PPH 2016; 22(01): 55-57
DOI: 10.1055/s-0041-108138
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

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Doreen Henning
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Publication Date:
21 January 2016 (online)

Wer Sorgen hat, hat auch Likör

Was bedingt sich wie? War erst die Depression da und kam dann der Alkohol dazu oder löste die Alkoholsucht die Depression aus? An die 260 Fachleute aus dem gesamten Bundesgebiet befassten sich in der zweiten Septemberwoche mit dem Thema der Doppeldiagnose-Patienten und wo und wie ihnen geholfen werden kann. Das Klinikum Wahrendorff hatte zum XIV. Symposium Suchtmedizin mit dem Titel „Mission impossible?“ geladen.

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Abb. 1 Moderator Dr. med. Roman Zakhalev, Oberarzt im Klinikum Wahrendorff (2. v. r.), mit den Referenten des XIV. Suchtsymposiums (v.l.n.r.): Dr. med. Jörg Hilger, Prof. Dr. med. Thomas Wobrock, Dr. med. Alexander Spauschus, Barbara Franke und Dr. med. Michael Hettich (ganz rechts). (Foto: Klinikum Wahrendorff)

In psychiatrischer Fachsprache bedeutet der Begriff „Doppeldiagnose“ das gemeinsame Auftreten eines Missbrauchs von einer oder mehreren Substanzen, die auf die Psyche Einfluss nehmen, sogenannte psychotrope Substanzen, und mindestens einer anderen psychischen Erkrankung bei einem Patienten. „Es wird immer wieder diskutiert, ob jemand zuerst ein psychisches Problem bekam und dann versuchte, es mit Suchtmitteln ‚zu behandeln‘ oder es im Rahmen seiner Abhängigkeitserkrankung zu einer psychischen Störung kam“, fasste Dr. med. Michael Hettich, Chefarzt der Psychosomatik und Suchtmedizin am Klinikum Wahrendorff, in seinen begrüßenden Worten zusammen.

„Auch für Therapeuten ist das eine Herausforderung, weil Arbeit mit zusätzlichen psychischen Störungen neben der Suchterkrankung doppelte Kompetenz und besondere organisatorische Strukturen benötigt.“

In den Fachvorträgen beschäftigten sich die Referenten mit den Fragestellungen, ob das Gesundheitswesen doppelte Versorgungssysteme braucht und was Patienten am besten angeboten werden kann.

Dr. med. Jörg Hilger, Leitender Arzt der Ev. Stiftung Tannenhof aus Remscheid, machte den Auftakt und schaffte einen guten Überblick über die häufigsten Doppeldiagnosen, wie z. B. die verschiedenen Formen der Depressionen, Angsterkrankungen, posttraumatische Belastungsstörungen und Schizophrenien.

Prof. Dr. med. Thomas Wobrock, Chefarzt des Zentrums Seelische Gesundheit am Kreisklinikum Darmstadt-Dieburg brachte pharmakologische und psychotherapeutische Strategien bei der Komorbidität Psychose und Sucht mit.

Er berichtete aus dem Projekt „Gesund und Ohne Abhängigkeit Leben“, kurz GOAL, an der Universitätsmedizin Göttingen. Häufigste Suchtmittel sind Alkohol, Cannabis und Amphetamine. Im Vortrag von Prof. Wobrock wurde deutlich, dass es nicht angeraten ist, z. B. den Cannabis-Konsum zu verharmlosen. So weisen 15 bis 65 Prozent der an Schizophrenie erkrankten Patienten auch einen Substanzmissbrauch auf, zumeist von Cannabis. Und in neueren Cannabissorten sind häufig höhere Tetrahydrocannabinol-Gehalte (THC) und niedrigere Cannabidiol-Gehalte (CBD) als in traditionellen Sorten enthalten, mit Auswirkungen auf psychotische Störungen.

Über die mögliche Behandlung von Borderline-Patienten mit einer emotionalinstabilen Persönlichkeitsstörung berichtete Dr. med. Alexander Spauschus, Chefarzt der Psychiatrie und Psychotherapie an der Schön Klinik Hamburg-Eilbek.

Dort werden auf einer offen geführten Station Patienten mit einer substanzgebundenen Abhängigkeit (vorrangig Alkohol, Cannabinoide und Medikamente) behandelt, die zusätzlich an einer weiteren psychiatrischen Erkrankung leiden. Therapiebasis bildet das Konzept der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT) nach Marsha Linehan, das für die Behandlung von Suchterkrankten durch moderne psychotherapeutische Maßnahmen erweitert wird.

Barbara Franke, Oberärztin im Klinikum Wahrendorff, griff die Therapiemöglichkeiten ihrer Vorredner im abschließenden Vortrag „Wer Sorgen hat, hat auch Likör – Depression und Alkohol/Alkohol und Depression“ auf und ergänzte um die Behandlungsmöglichkeiten im Klinikum Wahrendorff. Alle Referenten betonten die nötige integrative Behandlung beider Erkrankungen, was häufig noch durch die starren Prüfkriterien des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen verhindert wird, indem erst eine Erkrankungsbehandlung abgeschlossen sein muss.

Zudem bestand allgemein Konsens, dass jeder Patient innerhalb eines Teams behandelt werden sollte. Die Behandlung von Doppeldiagnosen ringt allen Beteiligten Zeit, Geduld und auch Frustrationstoleranz ab. Der achtsamkeitsbasierten Therapie kam in allen Vorträgen eine besondere Stellung zu. Ebenso finden sich in allen Behandlungsmodellen Ansätze der Stresstoleranz und der Sporttherapie.

Für die betroffenen Patienten ist es oftmals sehr schwierig anzunehmen, dass sie an zwei Erkrankungen leiden. „42 Prozent der alkoholabhängigen Patienten im Klinikum Wahrendorff haben auch eine Depression“, fasste Franke zusammen. „Ein integrativer Ansatz ist deshalb aus unserer Sicht unabdingbar.“

So sind jetzt in der Klinik im Park am Standort Ilten zwei offene Stationen baulich neu zusammen geführt, in der es seit kurzem auch eine depressionsspezifische Gruppe direkt in der Suchtmedizin gibt. „Wir machen uns auf den Weg zur Mission possible“, so Franke.

Quelle: Klinikum Wahrendorff