Bei Patienten, die sich nach einer Schädigung von Gehirn, Rückenmark oder / und peripheren Nerven einer Rehabilitationsbehandlung
unterziehen, sind Gleichgewichtsstörungen und Schwindel häufig angegebene Beschwerden. Eine systematische Analyse der Defizite aus der
Krankengeschichte und dem Untersuchungsbefund erfolgt nicht regelhaft, ist aber notwendig, um „Schwindel“ als allgemeinen Ausdruck des
Unwohlseins und der Unsicherheit von umschriebenen Funktionsstörungen der an der Gleichgewichtserhaltung beteiligten Systeme zu
unterscheiden. Da die korrekte Aufklärung des Patienten über die Ursachen seiner Beschwerden und die Einordnung in den Kontext des
neurologischen Krankheitsbilds häufig genug ein wesentlicher und wirksamer Teil der Therapie ist, lohnt sich die Beschäftigung mit dem
Symptomkomplex „Schwindel und Gleichgewicht“ für alle in der Neurorehabilitation tätigen Ärzte und Therapeuten. In dem vorliegenden
Artikel wird das diagnostische Gerüst für die Beurteilung von Schwindel und Gleichgewichtsstörungen dargestellt, bevor auf die
Therapie einiger häufiger Formen eingegangen wird. [Abb. 1] zeigt schematisch die Funktionsbereiche, die
für die Gleichgewichtserhaltung relevant sind.
Abb. 1 Wichtige Funktionsbereiche für das Gleichgewicht. Für die sichere Gleichgewichtserhaltung sind nicht nur
ungestörte Funktionen der visuellen, vestibulären und somatosensorischen Systeme, sondern auch eine ausreichende körperliche
Leistungsfähigkeit (gestört z. B. nach und bei Bettlägerigkeit, Infekten, Begleiterkrankungen), symmetrische muskuloskelettale
Funktionen (gestört z. B. bei Hemiparese) und eine adäquate kognitive Kontrolle der Körperhaltung (gestört bei Angst und
ausgedehnter Hirnschädigung) erforderlich. An der Gleichgewichtserhaltung ist außerdem die Vertikalenwahrnehmung über zentrale
Strukturen (u. a. Frontallappen, Thalamus, Kleinhirn) und die periphere Propriozeption beteiligt. (Abb.: Thieme Verlagsgruppe)
Anamnese und Untersuchung
In der Anamnese von Schwindelpatienten hat es sich bewährt, insbesondere die folgenden vier Aspekte, die man sich in einem
A-B-C-D-Schema gut merken kann, durch gezielte Nachfragen zu klären.
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A – Art des Schwindels (Drehen, Schwanken, Benommenheit)
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B – Begleitsymptome (Neurologie, Ohrsymptome, Psyche)
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C – Co-Faktoren (Auslöser und Modulatoren)
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D – Dauer (Attacken vs. Dauerschwindel)
Art des Schwindels Echter Drehschwindel deutet in der Regel auf eine vestibuläre Funktionsstörung hin. Bei Schwanken und
Benommenheit müssen neurologische Defizite im Untersuchungsbefund identifiziert und als Ursache von funktionellen (z.B.
psychosomatischen) Beschwerden abgegrenzt werden.
Begleitsymptome Dabei helfen Begleitsymptome wie fokale neurologische Defizite, Hörstörung, Ohrdruck, Tinnitus oder psychische
Symptome wie Angst und Affektstörung. Bei manchen Erkrankungen sind die Schwindelauslöser pathognomonisch (z. B. Kopflageänderung beim
gutartigen Lagerungsschwindel). Sehr hilfreich für die differenzialdiagnostische Eingrenzung ist die Eruierung der minimalen und
maximalen Dauer von Schwindelepisoden ([Tab. 1]).
Tab. 1
Häufige Ursachen für Schwindel gegliedert nach der Beschwerdedauer. Die Differenzierung zwischen den angegebenen
Differenzialdiagnosen gelingt oft durch die weitere Anamnese und den klinischen Befund.
Dauer
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DD vestibulär
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DD nicht vestibulär
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Sekunden bis Minuten
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gutartiger Lagerungsschwindel Vestibularisparoxysmie Perilymphfistel phobischer Schwindel
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orthostatischer Schwindel kardialer Schwindel (bei Herzrhythmusstörungen)
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Minuten bis Stunden
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vestibuläre Migräne Morbus Menière episodische Ataxie Typ II transitorisch ischämische Attacke (monophasisch)
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Medikamente (z. B. Hypotension oder Sedierung)
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Tage bis Wochen
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akute einseitige Vestibulopathie (Neuritis vestibularis) vestibulärer Schlaganfall
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Hypovolumänie systemischer Infekt Medikamente
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Dauerbeschwerden (ggf. fluktuierend)
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bilaterale Vestibulopathie Hirnstamm- oder Kleinhirnsyndrom funktioneller Schwindel (z.B. phobischer
Schwankschwindel)
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Neurodegeneration (Parkinson-Syndrome, zerebelläre Ataxie) Polyneuropathie oder Visusminderung
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Untersuchung und Testung Die peripher vestibuläre Funktion kann am besten mit dem Kopfimpulstest erfasst werden [15]. Für die Beurteilung der zentral vestibulären Funktion ist die Untersuchung der Okulomotorik
entscheidend. Die Stand- und Gangtestung sollte immer auch unter erschwerten Bedingungen, das heißt mit verminderter Standfläche
(Tandemstand), reduziertem sensorischem Eingang (Augen zu) und erhöhten kognitiven Anforderungen (Dual Task) erfolgen. Zur klinischen
Untersuchung von Schwindel und Gangunsicherheit gehört immer auch die Evaluation sensorischer Defizite (visuell, vestibulär,
somatosensibel).
Sehr hilfreich zur Beurteilung der Sturzgefahr ist die Testung der Stellreflexe im Pull-Test. Der Test existiert in zahlreichen
Varianten. Am häufigsten wird der Patient vom hinter ihm stehenden Untersucher plötzlich und kurz an den Schultern nach hinten
gezogen. Dem Patienten wird der Test angekündigt, er hat die Augen offen, die Füße in bequemem Abstand auf dem Boden. Es wird
beurteilt, ob der Patient auf diesen Störreiz adäquat mit einer raschen Standkorrektur oder / und einem Ausfallschritt reagiert [10].
Zur Testung der kognitiven Reserve sind Dual-Task-Aufgaben sinnvoll (z. B. rückwärts rechnen, Wörter einer Kategorie aufzählen).
Ein typisches klinisches Zeichen für die störende Interaktion von Gleichgewicht und Kognition ist das Stehenbleiben beim Reden („stops
walking while talking“, [16]), das auch als klinischer Test eingesetzt werden kann [17]. Typisch ist die Gangverschlechterung unter Dual-Task-Anforderungen für Gangstörungen mit kortikaler
und subkortikaler Hirnbeteiligung (z. B. degenerative Demenzen, vaskuläre Gangstörungen), aber auch beim Parkinson-Syndrom. Die
Patienten zeigen oft eine paradoxe Umkehr der eigentlich physiologischen „Posture first“-Strategie und unterbrechen den Gang für die
Ausübung des Dual Task. Bei Patienten mit psychogener Gangstörung kommt es eher zu einer Verbesserung bei Ablenkung unter Dual
Task.
Diagnosespektrum bei Schwindel und Gleichgewichtsstörungen
[Abb. 2] zeigt das Diagnosespektrum von Patienten mit dem Leitsymptom Schwindel in einer Spezialambulanz
und in der Notfallsituation:
-
Der gutartige Lagerungsschwindel ist über alle Altersgruppen und in allen Konstellationen (Spezialambulanz,
Allgemeinbevölkerung, Notfälle) die häufigste Diagnose und führt zu heftigen Drehschwindelattacken bei Kopfbewegungen im
Verhältnis zur Schwerkraft.
-
Sensorische Defizite (bilaterale Vestibulopathie, Polyneuropathie, Visusminderung) und zentraler Schwindel (z. B.
zerebelläre Ataxie) führen zu Beschwerden vor allem bei Bewegung (beim Gehen), die dann regelmäßig und anhaltend bestehen.
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Funktioneller Schwindel (phobischer Schwankschwindel und andere Formen) verursacht oft Beschwerden auch in Ruhe und
darüber hinaus in bestimmten Situationen, wie in engen Räumen und in Menschenmengen.
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Das akute vestibuläre Syndrom mit Bildverwacklungen (Oszillopsien), Fallneigung, Übelkeit und Erbrechen tritt bei akutem
einseitigem Funktionsdefizit der vestibulären Strukturen peripher als Neuritis vestibularis oder zentral als vestibulärer
Schlaganfall auf.
Abb. 2 Diagnosespektrum bei Schwindel. Links ist die Verteilung bei den Patienten einer Spezialambulanz
(Schwindelzentrum München, 1 Jahr, n = 2250) und rechts die Verteilung in der Notaufnahme (Universität München, 1 Jahr, n =
997) dargestellt. Die häufigste Diagnose ist mit etwa 20 % in beiden Kohorten der gutartige Lagerungsschwindel (BPPV). Andere,
nicht vestibuläre Formen und unklare Syndrome sind in der Notfallsituation häufiger als in der Spezialambulanz.Abkürzungen: BPPV – benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel; BVF – bilaterale Vestibulopathie; CV – zentraler Schwindel; MM –
Morbus Menière; PF – Perilymphfistel; PPV – Phobischer Schwankschwindel; UVF – unilaterale Vestibulopathie; VM – vestibuläre
Migräne; VP – Vestibularisparoxysmie. (Abb.: Thieme Verlagsgruppe)
Häufigkeit Schwindel ist ein sehr häufiges Leitsymptom, mit dem sich Patienten beim Arzt vorstellen; nicht nur in der Neurologie
und Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, sondern auch in der Kardiologie, der Geriatrie, der Psychiatrie und Psychosomatik, der Orthopädie etc.
Entsprechend kommen die meisten Syndrome auch bei Rehabilitationspatienten vor. Schwindel kann hier direkte Folge des neurologischen
Krankheitsbilds oder Symptom einer Begleiterkrankung sein. Bei Patienten > 75 Jahre ist Schwindel das häufigste Leitsymptom
überhaupt [7]. Die 1-Jahres-Prävalenz für signifikanten Schwindel (Arztbesuch, Einschränkung der
Alltagsaktivität) liegt bei > 60-Jährigen bei 20 %, bei > 70-Jährigen bei 30 % und bei > 80-Jährigen bei 50 % [11].
Schwindel und Stürze Im Rahmen der bevölkerungsbasierten Kohortenstudie KORA-Age im Raum Augsburg wurde Schwindel als
wesentlicher Faktor für die Beeinträchtigung und reduzierte Teilhabe identifiziert [18], [19]. Ein wichtiger quantifizierbarer Parameter im Zusammenhang mit Schwindel und Gleichgewichtsstörungen
ist die Sturzfrequenz. Stürze werden durch neurologische Defizite nach Schlaganfall und anderen Hirnschädigungen begünstigt. Häufig
nimmt die Mobilität nach einem Sturz allein durch die Angst vor erneuten Stürzen weiter ab [12]. Die
direkten Sturzfolgen sind in Europa für > 1 % der Kosten im Gesundheitssystem verantwortlich [1]. Zu
den wichtigsten Risikofaktoren für Stürze im Alter zählen wiederum Schwindelbeschwerden und Gangstörungen [28]. Im folgenden Kapitel werden einige Formen vorgestellt, die speziell in der Neurorehabilitation häufig oder relevant
sind.
Schwindel und Gleichgewichtsstörungen bei nicht mobilen Patienten
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV)
Die freie Bewegung von Otokonien in den Bogengängen der Vestibularorgane im Innenohr tritt im Zusammenhang mit der
Rehabilitation einerseits gehäuft nach Schädel-Hirn-Trauma, andererseits allgemein häufiger bei Bettlägerigkeit auf [10]. Wegweisend für die Diagnose ist die typische Anamnese mit durch Kopflageänderung ausgelösten
kurzen Drehschwindelattacken, die von Übelkeit und Erbrechen begleitet sein können. Typische Auslöser sind das Umdrehen oder
Umlagern im Bett, das Kopf-in-den-Nacken-Legen (z. B. um nach oben zu schauen) oder das Kopf-nach-vorne-Neigen (z. B. am
Waschbecken).
Die diagnostischen Manöver für den hinteren (z. B. Dix-Hallpike) und horizontalen Bogengang (Kopfdrehung zur Seite aus der
Rückenlage) sollten bei der Angabe von Schwindel – insbesondere auch bei bettlägerigen Patienten – immer durchgeführt werden,
weil sich die Erkrankung in dieser Situation atypisch präsentieren kann [10]. Im positiven Fall
kommt es zu einem mit Latenz von wenigen Sekunden einsetzenden Crescendo-Decrescendo-Nystagmus, der typischerweise unter einer
Minute andauert. Je nach betroffenem Bogengang ist die Schlagrichtung vertikal zur Stirn mit Torsion zum unten liegenden Ohr
(hinterer Bogengang) oder rein horizontal (horizontaler Bogengang). Der hintere Bogengang ist bevorzugt betroffen (ca.
90 %).
Die Therapie erfolgt mit spezifischen Befreiungsmanövern, deren Wirksamkeit in kontrollierten Studien gut belegt ist. Die
Anleitungen für die spezifischen Therapiemanöver für die einzelnen Bogengänge sind vielfach verfügbar und finden sich unter
anderem in den aktuellen Leitlinien (z. B. unter www.dgn.org).
Orthostase, Retropulsion und Lateropulsion bei der Mobilisation
Die Störung der posturalen Kontrolle, z. B. nach Schlaganfall, verzögert in vielen Fällen den Rehabilitationsverlauf und ist
vermehrt mit Stürzen assoziiert [2], [3]. Bei der Mobilisation
treten einerseits Blutdruckregulationsstörungen auf, die als Schwindel beschrieben werden [10].
Andererseits spielt die Wahrnehmung der Vertikalität eine Rolle bei der Fähigkeit, aufrecht zu stehen [20].
Spezifische Syndrome wie das Pusher-Syndrom in der Frontal- und Sagittalebene verhindern das Aufstehen. In diesen Fällen führt
längere Immobilisation womöglich durch weitere Verschiebung der subjektiven Wahrnehmung der Körpervertikale nach hinten zu
zusätzlichen Störungen bei der Körperbalance [24].
In der Tat kann nach Schlaganfall sowohl die gestörte Vertikalenwahrnehmung als auch die gestörte posturale Kontrolle oder die
Kombination die Mobilisierung verhindern [13]. Vestibuläre Störungen können ebenfalls zu einer
Fallneigung führen, die beim Schlaganfall in der Regel im Rahmen einer sogenannten „Ocular-Tilt-Reaktion“ besteht [6]. Die Differenzierung ist durch Untersuchung am Krankenbett mit Testung des vestibulookulären
Reflexes (peripher-vestibuläre Funktion) und der Okulomotorik (zentral-vestibuläre Funktion) möglich [15]. Für die Therapie ist diese Differenzierung wichtig, da sich vestibuläre Defizite meist wesentlich rascher
bessern als supratentorielle Störungen der Vertikalenwahrnehmung beim Pusher-Syndrom [3].
Schwindel und Gleichgewichtsstörungen vorwiegend beim Gehen
Bilaterale / unilaterale Vestibulopathie
Bei einer beidseitigen Funktionsstörung der peripher vestibulären Funktion besteht ein bewegungsabhängiger Schwankschwindel mit
Verstärkung der Symptomatik im Dunkeln und auf unebenem Grund [4], [30]. Das heißt, dass diese Patienten keine Beschwerden in körperlicher Ruhe haben, aber sehr unsicher werden,
sobald sie unter unzureichender sensorischer Kontrolle gehen (z. B. mit geschlossenen Augen). Ein Teil der Patienten leidet
außerdem unter Bildverwacklungen bei Kopfbewegungen (Oszillopsien), die durch die Funktionsstörung des vestibulookulären
Reflexes (VOR) entstehen.
In ca. 50 % der Fälle findet man bei Diagnosestellung keine spezifische Ursache [30]. Wenn eine
Ätiologie nachweisbar ist, so sind ototoxische Medikamente (Aminoglykoside) oder vorbestehende Innenohrerkrankungen
(beidseitiger Morbus Menière) häufig. Wichtig ist auch die Assoziation mit Polyneuropathien und Kleinhirnstörungen (cerebellar
ataxia with neuropathy and bilateral vestibular areflexia: CANVAS-Syndrom) [26].
Die bilaterale Vestibulopathie ist eine bei Patienten häufig übersehene Ursache von Schwindel und Gangunsicherheit. Dies ist
auch bei Patienten in der Rehabilitation wahrscheinlich, die primär wegen anderer Defizite behandelt werden.
Neben der typischen Anamnese ist der klinische Befund mit Nachweis des VOR-Defizits (pathologischer Kopfimpulstest mit
Einstellbewegungen der Augen bei schneller Kopfdrehung) wegweisend [10]. Die Balancestörung
wird, ähnlich wie bei anderen sensorischen Defiziten (Polyneuropathie) besonders bei geschlossenen Augen (fehlende visuelle
Kompensationsmöglichkeit) und beim langsamen Gehen (sensorische Integration) deutlich [22],
[29].
Wichtigster Baustein der Behandlung ist gezieltes Gleichgewichtstraining mit aktiver Gang- und Standschulung [8]. Ziel des vestibulären Trainings ist die Verbesserung vestibulookulärer und vestibulospinaler
Reflexe zur Haltungsregulation. Einseitige Defizite führen akut zu heftigem Drehschwindel, machen aber auf Dauer wenig
Beschwerden. In der Rehabilitation kann das einseitige Defizit in Kombination mit anderen Störungen und nach Immobilität
dekompensieren.
Zentraler Schwindel bei Kleinhirn- und Hirnstammläsionen
Zentral vestibuläre Störungen Sie entstehen durch Läsionen entlang der vestibulären Verbindungen ([Abb. 3]) von den Vestibulariskernen in der Medulla oblongata zu den okulomotorischen Kernen und
Zentren im Mittelhirn sowie im Kleinhirn, im Thalamus und im vestibulären Kortex [4]. Bei
Läsionen (nach Schlaganfall, bei hirneigenen Tumoren) resultieren daraus klar definierte Hirnstammsyndrome mit typischen
Defiziten der Okulomotorik und Haltungsregulation.
Abb. 3 Zentral vestibuläre Strukturen. Die Abbildung zeigt schematisch die Verbindung der Vestibulariskerne im
pontomedullären Hirnstamm zu den okulomotorischen Kernen für die Blickmotorik, zum Rückenmark für die
Haltungsregulation und zum Kleinhirn für die sensorische Integration und Koordination. Entsprechend finden sich bei
Läsionen unter Einschluss der Vestibuariskerne oder ihrer Afferenzen in der Regel vestibuläre Syndrome, die posturale
Defizite, Stand- und Gangstörung mit variablem Gehen und Fallneigung und eine Okulomotorikstörung mit
Spontannystagmus, vertikaler Augenfehlstellung oder weiteren zentralen Zeichen umfassen (aus [23]). (Thieme Verlagsgruppe)
Auch Patienten mit atypischen Parkinson-Syndromen (z. B. Progressive supranukleäre Blickparese, PSP) oder zerebellären
Störungen (z. B. Downbeat-Nystagmus-Syndrom) stellen sich häufig mit dem Leitsymptom Schwindel vor. Die Therapie zentraler
Schwindelformen richtet sich nach der Ursache. So können erworbene Nystagmusformen nach Schlaganfall oder nach entzündlichen
Hirnstammläsionen (z. B. erworbener Fixationspendelnystagmus mit störenden Oszillopsien) medikamentös reduziert werden (z. B.
mit Memantin oder Gabapentin) [25]. Patienten mit Kleinhirnerkrankungen profitieren von
gezielter Krankengymnastik mit Gleichgewichtstraining [27] sowie von einer symptomatischen
medikamentösen Therapie (z. B. Aminopyridine, Acetyl-DL-Leucin) [9].
Kognitive und emotionale Funktionen Auch diese sind für die Gleichgewichtserhaltung nach zentralen Läsionen wichtig.
Normalerweise läuft das Gehen automatisiert ab und erfordert wenig Aufmerksamkeit. Im Alter und nach Hirnschädigung nimmt die
Hirnkontrolle des Gehens zu und die zentrale sensorische Interaktion ist gestört [31]. In
schwierigen Situationen, die mehr Haltungskontrolle erfordern, müssen andere Aktivitäten, z. B. eine Unterhaltung,
unterbrochen werden, um die Haltungskontrolle sicherzustellen [16]. Motorisch-kognitives
Dual-Tasking (z. B. Gehen mit gleichzeitigem Lösen kognitiver Aufgaben) gibt Auskunft über die funktionellen
motorisch-kognitiven Reserven einer Person.
Angst zu stürzen Sie steht bei vielen Patienten mit Gangunsicherheit im Vordergrund (fear of falling). Im Vergleich zu
gleichaltrigen Kontrollpersonen gehen ängstliche Patienten langsamer [21]. Die Angst zu stürzen
ist mit Angststörungen und Depression assoziiert und reduziert die Lebensqualität erheblich [5].
Zunehmendes Vermeidungsverhalten reduziert das Zutrauen in die eigene Balance weiter, sodass die Symptomatik im Sinne einer
Abwärtsspirale zunimmt. Die physikalische Trainingstherapie kann die Angst zu stürzen kurzfristig reduzieren, es fehlt aber
bisher der Nachweis andauernd positiver Behandlungseffekte [14].
Schlussfolgerung
Schwindel und Gleichgewichtsstörungen gehören zu den sehr häufig angegebenen Beschwerden bei Patienten in der Rehabilitation nach
Schlaganfall und anderen neurologischen Erkrankungen. Die Differenzierung zwischen direkt mit der Schädigung zusammenhängenden
Schwindelsyndromen und anderen vestibulären und nicht vestibulären Ursachen gelingt durch die Anamnese und die klinische Untersuchung.
Diese Differenzierung ist wichtig, weil die spezifische Aufklärung und die gezielte Behandlung Voraussetzungen für die Besserung sind.
Der Verzicht darauf birgt die Gefahr, dass die Behandlung der Grunderkrankung durch Begleiterkrankungen unnötig verhindert wird. Dies
gilt sowohl für organische als auch für psychosomatische Schwindelursachen und Angst, weil auch diese Komponenten zu erheblichen
Einschränkungen führen und gut behandelt werden können.