Eine hämolytische Anämie kann viele Ursachen haben: von genetischen Defekten an den
Erythrozyten über autoimmune Mechanismen bis hin zu Medikamenten. Die Patienten sind
in vielen Fällen schwer krank. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die
korpuskulären und serogenen hämolytischen Anämien sowie über den
Vitamin-B12-Mangel und er klärt, was Sie bei Diagnostik und Therapie
beachten müssen.
Definition | Bei hämolytischen Anämien ist die Lebensdauer der roten
Blutkörperchen verkürzt. Das Knochenmark versucht, diesen Verlust an Erythrozyten
auszugleichen.
Eine Anämie tritt erst auf, wenn das Verhältnis zwischen Blutzerfall und
gestörter Blutbildung so stark zugunsten der Hämolyse verschoben ist, dass eine
Kompensation nicht mehr möglich ist.
So stehen sich die Zeichen der Hämolyse und der Kompensation gegenüber
(Abb.
[
1
]).
Abb. 1 Übersicht über die hämolytischen Anämien (auf Basis von [1]).
Einteilung | Hämolytische Anämien werden eingeteilt in
Entsprechend der klinischen Bedeutung liegen in der folgenden Übersicht die
Schwerpunkte auf den ersten beiden Formen.
Korpuskuläre hämolytische Anämien
Weltweite Prävalenz | Die korpuskulären hämolytischen Anämien sind je nach
genetischem Muster außerordentlich variabel in ihrer Klinik: Sie reicht von
asymptomatischen Anlageträgern bis zu schwersten Krankheitsbildern, bei denen die
Patienten vom Säugling bis zum Erwachsenen mit rezidivierenden Krisen behandelt
werden müssen. Infolge internationaler Migration haben sich diese Anämieformen in
alle Welt verteilt. Auch ein Internist in Deutschland wird demnach zunehmend in die
Behandlung dieser Patienten eingebunden.
Hereditäre Sphärozytose (Kugelzellenanämie)
Prävalenz | Die hereditäre Sphärozytose und Elliptozytose sind die
häufigsten angeborenen hämolytischen Anämien. In Mitteleuropa, wo eher mildere
oder moderate Hämolysen vorkommen, schätzt man die Prävalenz der
Kugelzellenanämie auf 1:5000–1:2500. Bei etwa 70 % der Betroffenen wird die
Erkrankung autosomal dominant, nur bei etwa 15 % autosomal rezessiv vererbt. Die
übrigen Patienten erkranken aufgrund von Neumutationen.
Pathophysiologie | Die Lipid-Doppelschicht der Erythrozytenmembran wird an
ihrer Innenseite von einem feinen, aus Skelettproteinen bestehenden Netzwerk
gestützt. Diese Proteine verleihen der Membran ihre einmaligen Eigenschaften der
inneren Spannung, Flexibilität und Stabilität. Genmutationen führen zu Defekten
bei verschiedenen Proteinen und damit zu einer Destabilisierung dieser
Membranstruktur. So entwickeln sich schlecht deformierbare Sphärozyten, die dem
Abbau in der Milz anheimfallen. Betroffen sind hauptsächlich die Gene für die
Proteine Ankyrin (~ 50 %), Bande 3 (~ 20 %) und Spektrin (~ 20 %).
Klinisches Bild | Bereits im Kindesalter können sich entwickeln:
-
Gallensteine
-
Konstitutionsanomalien mit grazilem Körperbau
-
Wachstumsstörungen (sog. „lienaler Infantilismus“) mit „Turmschädel“ und
gotischem Spitzbogen-Gaumen
-
Mikrophthalmie („Schweinsaugen“)
-
Ulcera cruris [5]
[6]
[7]
Labor | Pathognomonisch sind die kleinen Kugelzellen, die
Mikrosphärozyten. Der typischerweise erhöhte MCHC-Wert (mittlere korpuskuläre
Hämoglobin-Konzentration) gilt als differenzialdiagnostisches Kriterium
gegenüber anderen hämolytischen Anämien. Die Price-Jones-Kurve der Erythrozyten
ist linksverschoben (Abb.
[
2
]). Wegen
mangelnder Spezifität der osmotischen Erythrozyten-Resistenz hat sich neben dem
Kryohämolyse- und Pink-Test (Modified Acidified-Glycerol-Lysis-Test, AGLT) vor
allem der EMA-Test bewährt: Dieser Test untersucht mittels Durchflusszytometrie
die Bindung des Fluoreszenzfarbstoffs Eosin-5-Maleimid (EMA) an das Protein-3
bzw. Bande-3-Protein der Erythrozytenmembran [8]. Bei
Unklarheiten kommt die Mutationsanalyse der Membran-Protein-Gene infrage.
Abb. 2 Größenverteilung der Erythrozyten bei Gesunden sowie bei
Kugelzellen- und perniziöser Anämie, Price-Jones-Kurve (aus [2]).
Therapie | In leichten Fällen reicht die Gabe von Folsäure aus. Die einzig
wirksame Therapie ist je nach klinischer Indikation die Splenektomie. Um
Entwicklungsstörungen zu vermeiden, sollte diese am besten in der Jugend
durchgeführt werden – jedoch nicht vor dem 6. Lebensjahr. Alternativ wird bei
Kindern auch die partielle Splenektomie vorgenommen, um wesentliche
Restfunktionen der Milz zu erhalten. Die Prognose ist im Allgemeinen günstig
[5]
[7]
[7]
[9].
Enzymopenisch bedingte hämolytische Anämien
Unter enzymopenisch bedingte hämolytische Anämien fallen:
-
Glukose-6-Phosphatdehydrogenase-Mangel (G-6-PDH-Mangel),
X-chromosomal-rezessiv
-
Pyruvat-Kinase-Mangel, autosomal-rezessiv
-
Gluthathionreduktase- und Gluthationsynthetasemangel,
autosomal-rezessiv
Definition | Angeborene Enzymdefekte im Hexosemonophosphat-Zyklus und sehr
selten auch im Gluthationstoffwechsel verursachen diese hämolytischen Anämien.
Treten zusätzliche Stoffwechselbelastungen wie bestimmte Medikamente,
Chemikalien und Vegetabilien hinzu, sind die in ihrer Enzymausstattung
defizitären Erythrozyten diesen nicht mehr gewachsen. Im Allgemeinen werden
Anämie (mit Heinz-Innenkörperchen im Blutbild), Ikterus und Splenomegalie erst
dann bemerkbar. Der Nachweis erfolgt durch Bestimmung der Enzyme in den
Erythrozyten.
Prävalenz | Diese Erkrankung ist unter den hereditären
Stoffwechseldefekten weltweit am häufigsten. Schätzungsweise sind davon heute
mehr als 20 Mio. Menschen betroffen.
Therapie | Die Therapie besteht darin, die auslösenden Substanzen zu
meiden (Patientenausweis und -aufklärung).
Favismus | Eine der stärksten Wirkungen des G6-PDH-Mangels ist die
Hämolyse nach dem Genuss der Favabohnen („Favismus“), die in den
Mittelmeerländern ein Hauptnahrungsmittel sind [10], [11].
Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)
Definition | Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) wird auch
Marchiafava-Anämie oder Strübing-Marchiafava-Micheli-Syndrom genannt.
Die PNH ist die einzige erworbene korpuskuläre Erythrozytenanomalie mit
hämolytischer Anämie.
Pathophysiologie | Zugrunde liegt eine erworbene klonale Erkrankung der
hämatopoetischen Stammzelle mit
Phosphatidylinositolglykan-Anker-(PIG-A)-Mutation auf dem X-Chromosom. Diese
führt zu einem Mangel an Glykosylphosphatidylinositol-(GPI)-Anker-Proteinen und
damit verankerten Schutzproteinen (DAF = Decay accelerating factor [CD55] und
MIRL = membran inhibitor of reactive lysis [CD59]). Fehlen diese Proteine, ist
die Erythrozytenmembran unzureichend geschützt. Zur Hämolyse führt dann die
Komplementaktivierung, z. B. durch Operationen oder Infektion. Namengebende
Überlegungen, dass ein nächtlich abfallender pH-Wert mit „diagnoseweisendem“
Säurehämolyse-Test (Ham-Test) zur Komplementaktivierung führt, sind historisch
und inzwischen widerlegt. Der Cola-farbene Morgenurin tritt bei Erstdiagnose nur
bei einem Viertel der Patienten auf.
Klinisches Bild | Klinisch resultiert die Trias aus
-
hämolytischer Anämie,
-
Thrombophilie und
-
Zytopenie
mit stark unterschiedlichen Schweregraden bei meist noch jungen Patienten.
Diagnostik | Die diagnostische Standardmethode zum Nachweis des
PNH-typischen GPI-Anker-Defekts besteht in der Durchfluss-zytometrischen
Untersuchung von Blutzellen. Diese erfolgt nach der 2 × 2-Regel: 2 Zellreihen
wie Granulozyten und Erythroyzyten, jeweils untersucht mit je 2 separierbaren
Reagenzien.
Therapie | Früher waren lediglich supportive, therapeutische Maßnahmen
möglich. Seit 2007 steht für symptomatische Patienten als zielgerichtete
Langzeittherapie der monoklonale C5-Antikörper Eculizumab (Soliris©)
zur Verfügung. Dieser bindet den Komplementfaktor C5 und verhindert die Bildung
des terminalen Komplementkomplexes. Eculizumab hemmt somit die
Komplement-vermittelte Zerstörung der Erythrozyten.
Prognose | Wird die PNH rechtzeitig erkannt und adäquat behandelt, ist die
Lebenserwartung der Patienten fast normal. In fortgeschrittenen Fällen liegt die
5-Jahresüberlebensrate jedoch nur bei 35 %. Bei schwerkranken Patienten kommt
als einzige potenziell kurative Therapie die allogene Knochenmarktransplantation
infrage [12]
[13]
[14]
[15]
[16]
[17].
Hämoglobinopathien: Thalassämie
Entstehung | Das normale Hb-Molekül setzt sich aus 2 Paaren von α- und
β‑Peptidketten zusammen (Abb.
[
3
]). Bei
den Thalassämien ist die Synthese der α- (auf Chromosom 11) und / oder
β-Globulinketten (auf Chromosom 16) gestört – es entsteht ein Überschuss an α-
bzw. β-Globulinketten. Je nach vermindertem Globin unterscheidet man zwischen α-
und β-Thalassämien. Die Diagnose wird durch Hb-Analyse (Hb-Elektrophorese) und
ggf. molekulargenetische Untersuchungen gesichert.
Abb. 3 Normales Hämoglobinmolekül mit 4 Globinketten (aus [2]).
β-Thalassämie | Die β-Thalassämie ist die häufigste Form. Von ihr sind
über 4000 Mutationen bekannt, die meist autosomal rezessiv vererbt werden. Sie
wird in
eingeteilt.
β-Thalassaemia major | Bei der homozyten Thalassaemia major (Cooley
Anämie) werden keine β-Ketten gebildet. HbA1 (α2β2) fehlt, sodass fast
ausschließlich fetales Hämoglobin (HbF, α2γ2) vorliegt.
Die Patienten sind schwerkrank: Sie leiden an einer ausgeprägten hypochromen
und mikrozytären Anämie mit den typischen Schießscheibenzellen
(Targetzellen) im Blutbild.
Die osmotische Resistenz der Erythrozyten ist verbreitert. Bereits im
3.–6. Lebensmonat treten eine Hepatosplenomegalie und Knochenveränderungen auf
mit
-
Facies thalassaemica,
-
Turmschädel und
-
Bürstenschädel.
Die lebenslange Transfusionsabhängigkeit führt zu einer Eisenüberladung
(Hämochromatose) mit Organschäden in Leber, Herz und Pankreas. Für diese
Überladung ist zusätzlich auch eine vermehrte Eisenresorption im Darm infolge
starken Hepcidin-Mangels verantwortlich. Dieses Hormon Hepcidin, das die
Eisenhomöostase steuert, wurde erst um die Jahrtausendwende entdeckt [18]
[19].
β-Thalassaemia intermedia und minor | Im Gegensatz dazu zeigt die hetero-
oder homozygote β-Thalassaemia intermedia eine eher mittelschwere Verlaufsform.
Die heterozygote β‑Thalassaemia minor ist klinisch weitgehend unauffällig und
außer bei zusätzlichem Eisenmangel nicht behandlungsbedürftig [20]
[21].
Differenzialdiagnose | In der täglichen Praxis ist bei hypochromen und
mikrozytären Anämien die Differenzialdiagnose zur Eisenmangelanämie wichtig –
bei der Thalassaemia minor ist eine Eisentherapie kontraindiziert. Zur schnellen
Orientierung haben sich hierfür einfache Formeln bewährt:
-
Mentzer-Index = MCV / Erythroztenzahl: Ist dieser Wert > 13, spricht
das Ergebnis für eine Eisenmangelanämie, andernfalls für eine
Thalassaemia minor [22].
-
Diskriminationsfaktor F = MCV-Erthrozytenzahl – (5 × Hb) – 3,4 [23]: Ein positiver Wert spricht für
Eisenmangelanämie, ein negativer für Thalassaemia minor oder
Polycythaemia vera (außer bei Schwangerschaft).
α-Thalassämie | Die seltenere, autosomal-rezessiv vererbte Variante ist
die α-Thalassämie mit verminderten α-Ketten. Bei der schwersten Form mit
Inaktivierung aller 4 verantwortlichen α-Gene (Hb Bart’s, γ2γ2) ist der Fetus
nicht lebensfähig (Hydrops fetalis). Drei inakive Gene führen zur sog.
HbH-Krankheit als leichtere Form der Thalassämie. Fehlen ein oder zwei
Gen-Kopien, liegen keine (α-Thalassämie minima) oder allenfalls eine leichte
Anämie und Mikrozytose (α-Thalassämie minor) vor [20]
[21].
Therapie der Thalassaemia major | Therapie der Wahl ist die allogene
Stammzelltransplatation – meist im Kindesalter, um Entwicklungsstörungen
vorzubeugen. Die Gen-Therapie befindet sich noch im experimentellen Stadium.
Supportive Therapie | Die Gabe von Folsäure gehört zur supportiven
Therapie. Ab dem Säuglingsalter besteht meist lebenslanger Transfusionsbedarf
(sog. Hypertransfusionsregime). Wegen der Gefahr der Eisenüberladung ist ab
10.–11. Lebensjahr eine konsequente Eisenchelat-Therapie erforderlich
(Deferioxamin s. c., Deferasirox p. o. oder Deferipron p. o, evtl. sogar in
Kombination). Während der Therapie ist ein Monitoring angezeigt mittels:
Hämoglobinopathien: Sichelzellkrankheit (Drepanozytose)
Prävalenz | Die Sichelzellkrankheit ist die häufigste und am weitesten
verbreitete Hämoglobinopathie.
20–40 % der Bevölkerung im tropischen Afrika und 5–10 % der schwarzen
Bevölkerung Amerikas sind heterozygote Anlagenträger der
Sichelzellkrankheit.
Diagnose | Pathognomonisch für die Krankheit ist eine Sichelung der
Erythrozyten (Sichelzelltest, unter O2-Entzug). Beweisend ist der
Nachweis von Hämoglobin S (HbS) durch die Hämoglobinelektrophorese. Eine
molekulargenetische Untersuchung ist nur bei Verdacht auf Kombinationen von HbS
mit β- oder α-Thalassämie und im Rahmen der Pränataldiagnostik indiziert.
Entstehung | Das HbS entsteht aufgrund einer autosomal-kodominanten
Punktmutation im β-Globinkomplex des Chromosom 11. Dabei ist in Position 6 der
β-Kette die Aminosäure Glutamat (HbA) gegen Valin (HbS) ausgetauscht.
Genotypen | Häufige Genotypen sind
-
die schwer verlaufende homozygote HbSS-Sichelzellkrankheit,
-
die compound heterozygote Sichelzellkrankheit,
-
die HbS-β-Thalassämie und
-
die Hb-SC-Krankheit.
Bezeichnung | Auf die früher übliche Bezeichnung „Sichelzellanämie” sollte
man entsprechend der internationalen Nomenklatur verzichten: Nicht die Anämie,
sondern die Gefäßverschlusskrisen und die Folgen des Krankheitsgeschehens
dominieren bei weitem.
Klinisches Bild | Für das klinische Bild der homozygoten
Sichelzellkrankheit sind schon ab dem Säuglings- bzw. frühen Kindesalter
charakteristisch:
-
rezidivierende Schmerzen im Skelettsystem bzw.
-
Schmerzkrisen durch Gefäβverschlüsse, vor allem im Thorax (akutes
Thorax-Syndrom, ATS), Abdomen und ZNS
-
Schocksymptomatik mit ausgeprägter Splenomegalie
-
Hand-Fuß-Syndrom
Weitere akute Ereignisse bestehen in Milzsequestration sowie
Pneumokokkensepsis / -Meningitis, aplastischen Krisen bei
Parvo-Virus-B-19-Infektion, ZNS-Infarkten und paralytischem Ileus durch
Mesenterialinfarkte (sog. Girdl-Syndrom). Für die erhöhte Infektneigung werden
auch eine Atrophie der Milz infolge einer „Autosplenektomie“ durch Milzinfarkte
verantwortlich gemacht. Bei Erwachsenen führen häufige Durchblutungsstörungen zu
Organschäden:
-
chronische Glomerulonephritis / Sklerose
-
pulmonale Hypertonie
-
aseptische Nekrose von Hüft- und / oder Humeruskopf
-
Retinopathie
-
stumme ZNS-Infarkte
-
Knochenmarkinsuffizienz
-
Priapismus
-
bei Dauer-Transfusionsprogramm Eisenüberladung
-
endokrinologische Ausfälle
Heterozygote Sichelzellkrankheit | Dagegen weisen heterozygote
HbS-Anlageträger keine oder nur geringe Krankheitszeichen auf. Da ihnen eine
Konduktorenrolle zukommen kann, ist eine genetische Beratung wichtig.
Therapie | Die einzige kurative Therapie besteht in der allogenen
Stammzelltransplantation, möglichst mit HLA-identischem Familienspender. Im
Gegensatz zu Zentral- und Westafrika erreichen in Europa und USA heute 85–90 %
der Kinder mit Sichelzellkrankheit das Erwachsenenalter – mit einer mittleren
Lebenserwartung von 50 Jahren. Haupttodesursachen sind die pulmonale Hypertonie
sowie akute Ereignisse wie ATS und Vaso-Okklusionen [2]
[3]
[24]. Zu
den therapeutischen Optionen gehören:
-
bei Schmerzkrisen: Hydrierung und Analgetika
-
Hydroxyurea (HU) mit strenger Indikation, da es als einziges Medikament
Zahl und Intensität der Schmerzkrisen (bei 70–75 %) sowie die Zahl der
ATS-Episoden reduzieren und die Mortalität (um 40 %) senken kann
-
aktive Immunisierung
-
Antibiotika:
-
ACE-Hemmer bei Proteinurie
-
Chelatbildner bei Eisenüberladung
-
Bluttransfusionen nur unter strenger Indikation wegen Risiko von
Hyperviskositätssyndrom
-
bei Organversagen evtl. Austauschtransfusion
-
Operation:
-
Splenektomie nach Milzsequestrationen und Hypersplenismus
-
Cholezystektomie bei Gallensteinen
-
orthopädische Eingriffe bei aseptischer Hüft- bzw.
Humeruskopfnekrose
-
lebenslange medizinische Behandlung und sozialmedizinische Betreuung
Balanzierter Polymorphismus
Sowohl die Hämoglobinopathien als auch der G-6PDH-Mangel sind ähnlich wie die
Malaria über einen großen geografischen Gürtel vom Mittelmeerraum über den Nahen
und mittleren Osten bis nach Indien und Südostasien verbreitet. Die
Sichelzellkrankheit kommt vornehmlich in Afrika vor.
Diese Anämieformen bieten gegen Malaria eine relative Resistenz, die in
Endemiegebieten zu einem evolutionären Selektionsvorteil geführt hat
(„balanzierter Polymorphismus“).
Auf Zypern ist die Thalassämie besonders häufig, weswegen dort seit Jahren ein
intensives Präventionsprogramm stattfindet [25].
Serogene hämolytische Anämien
Immunhämolytische Anämien
Auto- / Allo-Antikörper | Bei immunhämolytischen Anämien verursachen gegen
Erythrozyten-Antigene gerichtete Auto- oder Allo-Antikörper eine Hämolyse, indem
sie entweder das Komplementsystem oder die zelluläre Immunität aktivieren.
Klinisches Bild | Verlauf und klinisches Bild sind variabel und hängen vom
auslösenden Antikörper ab. Die Autoimmunhämolyse wird unterteilt in:
Diagnostik | Wegweisend für die autoimmunhämolytische Anämie (AIHA) ist
der positive direkte Coombs-Test. Es folgt die Bestimmung der Autoantikörper.
Die BSG ist stark beschleunigt.
AIHA durch inkomplette Wärme-Auto-Antikörper vom Typ IgG | Der
IgG-Wärmetyp ist die häufigste Form der Coombs-positiven AIHA (70 % aller
Patienten mit AIHA, ca. 1:70 000). Frauen sind 2-mal so oft betroffen wie
Männer. 45 % der Wärme-AIHA sind idiopathisch, 55 % treten auf:
-
sekundär bei systemischem Lupus erythematodes (SLE), rheumatischer
Arthritis und chronischer lymphatischer Leukämie (CLL)
-
Medikamenten- bzw. Hapten-induziert vor allem durch nicht-steroidale
Antirheumatika (NSAR), Antibiotika (Ceftriaxon, Penicillin),
Chemotherapeutika (Fludarabin, Cladribin) und Methyldopa [31]
Die gegen Erythrozyten gerichteten Wärme-Auto-Antikörper können bei 37–40 °C ihre
hämolytische Wirkung entfalten. Der Verlauf ist oft schwer, selten jedoch
fatal.
AIHA durch Kälteagglutinine | Die AIHA vom Kältetyp wird durch
Kälteagglutinine hervorgerufen, die fast immer vom Typ IgM sind.
Kälteagglutinine vom Typ Anti-i-Kälteantikörper finden sich bei EBV-Infektionen
und Lymphomen, Anti-I-Antikörper dagegen bei Mykoplasmen-Infektionen. Klinisch
unterscheidet man zwischen akutem und chronischem Kälte-Agglutinin-Syndrom [32].Bei niedrigeren Temperaturen (10–15 °C) kommt es
meist an den Akren zu einer Erythrozyten-Agglutination und anschließend durch
Komplementaktivierung zur Hämolyse. Diese kann durch Verlegung von Kapillaren
ein Raynaud-ähnliches Syndrom verursachen und bei physiologischen Temperaturen
wieder zurückgehen.
Warmblutprobe | Bei Verdacht auf Kälte-Antikörper sollte zur Vermeidung
gerinnungsbedingter Probleme die Blutentnahme so erfolgen, dass das Blut warm
ins Labor transportiert wird.
AIHA durch gemischte, biphasische bzw. bithermische Hämolysine | Diese
AIHA wird auch AIHA vom Donath-Landsteiner-Typ oder paroxasmale
Kältehämoglobinurie genannt. Sie tritt meist akut nach einem Virusinfekt im
Kindesalter auf. Typisch ist nach Kälteexposition eine plötzlich auftretende
Hämolysesymptomatik mit Hämoglobinurie und starkem Hb-Abfall ( < 5 g / dl).
Trotz des schweren Krankheitsbilds ist der Verlauf meist gutartig. Die
chronische Form trat früher bei Lues auf und kommt heute praktisch nicht mehr
vor. Die wichtigste Differenzialdiagnose der AIHA ist die Alloimmun-Hämolyse
(hämolytische Transfusionsreaktion und Erythroblastose [Morbus haemolyticus
neonatorum]) [33].
Therapie der autoimmunhämolytischen Anämie (AIHA)
Behandlung der Grundkrankheit | Die Therapie der AIHA ist noch nicht
evidenzbasiert. Möglichst sollte eine potenzielle Grundkrankheit behandelt
werden (NHL, CLL, SLE, Mykoplasmen-Pneumonie).
Wärme-AIHA | Zur Therapie eingesetzt werden:
-
Glukokortikoide (70–85 % Ansprechen), evtl. zusätzlich:
-
polyvalente Immunglobuline
-
Rituximab (80–90 % Ansprechen)
-
Azathioprin
-
Cyclophosphamid
-
Cyklosporin
-
Mycophenolat
-
Danazol
-
Plasmapherese
-
Alemtuzumab
-
Ultima Ratio: Hochdosis Cyclophosphamid
-
bei anhaltender Resistenz evtl. Splenektomie (~ 60 % Ansprechen, ~ 20 %
Heilung)
Kälte-AIHA | Cortison und Milzexstirpation sind unwirksam, daher setzt man
Rituximab (als Erstlinientherapie empfohlen) oder Zytostatika wie Chlorambucil
und Cyclophosphamid oder Plasmapherese ein. Am effektivsten ist der Schutz vor
Kälte, vor allem an den Akren („Handschuhe und Pantoffeln“), und bei der
Medikamenten-induzierten Form die Antigenkarenz. In Extremfällen kommt es evtl.
zur Stammzelltransplantation (z. B. beim
Evans-Syndrom = Auto-Immunhämolyse + Autoimmun-Thrombopenie, vorrangig mit einer
CLL assoziiert).
Supportive Maßnahmen | Bluttransfusionen sollte man bei Patienten mit AIHA
möglichst vermeiden, da sie fast immer problematisch sind. Bei
lebensbedrohlicher Anämie sind sie jedoch nicht zu umgehen, auch wenn die
Kreuzprobe positiv ausfällt. Die Transfusion sollte mit Rhesus-Kell-kompatiblen
Erythrozytenkonzentraten ohne „Buffy Coat“ (Standard 2014 ) und unter strenger
Überwachung erfolgen. Bei fortbestehenden Unverträglichkeitsreaktionen werden
gewaschene Erythrozyten-Konzentrate [34]
[35] verabreicht, bei ausgeprägten Hämolysen
prophylaktisch low-dose Heparin.
Vitamin-B12-Mangel
Physiologie des Vitamin-B12-Stoffwechsels | Vitamin B12
(Cobalamin), das vom Menschen nur aus tierischer Nahrung (Leber, Fleisch, Eier und
Milchprodukte) aufgenommen werden kann, wird nach Freisetzung aus der Nahrung durch
die Magensäure an den Intrinsic-Faktor (IF) gebunden. Dieser wird von den
Parietalzellen (Belegzellen) der Magenschleimhaut gebildet. Nur in diesem IF-Komplex
kann Cobalamin im terminalen Ileum resorbiert und schließlich im Blut über Bindung
an Transcobalamin I, II oder III zur Leber und anderen Organen transportiert werden.
Die Ursachen des Vitamin-B12-Mangels zeigt Tab.
[
1
].
Tab. 1
Symptome der perniziösen Anämie und Ursachen der Perniziosa-ähnlichen
symptomatischen megaloblastischen Anämie sowie des
Folsäuremangels.
Vitamin-B12-Mangel
|
Folsäuremangel
|
Perniziöse Anämie (Morbus Biermer):
-
allgemeine Anämiesymptome
-
gastrointestinales Syndrom (Hunter‘sche Glossitis,
Gastroskopie: chronisch-atrophische Gastritis
(Histologie)
-
Intrinsic-Faktor-Antikörper
-
neurologisch-psychiatrisches Syndrom
-
Funikuläre Myelose (gestörtes Vibrations-empfinden)
|
Perniziosa-ähnliche symptomatische megaloblastische
Anämie
Ursachen:
-
vegetarische Ernährung
-
Metformin-Langzeittherapie
-
Gastrektomie
-
Adipositaschirurgie
-
Malabsorption
-
blind loop syndrom
-
Divertikulose
-
„food cobalamin malabsorption syndrom“ (FCM, ungenügender
Aufschluß von Vitamin B12 aus der Nahrung,
vorwiegend > 65 Jahre)
-
Fischbandwurm (Diphyllobotrium latum, sehr selten)
|
Ursachen:
-
Alkoholismus
-
Malabsorption
-
erhöhter Bedarf: Schwangerschaft, Fetus, hämolytische
Anämie, Leukämie
-
Medikamente: Folsäure-Antagonisten, Antikonvulsiva,
Daraprim
|
Perniziöse Anämie (Biermer Anämie)
[36]
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
[42]
| In Europa ist die häufigste, durch
Vitamin-B12-Mangel bedingte Erkrankung die perniziöse Anämie. Sie ist
sowohl makrozytär (MCV > 98 fl) als auch hyperchrom (MCH > 32 pg) und geht oft
mit Leuko- und Thrombopenie einher. Vor Entdeckung der Diät mit
Vitamin-B12-haltiger roher Leber, der Lebertherapie, war die Prognose
absolut infaust, d. h. „perniziös“. Heutzutage gehört die Perniziosa zu den am
besten und leichtesten zu behandelnden Blutkrankheiten.
Häufigkeit | Die Angaben über die Inzidenz der perniziösen Anämie schwanken
erheblich zwischen 1–5 / 100 000 (UK und USA) und 9 / 100 000 Einwohner / Jahr
(Europa). In jedem Fall nimmt die Erkrankung in höherem Lebensalter zu.
Auftreten mit anderen Erkrankungen | Die Perniziosa ist offensichtlich
häufiger mit anderen Autoimmunkrankheiten wie Hashimoto-Thyreoiditis, Diabetes
mellitus Typ I, Vitiligo oder Hypoadrenalismus assoziiert – es gibt epidmiologische
Hinweise auf eine erbliche Komponente.
Klinisches Bild | Die in Abb.
[
4
]
aufgeführten Symptome lassen sich einteilen in:
Abb. 4 Symptome bei perniziöser Anämie (aus [2]).
-
allgemeine Anämie-Symptome einschließlich strohgelber Hautfarbe (Café au
lait-Farbe), bedingt durch Blässe und diskreten Ikterus
-
gastrointestinales Syndrom: Autoimmungastritis (= Typ A der chronischen
Gastritis) mit Achlorhydrie; (Hunter-)Glossitis mit glatter roter Zunge
-
neurologisch-psychiatrisches Syndrom: funikuläre Myelose bzw.
Spinalerkrankung mit Markscheidenschwund sowohl der Hinterstränge
(Gangunsicherheit [spinale Ataxie]) als auch der Pyramidenbahn (Paresen,
Pyramidenbahnzeichen)
-
Zeichen einer Polyneuropathie sowie Sehstörungen infolge Opticus-Atrophie
-
psychiatrische Symptome
-
Störung der Tiefensensibilität bzw. des Vibrationsempfindens als
empfindlichstes Frühsymptom (Stimmgabelversuch)
Da neurologische Störungen bei Vitamin-B12-Mangel auch ohne Anämie
auftreten können, kommt bei unklarer Neurologie ursächlich immer auch ein
Cobalamin-Mangel infrage.
Knochenmark| Noch vor 20 Jahren waren die charakteristischen megaloblastischen
Veränderungen im Knochenmark diagnoseweisend für die perniziöse Anämie
(Abb.
[
5
]). Mangels Spezifität ist
jedoch die Bedeutung der Knochenmarkmorphologie zurückgegangen. Einfacher
nachweisbar und vor allem diagnostisch eindeutig ist die Befundkombination von
niedrigem Vitamin B12 und positivem Intrinsic-Faktor-Antikörper (IF-AK).
So wird die Knochenmarkuntersuchung heute nur noch in unklaren Fällen empfohlen.
Abb. 5 Megaloblastische Veränderungen im Knochenmark bei perniziöser
Anämie:In dem zellreichen Knochenmark besteht eine hyperplastische und linksverschobene
Erythropoese mit megaloblastischen Veränderungen in allen Reifungsstufen. Vor
allem auf Erythroblastenstufe fällt die charakteristische, aufgelockerte und
feine Chromatinstruktur der Kerne auf. Man sieht den Zellen die
DNA-Synthesestörung an. Daneben finden sich riesenstabkernige Granulozyten und
Riesenmetamyelozyten. Hypersegmentierte Formen finden sich nicht nur bei den
Granulozyten, sondern auch bei den Megakaryozyten.
Diagnostik | Der Mangel wird durch folgende Laborwerte charakterisiert:
-
MCH > 32 pg (hyperchrom)
-
MCV > 98 fl (makrozytar)
-
häufig Leuko- und / oder Thrombopenie mit Rechtsverschiebung der Granulozyten
(= Übersegmentierte): Price-Jones-Kurve rechtsverschoben
-
Serumeisen ↑
-
Serumferritin ↑
-
Transferrinsättigung eher ↑
-
indirektes Bilirubin ↑ (strohgelbe Hautfarbe)
-
LDH ↑
-
Haptoglobin ↓
-
im Serum Vitamin B12 ↓ und / oder Folsäure ↓
-
evtl. Holotranscobalamin und Methylmalonat
-
Knochenmark: gesteigerte Erythropoese, Megaloblasten, Riesenstabkernige,
Riesenmetamyelozyten, Speichereisen ↑
Bei grenzwertig niedrigem Vitamin B12 ist zur weiteren Abklärung die
Bestimmung von Holotranscobalamin (aktives B12) und der Methylmalonsäure
möglich (nicht anwendbar bei Niereninsuffizienz und Dehydrierung). Diese Substanzen
sind bereits in einer frühen Phase des Vitamin-B12-Mangels erhöht. Im
Blutausstrich sieht man Makrozyten bzw. Megalozyten (MCV > 98 fl, MCH > 34 pg)
und > 5 % übersegmentierte Granulozyten bei Leuko- und Thrombopenie
(Rechtsverschiebung). Die Price-Jones-Kurve ist ungewöhnlich breit (4–14 µ). Ihr
Gipfel ist meist deutlich nach rechts verschoben (Abb.
[
2
]). Ferritin, indirektes Bilirubin und vor allem LDH sind
erhöht.
Antikörper gegen Intrinsic Faktor (IF-AK) sind bei 40–60 % der Patienten mit
perniziöser Anämie nicht nur positiv, sondern auch sehr spezifisch.
Obwohl bei den Parietalzell-Antikörpern dieser Prozentsatz mit 80 % noch höher
ausfällt, wird ihre Bestimmung mangels Spezifität nicht empfohlen.
Gastroskopie | Mit der Gastroskopie will man über die Frage nach einer
„Perniziosa-Konstellation” mittels Stufenbiopsie eine atrophische Gastritis
histologisch nachweisen. Auch wenn diesem Befund die Spezifität fehlt, sollte doch
jeder Patient gastroskopiert werden. Die Indikation dazu besteht vor allem bei
zusätzlicher Eisenmangelanämie, weil Perniziosa-Patienten ein erhöhtes
Magenkarzinom-Risiko zeigen. Eine regelmäßige spätere endoskopische Überwachung wird
dann nicht mehr empfohlen.
Heute obsolete Untersuchungen | Die früher üblichen Untersuchungen des
Schilling-Tests mit radioaktiv markiertem Vitamin B12
[42]
[43] und die
fraktionierte Magensaftanalyse zum Nachweis einer Histamin- bzw.
Pentagastrin-refraktären Achylie sind heute nicht mehr angezeigt.
Therapie (entsprechend Leitlinien 2014
[37])|
-
bei fehlenden neurologischen Störungen: Vitamin B12 1000 µg i. m.
3 × / Woche für 2 Wochen, dann alle 3 Monate
-
bei Hinweis auf oder bei bestehender Neuropathie: jeden 2. Tag Vitamin
B12 1000 µg i. m. so lange, bis keine klinische Besserung
mehr eintritt. Oder für 3 Wochen mit anschließender klinischer Beurteilung,
ob sich eine Besserung eingestellt hat. Wenn ja, dann weiter alle 2 Monate.
Anschließend keine weiteren Vitamin-B12-Untersuchungen mehr
erforderlich.
-
Bei positiven IF-AK ist Vitamin B12 lebenslang angezeigt.
Die Substitutionsbehandlung zeigt folgende Auswirkungen:
-
rascher Rückgang fast aller klinischer und hämatologischer Erscheinungen
-
nach 5–7 Tagen Anstieg der Retikulozyten („Retikulzytenkrise“, bis zu
400 ‰)
-
häufig Entwicklung eines Eisenmangels
-
in dieser Phase Substitution von Eisen, Folsäure und Kalium; Cave:
Hypokaliämie (unklarer Genese) mit Herzrhythmusstörungen
-
passagere Thrombozytose mit Thromboembolierisiko
Durch Cobalamin-Mangel bedingte neurologische Symptome sind im Frühstadium
reversibel, nicht jedoch bei erfolgter axonaler Degeneration.
Eine Behandlung der Vitamin-B12-Mangelanämie mit Folsäure ist
kontraindiziert, weil die Anämie zwar gut anspricht, die funikuläre Myelose jedoch
unbeeinflusst bleibt oder sich sogar verschlimmert.
Differenzialdiagnose | Bei unbefriedigendem Ansprechen ergibt sich die Frage
nach der Differenzialdiagnose anderer Ursachen wie z. B.:
-
Anämie bei Eisen- oder Folsäuremangel,
-
myelodysplastisches Syndrom (MDS),
-
andere Erkrankungen des Knochenmarks
-
medikamentös-toxisch bedingte Blutbildveränderungen (Alkohol, Hydroxyurea,
MTX, HIV-Präparate [Zidovudin u. a.])
Orales Vitamin B12 | Etwa 1 % des mit der Nahrung aufgenommenen
Vitamin B12 wird über einen vom IF unabhängigen Weg resorbiert.
Daher haben sich hohe orale Vitamin-B12-Dosen (1000–2000 mg / die
p. o.) als ebenso wirksam erwiesen wie i. m.-Injektionen.
Neuerdings wird auch eine nasale Applikationsform untersucht. Weil diesbezüglich noch
nicht alle Fragen geklärt sind, empfiehlt sich in der Initialphase bei schwerem
Vitamin-B12-Mangel und vor allem bei Neuropathie die
i. m.-Applikation. Je nach Wunsch des Patienten kann anschließend zur Erhaltung oder
zur Korrektur suboptimaler Vitamin-B12-Spiegel oral substituiert werden.
Dabei ist zu beachten, dass bei ineffizienter Therapie mit zu niedrigen
Cobalamin-Dosen immer das Risiko der Entwicklung oder Exazerbation einer Neuropathie
besteht.
Therapie bei Cobalamin-assoziierten Krankheiten
Niedrige oder grenzwertige Vitamin-B12-Spiegel | Auch bei
grenzwertig niedrigen Vitamin-B12-Werten (245–400 pg / ml, normal:
200–950 pg / ml) und fehlender Anämie kann bereits ein subklinischer
Vitamin-B12-Mangel vorliegen. Durch Bestimmung von
Holotranscobalamin und Methylmalonsäure kann man dies weiter abklären. Eventuell
kann dann ein ex juvantibus-Therapieversuch mit Cobalamin sinnvoll sein: 50 mg
p. o. täglich für 4 Wochen.
Bei Diabetes Typ 2 | Die Ursache des Cobalamin-Mangels bei Patienten mit
Diabetes Typ 2 unter Metformin-Langzeit-Einnahme ist unbekannt. Ergänzend zur
Bestimmung des IF-AK und bei positivem Befund rät man zur lebenslangen
Vitamin-B12-Behandlung. Andernfalls ist das Vorgehen ähnlich wie
bei subklinischem Vitamin-B12-Mangel. Eine prophylaktische orale
Cobalamin- Einnahme ist für Metformin-Patienten jedoch nicht erforderlich.
Cobalamin-Malabsorption-Syndrom | Erst vor kurzem wurde vorwiegend bei
älteren Patienten ( > 65 Jahre) das nahrungsbedingte
Cobalamin-Malabsorption-Syndrom beschrieben (food bound FCM). Dabei kann
Cobalamin aus der Nahrung oder aus den bindenden Proteinen nicht freigesetzt
werden. Die Diagnose stellt sich durch Ausschluss.
Dieses Syndrom wird im Allgemeinen durch die atrophische Gastritis mit oder
ohne H. p.-Infektion und durch Langzeit-Einnahme von
Protonenpumpen-Inhibitoren oder Biguaniden verursacht.
Dabei spielen offenbar Mutationen in den Genen eine Rolle, die endozytische
Rezeptoren kodieren. Diese sind für die Ileumabsorption und Zellaufnahme von
Cobalamin verantwortlich. Diese Vorgänge erklären zumindest teilweise die
erbliche Komponente der megaloblastischen Anämie [44].
Cobalamin-Mangel beim Kind | Besteht bei Kindern trotz normaler
Vitamin-B12-Werte der Verdacht auf einen Cobalamin-Mangel, ist
eine sofortige Vitamin-B12-Substitution angezeigt. Wegen der Frage
nach genetischen Störungen (z. B. Imerslund-Gräsbeck-Syndrom, IGS) sollte man
eine zusätzliche Spezialdiagnostik vornehmen – am besten in einer
Kinderklinik.