Schlüsselwörter
Familiäre hypocalciurische Hyperkalzämie (FHH) - Schilddrüsenhormonresistenz - Testikuläre Adrenale Resttumoren (TART)
Keywords
familial hypocalciuric hypocalcemia (FHH) - Reduced Sensitivity to Thyroid Hormone - Testicular Adrenal Rest Tumors (TART)
Familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie
Familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie
Die Serumkonzentration von Kalzium-Ionen wird physiologischerweise innerhalb sehr enger Grenzen gehalten und unterliegt deshalb komplexen Regulationsmechanismen. Auf molekularer Ebene geschieht dies in der Nebenschilddrüse und der Niere (Tubulusepithelien) durch den sogenannten Calcium-Sensing-Rezeptor (CaSR), ein G-Protein gekoppeltes Transmembranprotein. Der CaSR registriert eine Verminderung der Serum-Kalziumkonzentration und stimuliert die Parathormonsekretion. Umgekehrt hemmt der CaSR bei erhöhten Kalziumkonzentrationen die Sekretion von Parathormon. In ähnlicher Weise wird die tubuläre Kalziumrückresorption in der Niere zum Teil über direkte Einflüsse auf den CaSR reguliert [1].
Die Identifikation funktionell relevanter Mutationen im CaSR-Gen hat entscheidend zum Verständnis der Calciumhomöostase und zur Aufklärung der FHH-Pathogenese beigetragen [2]. Mittlerweile wurden viele funktionell relevante Polymorphismen im CaSR-Gen (zytogenetische Lokalisation 3q21.1) beschrieben. Diese als FHH1 bezeichnete und mit Abstand häufigste Form folgt einem autosomal-dominanten Erbgang mit hoher Penetranz. Darüber hinaus wurden Mutationen auf anderen Chromosomen in Genen lokalisiert, die funktionell dem CaSR (z. B. im Bereich der Signaltransduktion des Rezeptors) zugeordnet werden konnten (FHH2: inaktivierende Mutation in einem G-Protein [3]; FHH3: Missense-Mutation in einem Adapterprotein [4]). Der CaSR ist auch ein therapeutischer Angriffspunkt der Calcimimetika (Prototyp Cinacalcet [5]) zur Behandlung therapieresistenter Hyperkalzämien beim primären
Hyperparathyreoidismus.
Klinisch findet sich bei der FHH – abhängig vom Genotyp – fast immer eine milde ausgeprägte und deshalb symptomlose Hyperkalzämie. Bei stärker ausgeprägter Hyperkalzämie können jedoch auch typische klinische Erscheinungen auftreten, in Einzelfällen wurden Pankreatitiden beschrieben. Diagnostische Probleme kommen oft dadurch zustande, dass durch die „Sollwertverstellung“ des CaSR bei der FHH oft erhöhte (oder noch normwertige, aber inadäquat hohe) Parathormon-Serumkonzentrationen vorgefunden werden, so dass die Abgrenzung vom primären Hyperparathyreoidismus schwierig sein kann [6]. Insbesondere kann dies der Fall sein, wenn aufgrund einer ebenfalls vorliegenden Vitamin-D-Hypovitaminose zusätzlich ein sekundärer Hyperparathyreoidismus besteht, was in unseren Breitengraden sehr häufig der Fall ist [7]. Die Abgrenzung einer FHH insbesondere vom primären Hyperparathyreoidismus ist aber deswegen sehr wichtig, weil beim
primären Hyperparathyreoidismus langfristig Organschäden wie z. B. eine Osteoporose durch den erhöhten Knochenabbau oder eine Nephrolithiasis drohen. Letztere beruht auf der erhöhten Kalziumausscheidung im Urin, was ein wichtiges differenzialdiagnostisches Kriterium für die Abgrenzung von der FHH ist, bei der die Kalziumausscheidung im Urin charakteristischerweise oft auffällig niedrig ist. Dieser wegweisende Befund kann durch molekulargenetische Diagnostik des CaSR-Gens weiterverfolgt werden, der Nachweis einer funktionell relevanten Mutation ist schließlich zielführend und bestätigt die Diagnose einer FHH. Da aber bis zu ein Drittel der Familien mit FHH keine Mutation im CaSR-Gen haben, ist der Negativbefund nicht beweisend. Das wichtigste Kriterium in unklaren (atypischen) Fällen bleibt die Familienanamnese bzw. die Familienuntersuchung, da die Störung infolge Symptomarmut bzw. -freiheit unerkannt geblieben sein kann.
Die familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (FHH) sollte bei der Abklärung einer Hyperkalzämie berücksichtigt werden. Sie muss insbesondere von einem primären Hyperparathyreoidismus abgegrenzt werden. Während letzterer oftmals mittels einer Parathyreoidektomie behandelt wird, ist eine FHH eine harmlose Stoffwechselanomalie, die in der Regel keiner weiteren Behandlung bedarf.
Schilddrüsenhormonresistenz
Schilddrüsenhormonresistenz
In der hausärztlichen Versorgung hat sich ein Screening auf Schilddrüsen-Funktionsstörungen mittels TSH durchgesetzt. Dieses – an sich rationelle – Vorgehen versagt bei Erkrankungen, bei denen das TSH fehlt oder vermindert ist, sowie bei Störungen der Rezeptoren für TSH oder Schilddrüsenhormone. Im ersten Fall wird u. U. eine Hypothyreose maskiert, im zweiten Fall vorgetäuscht.
Ursachen einer Schilddrüsenhormonresistenz sind in etwa 85 % der Fälle Punktmutationen in Bereichen des TRHB-Gens (thyroid hormone receptor beta-Gen), welche die Hormon-bindende Domäne der Schilddrüsenhormon-Rezeptor-Beta-Isoform codieren. Die Mutationen sind funktionell relevant, weil sie die Affinität des Rezeptors zum Liganden (T3) beeinträchtigten. Beschrieben wurden bisher weit mehr als 100 Mutationen in familiären Clustern – zumeist mit autosomal-dominantem Erbgang. In ca. 15 % findet man keine Mutationen im TRHB-Gen, sondern in anderen Genen, deren Transkripte eine Rolle spielen bei der Schilddrüsenhormonwirkung (TRHA-Gen), dem Transport von Schilddrüsenhormon in die Zelle (MCT8-Gen) und dem Schilddrüsenhormonmetabolismus (SECISBP2-Gen) [8]
[9]
[10]. Klinisch finden sich bei der Schilddrüsenhormonresistenz – abhängig von der zugrundeliegenden spezifischen Mutation – sehr variable
Manifestationen, die insbesondere bei TRHB-Mutationen eher milde sind [11]. Neben einer Struma treten z. B. Tachykardien auf, weiterhin werden unspezifische psychomotorische Störungen (Hyperaktivität, Lernbeeinträchtigungen), Entwicklungsverzögerungen und selten Beeinträchtigungen des Hörvermögens beobachtet. Laborchemisch findet sich die Konstellation eines erhöhten oder inadäquat hohen TSH in Kombination mit einem erhöhten fT3 und / oder fT4.
Die wichtigste Differenzialdiagnose in einer solchen Situation ist die zentrale Hyperthyreose aufgrund einer autonomen TSH-Produktion. Die Abgrenzung ist häufig schwierig, aber dennoch sehr wichtig: Einer autonomen TSH-Produktion liegt meist ein Hypophysenadenom (TSHom) zugrunde. Im letzteren Fall würde eine neurochirurgische Intervention mit kurativem Ansatz angestrebt. Eine bildgebende Diagnostik der Hypophyse (MRT) hilft hier wegen der geringen Spezifität nicht weiter. Beim TSHom findet sich gelegentlich eine funktionelle Veränderung weiterer hypophysärer Achsen. Außerdem zeigt sich häufig eine vermehrte Sekretion der alpha-Untereinheit des TSH durch die Adenomzellen, was wegweisend für ein TSHom ist. Diagnostisch zielführend für eine Schilddrüsenhormonresistenz ist der Nachweis einer funktionell relevanten Mutation – vor allem durch molekulargenetische Analyse des TRHB-Gens.
Bei der Abklärung einer Hyperthyreose ist die Schilddrüsenhormonresistenz eine besondere diagnostische Herausforderung, weil hier eine „Sollwertverstellung“ der Schilddrüsenhormonparameter mit einem erhöhten TSH-Wert und oft relativ milden Symtomen vorliegt. Einer „echten“ TSH-abhängigen zentralen Hyperthyreose liegt zumeist ein TSHom zugrunde, das in der Regel operativ angegangen wird.
Testikuläre adrenale Resttumoren
Testikuläre adrenale Resttumoren
Der Begriff des „adrenogenitalen Syndroms“ (AGS) beschreibt Störungen in der Steroidbiosynthese der Nebennieren: Die lebenswichtigen Hormone Cortisol und Aldosteron werden vermindert (Stichwort „Salzverlust-Syndrom“) und Nebennierenandrogene vermehrt gebildet [12]. Schwere homozygote oder compound-heterozygote Defekte sind lebensbedrohlich. Leichte Formen führen evtl. nur zum „late-onset“ AGS mit mehr oder weniger ausgeprägter Virilisierung. In der Praxis ist – leider – die Terminologie manchmal unscharf. So werden gelegentlich selbst heterozygote Mutationen (also ein „Überträgerstatus“) als „AGS“ bezeichnet. Die Mutationen betreffen das 21-Hydroxylasegen (häufig) sowie (seltener) das 11β-Hydroxylase- und das 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenasegen. Der Schweregrad der Mutation kann zum völligen Funktionsverlust führen (z. B. durch eine Deletion oder ein Stop-Codon) oder zu einer reduzierten Funktion (z. B. die häufige Mutation Val281Leu im
21-Hydroxylase-Gen).
Bei testikulären adrenalen Resttumoren (TART) handelt es sich um ektopes adrenales Gewebe im Bereich der Hoden, das dort im Rahmen eines AGS vorliegt. TART gehören neben den adrenalen Myelolipomen zu den Spätfolgen des AGS – wobei die schweren, klassischen Formen überwiegen. Der Befund wird z. B. erhoben bei der Abklärung von unerfülltem Kinderwunsch eines Paares, eines männlichen Hypogonadismus, eines auffälligen Tastbefundes der Hoden oder von Schmerzen oder aber als Zufallsbefund. Als Ursache wurde oft an eine unzureichende (biochemische) Kontrolle des AGS gedacht. Eine neuere Untersuchung mit longitudinaler Datenerhebung an der Universität München [13] fand jedoch keinen Beleg hierfür. Entscheidend ist wohl vor allem die Existenz von „adrenalem Restgewebe“ im Hoden und vielleicht auch die Schwere der Störung.
Wichtig ist die Differenzierung von Hodentumoren bei den typischerweise jungen Männern. In der Regel ist der TART-Befund bilateral (Abb.
[
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]). Sofern noch nicht geschehen, muss die Diagnose des AGS gesichert werden – manchmal ist die Diagnose in der Transition in Vergessenheit geraten, unter Umständen ist diese Diagnose auch noch nicht bekannt. So fanden sich bei Familienuntersuchungen von 145 AGS-Kindern in der Generation der Eltern 10 bisher unbekannte (allerdings „nicht-klassische homozygote) AGS-Fälle [14]. Eine Operation ist indiziert bei therapierefraktären Schmerzen oder bei sonst nicht zu klärender Differenzierung gegenüber einem Malignom.
Abb. 1 a) Testikuläre adrenale Resttumoren (TART) bei einem klassischen adrenogenitalen Syndrom (Querschnitt durch beide Hoden): Nachweis bilateraler multipler echoarmer unregelmäßig konfigurierter Herde. b) Endokrin aktiver maligner Hodentumor (Längsschnitt): unilateraler, unifokal inhomogener, unregelmäßig konfigurierter und unscharf begrenzter Herd. Beide Tumore waren palpabel, der maligne Keimzelltumor derbe imponierend, die TART prallelastisch.
Es wird diskutiert, ob TART durch eine Intensivierung der Glukokortikoidtherapie beim AGS therapiert oder vermieden werden können. Eine Therapie mit höheren Glukokortikoiddosen ist aber problematisch und nach mehreren Studien ohne sichere Effekte [15]. Ideal wären bei der Betreuung männlicher AGS-Patienten serielle Ultraschalluntersuchungen der Hoden, um solche Veränderungen rechtzeitig zu erkennen.
Der sonographische Befund ist bei TART nur schwer von anderweitigen Hodentumoren abzugrenzen. Differenzialdiagnostisch wegweisend ist der charakteristische oftmals bilaterale und multifokale Herdbefund bei TART. Er sollte eine endokrinologische Abklärung und ggf. nachfolgende molekulargenetische Sicherung eines AGS zur Folge haben.