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DOI: 10.1055/s-0034-1397788
Eine subjektive Betrachtung – Ist die Adenomdetektionsrate wirklich ein vergleichbarer Qualitätsparameter?
Publication History
Publication Date:
25 June 2015 (online)
Seit einigen Jahren wird die Adenomdetektionsrate (ADR) als ein wichtiger Qualitätsparameter für eine gute Koloskopie herangezogen. Eine möglichst hohe ADR gilt vor allem für die Vorsorge-Koloskopie als wichtiges Kriterium in der öffentlichen Diskussion, so dass entsprechende Empfehlungen auch Eingang in die aktuelle Leitlinie finden werden.
Wie hoch soll die ADR denn sein? 50 Prozent, wie in einigen Studien aus Zentren in den USA? Hintergrund sind vor allem zwei hochrangig publizierte Studien aus Polen und den USA. Die polnische Arbeitsgruppe (Kaminski et al. NEJM 2010) wies anhand von ca. 45 000 Vorsorge-Koloskopien nach, dass in der Gruppe der Ärzte mit einer ADR > 20 Prozent fast keine Intervallkarzinome innerhalb von fünf Jahren auftauchten. Die amerikanische Studie aus Versicherungsdaten von Kaiser Permanente (Corley et al. NEJM 2014, n = 314 872) trieb diesen Cut-off noch höher: Je höher die ADR – die höchste Gruppe lag zwischen 33 und 52 Prozent –, desto niedriger die Intervallkarzinom-Rate.
Letztere Studie ist allerdings mit einigen offenen Fragen belastet: So war z. B. war die Zahl von 722 Intervallkarzinomen (0,2 Prozent) schon deutlich höher als in der polnischen Studie. Allerdings wurden als Intervallkarzinomfälle alle Fälle definiert, die innerhalb eines Zeitraums von mindestens sechs Monaten bis zu zehn (!) Jahren nach Indexkoloskopie als Karzinom im Rahmen von stationären Behandlungsdaten erneut in den Datenbanken aufgetaucht sind. Weiterhin wurden nicht nur Screening-Koloskopien, sondern auch kurative Koloskopien berücksichtigt. Von den initial etwa 330 000 Fällen wurden u. a. wegen unvollständigen Follow-ups dann nur 264 972 Patienten ausgewertet, also etwa 2/3 der Ausgangsgruppe.
Die Fallzahl und Erfahrung der beteiligten Koloskopiker ist ebenfalls interessant: Nicht berücksichtigt wurden in der US-amerikanischen Studie Koloskopiker mit weniger als 300 Koloskopien und mit weniger als 75 Screening-Koloskopien im Studienzeitraum (zwölf Jahre!) – was aus deutscher Sicht eine extrem niedrige Fallzahlgrenze zu sein scheint. Offen bleibt jedoch, ob die US-Kollegen nicht auch Patienten anderer Versicherungsorganisationen endoskopiert haben, deren Fallzahlen hier unberücksichtigt geblieben sind. Die Frage ist also, ob die Adenomraten der Kollegen wirklich stimmen. Hat vielleicht ein Kollege mit z. B. 100 Vorsorge-Koloskopien, die er in vier Jahren für Kaiser Permanente erbracht hat und die in die Analyse eingingen, in diesem Zeitraum aber noch 1000 bis 2000 Vorsorge-Koloskopien für anderweitig Versicherte durchgeführt? Insgesamt rangierten die beteiligten Kollegen hinsichtlich ihrer Untersuchungsfallzahl von 355 bis 6005 Koloskopien innerhalb des 13-Jahreszeitraums, das sind also 27 bis 461 Untersuchungen pro Jahr.
Und zudem: Dass Studien aus Registerdaten ihre Tücken haben, berichtete Dr. G. Schachschal / Hamburg beim DGE-BV Kongress. Er wies darauf hin, dass in einer ähnlich angelegten Untersuchung von Gotfried (Gotfried et al. J Clin Gastroenterol 2014) bei genauer Durchsicht der Registerdaten sich die ursprüngliche Rate an übersehenen Karzinomen halbieren ließ (3,9 Prozent auf 2,1 Prozent), da administrative Fehler nachzuweisen waren. So waren einige Patienten nach der initialen Endoskopie nicht zur empfohlenen Kontrollendoskopie erschienen oder es war in dieser Kontrolle auf Grund der schlechten Vorbereitung keine genaue Aussage zu treffen gewesen.
Nimmt man die großen Studien aus Übersee, die sich mit der ADR beschäftigen, so findet man sehr unterschiedliche Zahlen. Dies mag einerseits daran liegen, dass nicht immer zwischen Adenomdetektionsrate und Polypendetektionsrate ordentlich unterschieden wird. Weiterhin gibt es Single- und Multicenter-Studien. Ein ambulantes System mit niedergelassenen Gastroenterologen, wie in Deutschland, gibt es nirgendwo. Auch das strukturierte Darmkrebsvorsorge-Programm mit seinen äußerst eng gefassten Kriterien zur Vorsorge-Spiegelung, ist einzigartig.
Ich bin mir nicht sicher, ob es sich in allen Studien um vergleichbare Vorsorge-Patienten handelt, wie wir sie hier in den Praxen endoskopieren. Und dass bei einem gemischten Patientenkollektiv, das auch symptomatische Patienten enthält (z. B. positiver FOBT-Test) mehr Adenome entdeckt werden, leuchtet ein. Und als letztes die Frage: Warum analysiert keine dieser Studien die Rate an fortgeschrittenen Adenomen als möglichen Qualitätsparameter? Diese fortgeschrittenen Adenome sollten ja eigentlich viel relevanter sein für die Karzinomentstehung und Karzinomprävention!
Was brauchen wir also? Deutsche Daten über Intervallkarzinome! Unser riesiges und weltweit einzigartiges Vorsorge-Koloskopie-Register liefert leider keine Outcome-Daten, da eine Verlinkung mit Kassendaten nicht so einfach möglich ist. Wir sollten aber im eigenen Interesse daran arbeiten.
Ein ganz anderes Thema wurde auch auf der DGE-BV besprochen: Von den amerikanischen Gesellschaften bereits heftig diskutiert, unter bestimmten Bedingungen empfohlen und bei den Kongressen immer wieder Thema ist das sog. Resect and Discard-Verfahren. Herr Dr. Belle / Mannheim berichtete auf dem Kongress darüber. Hier werden Polypen bis zu einer Größe von 0,5 cm optisch begutachtet (d. h. es wird endoskopisch zwischen Adenom und Hyperplast unterschieden), strengstens dokumentiert, abgetragen und verworfen, um Pathologiekosten zu sparen. Natürlich wird es bei dieser Strategie auch hyperplastische Polypen geben, die in die ADR-Rate eingehen werden. Ich nenne diese mal optische ADR / histologische ADR – ein probates Mittel, seine Adenomrate zu erhöhen?
In einer eigenen Studie konnten wir zeigen, dass die endoskopische Differentialdiagnose im Alltag nicht so gut funktioniert (Schachschal et al Gut 2014). Herr Dr. Klare aus dem Klinikum rechts der Isar stellte auf dem Kongress ein strukturiertes Trainingskonzept für Endoskopieanfänger vor (Klare et. al. BMC Medical Education 2015). Interessanterweise wurde der Erfolg der Auszubildenden über die ADR gemessen. Ich nenne dies Ausbildungs-ADR. Schwierig war die Bewertung der Ergebnisse, war es doch in der Studie erlaubt, bei Schwierigkeiten den erfahrenen Untersucher zu rufen, so dass nicht klar ist, ob die entstandene höhere ADR vielleicht auch aus beiden Untersuchern resultiert. Allerdings gibt es bereits Daten, dass Trainees zwar nicht so häufig ins Zoekum kommen, ihre ADR ist aber relativ früh recht gut.
Mein Fazit: Bei diesen vielen verschiedenen Adenomdetektionsraten unterschiedlicher Herkunft ist es für mich sehr schwierig, die Daten zu vergleichen und auch meine eigene ADR dort widerzuspiegeln. Ich halte es für eminent wichtig, den Ursprung der Adenomdetektionsrate in den Vorträgen zu benennen und in den zukünftigen Studien klar erkennbar zu machen. Auf Grund der derzeitigen Datenlage habe ich aber noch Zweifel an der ADR als verlässlichen und vergleichbaren Qualitätsparameter, vor allem, wenn er nach oben offen ist. Wir sollten unsere Hausaufgaben machen und Follow-up-Daten unserer eigenen Vorsorge-Koloskopien sammeln, auch wenn‘s mühsam ist!