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DOI: 10.1055/s-0035-1549236
9. Physiokongress 2015 – Hier trifft man sich
Subject Editor:
Publication History
Publication Date:
20 March 2015 (online)
- Faszientherapie ist keine manualmedizinische Domäne
- Beraten ohne Ratschläge
- Frauen legen Wert auf warme Therapieräume
- Betriebe suchen Profis – nur Physiowissen reicht nicht
- Ziele des eigenen Unternehmens sind entscheidend
- Klinische Muster der HWS erkennen und behandeln
- Ab dem 5. Tag nach Schlaganfall ist eine Prognose möglich
- Eigenübungen bei Schlaganfall sind das A und O
- Strategietraining bei Apraxie wirkungsvoll
- Sport in der Neuroreha
Gute Stimmung, reger Austausch, inspirierende Vorträge – das bot der 9. physiokongress Ende Januar 2015 in Stuttgart, der zeitgleich zur Messe TheraPro stattfand. Die wesentlichen Erkenntnisse aus dem vielfältigen Programm haben Adriana Pfisterer und Maureen Müller für Sie zusammengetragen.
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Adriana Pfisterer und Maureen Müller


Aus den zwei Tagen nehmen die beiden viele Impulse mit und die Erkenntniss, dass eine kompetente Beratung der Patienten deutlich an Bedeutung gewinnt. Adriana und Maureen sind gespannt auf das Jubiläum im kommenden Jahr. Der physiokongress wird nämlich zehn. Seien auch Sie dabei bei der Feier und dem anspruchsvollen, therapeutischen Programm am 29. und 30. Januar 2016.
Faszientherapie ist keine manualmedizinische Domäne


Dr. Thomas Kia, Facharzt für Chirurgie, Notfallmedizin und Osteopathie aus Darmstadt, stellte das Fasziensystem als ein interaktives Organ vor, das von zahlreichen anderen Körpersystemen beeinflusst wird. Er machte deutlich, dass die gerade angesagte, oft rein biomechanische Sichtweise dem komplexen Fasziensystem nicht gerecht wird. Faszien kommunizieren mit vielen anderen Systemen, zum Beispiel dem Immunsystem und dem Verdauungstrakt. Folglich haben unsere Ernährung, Umweltgifte und Stress Einfluss auf das Fasziengewebe. Es hat also in der Regel keinen Sinn, dem Fasziengewebe ganz auf der Struktur- und/oder Trainingsebene zu begegnen. Eine sinnvolle Faszientherapie erfordert eine multikausale Diagnostik und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit.
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Beraten ohne Ratschläge


Karin Probst aus Ulm bietet Coaching, Training und Beratung an. Sie demonstrierte auf der Bühne, wie wir professionell und stimmig auftreten und kommunizieren können. Die unterschiedliche Sprechweise, Gestik und Mimik der Schauspielerin und Theaterpädagogin faszinierte und fesselte die Zuhörer von Anfang an. Mit Aussagen zum Schmunzeln und Nachdenken lockerte sie ihren Vortrag auf: „Wenn jemand denkt, er hat Recht, rate ich ihm, einen Kaffee zu trinken und abzuwarten, bis sich der Irrtum klärt!“ Oder: „Wenn jemand zu Ihnen sagt ,Sie sind inkompetent‘, fragen Sie einfach nach, was derjenige unter Kompetenz versteht.“
Beratung sieht Probst als wichtigen Erfolgsfaktor für die therapeutische Arbeit. Sie wirbt dafür, zu beraten, ohne Ratschläge zu erteilen. Es gehe bei einer kompetenten Beratung darum, Hilfen für die Selbstwahrnehmung und Reflexion anzubieten.
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Frauen legen Wert auf warme Therapieräume




Was wünschen sich Patienten von Physiotherapeuten? Dieser Frage gingen Harry Belzl, Leiter der Physiotherapieschule an der BG-Unfallklinik in Tübingen, und Prof. Ditmar Hilpert von der ESB Business School Reutlingen nach. Studierende ihres dualen Studienprogramms befragten dazu 1.600 Personen: Behandlungserfolg, fachliche Kompetenz und Behandlungsqualität sind die TOP 3 der Patientenwünsche. Zwischen Männern und Frauen gebe es geringe Unterschiede in der Auswertung, hob Hilpert hervor. Einer sei, dass bei Frauen die Raumtemperatur und bei Männern die Raumausstattung eine Rolle spiele. Hilpert fragte, ob es in der Praxis denkbar wäre, „Frauen- bzw. Männerbehandlungsräume“ einzurichten.








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Betriebe suchen Profis – nur Physiowissen reicht nicht


Cornelia Schneider hat sich auf Gesundheitsmanagement spezialisiert. Sie erläuterte prägnant und eindrücklich die sieben Erfolgsfaktoren des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM). Wobei ihr wichtig ist, die Begriffe BGM, BGF (betriebliche Gesundheitsförderung) und PGF (persönliche Gesundheitsförderung) klar zu unterscheiden. Physiotherapeuten können in all diesen Bereichen tätig sein und bringen fachlich beste Voraussetzungen dafür mit. Dennoch brauche es, um professionell mit Unternehmen in Kontakt zu treten und erfolgreich zusammenzuarbeiten, eine gezielt gewählte Weiterbildung.
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Ziele des eigenen Unternehmens sind entscheidend


Denkanstöße für Praxisinhaber und leitende Therapeuten gab Michael Preibsch. Er ist Praxisinhaber, Landesvorsitzender von Baden-Württemberg und im Bundesvorstand von PHYSIO-DEUTSCHLAND. Nach Preibsch sei es effizienter, einen fachlich hoch qualifizierten Therapeuten Patienten behandeln zu lassen, anstatt ihm Management-Aufgaben zu geben. Als Vorgesetzter solle man die Stärken seiner Mitarbeiter nutzen und deren Schwächen kennen. Als Grundsätze wirksamer Teamführung postulierte Preibsch zwei Dinge: Es zählen die Ergebnisse, nicht die Anzahl der Fortbildungen, die ein Mitarbeiter vorzuweisen hat. Zudem komme es darauf an, die Unternehmensziele im Blick zu haben und nicht die eines jeden Einzelnen.
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Klinische Muster der HWS erkennen und behandeln






Vorträge zum Thema klinische Muster der Halswirbelsäule in der muskuloskeletalen Physiotherapie organisierte die International Maitland Teachers Association (IMTA). Thomas Horre (links) machte den Anfang der drei IMTA-Instruktoren. Er betonte, dass afferente Störungen, zum Beispiel arthrotische Veränderungen, mit einer verminderten Ansteuerung der Muskulatur zusammenhängen. Dies verdeutlichte er mit einer Studie, in der eine künstlich erzeugte Schwellung im Kniegelenk reaktiv eine verringerte Aktivität im EMG des M. vastus medialis aufwies. Stefan Schiller (rechts) zeigte an einem Fallbeispiel, dass in der Behandlung von zervikalen Instabilitäten vor allem spezifische aktive Übungen über einen längeren Zeitraum im Moment die beste Evidenz haben. Jörg Hauswirth (unten) sprach das klinische Muster zervikogener Schwindel an, für den es keinen Goldstandard für die Behandlung gibt. Deshalb erachtet er es als wichtig, hypothesengeleitet zu untersuchen und evidente Assessments und Interventionen zu nutzen.


Abbildungen: S. Oldenburg








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Ab dem 5. Tag nach Schlaganfall ist eine Prognose möglich


Den Neuroreha-Tag am Samstag eröffnete Prof. Martin Lotze. Der Neurologe von der Uni Greifswald gab einen Überblick über die Prävalenz, die Risikofaktoren, Früherkennung, Diagnostik und Therapie in der Akutphase nach Schlaganfall. An einem Fallbeispiel veranschaulichte er die „Zeitreise“ vom Eintreten des Schlaganfalls bis zum Beginn der Neuroreha. Erst ab dem fünften Tag könne man die Prognose für den Rehaverlauf bis zu 82 Prozent richtig einschätzen, zum Beispiel mit Hilfe des PREP algorithm (Predicting Recovery Potential) oder des SAFE scores (Shoulder Abduction and Finger Extension; Range 0–10). Das sei hilfreich für die Planung der Interventionen. Sein Fazit für die Reha: Patienten schnell in eine aktive Position bringen, fokusorientiert üben, Priming und bilaterale sensorische Stimuli nutzen.
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Eigenübungen bei Schlaganfall sind das A und O


Prof. Dr. Dettmers, Neurologe der Kliniken Schmieder Konstanz, stellte zu Beginn eine provokante Frage: „Wie viel Einfluss haben physiotherapeutische Interventionen auf die Outcomes der Rehabilitation nach Schlaganfall?“ Die 80 Prozent, die aus dem Publikum genannt wurden, widerlegte er ernüchternd mit Studienergebnissen. Es seien im Durchschnitt lediglich 5 bis 10 Prozent. Ein Raunen ging durchs Publikum. Doch Dettmers betonte, dass er die Arbeit der Physiotherapie sehr schätze und differenzierte: Der größte Prädiktor nach Schlaganfall sei der neurologische Befund und wie stark der Patient zum Aufnahmezeitpunkt in seinen ADL eingeschränkt sei. Abhängig davon gebe es Patientengruppen, die mehr oder weniger auf eine aufgabenorientierte Therapie wie CIMT (Constraint-Induced Movement Therapy) ansprechen. Untersuchungen zu CIMT zeigen, dass er ein sehr wirksamer Ansatz sei, der unglaubliche Effekte aufweise, die in Follow-up-Messungen nachgewiesen werden konnten. Dafür müsse der Patient aber repetitiv, aufgabenorientiert im Alltag üben, die betroffene Seite bewusst einsetzen und Verantwortung für seine Rehabilitation übernehmen (Transfer Package). Die Schulung der Patienten sei wichtig, ebenso die Beratungskompetenzen der Physiotherapeuten.
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Strategietraining bei Apraxie wirkungsvoll


Lebendig und gestenreich gab Dr. Tim Vanbellingen von der Universität Bern einen Überblick zu den Hauptsymptomen der Apraxie. Die kognitiv-motorische Störung komme zu 50 Prozent bei Linkshirninfarkten vor und gehe oft mit einer Aphasie einher, dabei ist die Ausprägung bilateral. Ein praktikabler Test, um eine Apraxie zu diagnostizieren, sei das Apraxia Screen of TULIA, das er selbst erforscht hat (physiopraxis 5/13, S. 38). Vanbellingen berichtete, dass zur Behandlung von Patienten mit Apraxie in Holland ein Strategietraining entwickelt wurde. Wirkungsvoll sei demnach vor allem die Wiederherstellung der Selbstständigkeit durch den Einsatz neuer Handlungsreize, die Behandlung in einer vertrauten Umgebung und das Training von Gesten.


Abbildungen: S. Oldenburg




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Sport in der Neuroreha


Prof. Klaus Pfeiffer, Sportwissenschaftler aus Erlangen, zeigte, dass verhaltensbezogene Maßnahmen das Training erleichtern. Patienten brauchen professionelle Beratung und Steuerung durch Therapeuten, denn sie müssen nicht nur trainieren wollen, sondern auch wissen, wie es geht, und Spaß dabei haben. Bewegungstagebücher, BewegungsApps, Fitnesstracker fördern die Mitarbeit der Patienten und motivieren sie. Der emotionale Faktor darf nicht zu kurz kommen.
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Aus den zwei Tagen nehmen die beiden viele Impulse mit und die Erkenntniss, dass eine kompetente Beratung der Patienten deutlich an Bedeutung gewinnt. Adriana und Maureen sind gespannt auf das Jubiläum im kommenden Jahr. Der physiokongress wird nämlich zehn. Seien auch Sie dabei bei der Feier und dem anspruchsvollen, therapeutischen Programm am 29. und 30. Januar 2016.




























Abbildungen: S. Oldenburg
















Abbildungen: S. Oldenburg







