Suchttherapie 2015; 16(03): 118-122
DOI: 10.1055/s-0034-1395703
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Traumatisierte Frauen aus Gewaltverhältnissen mit Suchtproblematik: Hintergründe verstehen und neue Wege eröffnen – ein Daphne-Projekt

Traumatised Women Having Experienced Violent Relationships who Have Addiction Problems: Understanding Backgrounds and Opening up New Pathways – A Daphne Project
S. B. Gahleitner
1   Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit, Donau-Universität Krems
,
M. Tödte
1   Department für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit, Donau-Universität Krems
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
20. August 2015 (online)

Zusammenfassung

Insbesondere wiederholte Traumata in Kindheit und Jugend verursachen Reaktionen, die als „Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung“ bezeichnet werden und nicht selten in eine Suchterkrankung münden. Dabei kommt es zu einer spezifischen Ausgestaltung der Genderrollen und häufig zu einer „destruktiven Geschlechtsextremisierung“. Aufgrund der komplexen Auswirkungen gestaltet sich die Hilfesuche als schwierig. In einem 2-jährigen europäischen Daphne-Forschungsprojekt wurden betroffene Frauen nach ihren Erfahrungen mit der jeweiligen Hilfestruktur der Teilnehmerländer befragt. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes zeigen, dass der Ausstieg aus der Sucht erst dann gelingen kann, wenn Beratungs- und Behandlungskonzepte auf eine stabile, netzwerkorientierte professionelle Beziehungsgestaltung mit den Betroffenen ausgerichtet werden.

Abstract

Traumatic experiences in childhood and adolescence lead to reactions that are classified as “complex post-traumatic stress disorder”, particularly when they occur repeatedly. Addiction is also a frequent sequel. Survivors show a specific gender role pattern and frequently also extreme forms of sexuality that are destructive. The complexity of the effects makes it difficult for sufferers to seek help. In a 2-year Daphne research project, women who had survived trauma in childhood and adolescence were asked about their experiences with the service structures in the countries participating in the study. The results of the research project show that it is only possible to overcome addiction if counselling and treatment plans are oriented towards providing a stable, network-oriented professional relationship.

 
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