Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(23): 1759-1760
DOI: 10.1055/s-0041-105987
Fachwissen
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pregabalin als seltene Ursache einer Hepatopathie

Michael Kowar
1   Klinik für Geriatrie mit Neurologie und Tagesklinik, Johanniter gGmbH, Johanniter Krankenhaus, Bonn
,
Claudia Friedrich
1   Klinik für Geriatrie mit Neurologie und Tagesklinik, Johanniter gGmbH, Johanniter Krankenhaus, Bonn
,
Andreas H. Jacobs
1   Klinik für Geriatrie mit Neurologie und Tagesklinik, Johanniter gGmbH, Johanniter Krankenhaus, Bonn
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Andreas H. Jacobs
Klinik für Geriatrie mit Neurologie und Tagesklinik
Johanniter Krankenhaus Bonn
Johanniter Str. 1–3
53113 Bonn
Phone: 0228–543 2207   
Fax: 0228–543 2213   

Publication History

Publication Date:
19 November 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Anamnese: Eine 76-jährige Patientin wird aus der unfallchirurgischen Abteilung zur weiteren geriatrischen Frührehabilitation nach konservativer Therapie einer rechtsseitigen Os-sacrum-Fraktur übernommen. Die Aufnahme erfolgte zur Diagnostik bei Fallneigung, Schmerzeinstellung und zur Mobilisation.

Untersuchungsbefund: Am Tag der Aufnahme zeigte sich ein unsicheres Gangbild mit ungerichteter Fallneigung. Laborchemisch zeigte sich eine leichte Erhöhung der Infektparameter (CRP 0,67 mg / dl) und der alkalischen Phosphatase (AP) (191 U / I).

Therapie und Verlauf: Es erfolgte ein multimodales frührehabilitatives Konzept mittels Krankengymnastik, aktivierender Pflege und Schmerztherapie (Metamizol, Tilidin / Naloxon). Unter der krankengymnastischen Therapie manifestierten sich zusätzlich neuropathische Schmerzen im Sinne eines radikulären Schmerzsyndroms L5 /S1 rechts, so dass zusätzlich eine Therapie Pregabalin initiiert wurde. Nach 10 Tagen klagte die Patientin über Übelkeit. Bei Persistenz der Beschwerden und klinischem Verdacht auf einen Ikterus erfolgte eine laborchemische Kontrolle. Hier zeigten sich erhöhte Cholestaseparameter (Bilirubin 6 mg / dl, GOT 131U / I, G-GT 2030 U / l, AP 650U / I). In der Abdomen-Sonografie und Magnetresonanz-Cholangiopankreatiokografie (MRCP) konnte kein Hinweis auf eine Cholestase, Choledocholithiasis oder Malignität gefunden werden, so dass die Therapie mit Pregabalin bei Verdacht auf eine medikamentös-induzierte Hepatopathie beendet wurde. Hierunter kam es im weiteren Verlauf zu einer Normalisierung der Leberfunktionswerte.

Schlussfolgerung: Bei klinisch unklarer Hepatopathie sollte auch an eine Medikamentennebenwirkung gedacht werden. Bei der hier beschriebenen Patientin ist eine neu begonnene Schmerztherapie unter Pregabalin hierfür ursächlich anzunehmen.


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Abstract

In this report we describe a patient who developed liver failure due to new administration of pregabaline.

History and admission findings: A 76-year old woman was admitted with a sacral fracture after conservative treatment in a trauma surgery ward for further rehabilitative treatment.

Investigations: At admittance the patient complaint of lower back pain. Physical examination revealed unsteadiness in walking tests. Laboratory tests revealed mildly elevated infection parameters (CRP 0.67 mg / dl) and alkaline phosphatase (191U / I).

Treatment and course: Physical training was initiated. Multimodal therapy for pain was continued with tilidin / naloxon, which had been started at the trauma surgery ward. Due to persistent pain and its radicular nature additional pregabaline treatment was initiated. Ten days thereafter the patient developed nausea without vomiting and subsequently (day 15) jaundice. Blood examination revealed elevated liver enzymes (ALT 246U / I, AST 86U / I, GGT 2068U / I and bilirubine 6 mg / dl). Abdominal sonography and MRCP were normal. After discontinuation of pregabaline treatment nausea disappeared within several days and liver enzymes declined to normal values within several weaks.

Conclusion: Pregabaline should be taken into account as cause of acute liver failure.


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Das GABA-Analogon Pregabalin wird bei Epilepsien, neuropathischen Schmerzen und generalisierten Angststörungen verordnet [1]. In den letzten Jahren hat die Zahl der Pregabalin-Verordnungen zugenommen, mit einem weiteren Anstieg ist zu rechnen [2] [3]. Damit dürften auch ungewöhnliche Nebenwirkungen zunehmen – ein Beispiel zeigt der geschilderte Fall.

Anamnese | Eine 76-jährige Patientin wird aufgrund zunehmender, immobilisierender Schmerzen in der unfallchirurgischen Abteilung aufgenommen. Eine MRT-Untersuchung zeigt eine Fraktur des Os sacrum, die auf vorherige Stürze zurückging. Nach konservativer Therapie wird die Patientin zur weiteren Mobilisation im Rahmen einer frührehabilitativen Therapie in unsere geriatrische Abteilung verlegt. Sie hat folgende Vorerkrankungen:

  • Hypothyreose nach subtotaler Strumektomie,

  • arterieller Hypertonus und

  • Cox-Arthrose.

Körperlicher Untersuchungsbefund | Die Patientin ist in reduziertem Allgemein-, aber normalem Ernährungszustand (56 kg). Die internistische Untersuchung bringt folgende Befunde:

  • Eupnoe,

  • vesikuläres Atemgeräusch,

  • Herztöne rein und rhythmisch,

  • keine Ödeme,

  • kein Sklerenikterus,

  • Abdomen weich mit lebhaften Darmgeräuschen und ohne Abwehrspannung.

Bei der neurologischen Untersuchung zeigt sich ein unsicheres Gangbild mit ungerichteter Fallneigung. Hinweise auf Paresen oder sensible Ataxie fehlen, Orientierung, Mnestik und Stimmung sind altersgerecht.

Labordiagnostik | Die Infektparameter sind leicht erhöht:

  • C-reaktives Protein 0,67 mg / dl

  • Lactatdehydrogenase 265 U / l

  • alkalische Phosphatase 191 U / l

Da die Werte aber im Vergleich zum Aufenthalt in der unfallchirurgischen Abteilung bereits gefallen sind, führen wir sie auf die Fraktur zurück. Die weiteren Laborwerte liegen im Referenzbereich.

Medikation | Die Gangunsicherheit führen wir auf die Schmerzsymptomatik zurück. Bereits in der unfallchirurgischen Abteilung erfolgte eine Analgesie nach WHO-Stufenschema mit Ibuprofen, Metamizol und Tilidin / Naloxon, das die Patientin prästationär gut vertragen hat. Aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils im Alter setzten wir das Ibuprofen am Verlegungstag ab. Die Thromboseprophylaxe wird mit Enoxaparin fortgeführt. Zudem nimmt die Patientin seit dem operativen Eingriff Kalzium-Brause-Tabletten ein.

Radikuläre Schmerzen | Unter weiterführender Krankengymnastik persistieren die Schmerzen und die Gangunsicherheit. Da die Beschwerden in das rechte Bein ausstrahlen (Ausbreitungsgebiet L5 / S1), erhält die Patientin Pregabalin:

  • zunächst 25 mg am Abend an Tag 0

  • schrittweise erhöht auf 75 mg an Tag 8.

Gastrointestinale Beschwerden | An Tag 10 beginnt die Patientin über Übelkeit zu klagen. Klinisch ist das Abdomen weich mit regelrechten Darmgeräuschen, ohne Resistenzen oder Druckschmerz. Zum Erbrechen kommt es nicht. Die Therapie mit Kalzium-Brause wird auf Vitamin-D3-Kapseln umgestellt. Da die Patientin zu diesem Zeitpunkt konstipiert ist, verabreichen wir Abführmittel wie Lexicarbon Suppositorium, Lactulose und Glycerin Suppositorium. Hierunter normalisiert sich der Stuhlgang. Trotzdem persistiert die Übelkeit.

Schlechte Leberwerte | Am Tag 15 kommt es zu einem Sklerenikterus, so dass eine laborchemische Kontrolle erfolgt (Abb.  [ 1 ]). Deutlich erhöht sind:

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Abb. 1 Verlauf der Leberwerte. Links: Bilirubin; rechts: GOT, GPT, GGT, Ammoniak, AP und INR
a) Absetzen von Pregabalin
b) Verlegung Rehabilitationsklinik
c) hausärztliche Kontrolle.
  • Bilirubin 6 mg / dl

  • Glutamat-Oxalazetat-Transaminase 131 U / I

  • Glutamat-Pyruvat-Transaminase 2030 U / I

  • alkalische Phosphatase 650 U / I

  • Ammoniak 128 μg / dl

  • C-reaktives Protein 4 mg / dl

Die Abdomensonografie gibt keinen Hinweis auf eine Cholestase.

Weitere Therapie | Die Therapie mit Pregabalin, Enoxaparin und Tilidin / Naloxon wird beendet. Die Patientin erhält:

  • Aminosteril Hepa,

  • Ceftriaxon (V. a. unklares Infektgeschehen) und

  • Prednisolon (V. a. eine autoimmune Genese).

Die Hepatitis-Serologie bleibt negativ. Laborchemisch gibt es keinen Hinweis auf eine immunogene Genese – antimitochondriale Antikörper sind unauffällig. Daher stellen wir die Kortison-Therapie nach 5 Tagen ein. In der MR-Cholangiopankreatikografie zeigt sich ebenfalls kein pathologischer Befund, insbesondere gibt es keinen Anhalt für Cholezystitis, Choledocholithiasis, Raumforderung oder Leberzirrhose.

Besserung | Nach Medikamentenumstellung bessern sich die Leberwerte langsam, sodass von einer medikamentös induzierten Hepatopathie auszugehen ist. Die Patientin wird in eine geriatrische Rehabilitationsklinik verlegt. Hier normalisieren sich die Leberwerte im Verlauf.

Diskussion

Nebenwirkungen von Pregabalin | Häufige Nebenwirkungen von Pregabalin sind Müdigkeit und Benommenheit. Sie waren in den Zulassungsstudien die häufigste Ursache für einen Abbruch der Therapie [4]. Daher sollte Pregabalin einschleichend und vorwiegend abends eingenommen werden. Weitere häufige Nebenwirkungen sind Nasopharyngitis, gesteigerter Appetit, Verwirrtheit, Übelkeit, periphere Ödeme, erektile Dysfunktion und Gangstörungen [4] [5].

Pregabalin-induzierten Hepatopathie | Interessanterweise wird Pregabalin nicht über die Leber abgebaut [1]. Eine Hepatopathie im Rahmen einer Therapie unter Pregabalin wird daher in der Fachinformation nicht angegeben. Auch in der Literatur (PubMed, medpilot) fanden wir nur drei Fallberichte einer Pregabalin-induzierten Hepatopathie [6] [7] [8]. In dem Fallbericht von Sendra et al. [6] zeigten sich wie bei uns 14 Tage nach Beginn einer Pregabalintherapie erhöhte Leber-Werte. Diese waren nicht so stark erhöht wie im vorliegenden Fall, allerdings hatte der Patient mit einer Hämosiderose eine hepatische Vorerkrankung.

Erhöhte INR-Werte | In einem Fall [8] bestand neben erhöhten Leberwerten auch eine eingeschränkte Lebersynthese (INR 4,2). Diese könnte ein gesteigertes Mortalitätsrisiko darstellen [9]. Bei unserer Patientin war die INR durchgehend im Normbereich.

Enoxaparin und Tilidin / Naloxon als Auslöser? | Unsere Patientin klagte über Übelkeit, die wir zunächst auf die Kalzium-Brause-Tabletten zurückführten. Trotz Therapieumstellung verschlechterte sich ihr Zustand: Es kam zu einem Ikterus. Daraufhin beendeten wir die Therapie mit den potenziell lebertoxischen Medikamenten Enoxaparin, Tilidin /Naloxon und Pregabalin. Dass Enoxaparin oder Tilidin / Naloxon die Hepatopathie ausgelöst haben, ist unwahrscheinlich: Die Patientin hatte diese bereits in der unfallchirurgischen Abteilung eingenommen, die Leberwerte bei Aufnahme in unserer Abteilung waren aber unauffällig.

Differenzialdiagnosen | Bei unserer Patientin war das direkte Bilirubin stark erhöht (5,41 mg / dl). Wir vermuteten eine intrahepatische Cholestase und führten daher sowohl eine Sonografie als auch eine MR-Cholangiopankreatikografie durch – beide blieben ohne wegweisende Befunde. Für eine virale Hepatitis ergab sich laborchemisch kein Anhalt. Es kam auch eine autoimmune Hepatitis in Frage, weswegen wir eine Kortison-Therapie einleiteten. Da dieser Verdacht sich durch Laborwerte nicht bestätigen ließ, wurde die Therapie eingestellt. Die Hepatopathie stand in zeitlichem Zusammenhang mit Pregabalin; nach Absetzen des Präparates besserten sich die Leberwerte sukzessive.

Vollständige Ausheilung | In allen bisherigen Beobachtungen und so auch bei uns zeigte sich eine Restitutio ad integrum innerhalb von einigen Wochen nach Absetzen von Pregabalin. Fallberichte über Todesfälle sind uns nicht bekannt.

Konsequenzen für Klinik und Praxis
  • Bei erhöhten Leberwerten und beginnendem Leberversagen unklarer Genese kommt eine Pregabalin-induzierte Hepatopathie in Frage, auch wenn dies in der Literatur bisher kaum beschrieben ist.


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Dr. med. Michael Kowar

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ist Oberarzt an der Klinik für Geriatrie mit Neurologie und Tagesklinik, Johanniter Krankenhaus, Bonn.
michael.kowar@johanniter-kliniken.de

Claudia Friedrich

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ist Oberärztin an der Klinik für Geriatrie mit Neurologie und Tagesklinik, Johanniter Krankenhaus, Bonn.
claudia.friedrich@johanniter-kliniken.de

Prof. Dr. med. Andreas H. Jacobs

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ist Chefarzt der Klinik für Geriatrie mit Neurologie und Tagesklinik, Johanniter Krankenhaus, Bonn.
andreas.jacobs@johanniter-kliniken.de

Interessenkonflikte: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


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Prof. Dr. med. Andreas H. Jacobs
Klinik für Geriatrie mit Neurologie und Tagesklinik
Johanniter Krankenhaus Bonn
Johanniter Str. 1–3
53113 Bonn
Phone: 0228–543 2207   
Fax: 0228–543 2213   


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Abb. 1 Verlauf der Leberwerte. Links: Bilirubin; rechts: GOT, GPT, GGT, Ammoniak, AP und INR
a) Absetzen von Pregabalin
b) Verlegung Rehabilitationsklinik
c) hausärztliche Kontrolle.