Im Rahmen einer deutschlandweiten Onlinebefragung wurde die Nutzung der UK-App MetaTalkDE
erfasst. Die 115 Teilnehmer gaben an, die App auf vielfältige Weise als Kommunikationshilfe
zu nutzen, insbesondere das iPad erfreute sich aufgrund seiner Multifunktionalität
großer Beliebtheit.
Hintergrund
Manche Menschen können sich aufgrund von angeborenen Schädigungen, wie z. B. geistiger
Behinderung oder erworbenen Schädigungen, nicht erfolgreich lautsprachlich äußern.
Beispielsweise ist bei Schlaganfallpatienten häufig das Sprachzentrum vorübergehend
oder langfristig beeinträchtigt. Ziel des Fachgebiets der Unterstützten Kommunikation
(UK) ist es, die Kommunikationsmöglichkeiten dieser Menschen zu verbessern [1].
Vor ca. 25 Jahren bestand für diese Personengruppe in erster Linie die Möglichkeit,
sich über körpereigene Kommunikationsformen, wie beispielsweise Handzeichen, mitzuteilen.
Heute gibt es viele verschiedene Wege, ohne Lautsprache zu kommunizieren. Besonders
externe Kommunikationsformen, wie elektronische Hilfsmittel, haben im letzten Vierteljahrhundert
aufgrund des technischen Fortschritts deutlich zugenommen.
Seit Anfang 2010 gibt es das iPad, das sich von spezifischen Kommunikationshilfen
durch vielfältige Anwendungsmöglichkeiten und Funktionen abhebt. Obwohl es ursprünglich
nicht als Kommunikationshilfe gedacht war, kamen bereits im Herbst 2010 erste UK-Anwendungen
(Apps) für das iPad auf den Markt. Eine dieser Apps ist die iPad-App MetaTalkDE (Kitzinger, 2010). Zusammen mit dem iPad dient sie mittlerweile vielen nicht oder
kaum sprechenden Menschen in Deutschland als Kommunikationshilfe [2]. Bisher ist aber nur wenig über die Nutzergruppe und deren Nutzungsverhalten bekannt.
Im Rahmen der Staatsexamensarbeit wurde daher eine deutschlandweite Onlinebefragung
mit dem Ziel durchgeführt, diese Forschungslücke zu füllen und Möglichkeiten für weitere
Verbesserungen und Anpassungen der App zu finden.
MetaTalkDE ist eine symbolbasierte App mit Schriftoption, die aktuell 180 Euro kostet. Es gibt
sie in unterschiedlichen Varianten. In Abhängigkeit von den Rastergrößen 5 × 9, 4 × 7
und 3 × 5 und der Wortschatzgröße von 2500, 1500 und 1000 Wörtern, besteht die Bildschirmoberfläche
aus 45, 28 oder 15 Tasten. Bei den Varianten mit den Rastergrößen 5 × 9 und 4 × 7
gibt es zusätzliche Funktionen, wie zum Beispiel Grammatik-Popups
[3].
Zielsetzung
Ziel der deutschlandweiten Nutzerbefragung war eine „Positionsbestimmung“ der App
und damit auch des iPads als Kommunikationshilfe. Dazu wurden soziodemografische Angaben
der Nutzer der App bzw. des iPads erfragt, um herauszufinden, wie sich die Nutzergruppe
zum Beispiel bzgl. des Alters zusammensetzt. Des Weiteren sollte mithilfe von Informationen
zur Nutzung der App in Erfahrung gebracht werden, welche Funktionen der App wie häufig
genutzt werden. Bereits bekannt war, dass das iPad als Kommunikationshilfe u. a. aufgrund
seiner vielfältigen Funktionen und Möglichkeiten sehr beliebt ist. Gründe, warum es
außerdem als solche verwendet wird, sollten mithilfe der Befragung eruiert werden.
Methodik
Es wurde eine Nutzerbefragung in Form einer deutschlandweiten Onlineumfrage im Zeitraum
von knapp 3 Monaten durchgeführt. Die Befragung richtete sich jedoch nicht nur an
die eigentlichen MetaTalkDE-Nutzer, sondern auch an Personen aus deren Umfeld, um die Rücklaufquote zu erhöhen.
Die Stichprobe wurde mithilfe des Internets u. a. in speziellen UK-Foren und -Facebook-Gruppen
akquiriert.
Es beteiligten sich 115 Personen an der Onlinebefragung. Zwei Fragebögen konnten jedoch
aufgrund mangelnder Angaben nicht ausgewertet werden. Vier der 113 Probanden (3,6 %)
waren selbst UK-Nutzer, 75 (67,6 %) Pädagogen, 23 (20,7 %) Elternteil bzw. Angehöriger
des UK-Nutzers und 9 konnten sich keiner der Gruppen zuordnen.
Der Fragebogen war weitgehend standardisiert, d. h. er enthielt überwiegend geschlossene
Fragen (z. B. Wie lange nutzt der UK-Nutzer die App MetaTalkDE?) und nur 7 offene Fragen (z. B. Welches Hilfsmittel hat der UK-Nutzer vorher verwendet?). Er bestand aus einer Eingangsfrage in Form einer Skalierungsfrage (Was halten Sie persönlich von dem iPad als Kommunikationshilfe? Antwort: 1 – sehr sinnvoll bis 5 – nicht geeignet und keine Angabe) und einem Item zur Erfassung der Probandengruppen. Im Anschluss daran wurden soziodemografische
Angaben (Alter, Geschlecht, Bundesland) des UK-Nutzers erfasst. Schließlich folgten
die eigentlichen Fragen zum Nutzungsverhalten in 3 Themenkomplexen:
-
Nutzung der App MetaTalkDE,
-
Nutzung des iPads allgemein und
-
Meinung zum iPad als Hilfsmittel.
Im 3. Themenkomplex wurde die Meinung der Probanden mithilfe von Skalierungsfragen
erfasst (z. B. Die Multifunktionalität des iPads macht es als Kommunikationshilfe attraktiver. Antwort: 1 – trifft voll und ganz zu bis 5 – trifft überhaupt nicht zu und kann ich nicht einschätzen).
Ergebnisse
Es beteiligten sich UK-Nutzer aus ganz Deutschland an der Onlinebefragung. Lediglich
52 der 113 UK-Nutzer machten vollständige soziodemografische Angaben. Demnach sind
die UK-Nutzer überwiegend unter 13 Jahre alt bzw. männlich (n = 38; 73 %), lediglich
14 (27 %) sind älter als 13 Jahre bzw. weiblich.
Alle 113 Nutzer machten Angaben zu ihrem Nutzungsverhalten. MetaTalkDE wird in vielfältiger Weise verwendet: 77 Nutzer (68,1 %) verwenden die Rastergröße
5 × 9, n = 19 (16,8 %) die Variante 4 × 7 und 17 (15 %) 3 × 5. Lediglich 27 (28,1 %)
der 96 UK-Nutzer, die zusätzliche Funktionen, wie z. B. Grammatik-Popups, verwenden
können, nutzen diese auch.
Das iPad wird u. a. aufgrund seiner Multifunktionalität als Kommunikationshilfe verwendet.
Dies zeigte sich an den hohen Zahlen der Nutzung anderer Dinge als der App MetaTalkDE. Beispielsweise gaben 80 Nutzer (74,1 %) an, auch mit dem iPad zu spielen, und 57
(52,8 %) nutzen es auch im schulischen Kontext. Außerdem werden bestimmte Funktionen
(sog. geführte Zugriffe), die das iPad bietet, von knapp der Hälfte der Nutzer (46,9 %)
häufig verwendet. Die Meinung, dass das iPad die Selbstständigkeit des UK-Nutzers
fördert, wird von 44 (39,3 %) der Befragten voll und ganz geteilt, 44 (39,6 %) stimmen
der Aussage zu, dass es für den Nutzer die Teilhabe am Unterricht verbessert. Weiterhin
geben 47 (42,3 %) der Befragten an, dass es voll und ganz zutrifft, dass die Multifunktionalität
des iPads die soziale Teilhabe fördert.
Fazit
Die App MetaTalkDE erfreut sich besonders großer Beliebtheit bei männlichen Nutzern unter 13 Jahre.
In Verbindung mit dem iPad stellt es eine geeignete Kommunikationshilfe dar. Als Gründe
für die Nutzung werden u. a. die Multifunktionalität, die technischen Möglichkeiten
und die Fähigkeiten des Geräts genannt. Darüber hinaus ist aber auch relevant, dass
es von vielen anderen Menschen nicht in der Funktion als Hilfsmittel verwendet wird,
was einer Stigmatisierung der UK-Nutzer entgegenwirkt und positive Auswirkungen auf
die soziale Inklusion und die Lebensqualität hat. Eine Anpassung an ältere Nutzer
z. B. in Form einer Wortschatzerweiterung wäre sinnvoll.
Der Studiengang Lehramt für Sonderpädagogik wird am Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung (ISER) an der Universität
Rostock mit den 4 Förderschwerpunkten Lernen, emotionale und soziale Entwicklung,
Sprache sowie geistige Entwicklung angeboten. Von diesen müssen 2 Schwerpunkte sowie
schwerpunktübergreifende Aspekte studiert werden. Außerdem umfasst der Studiengang
die Bereiche Erziehungswissenschaften, ein allgemeinbildendes Fach oder Grundschulpädagogik
sowie mehrere Praktika. Zentrale Kompetenzbereiche, die die Studierenden erwerben,
sind Unterrichten, Erziehen, Diagnostizieren und Fördern, Innovieren und die Gestaltung
einer inklusiven Schule.
Themenwahl Frau Lisa Federkeil hat im Rahmen ihrer empirischen Staatsexamensarbeit selbstständig
und innovativ ein aktuelles Thema von hoher Relevanz für die Sonderpädagogik und insbesondere
die Inklusion kommunikationsbeeinträchtigter Menschen bearbeitet. Auf der Grundlage
einer stringenten und systematischen Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Unterstützte
Kommunikation (UK) werden die Fragestellungen stringent abgeleitet.
Untersuchung Um ihre Fragestellungen zu beantworten bzw. ihre Hypothesen zur Nutzergruppe und
deren Nutzungsverhalten zu überprüfen, wählte Frau Lisa Federkeil mit der Online-Benutzerbefragung
eine kreative und moderne Herangehensweise, um sich die Nutzergruppe der App MetaTalkDE zu erschließen. Deutschlandweit beteiligte sich eine ungewöhnlich hohe Anzahl von
insgesamt 115 Probanden, von denen allerdings die soziodemografischen Daten nur bedingt
auswertbar waren. Da die Fragen zum Nutzerverhalten von der überwiegenden Mehrheit
der Probanden beantwortet wurden, können die Ergebnisse als aussagekräftig bezeichnet
werden. Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit angemessenen Methoden,
war umfassend und nachvollziehbar dargestellt. Die Ergebnisse wurden hinsichtlich
verschiedener Aspekte und vor dem theoretischen Hintergrund diskutiert und in den
bisherigen Stand der Forschung eingeordnet.
Mehrwert Die Arbeit stellt einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit modernen medialen
Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation (UK) vor allem im Hinblick auf inklusive
Aspekte dar. Die Nutzung des iPads als Medium der Kommunikation führt nach den Ergebnissen
der Nutzerbefragung zu einer Erhöhung der Akzeptanz und einer Verminderung von Stigmatisierungsprozessen
in der sozialen Umgebung. Zudem kann die Teilhabe am Unterricht verbessert werden.
Frau Federkeil leitet einige praktische Implikationen zur Verbesserung der Nutzbarkeit
der App in der Altersgruppe der über 13-Jährigen und somit zu deren Weiterentwicklung
ab. Das hohe Innovationspotenzial, die Selbstständigkeit bei der Durchführung der
Untersuchung sowie die Auswertungen und deren sorgfältige methodenkritische Reflexion
machen die Arbeit von Frau Federkeil zu einer der besten Staatsexamensarbeiten des
Abschlussjahrgangs 2015 am Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung (ISER)
der Universität Rostock.
Prof. Dr. Tanja Jungmann, Rostock