Aktuelle Urol 2015; 46(03): 192-194
DOI: 10.1055/s-0035-1555690
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lichen sclerosus – Inzidenz bei Harnröhrenstriktur

Contributor(s):
Antonie Post

J Urol 2014;
192: 775-779
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Publication History

Publication Date:
12 June 2015 (online)

 

Die chronisch entzündliche, genitale Hauterkrankung Lichen sclerosus kann destruktive Harnröhrenvernarbungen mit konsekutiver Striktur verursachen. US-amerikanische Ärzte haben die LS-Inzidenz bei isolierter bulbärer Harnröhrenstriktur histologisch nachuntersucht. Ihre Hypothese: Die Beteiligung von LS bei Harnröhrenstrikturen ist bisher unterschätzt worden.
J Urol 2014; 192: 775–779

mit Kommentar

Joceline S. Liu, Northwestern University Feinberg School of Medicine, Chicago / USA, et al. schlossen in ihre retrospektive Studie 70 Männer ein, bei denen zwischen 2007 und 2013 in ihrer Klinik eine Urethralplastik aufgrund einer isolierten bulbären Harnröhrenstriktur erfolgt war. Von der Studie wurden Patienten mit weniger als einem Jahr Follow-up, einem bekanntem Lichen sclerosus (LS) in der distalen penilen Urethra und des Meatus oder einem früheren Trauma der Harnröhre ausgeschlossen.

Die Gewebeproben der Strikturen wurden erneut durch einen einzelnen Uropathologen verblindet begutachtet. Die Diagnose eines LS wurde anhand von 5 häufigen histologischen Merkmalen gestellt, die jedoch nicht zwangsweise alle gemeinsam vorkommen mussten:

  • Hyperkeratose

  • Verdünnung oder Verdickung der Epidermis oder schuppenartiges Epithel

  • Schwächung / Verminderung oder vakuolige Degeneration der Basalmembran

  • subepitheliale Hyalinisation / Homogenisierung des dermalen Kollagens

  • lichenoide lymphozytische oder plasmozytische Infiltrate

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Bulbäre Harnröhrenstrikturen im RUG (Pfeile). (Bild: Gillitzer R. Retrogrades Urthrogramm (RUG). In: Thüroff JW, Hrsg. Urologische Differenzialdiagnose. 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Aufl. Stuttgart: Thieme; 2007)

Die männlichen Patienten waren durchschnittlich 46,5 Jahre alt (19–77 Jahre). Die durchschnittliche Länge der Harnröhrenstriktur betrug 3,5 cm (1–7 cm). 14,2 % der Patienten (n = 10) waren Raucher bzw. hatten in der Vergangenheit geraucht; bei 61,4 % (n = 43) handelte es sich um eine Rezidivstriktur, bei 4,3 % war bereits eine Urethralplastik (n = 3) und bei 7,1 % eine Hypospadie-Korrektur in der Vergangenheit durchgeführt worden. Eine End-zu-End-Anastomose erfolgte bei 73,0 % der Patienten (n = 51), bei 25,7 % ein dorsales und bei 1,4 % ein ventrales Mundschleimhaut-Onlay.

Intraoperativ wurde bei 5 Patienten ein LS vermutet (7,1 %). Bei der retrospektiven Re-Evaluation der histopathologischen Schnitte durch einen Uropathologen erfüllten 44,3 % der Patienten die LS-Kriterien (n = 31). Bei 18 Patienten war die Diagnose eines LS eindeutig (25,7 %) und bei 13 wurde die Wahrscheinlichkeit für eine LS-Beteiligung durch den Pathologen als sehr hoch eingeschätzt (18,6 %).

Eine Rezidiv-Striktur entwickelten 8,6 % der Patienten (n = 6) nach einem medianen Follow-up von 22 Monaten. Die durchschnittliche Länge der Striktur lag bei 3,5 cm bei Patienten ohne Rezidiv und 4,3 cm bei Patienten mit einer Rezidiv-Striktur. Die LS-Inzidenz betrug bei den Patienten ohne Rezidiv 40,6 % und bei Patienten mit einer Rezidiv-Striktur 83,3 %. Ein Rezidiv war signifikant häufiger bei Patienten mit einer wahrscheinlichen oder gesicherten LS-Diagnose (p = 0,04).

Fazit

Die aktuelle Studie zeigt in der retrospektiven histopathologischen Re-Evaluation eine hohe Inzidenz von Lichen sclerosus bei isolierter bulbärer Harnröhrenstriktur. Nach Aussage der Autoren könnte die LS-Inzidenz bei isolierten bulbären Harnröhrenstrikuren deutlich höher sein als bisher angenommen.

Kommentar

Lichen sclerosus bisher wenig verstanden

Die vorliegende Studie ist deshalb interessant, weil sie das bisherige Verständnis des Lichen sclerosus infrage stellt. So sind wir bisher davon ausgegangen, dass der Lichen der Harnröhre eine vom Meatus ausgehende und kontinuierlich nach proximal fortschreitende Erkrankung ist. Dieses Konzept steht im Widerspruch zu den Schlussfolgerungen, welche die Autoren aus dieser Arbeit ziehen.

Sollten sich die Erkenntnisse dieser Arbeit bewahrheiten, so hätten wir eine Erklärung dafür, warum wir so viele „idiopathische“ Strikturen diagnostizieren müssen, insbesondere in der bulbären Harnröhre. Außerdem würde ein Befall der bulbären Harnröhre mit Lichen sclerosus erklären können, warum bei Onlay-Plastiken die langfristigen Ergebnisse mit Penishaut-Grafts schlechter sind als die Mundschleimhaut-Grafts [ 1 ]. Denn eine schlüssige Erklärung dieses Phänomens steht bislang aus, und die Penishaut kann im Gegensatz zur Munschleimhaut nach so einer Rekonstruktion von einem Lichen befallen werden [ 2 ].

Allerdings werfen die Schussfolgerungen dieser Arbeit auch Fragen auf: Zunächst einmal muss man konstatieren, dass die histologische Diagnose des Lichen sclerosus den Pathologen offensichtlich vor erhebliche Schwierigkeiten stellt. Im klinischen Alltag wurde in dieser Serie die Diagnose erheblich seltener gestellt als nachträglich in der Review-Pathologie. Das zeigt, wie unscharf und unspezifisch diese histologische Diagnose ist, die nun anhand von 5 morphologischen Kriterien (die nicht immer alle präsent sein müssen!) gestellt wird. Je mehr dieser Kriterien nachweisbar sind, desto „sicherer“ wird die Diagnose des Lichen sclerosus.

Aber wird denn dabei tatsächlich eine eigenständige, spezifische Entität diagnostiziert? Oder handelt es sich dabei nicht doch vielmehr um eine histologisch-morphologische „Endstrecke“ unterschiedlicher entzündlicher Reize?

Und wir müssen uns fragen, ob es sinnvoll ist, eine histologische Diagnose stellen zu wollen, bei der sich 2 Pathologen derartig häufig uneinig sind.

Das könnte man nur bejahen, wenn sich aus dieser Diagnose auch eine Konsequenz ergäbe. Und so eine Konsequenz könnte ja nur sein, dass man auf die Verwendung von Haut-Grafts bei der Rekonstruktion verzichtet und anstatt dessen Mundschleimhaut verwendet.

Sieht man sich allerdings die Ergebnisse der Urethroplastiken dieser Arbeit an, so stellt man fest, dass 5 der 6 Rezidive nun gerade bei Patienten nach einer Mundschleimhaut-Onlay-Plastik aufgetreten sind. Die Autoren berichten zwar, dass die Rezidive signifikant häufiger beim Vorliegen eines Lichen sclerosus auftraten und suggerieren somit eine Kausalität. Allerdings sind diese Rezidive an der proximalen und distalen Anastomose der Onlay-Plastik aufgetreten, in keinem Fall ist das gesamte Onlay zugrunde gegangen. Ist daher das Rezidiv nicht vielmehr einem technischen Problem bei der Urethroplastik geschuldet? Denn wir kennen das Problem der Rezidivengen im Bereich der Anastomosenecken als chirurgisch-technisches Problem bei nicht ausreichend weiter Inzision der Urethra oder bei inadäquater Anpassung des Onlays in den urethralen Defekt [ 3 ]. Die Argumentation der Autoren ist hier nicht schlüssig.

Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ja der Lichen sclerosus, wie wir ihn am Präputium, der Glans und der distalen Urethra kennen, eine fortschreitende Erkrankung ist. Sollte nun diese Erkrankung auch bei isolierten bulbären Strikturen eine kausale Rolle spielen (In der vorliegenden Studie betrifft das 44 % der Patienten!), so muss erklärt werden, warum das Phänomen einer spontan fortschreitenden Vernarbung mit Längenzunahme der Enge beim Lichen zwar bei penoglandulären Strikturen, nicht aber bei bulbären Engen klinisch zu beobachten ist.

Die Arbeit ist interessant, weil sie wieder einmal deutlich macht, wie wenig wir den Lichen sclerosus verstanden haben. Aber mich überzeugt das Konzept des isolierten Lichen als Ursache für bulbäre Strikturen nicht, und ich bin mir nicht sicher, ob die Vernarbungen, die man in einer bulbären Striktur findet, tatsächlich das Label „Lichen sclerosus“ verdienen.

PD Dr. Stefan Tritschler, München


#

PD Dr. Stefan Tritschler


ist Oberarzt an der Urologischen Klinik und Poliklinik der LMU München

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  • Literatur

  • 1 Barbagli G, Kulkarni SB, Fossati N et al. Long-term followup and deterioration rate of anterior substitution urethroplasty. J Urol 2014; 192: 808-813
  • 2 Levine LA, Strom KH, Lux MM. Buccal mucosa graft urethroplasty for anterior urethral stricture repair: evaluation of the impact of stricture location and lichen sclerosus on surgical outcome. J Urol 2007; 178: 2011-2015
  • 3 Barbagli G, Guazzoni G, Palminteri E, Lazzeri M. Anastomotic fibrous ring as cause of stricture recurrence after bulbar onlay graft urethroplasty. J Urol 2006; 176: 614-619

  • Literatur

  • 1 Barbagli G, Kulkarni SB, Fossati N et al. Long-term followup and deterioration rate of anterior substitution urethroplasty. J Urol 2014; 192: 808-813
  • 2 Levine LA, Strom KH, Lux MM. Buccal mucosa graft urethroplasty for anterior urethral stricture repair: evaluation of the impact of stricture location and lichen sclerosus on surgical outcome. J Urol 2007; 178: 2011-2015
  • 3 Barbagli G, Guazzoni G, Palminteri E, Lazzeri M. Anastomotic fibrous ring as cause of stricture recurrence after bulbar onlay graft urethroplasty. J Urol 2006; 176: 614-619

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Bulbäre Harnröhrenstrikturen im RUG (Pfeile). (Bild: Gillitzer R. Retrogrades Urthrogramm (RUG). In: Thüroff JW, Hrsg. Urologische Differenzialdiagnose. 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Aufl. Stuttgart: Thieme; 2007)