Zusammenfassung
Schlaf, Schlafstörung und Schmerz stehen in einem vielfältigen (patho)physiologischen
Zusammenhang. Besonders gut bekannt ist die Rolle von Schlaf im Kontext mit chronobiologischen
Schmerzerkrankungen, zu deren prominentesten Vertretern der Clusterkopfschmerz sowie
der „Hypnic Headache“ gehören. Schlafstörungen können sich aber auch – wie jüngste
experimentelle Studien an Gesunden zeigen – negativ auf Schmerzempfindlichkeit und
Spontanschmerz auswirken. Schon eine Nacht Schlafentzug führt zu einer gesteigerten
Schmerzempfindlichkeit für mechanische und thermische Reize, nach mehrtägiger Schlafrestriktion
klagen selbst Gesunde über Spontanschmerzen. Erste klinische Patientenstudien unterstützen
die Hypothese, nach der Schlafstörungen für Schmerzpatienten das Potenzial eines eigenständigen
„Aggravationsfaktors“ haben. Dies hat erheblich pathophysiologische Relevanz, da Schlafstörungen
– unabhängig von der Schmerzpathogenese – zu den häufigsten Begleitbeschwerden von
Schmerzpatienten zählen. Studien zufolge haben schlafmedizinische Maßnahmen durchaus
das Potenzial, chronische Schmerzsyndrome positiv zu beeinflussen. Der Beitrag von
Schlafstörungen am Schmerzsyndrom kann jedoch stark variieren, weshalb er im klinischen
Patientenalltag letztlich individuell erfasst werden muss. Pathophysiologische Erklärungsansätze
beruhen derzeit auf 2 Grundbeobachtungen. So legen tierexperimentelle Studien nahe,
dass Schlafmangel/Schlafentzug durch hierdurch induzierte Veränderungen in der Neurotransmitter-Balance
zu einer funktionellen Störung des endogenen schmerzmodulierenden Systems führt. Ein
weiterer pathophysiologischer Ansatz, der bisher jedoch noch wenig erforscht ist,
bezieht sich auf die Interaktion zwischen Schlafmangel und Immunsystem. So können
die chronobiologisch fein abgestimmten pro- und antiinflammatorischen Immunvorgänge
durch chronischen Schlafmangel aus dem Gleichgewicht geraten. Das hieraus resultierende
proinflammatorische Übergewicht kann – z. B. in Form einer verstärkten Freisetzung
proinflammatorischer/pronozizeptiver Zytokine – negativen Einfluss auf das nozizeptive
System ausüben. Die klinische Bedeutung des pathophysiologischen Zusammenhangs zwischen
Schlafstörung und Schmerz wird im schmerztherapeutischen Alltag bisher eher unterschätzt.
Für die Zukunft wäre es daher wünschenswert, eine standardisierte Schlafdiagnostik
und –therapie im schmerztherapeutischen Alltag fest zu implementieren.
Abstract
Sleep, sleep deprivation and pain are closely intertwined. It is well established
that sleep plays an important role in chronobiological pain disorders. Cluster and
hypnic headaches are prominent examples of pain disorders with circadian rhythmicity.
More recently, the impact of disturbed sleep on both spontaneous pain and pain sensitivity
has been recognized. Experimental studies have shown that one night of total sleep
deprivation can induce generalized, mechanical and thermal pain hypersensitivity.
Sleep restriction over several days results in spontaneous pain. Several clinical
studies suggest that sleep deprivation/disruption acts as an independent „pain aggravating“
factor. Insomnia in pain patients is of therapeutic relevance since disturbed sleep
is one of the most frequently reported complaints of pain patients. Clinical studies
have shown that improved sleep (either by cognitive behavioral insomnia therapy or
by the use of hypnotics) alleviates the (chronic) pain condition. However, the contribution
of disturbed sleep to pain intensity may vary considerably and needs to be determined
individually. The mechanism by which disturbed sleep affects nociception is currently
unknown. There is some evidence of sleep deprivation causing imbalance of the endogenous
pain modulatory system by reinforcing pro-nociceptive whilst attenuating the anti-nociceptive
system. The interplay between sleep and the immune system may play an important role.
Sleep deprivation induces release of pro-inflammatory cytokines. Due to their pro-nociceptive
properties, they may impact on pain sensitivity, resulting in hypersensitivity to
evoked pain.
Schlüsselwörter
Schlaf - Chronobiologie - Spontanschmerz - evozierter Schmerz - Kopfschmerz
Keywords
sleep - chronobiology - spontaneous pain - evoked pain - headache