Differenzialdiagnosen
Die Ursachendiagnostik im Rettungsdienst erfolgt in erster Linie klinisch durch Anamnese und klinischen Befund, in der Notaufnahme unter Zuhilfenahme von Labor, zerebraler Bildgebung, Liquordiagnostik und EEG (Übersicht unter [3]).
Grundsätzlich ist zu differenzieren zwischen einer primären Bewusstlosigkeit durch direkte Schädigung von Hirnstamm oder Zwischenhirn (z. B. Verschluss der A. basilaris) und einer sekundären Bewusstlosigkeit. Diese kann in einer Schädigung des Großhirns (supratentoriell) mit sekundärer Auswirkung auf den Hirnstamm bestehen (z. B. raumfordernde Stammganglienblutung) oder extrazerebrale Ursachen haben (z. B. metabolische oder toxische Hirnstammfunktionsstörung) ([Tab. 3]).
Fallbeispiel
Pupillenstörungen können viele Ursachen haben!
Eine 25-jährige, gesunde Studentin stürzte beim Freizeitsport auf den Kopf, war für 5 Minuten bewusstlos und wurde wieder wach, als der Rettungsdienst eintraf. Äußerlich waren keine Verletzungszeichen sichtbar, der Glasgow Coma Scale Score betrug 15, es fand sich aber eine rechts weitere Pupille als links. Unter dem Verdacht auf Hirndruck wurde die Patientin in die Notaufnahme gebracht, ein CT des Schädels war aber unauffällig. Bei genauem Nachfragen stellte sich heraus, dass die Pupillendifferenz bekannt war und sich auch schon auf einem Passfoto zeigte.
Fazit: Pupillenstörungen können Ausdruck eines erhöhten Hirndrucks z. B. nach einem SHT sein, gehen dann aber regelmäßig mit einer Bewusstseinsstörung einher. Pupillendifferenzen beim wachen, orientierten Patienten können auf eine neurologische Erkrankung hinweisen, aber auch vorbestehend sein (angeboren, Mydriatika bei Glaukom).
Tab. 3 Ursachen von Bewusstseinsstörungen.
Art der Bewusstseinsstörung
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Definition
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Beispiel
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1. primäre Bewusstlosigkeit
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direkte Schädigung von Hirnstamm/Zwischenhirn
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Verschluss der A. basilaris, Ponsblutung
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2. sekundäre Bewusstlosigkeit
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indirekte Schädigung von Hirnstamm/Zwischenhirn
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2a.
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zerebrale Ursachen
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zerebrale Ursachen außerhalb des Hirnstamms/Zwischenhirns
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raumfordernde Stammganglienblutung
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2b.
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extrazerebrale Ursachen
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metabolische oder toxische Hirnstammfunktionsstörung
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Alkoholintoxikation
Hypoglykämie
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Schlaganfall: Hirninfarkt, Hirnblutung, Subarachnoidalblutung
Schlaganfälle sind eine häufige Ursache von plötzlichen Bewusstseinsstörungen. Ein Schlaganfall zeigt sich klinisch durch ein akut aufgetretenes neurologisches Defizit, z. B. eine Hemiparese, und kann mit einer Bewusstseinsstörung einhergehen. Die Bewusstseinsstörung ermöglicht es aber nicht, einen Hirninfarkt von einer Hirnblutung zu unterscheiden, dies ist nur mit bildgebenden Verfahren möglich (s. [Abb. 1]).
Abb. 1 Hirninfarkt links im Bereich der A. cerebri media (a) und Stammganglienblutung links (b) im Computertomogramm des Schädels (CT): beide Erkrankungen verursachen eine rechtsseitige Hemiparese.
Cave
Beim akuten Schlaganfall kann klinisch nicht zwischen Infarkt und Blutung unterschieden werden!
Patienten mit Schlaganfall sollten umgehend in eine Klinik – möglichst mit Stroke Unit – transportiert werden, damit eine sofortige Bildgebung, i. d. R. ein CT des Schädels, durchgeführt wird. Damit lässt sich ein Hirninfarkt (80–85 % aller Schlaganfälle) sicher von einer Hirnblutung unterscheiden ([Abb. 1]). Erst dann ist eine zielgerichtete Therapie möglich. Eine zusätzliche CT-Angiografie lässt innerhalb von Minuten erkennen, ob eine der großen Hirnarterien verschlossen ist. Alternativ zum CT ist auch ein MRT mit MR-Angiografie möglich, aber zeitlich aufwendiger.
Hirninfarkt
Liegt ein Hirninfarkt vor, sind rekanalisierende Therapien möglich, die aber an enge Zeitfenster gebunden sind. Eine intravenöse Therapie mit rekombinantem Gewebeplasminogenaktivator (Thrombolyse mit rtPa) kann nur in einem Zeitfenster von 4,5 Stunden, eine interventionelle Therapie mit mechanischer Thrombektomie i. d. R. nur innerhalb von 6 Stunden nach Symptombeginn durchgeführt werden.
Merke
Beim akuten Hirninfarkt gilt: „Time is Brain“, da die Zeit für die Rekanalisation eines verschlossenen Gefäßes begrenzt ist.
Entwickelt ein Patient mit großem Hirninfarkt sekundär eine Bewusstseinsstörung, so kann ein raumfordernder Infarkt vorliegen. Dieser tritt typischerweise bei sehr großen Infarkten auf:
-
im vorderen Stromgebiet bei großem Infarkt der A. cerebri media („maligner Mediainfarkt“) ohne oder mit Beteiligung der A. cerebri anterior,
-
im hinteren Stromgebiet bei Verschluss der A. cerebelli inferior posterior.
Pathophysiologisch kommt es durch die Raumforderung zu einem Anstieg des intrakraniellen Drucks, klinisch können neben dem Leitsymptom Bewusstseinsstörung Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen auftreten. Das Hirnödem beginnt sofort, erreicht ca. 3–5 Tage nach Infarktbeginn sein Maximum und kann zum Tod durch Einklemmung führen. Bei Patienten mit raumfordernden Infarkten müssen daher engmaschige neurologische Untersuchungen und CT-Kontrollen durchgeführt werden.
Bei Nachweis eines raumfordernden Media- oder Kleinhirninfarktes mit Einklemmungsgefahr ist in vielen Fällen eine frühzeitige Trepanation mit (temporärer) Entfernung eines Kalottendeckels möglich, um eine klinische Verschlechterung zu verhindern. Beim malignen Mediainfarkt sinkt die Letalität durch die Trepanation von 80 auf 20 %. Mit der OP sollte keinesfalls gewartet werden, bis ein Patient komatös ist oder eine weite Pupille hat. Die Indikation zur Trepanation muss innerhalb von 24–48 Stunden gestellt werden.
Intrazerebrale Blutung
Intrazerebrale Blutungen sind die Ursache von 15–20 % aller Schlaganfälle. Die neurologische Symptomatik hängt wie beim Hirninfarkt von Lokalisation und Ausmaß der Blutung ab. Allerdings ist die Prognose der Blutungen wesentlich schlechter, und die Letalität nach 3 Monaten beträgt ca. 40 %. Die Indikation zur OP einer Hirnblutung ist wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt, da die Überlebensraten in der operierten und nicht operierten Untersuchungsgruppe gleich waren [4], [5]. Die meisten Neurochirurgen sehen eine Indikation bei einer großen supra- oder infratentoriellen Blutung mit Raumforderung, wenn der Patient bewusstseinsgestört, aber noch nicht komatös ist oder sich unter klinischer Beobachtung verschlechtert.
Subarachnoidalblutung
Subarachnoidalblutungen (SAB) sind Blutungen aus einem Hirnbasisaneurysma, seltener aus einem arteriovenösen Angiom, die sich im Subarachnoidalraum ausbreiten und häufig zu Bewusstseinsstörungen führen.
Merke
Charakteristisch ist die klinische Konstellation von akutem, heftigsten Kopfschmerz „wie noch nie“ und Meningismus. Bewusstseinsstörungen und weitere neurologische Auffälligkeiten können je nach Ausmaß der Blutung hinzutreten.
Die Schwere einer SAB wird nach Hunt und Hess in Stadien eingeteilt und orientiert sich am Ausmaß von Bewusstseinsstörung und neurologischen Auffälligkeiten ([Tab. 4]).
Tab. 4 Stadien der SAB nach Hunt und Hess.
Stadium
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Symptome
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1
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leichte Kopfschmerzen
leichter Meningismus
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2
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schwere Kopfschmerzen
deutlicher Meningismus
evtl. Hirnnervenausfälle
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3
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Somnolenz
leichte herdneurologische Auffälligkeiten
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4
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Sopor
ausgeprägte herdneurologische Auffälligkeiten
vegetative Symptome
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5
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Koma
Einklemmungszeichen
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Zur Diagnostik sollte ein CT mit CT-Angiografie angefertigt werden, um die SAB und ggf. ein Aneurysma zu sichern. Die sensitivste Methode zum Aneurysmanachweis ist allerdings die angiografische Darstellung aller hirnversorgenden Arterien (Panangiografie), die immer früh angestrebt werden muss. Dabei sollten Zweitaneurysmen nicht übersehen werden.
Aneurysmen werden entweder interventionell durch Coiling oder chirurgisch durch Clipping ausgeschaltet, um eine Nachblutung zu verhindern.
Kommt es nach einer SAB zu einer sekundären Bewusstseinsstörung, kommen typische Komplikationen (Nachblutung, Vasospasmus und Hydrocephalus aresorptivus) in Betracht und müssen mittels CT und CT-Angiografie ausgeschlossen werden.
Hirntrauma
Die Verdachtsdiagnose eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT) als Ursache einer Bewusstseinsstörung ist i. d. R. aus der Auffindesituation des Patienten ersichtlich. Beim SHT ist ein Bewusstseinsverlust oft mit einer Amnesie vergesellschaftet, die über die Zeit der Bewusstlosigkeit geht und retrograd, kongrad und anterograd ist: Der Verunfallte kann sich nicht erinnern
-
an die Zeit vor dem Trauma (retrograd),
-
an den Traumaablauf (kongrad) und auch nicht
-
an die Zeit danach (anterograd).
Die Dauer der Bewusstlosigkeit und der Amnesie korrelieren mit der Schwere des SHT (s. [Tab. 5]).
Tab. 5 Schweregradeinteilung des Schädel-Hirn-Traumas (SHT).
Symptom
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leichtes SHT
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mittelschweres SHT
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schweres SHT
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CCT = kraniales CT/Schädel-CT; GCS = Glasgow Coma Scale
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Bewusstlosigkeit
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bis 15 Minuten
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bis 1 Stunde
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> 1 Stunde
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Amnesie
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bis 1 Stunde
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bis 24 Stunden
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> 24 Stunden
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GCS
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13–15
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9–12
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3–8
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neurologische Ausfälle
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selten, reversibel
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selten, Prognose gut
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häufig, i. d. R. Restsymptome
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CCT
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normal
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normal oder pathologisch
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pathologisch ++
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Merke
Bei der klinischen Untersuchung wird auf sichtbare Verletzungen im Schädelbereich, Gesicht und Rücken geachtet. Blutungen aus Ohr oder Nase weisen auf eine Schädelbasisfraktur hin.
Bei Patienten nach einem SHT sollte ein CT des Kopfes und der Wirbelsäule durchgeführt werden, um Frakturen, zerebrale Kontusionsherde oder Hämatome (zerebral, subarachnoidal, subdural, epidural) zu diagnostizieren. Man sollte beachten, dass Kontusionsherde in den Stunden und Tagen nach einem SHT an Größe zunehmen („aufblühen“) können, sodass Kontrollen erforderlich sind. Je nach Lokalisation und Ausmaß der Schädigung sind eine neurochirurgische Operation und eine intensivmedizinische Überwachung erforderlich.
Meningitis und Enzephalitis
Bakterielle Meningitis
Entzündliche Erkrankungen des zentralen Nervensystems gehen regelmäßig mit Bewusstseinsstörungen einher, beginnen aber meistens mit Allgemeinsymptomen. So kommt es bei der bakteriellen Meningitis oft zu Fieber und Abgeschlagenheit, dann zu Kopfschmerzen, fakultativ zu weiteren neurologischen Auffälligkeiten mit oder ohne Bewusstseinsstörung.
Übersicht
Leitsymptome der bakteriellen Meningitis
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schwerer Kopfschmerz
-
Fieber
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Meningismus
Merke
Im Rettungsdienst sollte ein Patient mit Verdacht auf Meningitis möglichst rasch in eine Notaufnahme gebracht werden. Auch hier gilt der Satz „Time is Brain“, d. h. bereits beim Verdacht auf eine bakterielle Meningitis oder Meningoenzephalitis muss in der Notaufnahme antibiotisch behandelt werden, noch bevor CT des Schädels oder Liquorpunktion durchgeführt sind.
Liegen petechiale Blutungen an den Extremitäten vor und befindet sich der Patient im Schock, kann das auf eine Meningokokkenmeningitis mit Sepsis und ernster Prognose hinweisen. Nach sofortiger Blutentnahme und Blutkultur zum Erregernachweis erfolgen ein CT des Schädels und eine Liquorpunktion zur Diagnosesicherung. Die Ansteckungsgefahr ist für das medizinische Personal – im Unterschied zu nahen Angehörigen – nicht allzu hoch, wenn die üblichen hygienischen Kautelen eingehalten werden.
Enzephalitis
Enzephalitiden können, müssen aber nicht mit einem Meningismus einhergehen. Im Vordergrund stehen Kopfschmerzen und Fieber.
Bei der Herpes-simplex-Enzephalitis, die regelhaft den Temporallappen betrifft, treten häufig epileptische Anfälle, eine Bewusstseinsstörung bis zum Koma oder ein delirantes Syndrom mit wechselnder Unruhe und Desorientiertheit auf. Die zielgerichtete virustatische Therapie mit Aciclovir senkt die Letalität deutlich. Ansteckungsgefahr besteht nicht.
Epileptischer Anfall und Status epilepticus
Plötzliche Bewusstseinsstörungen sind ein Leitsymptom für epileptische Anfälle.
Generalisierter tonisch-klonischer Anfall
Bei einem generalisierten tonisch-klonischen Anfall tritt die Bewusstseinsstörung akut auf, der Patient versteift sich (tonische Phase), stürzt zu Boden und ist tief zyanotisch. Anschließend folgen erst feinere, im Verlauf gröbere Zuckungen im Gesicht und an den Extremitäten (klonische Phase). Durch die Kloni der Kaumuskulatur findet sich häufig ein Zungenbiss, oft auch Einnässen. Schließlich enden die Kloni, und es besteht ein Koma, aus dem der Patient langsam wieder erwacht („Terminalschlaf“).
Ein einzelner generalisierter Anfall dauert Minuten, ist selbstlimitierend und bedarf keiner medikamentösen Therapie. Wird ein epileptischer Anfall im Rettungsdienst beobachtet, sollte lediglich darauf geachtet werden, dass sich der Patient durch Sturz und Kloni keine Verletzungen zuzieht.
Die wichtigste Differenzialdiagnose ist die Synkope (kurzzeitige Ohnmacht durch globale zerebrale Minderdurchblutung, z. B. durch Blutdruckabfall oder Herzrhythmusstörungen; die Differenzialdiagnose ist in [Tab. 6] dargestellt), die im Unterschied zum generalisierten epileptischen Anfall nur wenige Sekunden (bis Minuten) dauert.
Praxistipp
Da die Beobachtung des Anfalls für die weitere Diagnostik entscheidend ist, sollte sie genau dokumentiert werden. Im Protokoll sollte nicht nur die Verdachtsdiagnose „Krampfanfall“ genannt, sondern der möglichst exakte Anfallsverlauf (Anfallssemiologie) beschrieben werden!
Tab. 6 Differenzialdiagnose Synkope – generalisierter epileptischer Anfall.
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generalisierter Anfall
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Synkope
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Prodromi
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manchmal (Aura)
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Benommenheit
Schwäche
Schwindel
Schwarzwerden vor Augen
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Bewusstseinsstörung
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perakut auftretend
mehrere Minuten lang
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subakut auftretend
oft nur wenige Sekunden lang
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Sturz
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ungebremst
steif
mit Verletzungen
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In-sich-Zusammensinken
Verletzungen seltener
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Gesichtsfarbe
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zyanotisch
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blass
evtl. Schweißausbruch
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Pupillen
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weit
lichtstarr
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nicht weit
lichtreagibel
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tonische Verkrampfung der Muskulatur
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häufig
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nein
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Kloni der Muskulatur
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häufig
nach tonischer Phase
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selten
dann kurz (konvulsive Synkope)
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Zungenbiss
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häufig
lateral
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selten
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Einnässen
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häufig
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selten
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Reorientierungsphase
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immer
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sehr selten
dann kurz
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Merke
Nach einem einzelnen Anfall sollten keine Benzodiazepine gegeben werden, da der Anfall dadurch nicht abgekürzt, die Dauer des Erwachens aber verlängert wird.
Status epilepticus
Wenn ein generalisierter epileptischer Anfall nicht spontan endet oder mehrere tonisch-klonische Anfälle auftreten, ohne dass der Patient das Bewusstsein wiedererlangt, liegt ein generalisierter Status epilepticus (Grand-Mal-Status) vor.
Praxistipp
Ein Status epilepticus ist bereits dann zu diagnostizieren und medikamentös zu behandeln, wenn ein epileptischer Anfall mehr als 5 Minuten dauert. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Rettungsdienst wegen eines epileptischen Anfalls gerufen wird und den Patienten immer noch krampfend vorfindet.
Merke
Der Status epilepticus ist lebensbedrohlich und bedarf eines Notarzteinsatzes und einer medikamentösen Therapie, da mit zunehmender Dauer die Therapierbarkeit aufgrund sich verändernder zerebraler Rezeptoren geringer wird. Dazu werden zunächst i. v. Benzodiazepine, aufgrund der längeren Halbwertszeit am besten Lorazepam in 2-mg-Dosen (bis 8 mg) gegeben.
Ist ein venöser Zugang nicht zu installieren, können Midazolam oder Lorazepam intranasal oder bukkal, alternativ auch Diazepam rektal eingesetzt werden. Kommt es dabei zur Ateminsuffizienz, ist eine Intubation erforderlich, anderenfalls kann der Patient ohne Intubation mit ärztlicher Überwachung in die Klinik gebracht werden.
Hier erfolgt die weitere medikamentöse Statustherapie mit Antiepileptika (alternativ: Phenytoin, Valproat, Levetiracetam oder Phenobarbital). Ist auch dadurch ein generalisierter, tonisch-klonischer Status epilepticus nicht innerhalb von 30–60 Minuten zu unterbrechen, liegt ein therapierefraktärer Status epilepticus vor. Der Patient muss dann intubiert, mit Midazolam, Propofol oder Thiopental in Allgemeinnarkose versetzt und auf einer Intensivstation weiterbehandelt werden [6].
Sonderform „subtle“ Status epilepticus
Als Sonderform des tonisch-klonischen Status epilepticus gilt der sogenannte „subtle“ Status epilepticus. Klinisch bestehen nach einem generalisierten Status epilepticus weiter ein tiefes Koma, aber kaum motorische Entäußerungen. Kloni können nicht mehr kontinuierlich und manchmal nur an wenigen Körperstellen (perioral, an den distalen Extremitäten) beobachtet werden, während im EEG generalisierte epileptische Aktivität ableitbar ist. In dieser Situation ist daher ein EEG zur Diagnostik unverzichtbar, um den Status epilepticus als Ursache der anhaltenden Bewusstseinsstörung überhaupt zu diagnostizieren.
Fallbeispiel
Konvulsive Synkopen können epileptische Anfälle imitieren!
Ein 58-jähriger Alkoholiker wurde unter der Verdachtsdiagnose von mehreren Entzugsanfällen in die Klinik gebracht. Er gab an, in den letzten Tagen keinen Alkohol getrunken zu haben, Anfälle waren bisher nicht bekannt.
Während der neurologischen Untersuchung, die lediglich einen grobschlägigen Haltetremor der Arme ergab, wurde der Patient mehrfach für ca. 10 Sekunden bewusstlos und bot ein feinschlägiges Zittern der Arme, anschließend war er wieder wach, sofort orientiert, ohne Zungenbiss oder Einnässen. Das EKG-Monitoring zeigte während dieser Phasen einen AV-Block III. Grades, der zu konvulsiven Synkopen geführt hatte.
Fazit
-
Alkoholiker können auch andere Erkrankungen als eine Intoxikation oder einen Entzug haben.
-
(Konvulsive) Synkopen können epileptische Anfälle imitieren und erfordern eine sorgfältige Untersuchung von Blutdruck und EKG, ggf. schon im Rettungswagen.
Metabolische Enzephalopathien
Metabolische Enzephalopathien und Intoxikationen verursachen häufig Psychosyndrome mit und ohne Bewusstseinsstörung. Die Ursachen sind vielfältig und darum manchmal schwer zu diagnostizieren.
Merke
Als Faustregel gilt, dass die psychopathologischen Veränderungen mit Bewusstseinsstörung umso ausgeprägter sind, je akuter und gravierender eine metabolische Störung auftritt.
Werden sie adäquat behandelt, können sie komplett reversibel sein (Ausnahme: Hypoxie, Hypoglykämie). Es ist wenig verwunderlich, dass metabolische Enzephalopathien bei Patienten mit zerebralen Vorschädigungen häufiger vorkommen. Die bildgebenden Verfahren, insbesondere das CT des Schädels (CCT), zeigen meistens keine wesentlichen Auffälligkeiten, der Liquor ist unauffällig. Entscheidend ist die Bestimmung der richtigen Laborparameter (Übersicht unter [7]).
Fallbeispiel
Medikamentös behandelte Depression
Eine 61-jährige Frau mit arterieller Hypertonie und langjähriger Depression wurde von ihren Angehörigen bewusstlos aufgefunden. Der Notarzt fand eine komatöse, kreislaufstabile Patientin mit normalem Blutzuckerwert, der Glasgow Coma Scale Score betrug 3, und die Pupillen waren weit und lichtstarr.
Nach Intubation wurde die Patientin sofort in die Klinik gebracht. Ein CT des Schädels und die Laborparameter waren unauffällig. Das Toxikologiescreening ergab deutlich erhöhte Serumspiegel von trizyklischen Antidepressiva. Nach mehreren Tagen wachte die Patientin auf und war neurologisch altersentsprechend. Es stellte sich heraus, dass sie im Rahmen ihrer Depression einen Suizidversuch mit den eigenen Medikamenten unternommen hatte.
Bei unklarer, schwerer Bewusstseinsstörung in der Klinik sollten folgende Werte bestimmt werden:
-
Glukose,
-
Blutgasanalyse,
-
Blutbild,
-
Elektrolyte (Na, K, Ca, Ph),
-
Leberwerte,
-
Ammoniak,
-
Nierenretentionswerte mit GFR,
-
Entzündungsmarker: CRP (besser PCT).
Darüber hinaus sollte ein Toxikologiescreening durchgeführt werden!
Merke
Im Rettungsdienst sollte bei unklaren Bewusstseinsstörungen immer nach Medikamenten (auch leeren Packungen!) gesucht werden.
Hypoxie
Bei der Hypoxie, z. B. im Rahmen eines Herz-Kreislauf-Stillstandes, kommt es sofort zum Koma mit herabgesetztem Muskeltonus und je nach Dauer weiten, lichtstarren Pupillen. Die Diagnose kann i. d. R. durch den nicht mehr nachweisbaren Kreislauf sofort gestellt werden. Ist die Reanimation erfolgreich, kann das Ausmaß einer hypoxischen Hirnschädigung und damit die Prognose bestimmt werden
-
an der Dauer des Komas,
-
am neurologischen Status (Pupillenreaktion und Motorik),
-
an der neuronenspezifischen Enolase im Serum (NSE)
-
anhand des EEGs und der evozierten Potenziale.
Merke
Besteht ein Koma nach Hypoxie mehr als 3 Tage, ist die Prognose im Allgemeinen schlecht.
Blutzucker
Blutzuckerentgleisungen sind bei Diabetikern häufig Ursache einer Bewusstseinsstörung bis zum Koma. Wichtig ist, dass bei allen komatösen Patienten – und nicht nur bei denen mit bekanntem Diabetes mellitus – sofort der Blutzucker bestimmt wird, um entweder durch Glukose 40 % oder Insulin den Spiegel zu normalisieren (s. Fallbeispiel 1). Auch eine unbehandelte Hypoglykämie kann zum dauerhaften – hypoglykämischen – Hirnschaden führen, da die Neurone des ZNS nicht lange ohne Substrat überleben können.
Merke
Bei jeder Bewusstseinsstörung muss sofort der Blutzucker bestimmt werden!
Leberinsuffizienz
Psychopathologische Symptome und Bewusstseinsstörungen sind regelhaft bei akuter und chronischer Leberinsuffizienz (fulminanter Hepatitis, Zirrhose) vorhanden und werden als hepatische Enzephalopathie bezeichnet. Ausmaß und Entwicklung der hepatischen Enzephalopathie entsprechen Ausmaß und Dynamik des Leberversagens. Die Patienten weisen häufig folgende Symptome auf:
Im Verlauf kommt es stadienhaft zu Delir und zunehmender Bewusstseinsstörung bis zum Koma. Das CCT ist unauffällig, erst der gezielte Nachweis eines erhöhten Ammoniakspiegels (NH4+) klärt die Ursache. Eine schwere hepatische Enzephalopathie kann zu Hirnödem und Einklemmung führen und sollte daher intensivmedizinisch behandelt werden.
Niereninsuffizienz
Nierenversagen führt ebenfalls regelmäßig zu neuropsychiatrischen Symptomen inklusive Bewusstseinsstörungen. Wie bei Lebererkrankungen entsprechen Ausmaß und Entwicklungsdynamik einer urämischen Enzephalopathie denjenigen des Nierenversagens. So tolerieren Patienten mit chronischer, dialysepflichtiger Niereninsuffizienz weitaus höhere Retentionsparameter als solche bei akutem Nierenversagen.
Patienten mit urämischer Enzephalopathie werden zunehmend schläfrig, delirant bis zum Koma, haben i. d. R. Zeichen einer Polyneuropathie und können epileptische Anfälle und sogar einen Meningismus aufweisen. Beim Auftreten einer Enzephalopathie bei Urämie finden sich dann ein Anstieg der harnpflichtigen Substanzen und ein Abfall der glomerulären Filtrationsrate unter 21 ml/Minute.
Elektrolytstörung
Geringe Elektrolytstörungen sind in der klinischen Praxis häufig anzutreffen und i. d. R. inapparent. Werden sie ausgeprägter, können sie aber zu erheblichen Funktionsstörungen des ZNS bis zur Bewusstseinsstörung führen. Feste Grenzwerte für das Auftreten neurologischer Störungen existieren nicht, Anhaltswerte finden sich in [Tab. 7].
Tab. 7 Differenzialdiagnose der metabolischen Enzephalopathien.
Ätiologie
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neurologische Zeichen
|
diagnostische Schritte
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CRP = C-reaktives Protein; GFR = glomeruläre Filtrationsrate; PCT = Procalcitonin
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Hypoxie
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Anamnese: Reanimation, Suizidversuch
-
Befund: herabgesetzter Muskeltonus, Myoklonien
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-
neurologischer Befund
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NSE
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SEP
-
EEG
|
hyperosmolares Koma
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-
Krampfanfälle
-
fokale Zeichen
|
-
Blutzucker (> 600 mg/dl)
-
hohe Serumosmolalität
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ketoazidotisches Koma
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-
Bewusstseinsstörungen
-
selten tiefes Koma
|
-
Ketonurie
-
Blutzucker (> 250 mg/dl)
-
pH-Wert
|
Hypoglykämie
|
|
|
hepatische Enzephalopathie
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|
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Urämie
|
-
Delir
-
Krampfanfälle
-
Myoklonien
-
Asterixis
-
Meningismus
|
|
Hyponatriämie
|
|
|
Hypernatriämie
|
|
|
Hyperkalzämie
|
-
Delir
-
Kopfschmerzen
-
Muskelschwäche
|
-
Serumkalzium
-
Serumphosphat
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Hypokalzämie
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|
|
Thiaminmangel
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-
Doppelbilder
-
Ataxie
-
mnestische Störungen
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Sepsis
|
|
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Bei Vorliegen einer Hyponatriämie als Ursache einer Bewusstseinsstörung muss gerade bei Alkoholikern darauf geachtet werden, dass der metabolische Ausgleich langsam durchgeführt wird, maximal 10 mmol/l pro 24 Stunden.
Cave
Eine zu schnelle Korrektur einer Hyponatriämie erhöht das Risiko für eine zentrale pontine Myelinolyse: Dabei kommt es durch rasche osmotische Verschiebungen 2–6 Tage nach Elektrolytausgleich zu einer demyelinisierenden Schädigung des Pons mit Hirnnervenausfällen, Tetraparese und Bewusstseinsstörung bis zum Koma.
Sepsis
Bei der Sepsis kommt es regelmäßig zu neuropsychiatrischen Symptomen als Zeichen einer septischen Enzephalopathie, Critical-Illness-Polyneuropathie und septischen Myopathie. Eine septische Enzephalopathie geht oft einher mit Delir und Bewusstseinsstörungen bis zum Koma, ist aber grundsätzlich reversibel, wenn die Sepsis erfolgreich behandelt ist.
Die Schwere der Enzephalopathie korreliert mit dem Ausmaß und der Prognose der Sepsis.
Klinisch kann die Sepsis nach internationalen Kriterien in Sepsis und septischer Schock [8] eingeteilt werden. Als Biomarker eignen sich das Blutbild und C-reaktives Protein, besser noch Procalcitonin.
Praxistipp
Als Screeningmethode für eine Sepsis eignet sich im Rettungsdienst der sogenannte Quick-Sofa, bei dem mindestens 2 von 3 Kriterien erfüllt sein müssen:
Bei Patienten mit ungeklärten Bewusstseinsstörungen sollte daher immer auch nach Zeichen einer Sepsis gefahndet werden!
Die Differenzialdiagnosen der metabolischen Enzephalopathien zeigt [Tab. 7].