Sprache · Stimme · Gehör 2017; 41(03): 154-159
DOI: 10.1055/s-0042-114842
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Phonemdiskrimination und Lese-Rechtschreibleistung unter logopädischer Therapie

The Influence of Speech and Language Therapy on the Development of Phoneme Discrimination and Dyslexia
Monika Brunner
HNO Univ. Klinik Heidelberg, Pädaudiologie
,
Ece Kizilkaya
,
Peter K. Plinkert
› Institutsangaben
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
30. Juni 2017 (online)

Preview

Zusammenfassung

Hintergrund Die Effekte von logopädischen Therapien zu auditiven Verarbeitungsstörungen (AVS) und Lese-Rechtschreibstörung (LRS) sind umstritten. Es wurde untersucht, wie sich die Phonemdiskrimination und die Lese-Rechtschreibleistung unter Sprachtherapie und Training der auditiven Diskrimination mit Graphembezug verbesserte.

Methodik Von 124 Kindern (MW 8,6 Jahre) wurden Testwerte zur Phonemdiskrimination (HLAD), Rechtschreibung (DRT/HSP) und zum Lesen (ELFE) über ein lineares Regressionsmodell berechnet. Als Einflussfaktoren wurden vorangegangene Sprachentwicklungsstörungen, auditives Kurzzeitgedächtnis (ZFG), IQ, Konzentrationsauffälligkeit, familiäre Prädisposition und das Geschlecht aufgenommen.

Ergebnisse Die Kinder, die zu Beginn in den standardisierten Tests unter Prozentrang ≤ 25 lagen, verbesserten ihre Leistungen signifikant. Dennoch blieb der mittlere Prozentrang nach mindestens 40 Therapieeinheiten weiterhin im pädagogisch auffälligen Bereich (PR ≤ 25). Das Geschlecht und ZFG hatten einen signifikanten Einfluss.

Diskussion Die Ergebnisse zeigen einerseits, dass eine signifikante Verbesserung nach mindestens 40 Therapieeinheiten nachweisbar ist, machen aber auch die Grenzen der Veränderbarkeit deutlich: Über das untere Leistungsviertel kommen die Kinder nicht hinaus. Dies hat entscheidende Folgen für die Beratung der Eltern, Kinder und Therapeuten.

Abstract

Background Clinical observations on the effects of speech and language therapy for children with auditory disfunction and/or dyslexia are contradictory. The aim of this study was to evaluate if the phoneme discrimination, reading and writing skills of these children are improved under speech and language therapy of at least 40 therapy units.

Methods A group of 124 children (average age 8,6 years), who were diagnosed with auditory processing disorder or dyslexia, undergoing speech and language therapy, were examined with the tests HLAD, ELFE and DRT in order to document their skills in phoneme discrimination, reading and writing. As influencing factors we examined speech development disorders, auditory memory, IQ, concentration disorders, familial predisposition and gender.

Results Children starting with test scores below 25 % improved their skills significantly. Nevertheless the average percentile rank remained by the lower quarter of the age group after at least 40 units of speech and language therapy. The gender and auditory memory span showed a significant influence.

Discussion The results show on the one hand, that a significant improvement after 40 units of therapy is detectable, but also highlight the limits of therapeutic effect: the children do not exceed the lower quarter of the age group with their performances. This has important consequences for the counseling of parents, children and therapists.

Fazit

In dieser Studie wurde gezeigt, dass Kinder mit einer Phonemdiskriminations- und/oder Lese-/Rechtschreibschwäche (Ausgangswert PR ≤ 25) nach mindestens 40 Therapieeinheiten ihre Leistungen in allen Bereichen signifikant verbessern. Trotz dieser Leistungszuwächse liegen die Werte von Phonemdiskrimination, Lesen und Rechtschreiben weiterhin im unteren Viertel der Altersnorm, und somit im pädagogisch auffälligen Bereich.

Die Ergebnisse ermöglichen eine differenzierte Sichtweise zur Beeinflussbarkeit von Lese-Rechtschreib- und auditiver Verarbeitungsstörung. Sie zeigen einerseits, dass durchaus eine signifikante Verbesserung nachweisbar ist, machen aber auch die Grenzen der Veränderbarkeit deutlich: Über das untere Leistungsviertel im Vergleich mit der Normpopulation kommen die Kinder im Durchschnitt nicht hinaus. Dies hat entscheidende Folgen für die Beratung der Eltern, der Kinder und der Therapeuten. Hier sollte verdeutlicht werden, dass mit Erfolgen zu rechnen ist, aber eine komplette Remediation nicht zu erwarten ist. Der hohe Grad an Geduld und Anstrengung, die die Kinder über viele Jahre aufbringen müssen, ist wertzuschätzen und unrealistische Ansprüche sind zu vermeiden.