Zu dem Aufgabenspektrum des NLGA gehört auch die epidemiologische Beratung der kommunalen
Gesundheitsbehörden bei umweltmedizinischen Fragestellungen. Im Rahmen einer Krebsclusteruntersuchung
in der Samtgemeinde Bothel (Landkreis Rotenburg/Wümme), einem ländlichen Gemeindeverbund
mit einer hohen Dichte an Erdgasförderanlagen, hat das NLGA neben der Beratung zu
den einzelnen Untersuchungsschritten auch den umfänglichen Datensatz der Einwohnerbefragung
zu hämatologischen Krebserkrankungen und etwaigen Risikofaktoren statistisch ausgewertet.
Im Einklang mit Richtlinien zu Krebsclusteruntersuchungen erfolgte die Auswertung
dabei vor allem „explorativ“: Es wurde nach einer Hypothese für diese ungewöhnliche
Häufung gesucht, nicht jedoch eine vorher festgelegte Hypothese zu einem Verursacher
statistisch induktiv überprüft.
Die ermittelten inzidenten Fälle wurden bezüglich Auffälligkeiten in den Arbeitsstätten-
und Wohnorthistorien untersucht. Dabei wurden Arbeitsstätten bzw. Wohnorte von bis
zu 30 Jahren vor Erstdiagnose betrachtet. Insbesondere war die Fragestellung zu beantworten,
ob sich die Häufung innerhalb der Samtgemeinde regional einschränken ließe. Neben
diesem ökologischen Auswerteansatz wurden räumlich feiner aufgelöste Fall-Kontroll-Analysen
(„1 : 4 Matching“) durchgeführt: Dabei wurden Wohnabstände von Fällen wie von den
zugeordneten Kontrollen zu potentiellen Expositionsquellen (Erdgasförderanlagen, Bohrschlammgrube
[BSG], holz- sowie metallverarbeitende Betriebe, Benzolemittenten, Pestizidausbringer)
mittels bedingter logistischer Regression analysiert.
Der Fragebogenrücklauf betrug 65,6%. Es wurden 37 inzidente hämatologische Krebserkrankungen
bei Männern identifiziert, davon 9 in 2013 und 2014. Die arbeitsplatzbezogenen Analysen
zeigten einen Hinweis auf vermehrte Fälle bei Beschäftigten der holzverarbeitenden
Industrie, was aber allein das Krebscluster nicht erklären kann. Die Fall-Kontroll-Betrachtungen
lieferten einen konsistenten Hinweis auf eine Assoziation zwischen dem Wohnabstand
zu BSG und der Häufigkeit der Krebsfälle. So lieferte die logistische Regressionsmodellierung
über alle inzidenten Fällen mit dem inversen minimalen Wohnabstand zu BSG als erklärender
Variable einen p-Wert von 0,027. Nur schwache Hinweise ergab die Nähe zu Erdgasförderstellen
(entsprechender p-Wert: 0,048), alle übrigen potentiellen Expositionsquellen waren
unauffällig.
Obgleich bei der gewählten explorativen Analysestrategie die gefundenen Assoziationen
als eher schwach ausgeprägt angesehen werden müssen, wurde aufgrund der Public Health
Relevanz seitens des NLGA eine niedersachsenweite Fall-Kontroll-Studie zu hämatologischen
Krebserkrankungen und Kohlenwasserstoffförderung empfohlen. Damit würde die aus den
vorgestellten explorativen Analysen abgeleitete Hypothese anhand eines weitaus größeren
Datensatzes epidemiologisch überprüft werden können.