Aktuelle Urol 2015; 46(05): 345-346
DOI: 10.1055/s-0035-1564743
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kinderurologie – Biofeedback bei Blasenentleerungsstörungen

Contributor(s):
Elke Ruchalla
Fazeli MS.
Biofeedback for nonneuropathic daytime voiding disorders in children: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials.

J Urol 2015;
193(1): 274-279
Further Information

Publication History

Publication Date:
21 September 2015 (online)

 

Nicht neuropathische oder funktionelle Blasenentleerungsstörungen sind in der kinderurologischen Praxis keine Seltenheit. Die Behandlung besteht klassischerweise zunächst in einer Urotherapie mit Schulung und Information der Kinder und ihrer Eltern zu Blasenfunktion, Trinkverhalten und ggf. dessen Veränderung. Zusätzlich werden Medikamente eingesetzt, und auch Biofeedback ist in diesem Zusammenhang beschrieben. Die Wirksamkeit von Letzterem ist nicht gesichert. Eine Gruppe aus Kanada hat die bis Herbst 2013 durchgeführten Studien zusammengetragen und bewertet.
J Urol 2015; 193: 274–279

mit Kommentar

Die derzeitige Evidenz für den Einsatz einer Biofeedback-Therapie bei Kindern mit während des Tages auftretenden funktionellen Blasenentleerungsstörungen ist sehr gering. Zu diesem Schluss kommen Mir Fazeli und Kollegen, die Literaturdatenbanken bis einschließlich August 2013 zu der Frage ausgewertet haben.

Die kanadische Arbeitsgruppe bewertete randomisierte klinischen Studien mit Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr, bei denen neben der Standard-Urotherapie ein Biofeedback als zusätzliche Behandlungsmaßnahme eingesetzt worden war. Es fanden sich insgesamt 5 Studien, von denen 4 mit insgesamt 382 Patienten in eine Metaanalyse einbezogen wurden. Die fünfte Arbeit wurde wegen eines abweichenden und relativ langen Nachbeobachtungszeitraums (18 Monate vs. 6 und 12 Monate in den 4 anderen Arbeiten) nicht in die Auswertung mit einbezogen.

Keine Verminderung der Inkontinenzepisoden

Bei den 4 Studien der Metaanalyse, mit gepoolten Ergebnissen nach 6 Monaten, zeigte sich im Hinblick auf das Auftreten von Inkontinenzepisoden kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen mit Biofeedback gegenüber den Gruppen ohne Biofeedback. Ebenso führte das Biofeedback nicht zu einer Verminderung von Harnwegsinfektionen oder zu einer Verbesserung der maximalen Harnflussrate in der Urodynamik. Lediglich in einer Studie war die durchschnittliche Harnflussrate beurteilt worden, und hier fand sich in der Biofeedback-Gruppe nach 12 Monaten eine signifikante Verbesserung im Vergleich zu den Ausgangswerten, die in der Kontrollgruppe fehlte.

Fazit

Die Metaanalyse kann keine Vorteile einer Biofeedback-Therapie bei Kindern mit Blasenentleerungsstörungen bestätigen, so die Autoren. Allerdings waren die eingeschlossenen Studien bis auf eine Ausnahme kleine, monozentrische Untersuchungen, die vermutlich nicht ausreichend gepowert waren, um geringe Unterschiede zwischen den Gruppen aufzudecken. Außerdem waren die Definitionen der Outcomes (Inkontinenzepisoden, Urodynamik) nicht objektiv und einheitlich defi niert, und die Kontrollinterventionen waren heterogen. Insgesamt, so Fazeli et al., bedeute der mangelnde Nachweis einer Wirksamkeit nicht den Nachweis einer Unwirksamkeit – Subgruppen von Kindern könnten durchaus von einem Biofeedback profitieren. Diese Kinder zu identifizieren, sollte u. a. Ziel zukünftiger Arbeiten sein.


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Kommentar

Biofeedback nur bei Versagen der Standardurotherapie

Die Autoren berichten, dass aufgrund der aktuellen Studienlage die Evidenz einer Biofeedback-Behandlung bei Kindern mit nicht neurogener Blasenentleerungsstörung nicht zu belegen ist. In ihrer Metaanalyse konnten die Autoren nur 4 Studien mit insgesamt 382 Patienten auswerten, da sie bei ihrer Analyse strenge Anforderungen an epidemiologische und statistische Methoden gestellt haben. In der Bewertung weiterer veröffentlichter Arbeiten kritisieren die Autoren, dass zahlreiche Studien deutliche Mängel aufweisen. Dies betrifft vor allem die Heterogenität der Studienpopulationen, eindeutige Definitionen der Blasenfunktionsstörung, das Fehlen von Kontrollgruppen, retrospektive Auswertungen von Kollektiven aus einzelnen Zentren und zu kleine Studienkollektive. Das Design zukünftiger Studien sollte daher verbessert werden. Notwendig ist auch eine Standardisierung des angewendeten Biofeedbackverfahrens.

Man kann im Wesentlichen 3 Biofeedbackmethoden unterscheiden:

  1. Die einfachste Form ist die direkte Visualisierung von Miktionen auf dem Uroflowmeter, die im Rahmen der Standardurotherapie, vor allem auch in Kontinenzschulungen, gerne angewendet wird. Sie wird bei allen Formen der funktionellen Harninkontinenz im Kindesalter genutzt.

  2. Die Aktivität der Beckenbodenmuskulatur kann über Klebeelektroden, die am Damm angebracht werden, sichtbar gemacht werden (EMG-Biofeedback). Mithilfe von akustischen Signalen oder kindgerechten computeranimierten Programmen können die Kinder lernen, ihre Beckenbodenmuskulatur während der Miktion zu entspannen (animierte Biofeedbackmethode). Zahlreiche kindgerechte Geräte mit Übungsprogrammen zur bewussten Entspannung und Anspannung der Beckenbodenmuskulatur werden angeboten.

  3. Ein aufwändigeres Verfahren ist die Kombination von EMG-Biofeedback und Uroflowmetrie mit animierten Programmen, das vor allem unter klinischen Bedingungen zur Anwendung kommt.

Fazeli et al. formulieren, dass trotz der fehlenden Evidenz Biofeedbackmethoden bei manchen Subtypen von nicht neuerogenen Blasenfunktionsstörungen im Kindesalter hilfreich sein können, dass aber die verfügbare Literatur hier keine Informationen bietet. Hier ist anzumerken, dass die ICCS (International Children’s Continence Society) trotz der mangelnden Evidenz eine Biofeedbackbehandlung mit EMG-Kontrolle des Beckenbodens bei Kindern mit dyskoordinierter Miktion (dysfunctional voiding) als zusätzliche Behandlungsmethode dann empfiehlt, wenn eine konsequente Standardurotherapie versagt, besonders auch bei Kindern mit kombinierter Blasen- und Darmentleerungsstörung (bladder and bowel dysfunction). Bei diesen Kindern finden sich häufig die Assoziation von Obstipation mit/ohne Enkopresis, Harninkontinenz tagsüber und in der Nacht und rezidivierende symptomatische Harnwegsinfektionen. Beschrieben sind zusätzliche Risiken: die Persistenz eines vesikoureteralen Refluxes[2] 2 und postentzündliche Nierenparenchymschäden [3]. Normalisierung der Darmentleerung, Beseitigung der Obstipation, Entspannung des Beckenbodens bei Miktion und Vermeidung von Restharn werden als wesentliche Behandlungsziele formuliert [2]. Die Indikation zur Biofeedbackbehandlung (nach ICCS) bezieht sich jedoch nur auf die dyskoordinierte Miktion, charakterisiert durch ein „stakkatoartiges“ Miktionsmuster bei wiederholt durchgeführten Uroflowmetriemessungen und einem pathologischen Beckenboden-EMG-Muster bei Miktion, nicht auf andere Formen der kindlichen nicht organischen Blasenfunktionsstörung.

Vor Anwendung jeglicher Biofeedbackverfahren ist die Standardurotherapie Behandlungsmethode der ersten Wahl und die Mehrzahl der Patienten kann damit erfolgreich therapiert werden [2]. In der European Bladder Dysfunction Study Group (EBDS) wurden 105 Kinder mit dyskoordinierter Miktion für die Dauer von 6 Monaten mit Urotherapie alleine (n=50) oder mit Urotherapie plus Beckenbodentraining (n=55, Visualisierung der Miktion mit Uroflowmetrie) behandelt. 12 Monate nach Beginn der Studie waren 52% der Kinder mit Urotherapie alleine geheilt, in der Gruppe mit zusätzlichem Beckenbodentraining lag die Heilungsrate bei 49% [4]. Die Intensität der Urotherapie in dieser Studie, mit 6–12 urotherapeutischen Interventionen in 6 Monaten, mag dazu beigetragen haben, dass Biofeedback den Behandlungserfolg nicht verbesserte. Follow-up-Untersuchungen 18 Monate nach Beginn der Studie zeigen eine weitere Besserung der Problematik. Die Studie zeigt aber auch, dass Besserung und Normalisierung einer Blasenfunktionsstörung häufig sehr viel Zeit und Geduld erfordern. Möglicherweise spielen Reifungsprozesse des Zentralnervensystems hier eine bedeutsamere Rolle als bisher angenommen [5].

Fazit

Die Anwendung von Biofeedbackmethoden bei Kindern mit nicht organischer (funktioneller) Blasenfunktionsstörung kann nach heutigem Kenntnisstand bei Kindern mit dyskoordinierter Miktion, vor allem bei gleichzeitiger funktioneller Obstipation (bladder and bowel dysfunction) sinnvoll sein, wenn eine urotherapeutische Behandlung keinen Erfolg zeigt.

Dr. Eberhard Kuwertz-Bröking, Münster


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Dr. Eberhard Kuwertz-Bröking


ist Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Kinder und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Münster

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  • Literatur

  • 1 Chase J, Austin P, Hoebeke P et al. The management of dysfunctional voiding in children: a report from the Standardisation Committee of the International Children‘s Continence Society. J Urol 2015; 183: 1296-1302
  • 2 Elder JS, Diaz M. Vesicoureteral reflux – the role of bladder and bowel dysfunction. Nat Rev Urol 2013; 10: 640-648
  • 3 Leonardo CR, Filgueiras MFT, Vasconcelos MM et al. Risk factors for renal scarring in children and adolescents with lower urinary tract dysfunction. Pediatr Nephrol 2007; 22: 1891-1896
  • 4 van Gool JD, de Jong TP, Winkler-Seinstra P et al. Multi-center randomized controlled trial of cognitive treatment, placebo, oxybutynin, bladder training, and pelvic floor training in children with functional urinary incontinence. Neurourol Urodyn 2014; 33: 482-487
  • 5 Franco ID. The central nervous system and its role in bowel and bladder control. Curr Urol Rep 2011; 12: 153-157

  • Literatur

  • 1 Chase J, Austin P, Hoebeke P et al. The management of dysfunctional voiding in children: a report from the Standardisation Committee of the International Children‘s Continence Society. J Urol 2015; 183: 1296-1302
  • 2 Elder JS, Diaz M. Vesicoureteral reflux – the role of bladder and bowel dysfunction. Nat Rev Urol 2013; 10: 640-648
  • 3 Leonardo CR, Filgueiras MFT, Vasconcelos MM et al. Risk factors for renal scarring in children and adolescents with lower urinary tract dysfunction. Pediatr Nephrol 2007; 22: 1891-1896
  • 4 van Gool JD, de Jong TP, Winkler-Seinstra P et al. Multi-center randomized controlled trial of cognitive treatment, placebo, oxybutynin, bladder training, and pelvic floor training in children with functional urinary incontinence. Neurourol Urodyn 2014; 33: 482-487
  • 5 Franco ID. The central nervous system and its role in bowel and bladder control. Curr Urol Rep 2011; 12: 153-157

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