Z Geburtshilfe Neonatol 2015; 219(2): 63
DOI: 10.1055/s-0034-1397681
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Geburtshilfe
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Entwicklungsneurologie – Entbindungszeitpunkt bei fetaler Wachstumsrestriktion

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Publication Date:
22 April 2015 (online)

Hintergrund: Feten, die bereits während eines sehr frühen Stadiums der Schwangerschaft eine Wachstumsrestriktion aufweisen, bedürfen einer sorgfältigen Überwachung mittels Dopplersonografie, Kardiotokografie (CTG) sowie Erhebung des biophysikalischen Profils, um den optimalen Entbindungszeitpunkt bestimmen zu können. Lees et al. untersuchen das entwicklungsneurologische Outcome von Kindern, deren Entbindungszeitpunkt anhand von Veränderungen der Doppler-Flusskurve des fetalen Ductus venosus (DV) festgelegt wurde.

Methoden: In die prospektive randomisierte TRUFFLE (Trial of Umbilical and Fetal Flow in Europe)-Studie wurden zwischen 2005 und 2010 an 20 europäischen Zentren 511 Schwangere (Gestationsalter 26–32 SSW) mit fetaler Wachstumsrestriktion (Abdomenumfang < 10. Perzentile), einem geschätzten fetalen Gewicht > 500 g sowie einem pathologischen Dopplerbefund der Arteria umbilicalis (Pulsatilitätsindex > 95. Perzentile mit / ohne enddiastolischem Null- oder Reverse-Flow) eingeschlossen. Alle Feten hatten ein unauffälliges dopplersonografisches Flussmuster des DV sowie eine kardiotokografische Kurzzeitvariation (KZV) von > 3,5 ms (26–29 SSW) bzw. > 4 ms (29–32 SSW). 166 Schwangere wurden bei Auftreten einer mittels computer-basierter Auswertung objektivierten Verminderung der KZV (Gruppe „CTG KZV“) entbunden. Bei 167 Schwangeren wurde der Entbindungszeitpunkt anhand des Auftretens früher (Pulsatilitätsindex > 95. Perzentile; Gruppe „DV p95“) und bei 170 beim Auftreten später (Null- oder Reverse-Flow der A-Welle; Gruppe „DV kein A“) Veränderungen der DV-Flusskurve bestimmt. Die Entwicklung der Kinder wurde mit Hilfe einer neurologischen Untersuchung sowie anhand der „Bayley Scales of Infant and Toddler Development II bzw. III“ objektiviert. Das primäre Outcome umfasste das Überleben ohne Zerebralparese oder entwicklungsneurologische Defizite im korrigierten Alter von 2 Jahren.

Ergebnisse: Das mediane Gestationsalter bei der Geburt betrug 30,7 SSW (IQR 29,1–32,1) und das mediane Geburtsgewicht 1019 g (SD 322 g). 491 (98 %) der Kinder kamen lebend zur Welt, und 463 (92 %) überlebten bis zur Klinikentlassung. 69 % (345/503) der Kinder überlebten ohne schwere neonatale Morbidität. Bis zum Alter von 2 Jahren starben in der „CTG KZV“-Gruppe 8 % (13/166), in der „DV p95“-Gruppe 7 % (11/167) und in der „DV kein A“-Gruppe 10 % (17/170) der Kinder (p = 0,35). Der Anteil der ohne entwicklungsneurologische Defizite überlebenden Kinder bezogen auf alle Kinder mit bekanntem Outcome war in den 3 Studiengruppen ähnlich (111/144 (77 %) vs. 119/142 (84 %) vs. 133/157 (85 %); p = 0,09). Bezogen auf die Zahl der entwicklungsneurologisch untersuchten Kinder hatten die Kinder der in die „DV kein A“-Gruppe randomisierten Mütter signifikant seltener entwicklungsneurologische Defizite als die Kinder der in die „CTG KZV“-Gruppe randomisierten Mütter (133/140 (95 %); 95 %-Konfidenzintervall [KI] 90–98 vs. 111/131 (85 %); 95 %-KI 78–90; p = 0,005).

Fazit

Bei einer früh in der Schwangerschaft auftretenden fetalen Wachstumsrestriktion, so das Fazit der Autoren, ist das Hinauszögern der Entbindung bis zum Auftreten später Pathologien der DV-Flusskurve – sofern keine akuten schweren CTG-Veränderungen auftreten – mit einem günstigeren Outcome der Kinder im Alter von 2 Jahren assoziiert, als wenn der Entbindungszeitpunkt ausschließlich anhand der computerassistierten Auswertung kardiotokografischer Veränderungen festgelegt wird.

Kommentar

Lees et al. haben im Rahmen der TRUFFLE-Studie untersucht, zu welchem Zeitpunkt bei Auftreten dopplersonografischer Auffälligkeiten des Ductus venosus die Entbindung bei uteroplazentarer Dysfunktion und wachstumsretardiertem Kind erfolgen sollte, um das Mortalitätsrisiko sowie das Risiko für zerebrale Schäden so gering wie möglich zu halten. Hierbei zeigte sich im Kollektiv untersuchten Kinder, dass diejenigen Kinder, deren Entbindung erst bei Auftreten später Ductus venosus-Pathologien erfolgte, seltener eine gestörte Entwicklung aufwiesen als Kinder, deren Geburtszeitpunkt ausschließlich anhand von Veränderungen der kardiotokografischen Kurzzeitvariation festgelegt wurde. Das Outcome der eingeschlossenen Kinder war in allen Gruppen deutlich besser als erwartet, allerdings sei der Studie nicht zu entnehmen, so die Kritik der Autorinnen, welche Monitoring-Frequenz zu diesen Resultaten geführt habe. Weiterhin geben Vora und Chescheir zu bedenken, dass die CTG-Beurteilung im Rahmen der Studie mit Hilfe einer computerassistierten Auswertung erfolgte. Da dieses Vorgehen jedoch weltweit keine gängige Praxis darstelle, sei fraglich, ob die Studienergebnisse ohne weiteres auf die herkömmliche „visuelle“ CTG-Beurteilung übertragbar seien. Die zukünftige Herausforderung, so das Fazit der Autorinnen, bestehe darin, im Rahmen des klinischen Managements wachstumsretardierter Feten die adäquate Verfügbarkeit engmaschiger dopplersonografischer Messungen des Ductus venosus von hoher Qualität zu gewährleisten.

Quelle: Kommentar von: Neeta L Vora, Nancy Chescheir

Lancet 2015; doi.org/10.1016/S0140-6736(14)62455–7

Dr. Judith Lorenz, Künzell