Zeitschrift für Phytotherapie 2017; 38(01): 20-23
DOI: 10.1055/s-0043-101141
Forschung
© Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

HMPC-Monografien im Kontext der Weiterentwicklung und Innovation bei Phytopharmaka

Hartwig Sievers
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Publication Date:
09 May 2017 (online)

Mit der fulminanten Entwicklung von Synthesechemie und Pharmakologie im Laufe des 20. Jh.s wurden stark wirksame synthetisierte oder aus Pflanzen, Pilzen oder Bakterien isolierte Reinsubstanzen zum dominierenden Element der Pharmakotherapie in der Schulmedizin – nicht nur wegen ihrer gestalt- oder zumindest selektierbaren pharmakodynamischen Eigenschaften, sondern auch wegen ihrer besser kontrollierbaren Beschaffbarkeit und – not least! –der effektiveren und einfacheren Patentierbarkeit von Wirkstoffen.

Pflanzliche Arzneimittel – aus historischer Sicht Ursprung der Pharmakotherapie – behielten bis weit ins 20. Jh. einen prominenten und durchaus anerkannten Platz in der ärztlichen Therapie. Mit dem weitgehenden Verschwinden aus dem ärztlichen Curriculum (übrigens ein eklatanter Widerspruch zu den Beweggründen des Gesetzgebers für die Phytotherapie als Besondere Therapierichtung im AMG 1976!), spätestens aber mit dem fast vollständigen Wegfall der Erstattungsfähigkeit im Jahr 2004 und dem durch die Lebensmittelgesetzgebung der letzten 15 Jahre beförderten Erstarken pflanzlicher Nahrungsergänzungsmittel sind pflanzliche Arzneimittel heute einem starken Trend zur Trivialisierung ausgesetzt. Unter diesen Rahmenbedingungen bei gleichzeitig enorm gestiegenen und weiter steigenden regulatorischen Anforderungen und damit zunehmendem Kostendruck stellt sich die Frage, welche aussichtsreichen Ansätze es gibt, um pflanzliche Produkte in der Verkehrsform von Phytopharmaka zu erhalten und weiterzuentwickeln. Wie lassen sie sich hinsichtlich ihrer Indikationen und Anwendungsmerkmale als für Pa­tienten und Fachkreise gleichermaßen attraktive und anerkannte Produktgruppe gegenüber Nahrungsergänzungsmitteln, ergänzenden bilanzierten Diäten und Medizinprodukten abgrenzen?

Zur Weiterentwicklung oder Ausweitung von Phytopharmaka-Produkten oder Produktportfolios gibt es zahlreiche mögliche Ansätze, einige seien hier aufgezählt:

  1. Neue Produkte

    • monografiebasierte Zulassung / Registrierung (well-established use [WEU] /traditional use [TU])

    • individuell dokumentierte Zulassung /  Registrierung (WEU / TU) auf Basis bibliografischer Daten (für WEU eher theoretisch)

    • individuell dokumentierte Zulassung für ein nicht monografiekonformes Präparat auf Basis bibliografischer ­Daten sowie eigener klinischer und ggf. präklinischer Daten

    • Neuentwicklung

  2. Weiterentwicklung bestehender ­Produkte

    • Verbesserung des Primärpackmittels (z. B. längere Haltbarkeitsdauer, bessere Handhabung)

    • Verbesserung von Dosierhilfen (Handhabung, Ablesbarkeit, Reinigung)

    • Verbesserung der Rezeptur (Eliminierung problematischer Hilfsstoffe, Verbesserung der Sensorik)

    • Weiterentwicklung der Darreichungsform (z. B. Tablettengröße, -form zur Verbesserung von Convenience und Compliance)

    • Zielgruppen- oder Indikationserweiterung (erfordert in aller Regel neue klinische Daten)

Im Mittelpunkt dieses Beitrags soll an- hand konkreter Beispiele und prinzipieller Betrachtungen die Frage stehen, welche Handlungsspielräume die HMPC-Monografien in Verbindung mit den Richtlinien 2001 / 83 / EG und 2004 / 24 / EG dabei bieten, respektive welche davon – basierend auf den Monografien – für die überwiegend mittelständisch geprägte Phyto-Branche erschließbar sind.

 
  • Literatur

  • 1 Agence du Médicament . Médicaments à base de plantes. Les Cahiers de L’Agence. Paris: Agence du Médicament; 1998
  • 2 Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) Overview of assessment work – Priority list, EMA/HMPC/278067/2006, 30 September 2016
  • 3 Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) Guideline on the assessment of clinical safety and efficacy in the preparation of ­European Union herbal monographs for well-established and traditional herbal medicinal products. EMA/HMPC/104613/2005 Rev. 1, 12 July 2016