Nervenheilkunde 2010; 29(07/08): 451-455
DOI: 10.1055/s-0038-1628798
Übersichtsarbeit
Schattauer GmbH

Verhaltensaktivierung durch SSRI als Gefahr für Amok-taten von Jugendlichen?

Does behavioural toxicity of SSRI increased risk for school shootings?
M. Kölch
1   Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
,
P. Plener
1   Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
,
M. Allroggen
1   Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
,
J. M. Fegert
1   Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
› Author Affiliations
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Publication History

Eingegangen am: 28 January 2010

angenommen am: 21 April 2010

Publication Date:
24 January 2018 (online)

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Zusammenfassung

Gegenstand und Ziel: Amoktäter sollen im Vorfeld der Tat eine depressive Symptomatik zeigen. Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage, ob durch eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva, insbesondere mit selektiven Serotoninwiederaufnahme- Hemmern (SSRI), Aktivierungsphänomene, wie sie bei der medikamentösen Therapie der Depression bei Minderjährigen bekannt sind, auch bei Amokläufern ausgelöst werden? Methode: Systematische Literaturrecherche und Ergänzung durch weitere Studien zur Neurobiologie des serotonergen Systems bei suizidalen Patienten. Ergebnisse: Es liegt keine publizierte Untersuchung vor, die den Zusammenhang von antidepressiver Medikation und Amoktaten behandelt. Das Phänomen Verhaltensaktivierung bei Kindern und Jugendlichen unter SSRI ist gut belegt. Auch neurobiologische Untersuchungen zeigen, dass es Unterschiede im serotonergen System bei suizidalen Patienten gibt, je nachdem ob sie aggressive/impulsive oder weniger aggressive/ impulsive Suizidhandlungen planen oder verüben. Diskussion: Allein die Seltenheit der Ereignisse von Amoktaten erschwert aussagekräftige epidemiologische Untersuchungen, sodass ursächliche Zusammenhänge zwischen einer etwaigen Medikation und Taten bei diesem komplexen Geschehen schwer zu belegen sind. Klinische Relevanz: Bei einer Therapie mit Antidepressiva sollte bei entsprechenden Risikopatienten nicht nur bezüglich Suizidalität, sondern auch hinsichtlich fremdaggressiver Fantasien exploriert werden. Eine Kontraindikation für eine antidepressive Medikation stellen aggressive Tendenzen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht dar. Die aggressiven Tendenzen bei entsprechenden Patienten sprechen eher für ein sorgfältiges Monitoring während der Therapie.

Summary

Objective: Depressive symptomatology has been observed in some school shooters. Does the treatment with antidepressants, especially with selective serotonin reuptake inhibitors (SSRI), lead to activation known from the pharmacological treatment of juvenile depression? Method: Systematic literature review with additional selective references regarding the neurobiology of the serotonergic system of suicidal patients. Results: To date no studies have been published about a link between antidepressant medication and school shootings. The phenomenon of behavioural toxicity in children and adolescents has been well described. Neurobiological findings show alterations in the serotonergic system of suicidal patients, depending on whether they are employing more or less aggressive/impulsive methods of suicide. Discussion: By virtue of a paucity of data (due to school shootings being rare events) there is hardly any evidence supporting a causal relationship between medication and school shootings. Clinically relevant points: Risk patients receiving antidepressant medication should be screened for aggressive phantasy. Based on the recent literature aggressive tendencies are no contraindication for antidepressant medication but they should lead to careful monitoring of these patients.