittelt werden und in Empfehlungen eingehen müssen. Es bedarf der Berücksichtigung wahrscheinlich auch nationaler Gegebenheiten. So konnten Heuvers et al. [15] zeigen, dass in einer derzeit in Rotterdam laufenden Studie nur 30 % der dortigen Lungenkrebsfälle die Ein- und Ausschlusskriterien der NLST-Studie erfüllten. Somit wären 70 % seiner Kandidaten nicht eingeschlossen worden, und seine Studie hätte nur eine 6 %ige Reduktion der Mortalität erreicht.


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Risiko des Screenings

Ein großes Problem stellt die falsch-positive Rate der LDCT dar, die neben der psychischen Belastung auch die Risiken der Abklärungsdiagnostik nach sich zieht. In der NLST ergab sich aufgrund der falsch-positiven Rate die Notwendigkeit einer invasiven Abklärung in 25 Fällen pro 1000 LDCT. Es kam dann in 3 Fällen zu schweren Komplikationen infolge invasiver Diagnostik. Hier bedarf es einer Festlegung, wie mit welchen Herden in welcher Risikosituation umgegangen wird. In der Nelson- und UKLS-Studie werden Algorithmen zur Abklärung mit dem Ziel vorgegeben, die Anzahl von unnötigen Verlaufs-CTs und auch unnötigen Biopsien zu minimieren. Die Wertigkeit dieser Algorithmen kann erst nach Publikation der Studien beurteilt werden.

Ein weiterer offener Punkt ist die ionisierende Strahlung, die durch die jährliche CT appliziert wird. Insbesondere bei bedenkenloser lebenslanger Fortsetzung eines Screeningprogramms können relevante kumulative Strahlendosen zustande kommen [16]. Da echte real-life Daten dazu nicht verfügbar sind, muss man sich künftig auch dieser Diskussion stellen. In geeigneten Zentren kann die MRT als strahlenfreie Alternative erwogen werden [17], die Risiken der falsch-positiven Befunde und deren Abklärung sind allerdings ähnlich wie bei der LDCT.

Letztlich ist das Hauptrisiko des Bronchialkarzinoms bekannt und grundsätzlich vermeidbar. Im Falle fortgesetzten Rauchens kann ein Screeningprogramm eine Raucherentwöhnung behindern und ggf. kontraproduktiv hinsichtlich Kosten- [18] und Risikoentwicklung wirken [19].


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Umsetzung

In der NLST wie auch in der Nelson-Studie wurden die Teilnehmer an hochspezialisierten Zentren untersucht. Wenn ein entsprechendes Screening in Deutschland implementiert werden würde, wird die Frage aufkommen, ob dies in jeder radiologischen Praxis als KV-Leistung durchgeführt werden darf oder ob hier spezifische Rahmenbedingungen festzulegen sind. So wie dies für die initiale Diagnostik zu bedenken ist, muss dies sicher noch stärker für die daraus resultierende invasive Abklärung diskutiert werden. Betrachtet man erneut die NLST-Daten, zeigt sich, dass die Mortalität durch ein operatives Vorgehen bei ca. 1 % lag [2]. In Zentren, in denen die Lunge nur selten operiert wird, ist allerdings von einer Mortalität zwischen 3 – 5 % auszugehen [20]. Somit stellt sich auch hier die Frage, ob Patienten, die einen auffälligen Befund im CT aufweisen, „überall“ oder nur in ausgewiesenen Zentren behandelt werden sollten. Im Sinne der Patienten ist die Fokussierung auf erfahrene Institutionen wie z. B. die Lungenkrebszentren der Deutschen Krebsgesellschaft zu empfehlen [21].


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Zusammenfassung

Angesichts der Datenlage sollte man sich den kürzlich publizierten Empfehlungen der European Lung Cancer CT Screening Trial Investigators (EUCT) anschließen und ein flächendeckendes Screening mit Niedrigdosis-Computertomografie (LCDT) in einer Risikopopulation aktuell noch nicht empfehlen. Die derzeit laufenden europäischen Studien, deren Ergebnisse ab Ende 2015 publiziert werden, sollten uns wichtige zusätzliche Informationen geben für eine bessere Identifikation der Risikopopulation, sollten differenziertere Empfehlungen für den Abklärungsalgorithmus von gefundenen Rundherden geben, aber auch bessere Empfehlungen, wie bezüglich der bioptischen Abklärung vorzugehen ist.

Zusammenfassend behalten die bereits 2011 getätigten Aussagen der Fachgesellschaften [3] weiterhin ihre Gültigkeit, nach denen ein flächendeckendes Screening in einer Risikopopulation derzeit nicht empfohlen wird. Im Falle eines individuellen Wunsches nach einer Früherkennungsmaßnahme muss die Raucherentwöhnung im Vordergrund stehen. Ein ausführliches Aufklärungsgespräch mit der betreffenden Person unter Diskussion der hohen Wahrscheinlichkeit von Kontrolluntersuchungen wegen gefundener Auffälligkeiten, der unnötigen Beunruhigung aufgrund unklarer Befunde, ggf. notwendiger Eingriffe und Operationen aufgrund falsch-positiver Befunde, dem Gefühl der falschen Sicherheit und der Einhaltung einer strikten Qualitätssicherung für den gesamten Prozess von der Aufklärung über Untersuchung, Befundung bis zur Empfehlung weiterführender Maßnahmen ist zu führen. Wenn nach dem ausführlichen Beratungsgespräch die asymptomatische Person weiterhin auf einer Screening-CT-Untersuchung besteht, sollte diesem Wunsch auch im Einzelfall nicht entsprochen werden, da eine CT gegenwärtig bei Symptomfreiheit nicht gerechtfertigt ist.


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Interessenkonflikt

F. J. F. Herth, H. Hoffmann, A. Gröschel, J. Biederer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
C. P. Heußel besitzt Aktien von Stada und GSK. Er hält das Patent “Method and Device For Representing the Microstructure of the Lungs. IPC8 Class: AA61B5055FI, PAN: 20080208038”. Für Beratung bekam er Honorare von Schering-Plough, Pfizer, Basilea, Boehringer Ingelheim, Novartis, Roche, Astellas, Gilead, MSD, Lilly, Intermune und Fresenius. Er erhält Forschungsfinanzierung von Siemens, Pfizer, MeVis und Boehringer Ingelheim. Für Vorträge wurde er honoriert von Gilead, Essex, Schering-Plough, AstraZeneca, Lilly, Roche, MSD, Pfizer, Bracco, MEDA Pharma, Intermune, Chiesi, Siemens, Covidien, Pierre Fabre, Boehringer Ingelheim, Grifols und Novartis.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Felix J. F. Herth
Thoraxklinik am Universitätsklinikum Heidelberg
Pneumologie und Beatmungsmedizin
Amalienstraße 5
69126 Heidelberg