Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2016; 48(02): 67-71
DOI: 10.1055/s-0042-108224
Forschung
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Neues aus der Onkologie

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Publication Date:
13 July 2016 (online)

Musiktherapie: Integration in einer Spezialambulanz für Psychoonkologie

Musiktherapie wird seit Jahrzehnten in der multidisziplinären Behandlung in der Onkologie eingesetzt. Innerhalb der stationären palliativmedizinischen Komplexbehandlung hat sie inzwischen in vielen Kliniken einen festen Platz bekommen; im ambulanten Sektor aber findet sie sich selten. Ein ambulantes musiktherapeutisches Versorgungsangebot wurde im Frühjahr 2013 in der Spezialambulanz für Psychoonkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) etabliert, in der erwachsene Krebspatienten mit unterschiedlichen soliden und hämatologischen Tumorerkrankungen nach Erst- bzw. Rezidivdiagnose sowie Angehörige von Krebspatienten behandelt werden.

Musiktherapeutische Forschung

Die Idee, eine ambulante musiktherapeutische Versorgung zu initiieren, entwickelte sich aus der langjährigen positiven Erfahrung mit Musiktherapie im akutstationären und palliativmedizinischen Bereich im Onkologischen Zentrum des UKE. Neben dem Wunsch, den Patienten auch nach oder zwischen den stationären Aufenthalten Unterstützungsmöglichkeiten anbieten zu können, stand das Ziel, die bereits etablierte musiktherapeutische Forschung auf den ambulanten Bereich auszuweiten. Damit sollte die Einsetzbarkeit und die Wirksamkeit musiktherapeutischer Unterstützung in diesem Feld evaluiert und die Musiktherapie weiter wissenschaftlich fundiert werden.

Das Forschungsteam setzte sich aus 2 Musiktherapeutinnen, dem Leiter der Spezialambulanz und einem der leitenden Professoren des Instituts für Musiktherapie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg zusammen, mit dem das UKE einen Kooperationsvertrag in Ausbildung und Forschung eingegangen ist. Gefördert wurde das Projekt über 2 Jahre von der Andreas Tobias Kind Stiftung, Hamburg.

In den ersten beiden Jahren konnten 45 Patienten eine Musiktherapie beginnen. Sie waren im Durchschnitt 52 Jahre alt, überwiegend weiblich und an verschiedenen Krebsarten, am häufigsten an gynäkologischen Tumoren, erkrankt. Die Patientinnen und Patienten stellten sich mit einem breiten Spektrum psychischer Anliegen und Belastungen vor und wurden in der Musiktherapie prozessorientiert behandelt. Im Eingangsscreening der Ambulanz schätzten sich die Patienten mittelgradig depressiv und ängstlich ein. Rund zwei Drittel der Ratsuchenden kam mit wenigen Therapiesitzungen aus, es gab aber auch einige Patienten, die mehr als 12 Sitzungen über einen Zeitraum von 1 bis 2 Jahren benötigten. Dies macht deutlich, dass das Angebot möglichst flexibel eingerichtet werden sollte.

Für den Prozess der Implementierung waren mehrere Faktoren förderlich. Das Leitungs- und Behandlungsteam des Institutes für Medizinische Psychologie und der Ambulanz war von Anfang an aufgeschlossen und interessiert. Über gemeinsame Forschungsprojekte mit musiktherapeutischen Kollegen und über stationäre interdisziplinäre Versorgungstätigkeit über Jahrzehnte im Vorfeld gab es Vorerfahrungen und Vorkenntnisse zur Musiktherapie.

Durch den Einbezug dieses interkollegialen Vorwissens, durch punktuelle Befragungen zum Integrationsprozess des neuen Verfahrens sowie Gruppendiskussionen im Team und bedingt durch den im Grundsatz integrativen psychoonkologischen Behandlungsansatz in der Spezialambulanz konnte sich die Musiktherapie gut als ein weiteres Therapieverfahren integrieren. Zudem war das Engagement des Förderkreises der Ambulanz für die Anschaffung der benötigten Musikinstrumente ausgesprochen hilfreich.

Abschließend geben wir hier 2 exemplarische Einblicke in ambulante musiktherapeutische Prozesse.


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Trommeln – Spielräume in der Fatigue

Eine Mitte 50-jährige Patientin, die an Brustkrebs erkrankt war und sich nun in der langfristigen Nachsorge befindet, macht während ihres Aufenthaltes in einer Rehaklinik eine positive Erfahrung mit Musik. Sie beschreibt, dass sie sich in der Musik sehr gut „bei sich“ gefühlt habe. Um dieses ressourcenstärkende Erlebnis zu vertiefen, wünscht sie sich eine musiktherapeutische Begleitung. Die Patientin war in der Vorgeschichte ihrer Krebserkrankung bereits durch eine Depression belastet gewesen und ist nun durch ein Fatigue-Syndrom betroffen, mit dem sie sich auseinandersetzen und eine Bewältigungsstrategie suchen möchte.

Zu Beginn fühlt sich die Patientin von den Trommeln im Raum angezogen und möchte sie gerne erkunden. Da sie etwas unsicher wirkt im Hinblick auf ein freies Explorieren, gibt ihr die Therapeutin zu Beginn eine Orientierung durch das gemeinsame Einüben möglicher Spieltechniken. Auch entscheidet sie sich, als Rahmen eine erste Spielidee vorzuschlagen, damit die Patientin Sicherheit gewinnen kann. Auf den Trommeln wird ein gemeinsamer Puls gespielt mit der Idee, eigene Variationen darauf entstehen zu lassen. Die sonst durch die Fatigue so eingeschränkte Patientin spielt eine Weile lebhaft und konzentriert. Es wird möglich, in ein gemeinsames accelerando zu gehen, die Grenze des noch Spielbaren zu erkunden und wieder in das gut spielbare Tempo zurückzufinden. Die Patientin reflektiert, dass es ihr überraschend gut gelungen sei, ihr Spiel selbst zu beeinflussen und freut sich über ihre sich entwickelnde Gestaltungsfähigkeit.

Das Spiel mit den Trommeln bleibt ein wichtiger Bestandteil der Therapie. Durch sie werden weitere Erfahrungen möglich. Mit dem Hintergrund, dass die Patientin ihren Alltag als oft sehr angespannt erlebt, sind für sie Momente wichtig, in denen sie dieser Anspannung im Trommeln Ausdruck verleihen kann. Entscheidend ist hierbei, dass diese Anspannung in eine rhythmische Form weitergeführt werden kann und sich zu einer guten Spannung hin entwickelt. Dies ist gerade im Hinblick auf die Fatigue-bedingte Erschöpfung ein wichtiger Gegenpol.

Eine ebenfalls mit den Fatigue-Symptomen einhergehende Belastung, die wir aufgreifen, ist die Erfahrung, dass sie wenig Verständnis findet und es ihr auch selbst schwer fällt, sich so erschöpft und eingeschränkt zu akzeptieren. Aus der biografischen Anamnese wird deutlich, dass die Patientin auch früher schon Zeiten erleben musste, in denen sie sehr auf sich alleine gestellt war und wenig Anteilnahme oder emotionale Unterstützung bekam. In der Improvisation auf den Trommeln entwickelt sich nun, dass die Therapeutin sich gezielt auf den Rhythmus der Patientin einlässt, ihr genau zuhört und sie gemeinsam ihren Rhythmus spielen. Am Ende des Spiels wird die Patientin leiser, es bleibt aber eine hohe Intensität im Spiel. Dies kann in der Reflexion auf eine mögliche Alltagsgestaltung übertragen werden, die zwar in manchen Aspekten Reduzierungen erfahren muss, aber trotz dieser Reduzierung eine Lebensqualität behalten kann.


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Klangstuhl – Geduld wird erlebbar

Ein Anfang 60-jähriger Patient, der an einem Prostatakarzinom erkrankt war und sich in der direkten Nachsorgephase befindet, wünscht sich Musiktherapie.

Er vermittelt zu Beginn den Eindruck, die Dinge gerne selbst in der Hand zu haben. Seine augenblickliche Hauptproblematik ist die mit der Prostatektomie einhergehende Inkontinenz. Diese löst bei ihm Gefühle von Wut und Verzweiflung aus, die immer wieder zu aggressiven Durchbrüchen führen. Er sagt von sich, dass er immer einer gewesen sei, der alles steuern konnte und nun erfährt er eine solche Handlungsunfähigkeit. So kenne er sich nicht. Der ärztliche Rat sei gewesen, dass er Geduld brauche – für ihn mit der großen Frage verbunden, woher er diese Geduld nehmen sollte.

Schon in der ersten Stunde lag ein Schlüssel zur Veränderung. Hier fühlt sich der Patient vom Klangstuhl angesprochen. Der Klangstuhl ist ein mit in Quintstimmung gestimmten Saiten bespannter halbrunder Holzstuhl, in den sich der Patient setzt ([Abb. 1]). Die Musiktherapeutin spielt diese Saiten in gleichmäßigen Bewegungen. Dadurch entsteht ein harmonischer offener Klangraum, in dem sich Obertonmelodien entwickeln. Die Schwingung der Saiten überträgt sich auf den Stuhl und wird so vom Patienten auch körperlich spürbar.

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Abb. 1: Der Klangstuhl ist ein mit in Quintstimmung gestimmten Saiten bespannter halbrunder Holzstuhl, in den sich der Patient setzt. (Foto: Warth M et al. Mehr als nur Entspannung. Z Palliativmed 2015; 16: 217–223)

Für den Patienten findet durch diese Klangerfahrung eine Defokussierung von seinem Leid hin zu einer Fokussierung auf etwas Neues statt. Das Neue ist die Erfahrung, dass er sich auf etwas nicht steuer- oder planbares in Form der Klänge einlassen und darin zu einer Entspannung finden kann. Trotz des rezeptiven Charakters des Angebotes fühlt er sich über das Spüren der Schwingung am Geschehen beteiligt. Die Befürchtung, dass fehlende Aktivität Passivität bedeutet, wird für ihn nicht bestätigt. Er kann sich in einem entspannten Modus wohlfühlen.

Er beschreibt in der Folgestunde, dass ihn der Klang den ganzen Tag durch wie ein guter Puffer begleitet habe. Diese neue Erfahrung hat ihn sehr überrascht und sein bisheriges Selbstbild in einer guten Weise irritiert. Er hat Anteile in sich wiederentdeckt, die entspannt, ruhig und gelassen sein können. Im Verlauf berichtet er, dass er seinen Lebensalltag und seine Gedanken über die Zukunft jetzt vielmehr aus dieser Haltung heraus gestalten kann.


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Fazit

Die Musiktherapie ist innerhalb dieser 2 Jahre zu einem festen Bestandteil in der Psychoonkologischen Ambulanz geworden. Sie erweitert das Behandlungsspektrum und wird von den Patienten nachgefragt und angenommen. Durch eine evaluierende Begleitung dieser Implementierung wurde der Prozess unterstützt. Es wurden erste Erkenntnisse über die musiktherapeutisch behandelten Patienten gewonnen.

Das Forschungsteam wird sich zukünftig weiter mit Fragen der Integration befassen und genauer untersuchen, wie die Musiktherapie für Patienten in der Auseinandersetzung mit ihrer Erkrankung hilfreich sein kann. Erhofft werden auch weitere Erkenntnisse über eine spezifische Indikationsstellung für Musiktherapie im Kontext der ambulanten psychoonkologischen Behandlung.


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