Nervenheilkunde 2018; 37(07/08): 507-512
DOI: 10.1055/s-0038-1668317
Mentalismus
Georg Thieme Verlag

Gedankenlesen aus der Hirnaktivität?[*]

Mind reading from brain activity
J.-D. Haynes
1   Bernstein Center for Computational Neuroscience, Charité – Universitätsmedizin Berlin
› Author Affiliations
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Publication History

eingegangen am: 02 May 2018

angenommen am: 28 May 2018

Publication Date:
31 July 2018 (online)

Zusammenfassung

Kann man auf der Basis der Gehirnaktivität einer Person bestimmen, was sie gerade denkt und fühlt? Im Forschungsgebiet des „Brain-Reading” (wörtlich: Gehirnlesen) wird untersucht, inwiefern es möglich ist, aus den Hirnprozessen einer Person auf ihre Gedankeninhalte zu schließen. Die Grundidee ist, dass jeder Gedanke mit einem charakteristischen Aktivierungsmuster im Gehirn einhergeht. Trainiert man einen Computer darauf, solche Muster zu erkennen, wird es möglich, die Gedanken einer Person allein aus der Hirnaktivität auszulesen. Bereits heute sind eine Reihe verschiedener Gedanken ausgelesen worden. Dazu zählen visuelle Wahrnehmungen und Vorstellungen, Erinnerungen, Absichten, Gefühle und Trauminhalte. Es ist bisweilen sogar möglich, aus der Hirnaktivität mehr über die mentalen Prozesse einer Person auszulesen, als ihr selbst bewusst ist. So kann man in bestimmten Situationen Absichten, bereits mehrere Sekunden bevor sie das Bewusstsein erreichen, auslesen. Trotz der erheblichen Erfolge in den letzten Jahren stößt das „Brain-Reading” jedoch auch schnell an Grenzen. So ist es zum Beispiel aus prinzipiellen Gründen schwierig, beliebige Gedanken auszulesen oder Erkenntnisse von einer Person auf andere zu übertragen. Es ist also noch ein langer Weg bis zu einer hypothetischen „universellen Gedankenlesemaschine”, bei der die beliebigen Gedanken einer beliebigen Versuchsperson auf Anhieb ausgelesen werden können. Es zeichnen sich mit heute verfügbaren Ansätzen bereits zwar einige Anwendungsmöglichkeiten ab, wie etwa in der Forensik und Kriminologie, in der Steuerung von Computern und künstlichen Prothesen mittels der Hirnaktivität, oder auch im „Neuromarketing”. Allerdings sind diese Techniken weit von der Anwendungsreife entfernt. Außerdem stellen sich vor ihrem Einsatz erhebliche ethische Fragen.

Summary

Is it possible to tell what a person is thinking and feeling based on their current brain activity? The research field of brain reading assesses to which degree it is possible to infer a person’s thoughts from their brain processes. The key idea is that every thought is associated with characteristic brain activation patterns. By training a computer to recognize these patterns it is possible to determine thoughts from brain activity. To date, several types of thoughts have already been read out. This includes visual percepts and images, memories, intentions, emotions and even the content of dreams. In certain cases it is even possible to read out more about a person’s mental processes than they themselves are aware of. For example, under certain conditions it is possible to predict a person’s intentions even before they are aware of them. Despite the recent success brain reading nonetheless runs into its limits. For principled reasons it is difficult to read out arbitrary thoughts or to transfer knowledge from one person to another. Thus, it is still a long way to a hypothetical “universal thought reading machine” that would allow to immediately read arbitrary thoughts of an arbitrary participant. However, already today several applications have been proposed, such as in forensics and criminology, in the control of computers and artificial prostheses and in neuromarketing. However, these technologies are still far from mature for reliable applications. Furthermore, they raise considerable ethical questions.

* Überarbeitete Version eines Berichtes für den Deutschen Ethikrat (2009).