Schlüsselwörter
Physiotherapie - Therapiemotivation - Therapieziele - Therapieerfolg
Key words
physiotherapy - therapy motivation - therapy goals - therapy success
Einleitung
Obwohl die Wichtigkeit der Therapiemotivation seitens der Patienten für einen erfolgreichen
Behandlungsverlauf schon mehrfach bestätigt wurde [20]
[24]
[25]
[31]
[34], werden Erkenntnisse aus der Motivationspsychologie in den physiotherapeutischen
Aus- und Weiterbildungsprogrammen in Deutschland kaum thematisiert. Hier liegt der
Fokus weitgehend auf der fachpraktischen Verbesserung und weniger auf der Implementierung
von Erkenntnissen aus den medizinischen Bezugswissenschaften [5]. Dies hat zur Folge, dass Physiotherapeuten motivationsfördernde Konzepte kaum [19] oder nur wenig effektiv einsetzen [25].
Speziell im medizinischen Bereich zeigt sich allerdings die Schwierigkeit, das Niveau
der Therapiemotivation aufgrund der multimodalen Einflussfaktoren zu messen. Dies
gilt im Besonderen, wenn begleitende Emotionen starken Schwankungen unterliegen. Sie
korrelieren mit dem Stadium der Krankheitsverarbeitung [21] und mit Coping-bezogenen Erwartungen [20]. Gleichzeitig ist der Verlauf einer Krankheit nicht immer vorhersehbar, was die
Einschätzung des Motivationsniveaus zusätzlich erschwert [12].
In der medizinischen Rehabilitation sind Bestrebungen erkennbar, spezifische Motivationskonzepte
zur Förderung der Therapiebereitschaft zu entwickeln. Auch wenn die Wurzeln aus dem
Bereich der Rehabilitation psychisch betroffener Menschen stammen, waren einige Aktivierungsstrategien
auf physiotherapeutisch behandelte Patienten übertragbar [14].
Häufig basieren die Aktivierungsstrategien auf dem Konzept der Selbstreflexion. Beispiele
hierfür finden sich in der Situational Motivation Scale (SIMS), einem selbstreflexiven
Fragebogen [13], im Patientenfragebogen zur Erfassung der Reha-Motivation PAREMO [22] oder im Therapiebegleitbuch der Schweizer Interessengemeinschaft Physiotherapie
in der Neurorehabilitation (IGPNR) zur Wahrnehmung eigener Ressourcen und Schwierigkeiten
während des Rehabilitationsprozesses [1].
Die mehrdimensionalen Motivationsfaktoren, Physiotherapie in Anspruch zu nehmen, wurden
im Vorfeld über eine qualitative Inhaltsanalyse aus Patientensicht erforscht [28]. Im Kategorienpool finden sich unter anderem die Erfolgsorientierung mit mehreren
Subkategorien wie Hoffnung, Erfolgserwartung oder Zielorientierung. Dabei projiziert
sich die Zielorientierung auf die strukturelle Funktionsverbesserung der Patienten
[27]
[28]. Als erhaltender Motivationsimpuls korreliert die Zielorientierung mit vertrauensbildenden
Faktoren in der Patienten-Therapeuten-Beziehung [28], was eine Beeinflussbarkeit seitens der Therapeuten vermuten lässt. Es liegt daher
nahe, die Wirksamkeit und Praktikabilität der Zielorientierung zu überprüfen.
Zur Frage, inwieweit die Intervention einer gemeinsamen Zielvereinbarung zwischen
Patienten und zuständigen Physiotherapeuten die Therapiemotivation bzw. die Therapieergebnisse
beeinflussen, wurde ein systematisches Review erstellt. Der erste Suchdurchlauf erfolgte
von Januar 2013 bis März 2013. Die Ergebnisse wurden im Dezember 2013 als systematische
Übersichtsarbeit in der physioscience veröffentlicht [2].
Die gefilterten Kontrollstudien stellten einen überwiegend positiven Effekt dar, jedoch
oftmals ohne statistische Signifikanz. Für die Therapieergebnisse zeigten sich deutliche
Vorteile weitgehend nur dann, wenn die Ziele für den Patienten nachvollziehbar waren,
wie z. B. für die Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit oder Steigerung der Muskelkraft.
Widersprüchliche Ergebnisse ergaben sich für den Effekt auf die Therapiemotivation,
sodass hier keine eindeutige Evidenz vorliegt.
Die Glaubwürdigkeit der Studien ist aufgrund des gegebenen Verzerrungspotenzials limitiert,
was weitgehend der Schwierigkeit der Verblindung der Beteiligten geschuldet ist. Dagegen
bestätigen alle ausgewählten Forschungsarbeiten eine gute praktische Umsetzbarkeit
des Zielvereinbarungskonzepts. Die bislang widersprüchlichen Ergebnisse und damit
nicht generalisierbare Evidenzlage der Wirksamkeit einer Zielorientierung von Patienten
führen Levack et al. [18] auf methodische Limitationen zurück.
Mit der Intention, die Wirksamkeit einer gemeinsamen Zielplanung unter aktiver Eibindung
der Patienten in die Zielplanung darzustellen, ergab sich die Forschungsfrage, ob
dies eine Verbesserung der Therapiemotivation und folglich der Therapieergebnisse
ermöglicht. Letztendlich sollte die Überlegenheit der Zielorientierung eruiert werden,
wobei im Vordergrund die Verbesserung des physiotherapeutischen Therapieerfolgs mit
muskuloskeletal betroffenen Patienten im ambulanten Setting stand. Die Wirksamkeit
der Zielorientierung wurde im Vergleich von 2 Patientengruppen über eine multizentrisch
durchgeführte Kontrollstudie quantitativ überprüft.
Methode
Die Untersuchungspopulation umfasste 128 Patienten mit Beschwerden am Bewegungsapparat
der unteren Extremität und entsprechendem ärztlichen Rezept für ambulante Physiotherapie.
Eingeschlossen wurden Patienten mit folgenden Voraussetzungen:
-
Volljährigkeit;
-
Verordnung von mindestens 5 Therapieeinheiten;
-
Strukturelles Problem sollte entweder eine eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit und/oder
schmerzhaft sein;
-
Fähigkeit zum Treppensteigen;
-
Patientenzustimmung (Informed consent).
Selbstzahler wurden ausgeschlossen, da diese aufgrund einer vermutlich höheren intrinsischen
Motivationslage zu einem verfälschten Ergebnis führen können. Begleitende psychosomatische
Probleme wurden nicht ausgeschlossen, da sie die tägliche Klientel von Physiotherapeuten
widerspiegeln.
Zur Verblindung der Teilnehmer bezüglich ihrer Gruppenzugehörigkeit fand die Datenerhebung
in den beiden Studiengruppen nicht gleichzeitig, sondern sukzessive in 2 zeitlich
getrennten Phasen statt. Campbell und Stanley [8] beschrieben diese Vorgehensweise als Nonequivalent Control Group Design.
Zunächst wurden die Daten der Kontrollgruppe erhoben, deren Werte als Referenzwerte
für den Gruppenvergleich dienten ([Abb. 1]). In der anschließenden 2. Phase erfolgte die Datenerhebung der Interventionsgruppe.
Zur Vermeidung einer Kontamination des Wissensstandes der teilnehmenden Therapeuten
bezüglich der Intervention war es nötig, diese erst nach Beendigung der Kontrollgruppenphase
in das Interventionskonzept einzuweihen.
Abb. 1 Studienablaufplan (IG = Interventionsgruppe; KG = Kontrollgruppe; ROM = Range of
Motion; SCPT = Stair Climb Power Test; VAS = visuelle Analogskala).
Intervention und Kontrollintervention unterschieden sich nicht in der Art der Therapie,
sondern in der gezielten Motivationsförderung. Dabei erhielten die Patienten der Interventionsgruppe
in der 1. Behandlungseinheit ein Gespräch zur Zielorientierung, das der behandelnde
Physiotherapeut nach dem Prinzip des Shared Decision Making [11] steuerte. Die vereinbarten Behandlungsziele (Verbesserung des Stair Climb Power
Tests, Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit und Schmerzlinderung) wurden notiert und
einmal wöchentlich auf bereits erzielte Fortschritte kontrolliert. Das Notieren erfolgte
entsprechend der SMART-Regeln. Dessen Kriterien lassen sich aus dem Akronym für spezifisch,
messbar, attraktiv, realistisch und terminiert beschreiben, was eine konkrete Zielformulierung
ermöglicht [32].
Primäres Outcome war die Steigerung der Leistungsfähigkeit beim Treppensteigen, die
anhand des Stair Climb Power Test ermittelt wurde. Der Leistungsscore errechnet sich
aus der Zeit, die der Proband für das Aufwärtssteigen von 10 Treppenstufen ohne Benutzen
des Geländers benötigt und entspricht einer Wattleistung der dabei verrichteten Hubarbeit
[3]. Der ermittelte Wert lässt einen Rückschluss auf die koordinative Fähigkeit der
Standsicherheit und auf die Kraft der Beinextensoren zu und gilt daher als klinisch
relevant [3]
[15]. Die klinische Relevanz ergibt sich auch aus der Überlegung, dass die Fähigkeit
des Treppensteigens eine wichtige Aktivität für die Mobilität der Patienten widerspiegelt,
die entsprechend der ICF-Struktur gegenüber den anderen Ergebnismaßen höherwertig
einzustufen ist.
Sekundäre Ergebnismaße waren die Schmerzlinderung und die Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit.
Die Schmerzintensität gaben die Patienten auf einer visuellen Analogskala (VAS) mit
der Stärke von 0 – 10 an. Die Skalierung der VAS erlaubt die Angabe auf eine Nachkommastelle
genau. Hilfiker [16] beurteilte das Instrument als praxistauglich und einfach handhabbar. Zudem weist
es eine gute Reliabilität und Validität auf [16]
[30]. Neben einer sehr geringen Fehlerquote verfügt es über eine hohe Empfindlichkeit
[30]. Dadurch erfülle es die wissenschaftlichen Gütekriterien und eigne sich zur Messung
subjektiver Empfindungen wie die Schmerzäußerung von Patienten in der Physiotherapie
[30]. Laut Schomacher [30] und Rakebrand [23] ist von einer klinisch relevanten Schmerzlinderung auszugehen, wenn die Schmerzintensität
um mindestens 2,0 VAS-Punkte reduziert wurde.
Die Messung der Gelenkmobilität erfolgte mit einem Goniometer. Als Bezugs- und Drehpunkte
zur Anlage des Goniometers dienten definierte Knochenpunkte entsprechend der Neutral-Null-Methode
[6]. Die Messung mit dem Goniometer wurde mehrfach auf wissenschaftliche Gütekriterien
getestet und bestätigte dem Instrument eine extrem hohe Validität [4]
[10]
[33].
Nicht wahrgenommene Behandlungstermine indizierten die Verlässlichkeit bei der Einhaltung
von Behandlungsterminen, was Auskunft über die Motivationslage im Sinne der Adhärenz
des Patienten gibt. Die Verlässlichkeit bei der Einhaltung von Behandlungsterminen
gilt als ein objektiver Indikator zur indirekten Messung der Adhärenz des Patienten
[12].
Das Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik (IMEBI) der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unterstützte die statistische Auswertung.
Sämtliche Berechnungen erfolgten mit dem Statistikprogramm IBM SPSS Statistics 22
unter Anwendung des Intention-to-treat-Prinzips.
Ziel war die Darstellung von Gruppenunterschieden bei den Veränderungen der erhobenen
Ergebnismaße. Entsprechende Werte ergaben sich aus der Differenz des Abschlussergebnisses
zum jeweiligen Eingangswert. Hierzu wurden zunächst die gruppeninternen Therapiefortschritte
für beide Gruppen separat ermittelt. Für intervallskalierte Zielgrößen des SCPT und
der Gelenkbeweglichkeit diente das lineare Regressionsverfahren mit der schrittweisen
Methode [7]
[29]. Die ordinalskalierte Änderung der Schmerzintensität wurde durch die Umwandlung
in ein dichotomes Kriterium (klinisch relevante Schmerzlinderung versus keine klinisch
relevante Schmerzlinderung) über die binär logistische Regression ausgewertet [7]
[29]. Alle Vergleiche basieren auf einem Signifikanzniveau von Alpha = 0,05.
Die Regressionsanalyse deckt therapiebegleitende Prädiktoren mit einer positiven oder
negativen Einflussrichtung auf [29], weshalb hier neben der Gruppenzugehörigkeit weitere Faktoren in das Regressionsmodell
integriert wurden, die den Therapieerfolg beeinflussen konnten. Hierzu wurden unabhängige
demografische und klinische Baseline-Variablen ausgewählt, die in der Verteilung heterogen
und als besonders relevant erschienen: Aktivitätsniveau, Chronizität, Art der Läsion,
Lokalisation der Beschwerden, Versorgungsart, Verordnungsfolge und Zusatztherapien.
Die Relevanz der Auswahlvariablen basierte auf folgenden Überlegungen: Schmerzen lassen
sich durch körperliche Aktivität desensibilisieren [17]. Dies lässt neben einer Schmerzlinderung auch eine Leistungsverbesserung beim Treppensteigen
sowie eine Steigerung der Gelenkmobilität erwarten. Dagegen sind bei chronisch betroffenen
Personen nur geringe Verbesserungsmöglichkeiten gegeben.
Sinnvoll erschien auch der Einschluss der Versorgungsart, da operierte gegenüber konservativ
versorgten Patienten unterschiedliche Behandlungsstrategien erfordern. Zu den potenziellen
Einflussfaktoren zählten auch die Lokalisation und die Art der Erkrankung. In der
Annahme, dass Kniegelenke, bedingt durch das große physiologische Bewegungsausmaß
leichter zu mobilisieren sind als die geringer beweglichen Sprunggelenke, mussten
unterschiedliche Gruppenverteilungen im Wirkungsvergleich mit einkalkuliert werden.
Erfahrungsgemäß sind im späteren Verlauf einer Behandlungsserie Therapiefortschritte
nicht mehr in dem Maße zu erwarten wie zu Beginn, sodass auch die Verordnungsfolge
Einflusspotenzial aufweist. Nicht zuletzt war der Einfluss ergänzender Therapiemaßnahmen
interessant, da diese eine schnellere Genesung vermuten lassen.
Zur deskriptiven Darstellung der Termintreue wurden in beiden Gruppen die Anzahl nicht
eingehaltener Termine in absoluten und relativen Häufigkeiten angegeben. Die Häufigkeiten
nicht eingehaltener und eingehaltener Behandlungstermine in beiden Gruppen wurden
in einer Kreuztabelle gegenübergestellt und per Chi-Quadrat-Test auf Zusammenhang
mit der Gruppenzugehörigkeit getestet.
Für den Gruppenvergleich wurde die Fallzahl anhand des primären Outcome, der Leistungsfähigkeit
beim Treppensteigen aus den Werten des Stair Climb Power Test (SCPT) berechnet. Aus
vorangegangenen Studien war bekannt, dass bei gesunden Menschen der Mittelwert zwischen
350 und 400 liegt und bei physisch eingeschränkten unter 300 sinkt [26]. Anhand der Studie von Roig et al. [26] wurde von einem Mittelwert von 266 und einer Standardabweichung von 80 ausgegangen.
Eine Verbesserung um 15 % diente als klinisch relevantes Signifikanzniveau. Mit einer
kalkulierten Power von 80 % und einer Irrtumswahrscheinlichkeit von Alpha = 0,05 ergab
dies eine Fallzahl von 128 Patienten, die auf 2 Gruppen verteilt wurden.
Die Rekrutierung der Patienten erfolgte durch die Angestellten von 3 ambulanten Therapiezentren
in einer süddeutschen Stadt, die überwiegend muskuloskeletal betroffene Patienten
behandeln. Nach Abzug der Einrichtungsleiter standen insgesamt 20 Physiotherapeuten
zur Verfügung, von denen 14 aktiv bei der Datenerhebung beteiligt waren. Die Zuteilung
der Teilnehmer in eine der beiden Gruppen erfolgte konsekutiv und hing aufgrund der
zeitlichen Trennung der beiden Untersuchungsphasen vom Rekrutierungszeitraum ab. Insofern
ist die Zuteilung als zufällig zu bezeichnen. Da sie jedoch nicht durch einen statistisch
gesicherten Zufallsgenerator generiert wurde, lag keine klassische Randomisierung
vor.
Zur protokollgemäßen Durchführung waren die jeweiligen Therapieleiter beauftragt,
die internen Prozesse von der Aufnahme bis zum letzten Behandlungstermin der Patienten
zu überwachen. Die übergreifende Qualitätssicherung übernahm der Studienleiter, der
bei wöchentlichen Besuchen der Einrichtungen den Rekrutierungsprozess und die Studiendurchführung
in Stichproben kontrollierte. Den teilnehmenden Therapeuten war es jederzeit möglich,
den Studienleiter telefonisch oder per E-mail zu kontaktieren.
Die Schulungsveranstaltungen für die teilnehmenden Therapeuten fanden vor jeder neuen
Erhebungsphase in den einzelnen Therapieeinrichtungen vor Ort statt. Sie wurden vom
Studienleiter durchgeführt und dauerten jeweils eine Stunde.
Aus logistischen Gründen konnte die Therapie- oder Studienleitung die korrekte Anwendung
der Intervention nicht durchgehend kontrollieren. Zur Sicherstellung der richtigen
Anwendung des Motivationskonzepts wurde der Lerneffekt bei den geschulten Therapeuten
mittels einer schriftlichen Lernzielkontrolle am Ende der Interventionsphase überprüft.
Die Fragen bezogen sich auf Ablauf und Zweck des Zielorientierungsgesprächs sowie
auf das SMART-Prinzip. Zugleich wurde die Akzeptanz und Praktikabilität der Intervention
eruiert. Ein Pretest mit Physiotherapieschülern im 3. Ausbildungsjahr diente zur Evaluierung
der Verständlichkeit der Lernzielkontrolle.
Die Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
erteilte am 28.11.2013 ein positives Votum zur Durchführung der Studie (Ethikkommissionsvorlage-Nr.:
2013 – 97).
Ergebnisse
Im Zeitraum von Januar 2014 bis März 2015 wurden entsprechend der Fallzahlberechnung
128 Patienten rekrutiert. Die Teilnehmerverteilung war mit je 64 Personen pro Untersuchungsgruppe
ausgewogen. Zu den Messzeitpunkten t0 und t1 wurden die Eingangs- bzw. Abschlussmessungen
der Kontrollgruppe (KG) vorgenommen. Gleiches gilt für die Interventionsgruppe (IG)
zu den Messzeitpunkten t2 und t3. Da es keine Behandlungsabbrüche gab, lagen von jedem
angetretenen Teilnehmer auch die Daten aus der Abschlussuntersuchung vor ([Abb. 2]). Fehlende Daten ergaben sich lediglich zur Frage der Arbeitsfähigkeit. Hierzu konnten
4 Patienten der KG und 5 Patienten der IG keine konkreten Angaben machen, da sie sich
bereits im Rentenstand befanden.
Abb. 2 Flowchart zum Studienablauf (SCPT = Stair Climb Power Test; t0 = Eingangsmessungen
der Kontrollgruppe; t1 = Abschlussmessungen der Kontrollgruppe; t2 = Eingangsmessungen
der Interventionsgruppe; t3 = Abschlussmessungen der Interventionsgruppe; UAGS = Unterarmgehstützen).
55 weibliche und 73 männliche Patienten erfüllten die Einschlusskriterien und willigten
zur Teilnahme ein. Die Genderverteilung war mit 29 weiblichen und 35 männlichen Personen
in der KG sowie 26 weiblichen und 38 männlichen Studienteilnehmern in der IG annähernd
äquivalent. Das Altersspektrum lag zwischen 18 und 78 Jahren ([Tab. 1]).
Tab. 1
Demografische Baseline-Daten der Untersuchungspopulation.
|
Merkmal
|
Kontrollgruppe (n = 64)
|
Interventionsgruppe (n = 64)
|
gesamt
|
|
Alter in Jahren, Mittelwert (SD)
|
44,52 (16,13)
|
44,86 (16,09)
|
44,69 (16,05)
|
|
Geschlecht
|
|
weiblich (%)
|
29 (45,3)
|
26 (40,6)
|
55 (43,0)
|
|
männlich (%)
|
35 (54,7)
|
38 (59,4)
|
73 (57,0)
|
|
BMI, Mittelwert (SD)
|
27,22 (4,99)
|
26,16 (3,81)
|
26,69 (4,46)
|
|
Beruf/Beschäftigung
|
|
Angestellter (%)
|
30 (46,9)
|
26 (40,6)
|
56 (43,8)
|
|
Beamter (%)
|
5 (7,8)
|
6 (9,4)
|
11 (8,6)
|
|
Rentner (%)
|
9 (14,1)
|
9 (14,1)
|
18 (14,1)
|
|
Selbstständiger (%)
|
8 (12,5)
|
7 (10,9)
|
15 (11,7)
|
|
Hausfrau (%)
|
4 (6,3)
|
4 (6,3)
|
8 (6,3)
|
|
Elternzeit (%)
|
0
|
1 (1,6)
|
1 (0,8)
|
|
Arbeitsloser (%)
|
2 (3,1)
|
2 (3,1)
|
4 (3,1)
|
|
Schüler/Student/Auszubildender (%)
|
6 (9,4)
|
9 (14,1)
|
15 (11,7)
|
|
Antrag auf Rentenbezug (%)
|
2 (3,1)
|
1 (1,6)
|
3 (2,3)
|
|
derzeit arbeitsfähig (%)
|
33 (51,6)[1]
|
29 (45,3)[2]
|
62 (52,1)[3]
|
|
körperliche Aktivität
|
|
früher, Median[4] (Min./Max.)
|
3,24 (1/5)
|
3,32 (1/5)
|
3,28 (1/5)
|
|
aktuell, Median4 (Min./Max.)
|
1,85 (1/4)
|
2,07 (1/4)
|
1,96 (1/4)
|
1 4 fehlende Angaben in der Kontrollgruppe.
2 5 fehlende Angaben in der Interventionsgruppe.
3 9 fehlende Angaben gesamt; SD = Standardabweichung.
4 aus gruppierten Daten berechnet.
Klinische Angaben der Untersuchungspopulation sind in [Tab. 2] aufgeführt. Neben der Diagnose und der Lokalisation geben sie Auskunft über die
Art der medizinischen Versorgung, Anzahl der verordneten Behandlungseinheiten, Verwendung
von Gehhilfen und die Chronizität der muskuloskeletalen Störung. Zur Veranschaulichung
der Gleichwertigkeit der durchgeführten Behandlungen war es zudem wichtig, therapiebegleitende
Zusatzmaßnahmen wie Manuelle Lymphdrainage (MLD), Krankengymnastik am Gerät (KGG),
Massage (MAS), Elektrotherapie (EL) oder Thermotherapie aufzulisten.
Tab. 2
Klinische Baseline-Daten der Untersuchungspopulation.
|
Merkmal
|
Kontrollgruppe (n = 64)
|
Interventionsgruppe (n = 64)
|
gesamt
|
|
Art der klinischen Störung/Diagnose
|
|
Fraktur (%)
|
15 (23,4)
|
13 (20,3)
|
28 (21,9)
|
|
Distorsion/Ruptur (%)
|
16 (25,0)
|
17 (26,6)
|
33 (25,8)
|
|
Kontusion (%)
|
2 (3,1)
|
1 (1,6)
|
3 (2,3)
|
|
Fehlstellung (%)
|
9 (14,1)
|
9 (14,1)
|
18 (14,1)
|
|
Arthrose (%)
|
8 (12,5)
|
6 (9,4)
|
14 (10,9)
|
|
Tendopathie (%)
|
4 (6,3)
|
3 (4,7)
|
7 (5,5)
|
|
Gelenkersatz (%)
|
6 (9,4)
|
9 (12,7)
|
15 (11,7)
|
|
Gelenkentzündung (%)
|
4 (6,3)
|
5 (7,8)
|
9 (7,0)
|
|
Luxation (%)
|
0
|
1 (1,6)
|
1 (0,8)
|
|
Lokalisation
|
|
Fuß (%)
|
8 (12,5)
|
10 (15,6)
|
18 (14,1)
|
|
Unterschenkel (%)
|
8 (12,5)
|
6 (9,4)
|
14 (10,9)
|
|
Oberschenkel (%)
|
2 (3,1)
|
3 (4,7)
|
5 (3,9)
|
|
Sprunggelenk (%)
|
8 (12,5)
|
6 (9,4)
|
14 (10,9)
|
|
Kniegelenk (%)
|
24 (37,5)
|
30 (46,9)
|
54 (42,2)
|
|
Hüftgelenk (%)
|
12 (18,8)
|
8 (12,5)
|
20 (15,6)
|
|
Becken (%)
|
2 (3,1)
|
1 (1,6)
|
3 (2,3)
|
|
Versorgung
|
|
operativ (%)
|
37 (57,8)
|
40 (62,5)
|
77 (60,2)
|
|
konservativ (%)
|
27 (42,2)
|
24 (37,5)
|
51 (39,8)
|
|
Gesamtanzahl Behandlungen
|
503
|
494
|
997
|
|
Behandlungen pro Rezept, Mittelwert (SD)
|
7,86 (2,3)
|
7,72 (2,1)
|
7,79 (2,18)
|
|
Verordnungsfolge
|
|
Erstverordnung (%)
|
34 (53,1)
|
39 (60,9)
|
73 (57,0)
|
|
Folgeverordnung (%)
|
30 (46,9)
|
25 (39,1)
|
55 (43,0)
|
|
Zusätzliche Therapie:
|
|
keine (%)
|
38 (53,4)
|
31 (48,4)
|
69 (53,9)
|
|
Manuelle Lymphdrainage (%)
|
15 (23,4)
|
19 (29,7)
|
34 (26,6)
|
|
Krangengymnastik am Gerät (%)
|
6 (9,4)
|
12 (18,8)
|
18 (14,1)
|
|
Massage (%)
|
1 (1,6)
|
0
|
1 (0,8)
|
|
Elektrotherapie (%)
|
2 (3,1)
|
2 (3,1)
|
4 (3,1)
|
|
Thermotherapie (%)
|
2 (3,1)
|
0
|
2 (1,6)
|
|
Chronizität: Beschwerden > 3 Monate (%)
|
31 (48,4)
|
24 (37,5)
|
55 (43,0)
|
|
Nutzung von Gehhilfen (UAGS), n (%)
|
29 (45,3)
|
35 (54,7)
|
64 (50,0)
|
|
frühere Physiotherapie (%)
|
47 (73,4)
|
43 (67,2)
|
90 (70,3)
|
|
SCPT-Wert zu Beginn, Mittelwert (SD)
|
183,0 (87,7)
|
177,6 (100,9)
|
180,3 (94,2)
|
|
Schmerzintensität zu Beginn, Median[1] (Range)
|
4,40 (9,5)
|
4,37 (9,2)
|
4,38 (9,5)
|
SCPT = Stair Climb PowerTest; SD = Standardabweichung; UAGS = Unterarmgehstützen.
1 aus gruppierten Daten berechnet.
Primäres Ergebnismaß: Leistungsfähigkeit beim Treppensteigen
Alle 128 Patienten absolvierten sowohl den Eingangs- als auch den Abschlusstest. In
der KG verbesserten sich 61 der 64 Teilnehmer (95,3 %). Am Ende der Behandlungsserie
erzielten 3 Personen entweder einen schlechteren (n = 2) oder unveränderten (n = 1)
SCPT-Wert. In der IG konnten 63 Patienten ihren Eingangswert steigern (98,4 %). Eine
Person verschlechterte sich.
In der KG betrug der Mittelwert des SCPT zu Therapiebeginn 182,97 Punkte und am Ende
254,00 Punkte. Dies bedeutete eine durchschnittliche Verbesserung von 71,03 SCPT-Punkte
(95 %-Konfidenzintervall [KI] 52,85; 89,20) bzw. eine Steigerung um 38,8 %. Beim gruppeninternen
Vorher-Nachher-Vergleich zeigte der t-Test mit verbundenen Stichproben eine hoch signifikante
Steigerung (p < 0,001) für die Patienten der KG. Für die Teilnehmer der IG ergab sich
aus der Mittelwertdifferenz der Eingangs- (177,62) und Abschlusswerte (272,33) eine
Verbesserung von 94,71 SCPT-Punkten (95 %-KI: 76,60; 112,83). Somit betrug die durchschnittliche
Steigerung 53,3 %. Auch hier zeigte der verbundene t-Test eine hoch signifikante Verbesserung
(p < 0,001).
Unter Einschluss ungleich verteilter Basischarakteristika, die einen Einfluss auf
die Leistungsfähigkeit beim Treppensteigen vermuten lassen, ergab die lineare Regressionsanalyse,
dass die Gruppenzugehörigkeit mit einem p-Wert von 0,092 dem Signifikanzniveau zwar
nahekam, es jedoch nicht erreichte ([Abb. 3]).
Abb. 3 95 %-Konfidenzintervalle (CI) für die Verbesserung der Leistungsfähigkeit beim Treppensteigen
(Stair Climb PowerTest, SCPT) in beiden Gruppen.
Allgemein bedeutete das niedrige Bestimmtheitsmaß (R2 = 0,037), dass die Leistungssteigerung beim Treppensteigen nicht über das Kollektiv
der eingeschlossenen Variablen erklärt werden kann.
Als einzige Variable wies die Verordnungsfolge eine Prädiktorenqualität auf. Für die
Leistungssteigerung war es demnach von entscheidender Bedeutung, ob es sich um eine
Erst- oder Folgeverordnung handelte. Der negative Regressionskoeffizient (Beta = –0,193)
zeigte an, dass mit einer Folgeverordnung die Leistungssteigerung beim Treppensteigen
geringer ausfiel als mit einer Erstverordnung. Der Verlust betrug anhand des Koeffizienten
B rund 28,5 SCPT-Punkte (95 %-KI: –53,998; –2,956). Der Zusammenhang war signifikant
(p = 0,029). Die Variablen Gruppenzugehörigkeit, Art der Läsion, Lokalisation, Art
der Versorgung, Chronizität, zusätzliche Therapiemaßnahmen und das aktuelle Aktivitätsniveau
wurden ausgeschlossen und wiesen demnach keinen bedeutenden Einfluss auf der Therapieergebnis
auf.
Sekundäres Ergebnismaß: Schmerzintensität
Zur Bewertung der Schmerzentwicklung standen 128 Datensätze zur Verfügung. 1 Teilnehmer
der KG (1,6 %) und 5 Teilnehmer der IG (7,8 %) waren von Anfang an schmerzfrei. Entsprechend
der Intention-to-treat-Analyse wurden alle Werte in die Analyse eingeschlossen.
In beiden Studiengruppen linderten sich bei den meisten Patienten die Schmerzen. Am
Ende der Behandlungsserie gaben in der KG 2 Teilnehmer (3,1 %) und in der IG 1 Teilnehmer
(1,6 %) mehr Schmerzen an. Bei 3 Teilnehmern der KG (4,7 %) und 8 Teilnehmern der
IG (12,5 %) blieben die Schmerzen unverändert. Beide Untersuchungsgruppen wiesen hinsichtlich
der gemittelten Schmerzintensität und der Spannweite eine ähnliche Ausgangssituation
auf (Median KG: 4,40; Median IG: 4,37). Der Median der Schmerzintensität in der IG
lag im Vorher-Nachher-Vergleich am Ende der Behandlungsserie bei 2,05 und in der KG
bei 2,87. Dies deutete auf eine wirksamere Schmerzlinderung in der IG hin.
Eine Schmerzreduzierung um mindestens 2 VAS-Punkte wurde in Anlehnung an Schomacher
[30] und Rakebrand [23] als klinisch relevant festgelegt, was eine dichotome Einteilung in „klinisch relevant“
und „klinisch nicht relevant“ ermöglichte. Bei den Eingangswerten gaben in der KG
57 Personen und in der IG 56 Personen eine Schmerzintensität über 2 VAS-Punkte an.
Die Chancenverteilung für eine relevante Schmerzlinderung war demnach homogen.
In der KG verminderten sich bei 29 Patienten die Schmerzen um mindestens 2 VAS-Punkte
(45,3 %), in der IG bei 44 Patienten (68,8 %; [Tab. 3]). Die Berechnung des Odds-Verhältnisses ergab einen Wert von 2,66 (95 %-KI: 1,29;
5,47), sodass die Chance auf Schmerzreduzierung für Patienten der IG gegenüber der
KG um 2,6-fach erhöht war ([Tab. 4]).
Laut der binär logistischen Regressionsanalyse [7] erklärt die Gruppenzugehörigkeit als einzige Variable die Kausalität einer relevanten
Schmerzlinderung. Die Wirkung zeigte ein Odds-Verhältnis von 2,56 (95 %-KI: 1,182;
5,551) und war mit einem p-Wert von 0,017 statistisch signifikant. Demnach wiesen
zielorientiert behandelte Patienten unter Einschluss möglicher Begleitfaktoren eine
2,56-fach höhere Chance auf, eine Schmerzreduktion um mindestens 2 VAS-Punkte zu erreichen
([Abb. 4]).
Abb. 4 Median und Lage der Quartile für die Änderung der Schmerzintensität (visuelle Analogskala)
in beiden Gruppen.
Sekundäres Ergebnismaß: Gelenkbeweglichkeit
Zur Auswertung wurden alle 128 Datensätze herangezogen. Zu Therapiebeginn wiesen mit
Ausnahme von 3 Patienten alle Teilnehmer Defizite in der Mobilität auf (KG: n = 62;
IG: n = 63). In beiden Untersuchungsgruppen konnte die Mehrzahl der Patienten das
Bewegungsausmaß (ROM) steigern. Während sich in der IG bei 2 Patienten das Bewegungsausmaß
verschlechterte, fand sich in der KG keine Verschlechterung. In beiden Gruppen blieb
bei je 5 Patienten die Beweglichkeit unverändert. Beide Untersuchungsgruppen konnten
ihre Bewegungsausmaße hoch signifikant steigern (p < 0,001). Für Patienten der KG
ergab sich eine durchschnittliche Steigerung pro verordneter Behandlungsserie von
11,05° (95 %-KI: 9,03; 13,06) gegenüber 16,16° (95 %-KI: 11,57; 20,75) in der IG.
Demnach steigerte sich das Bewegungsausmaß in der IG pro Rezept durchschnittlich um
etwa 5° mehr als in der KG.
Tab. 3
Kreuztabelle für die Variablen relevante Schmerzlinderung und Gruppenzugehörigkeit.
|
Anzahl
|
Kontrollgruppe
|
Interventionsgruppe
|
gesamt
|
|
klinische relevante Schmerzlinderung:
|
|
|
|
|
nein
|
35
|
20
|
55
|
|
ja
|
29
|
44
|
73
|
Tab. 4
Schätzung der Wahrscheinlichkeit, eine klinisch relevante Schmerzreduzierung zu erreichen.
|
Wert
|
95 %-Konfidenzintervall
|
Pearson
|
|
unterer
|
oberer
|
Chi-Quadrat
|
|
Odds-Verhältnis für klinisch relevante Schmerzlinderung (nein/ja)
|
2,655
|
1,290
|
5,467
|
0,007
|
Im 4. Schritt der linearen Regressionsanalyse wurden mit der Lokalisation der Verletzung
(p = 0,006) und dem Aktivitätsniveau während der Erkrankung (p = 0,008) 2 signifikant
wirkende Einflussfaktoren angegeben ([Tab. 5]). Der nicht standardisierte Regressionskoeffizient prognostizierte pro Rezept eine
Änderung des Mobilisierungseffekts um etwa 1,9° (95 %-KI: 0,577; 3,282) je nach betroffenem
Körperbereich. So zeigte sich eine Abhängigkeit des Mobilitätsgewinns von der Lokalisation
der Beschwerden. Bei arthrogenen Störungen waren Verbesserungen für das Kniegelenk
ergiebiger als für das Sprung- oder Hüftgelenk. Konträr dazu ergab sich aufgrund des
negativen Koeffizienten Beta von –0,233 eine geringere Mobilisierungswirkung um rund
4,0° (95 %-KI: -6,935; -1,069), wenn das Aktivitätsniveau in der Erkrankungsphase
um eine Einheitsstufe höher lag.
Tab. 5
Lineare Regressionsanalyse eingeschlossener Variablen in Bezug zu Mobilitätsveränderungen
(abhängige Variable: Änderung der Gelenkbeweglichkeit; Prädiktoren im Modell: Chronizität,
Lokalisation, Aktivitätsniveau aktuell, Gruppenzugehörigkeit; ausgeschlossene Variablen:
Art der Läsion, Versorgungsart, Verordnungsfolge, Zusatztherapien).
|
Modell
|
nicht standardisierte Koeffizienten
|
standardisierte Koeffizienten
|
Signifikanz
|
95 %-Konfidenzintervall für B
|
|
B
|
Beta
|
P
|
unterer
|
oberer
|
|
4
|
Chronizität
|
–4,842
|
–0,168
|
0,053
|
–9,738
|
0,054
|
|
Lokalisation
|
1,929
|
0,233
|
0,006
|
0,577
|
3,282
|
|
Aktivitätsniveau aktuell
|
–4,002
|
–0,233
|
0,008
|
–6,935
|
–1,069
|
|
Gruppenzugehörigkeit
|
5,696
|
0,199
|
0,018
|
0,974
|
10,419
|
Die Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit hing schlussendlich signifikant von der Gruppenzugehörigkeit
ab (p = 0,018). Das Ausmaß der Verbesserung wurde anhand des positiven standardisierten
Koeffizienten (Beta = 0,199) zugunsten der IG angegeben ([Abb. 5, ]
[Tab. 5]). Der Regressionskoeffizient B erklärt gegenüber einem Patienten aus der KG ein
Plus von annähernd 5,7° (95 %-KI: 0,974; 10,419).
Abb. 5 95 %-Konfidenzintervalle (CI) für die Entwicklung der Gelenkmobilität in beiden Gruppen.
Sekundäres Ergebnismaß: Einhaltung vereinbarter Behandlungstermine
Insgesamt wurden 997 Behandlungstermine vergeben (KG: n = 503; IG: n = 494). In beiden
Gruppen lag die verordnete Therapiehäufigkeit zwischen 5 und 12 Einheiten. Pro Rezept
ergab dies für die Teilnehmer der KG einen Mittelwert von 7,86 Einheiten (Standardabweichung
[SD]: 2,30) und für die Teilnehmer der IG 7,72 Einheiten (SD: 2,02). Von den 503 vereinbarten
Terminen in der KG wurden 36 (7,16 %) verschoben bzw. versäumt. Demgegenüber standen
33 (6,68 %) Therapieeinheiten in der IG. Die relative Reduktion der Wahrscheinlichkeit,
einen Behandlungstermin in der IG nicht einzuhalten, ergab einen Wert von 0,067 (relative
Risikoreduktion [RRR]: 6,7 %). 41 Patienten der KG und 43 Patienten der IG hielten
alle Termine ein. Die Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Termintreue und Gruppenzugehörigkeit
ergab per Pearson-Chi-Quadrat-Test eine hohe Irrtumswahrscheinlichkeit (p = 0,792).
Diskussion
Anhand der Ergebnisse aus dem Forschungsstand war davon auszugehen, dass sich der
physiotherapeutische Behandlungserfolg durch aktive Beteiligung der Patienten an der
Zielplanung positiv beeinflussen lässt [2]. Dies galt bislang jedoch nur für den angloamerikanischen Bereich [2]. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie bekräftigen dies nun auch hierzulande und
verdeutlichen, dass sich ein Gespräch mit den Patienten zum Abgleich eigener Wünsche
mit realistisch erreichbaren Zielen lohnen kann.
Beide Studiengruppen verbesserten sich in den vereinbarten Therapiezielen hoch signifikant.
Im Gruppenvergleich waren die Steigerungen in der IG ausgeprägter. Der Therapieerfolg
konnte durch die Intervention gesteigert werden, und zwar signifikant für die Gelenkbeweglichkeit
und für die Schmerzlinderung. Deutlich, jedoch statistisch nicht signifikant war der
Gruppenunterschied bei der Verbesserung der Leistungsfähigkeit beim Treppensteigen.
Die Studie weist somit auf ein Verbesserungspotenzial von physiotherapeutischen Behandlungsergebnissen
für ambulant behandelte Patienten mit Störungen am Bewegungsapparat zugunsten der
Intervention hin. Allerdings bestätigte sich die vermutete Aktivierung der Therapiemotivation
nicht, da der Zusammenhang zwischen Termintreue und Gruppenzugehörigkeit mit einem
p-Wert von 0,79 eine sehr hohe Irrtumswahrscheinlichkeit aufwies.
Neben der Gruppenzugehörigkeit wurden in der Regressionsanalyse mit der Verordnungsfolge,
der Lokalisation der Beschwerden (p = 0,006) und dem aktuellen Aktivitätsniveau (p = 0,008)
3 Faktoren identifiziert, die den Behandlungseffekt kausal beeinflussen können.
So waren Erstverordnungen gegenüber Folgeverordnungen deutlich effektiver. Dies war
der einzige Faktor, der einen signifikanten Zusammenhang zum primären Outcome aufwies
(p = 0,029). Gegenüber Erstverordnungen waren Verbesserungen bei Folgeverordnungen
um durchschnittlich 28,5 SCPT-Punkte (95 %-KI: –53,998; –2,956) geringer.
Dem standardisierten Regressionskoeffizienten zufolge (Beta = 0,233) wirkte die Gelenkmobilisierung
in Abhängigkeit der betroffenen Körperregion unterschiedlich (B = 1,929; 95 %-KI:
0,577; 3,282). Dies zeigte sich insbesondere für muskuloskeletale Störungen am Kniegelenk.
Hier war der Mobilitätsgewinn im Vergleich zu Hüftgelenks- oder Sprunggelenksverletzungen
deutlich höher.
Der Regressionsanalyse zufolge erreichten Patienten, die ihr aktuelles Aktivitätsniveau
als gering einschätzten, mehr Mobilitätsgewinn als Patienten mit höherem Aktivitätsniveau.
Dieses erstaunliche Ergebnis kann möglicherweise damit erklärt werden, dass aktive
Patienten durch ihr eigenes Engagement bereits einen Beweglichkeitsgewinn erzielten,
weshalb mit der Therapie eine zusätzliche Steigerung geringer ausfiel als bei Patienten
mit wenig Eigenaktivität.
Die Chronizität wies einen p-Wert von 0,053 aus und verfehlte damit das Signifikanzniveau
nur knapp (B = 4,842; 95 %-KI: –9,738; 0,054). Demnach ist die Abhängigkeit eines
Mobilitätsgewinns vom chronischen Zustand der Erkrankung zwar sehr deutlich, allerdings
wird die Kausalität statistisch abgelehnt.
Hinsichtlich der Methodik erwies sich das gewählte Studiendesign als zielführend,
da die Patienten – anders als bei den Studien aus dem Forschungsstand [2] – verblindet waren. Zudem ermöglichte das Design, dass an beiden Erhebungsphasen
die gleichen Therapeuten teilnahmen, sodass auf Seiten der Anwender von einer Gruppenhomogenität
ausgegangen werden kann.
Alternativ wäre eine clusterrandomisierte Zuteilung möglich gewesen. Diese ist jedoch
nur dann Erfolg versprechend, wenn für beide Patientengruppen mehrere Einrichtungen
zur Verfügung stehen. Als Folge einer geringen Clustergröße (in der vorliegenden Studie
nahmen 3 Therapieeinrichtungen teil) wird auf die eingeschränkte Möglichkeit einer
ausgewogenen Randomisierung hingewiesen [9]. Die Gefahr einer heterogenen Gruppenzuordnung war gegeben, was die Aussagekraft
der Ergebnisse reduziert hätte. Ein weiterer Nachteil war das Risiko einer heterogenen
Kompetenzverteilung der Anwender, was infolge von clusterverteilten Therapiepraxen
ein Verzerrungspotenzial erzeugt hätte.
Limitiert werden die Ergebnisse durch die Komplexität der Begleitfaktoren, sodass
es nötig war, 8 mögliche Einflussvariablen in die jeweilige Regressionsanalyse einfließen
zu lassen. Als Folge der breiten Palette an eingeschlossenen muskuloskeletalen Störungen
sind diagnosespezifische Aussagen begrenzt.
Auffällig waren die bereits erstaunlich guten Referenzwerte der Kontrollgruppe bei
der Terminverlässlichkeit. Diese sind womöglich auf den Rekrutierungsprozess zurückzuführen,
indem die Therapieeinrichtungen eher jene Patienten zur Studienteilnahme ansprachen,
die den Eindruck einer guten Motivation erweckten. Ein Selektionsbias ist demnach
nicht auszuschließen.
Aufgrund der fehlenden Randomisierung muss das Biasrisiko hinsichtlich einer heterogenen
Gruppenzusammensetzung diskutiert werden. So waren der Interventionsgruppe knapp 8 %
mehr Erstverordnungen zugeteilt, was sich beim primären Outcome gegenüber Folgeverordnungen
als Vorteil erwies (Einfluss: p = 0,029). Die deutliche Überlegenheit der Intervention
in der Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit muss etwas relativiert werden, da die
Interventionsgruppe 11 % weniger chronisch betroffene Patienten umfasste (kausaler
Einfluss: p = 0,053). Darüber hinaus befanden sich in der Interventionsgruppe 9 %
mehr Patienten mit Kniegelenkbeschwerden, die gegenüber anderweitig lokalisierten
Störungen höhere Mobilisierungswerte aufwiesen.
Für das Outcome der Schmerzlinderung wies keine der eingeschlossenen Begleitvariablen
einen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis auf.
Insgesamt bestätigten sich die Ergebnisse aus dem Forschungsstand weitgehend [2]. Insbesondere bekräftigten sie die Wirksamkeit einer gemeinsamen Zielvereinbarung
auf den Therapieerfolg. Inwiefern die Therapiemotivation der Patienten aktiviert werden
konnte, bleibt jedoch weiterhin fraglich.
Schlussfolgerungen
Die Studie weist auf ein Verbesserungspotential von physiotherapeutischen Behandlungsergebnissen
für ambulant behandelte Patienten mit Störungen am Bewegungsapparat hin, wenn sie
als Teil der Therapie aktiv in die Zielplanung eingebunden werden. Allerdings ließ
sich der vermutete Zusammenhang zwischen Therapieerfolg und Therapiemotivation nicht
bestätigen. Womöglich sind andere Erklärungsansätze für die besseren Therapieergebnisse
der Interventionsgruppe zu diskutieren.
Die aufgeworfenen Fragen zeigen, dass das Forschungsthema noch Potenzial für weitere
Untersuchungen bietet. So sollte beispielsweise hinterfragt werden, wie sich die besseren
Therapieergebnisse der Interventionsgruppe erklären lassen und wie gut die Termintreue
als Indikator für die Motivationslage der Patienten fungiert.