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DOI: 10.1055/s-0043-102481
Antibiotikaprophylaxe bei vesiko-ureteralem Reflux: Studien kaum vergleichbar
Publication History
Publication Date:
14 June 2017 (online)
Das Vorgehen bei vesiko-ureteralem Reflux bei Kindern wird weiterhin kontrovers diskutiert, u. a. auch der Sinn oder Unsinn einer Langzeit-Antibiotikaprophylaxe: Diese soll rezidivierende Harnwegsinfekte und letztlich Nierenschäden verhindern, aber entsprechende Studien sind sich nicht einig, ob sie dieses Ziel auch erreicht. Urologen aus Buffalo haben eine mögliche Erklärung für diese Widersprüche gefunden.
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Greenfield et al. haben sich dazu insgesamt 18 zwischen 1974 und 2013 veröffentlichte Studien angesehen. Alle Arbeiten betreffen den vesiko-ureteralen Reflux (VUR) im Kindesalter und schlossen mindestens eine Gruppe mit antibakterieller Langzeitprophylaxe ein. Zwei Auswertungen waren retrospektiv erfolgt, 16 prospektiv. Bei ihrer jetzigen Untersuchung fanden die Mediziner deutliche Unterschiede in vielen relevanten Punkten, etwa bei den demografischen Daten:
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So lag der Anteil von Jungen in der Studienpopulationen zwischen 0 und 79 %, und
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die Altersgrenze für einen Einschluss in die Studie lag zwischen 3 und 18 Jahren
Auch klinische Charakteristika variierten: Das galt z. B. für
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den Grad des VUR bei den eingeschlossenen Kindern (von maximal Grad III bis sämtliche Schweregrade),
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die Definition von Harnwegsinfekten (rein symptomatisch bis Nachweis einer definierten Zahl Kolonie-bildender Einheiten im Urin) und
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die Methode der Uringewinnung zur Infektionsdiagnostik (einige Studien erlaubten Beutelurin, andere nur Katheterurin)
Auch die Diagnose von Nierenschäden war unterschiedlich:
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In 11 Studien erfolgte eine nuklearmedizinische Untersuchung
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in 5 eine intravenöse Pyelografie
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in 1 eine Nierensonografie, und
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1 Studie beurteilte den Ausgangszustand der Nieren überhaupt nicht
Die zur Prophylaxe verwendeten Antibiotika umfassten vor allem Cotrimoxazol und Nitrofurantoin, wurden aber in 7 Arbeiten nicht genannt. Die Compliance mit der Medikamenteneinnahme prüften nur 6 Studien. In 1 Studie ohne eine solche Prüfung fiel z. B. auf, dass 25 % der Kinder unter (angeblicher) Prophylaxe mit Cotrimoxazol Harnwegsinfekte mit gegenüber Cotrimoxazol empfindlichen Erregern entwickelten – in diesem Fall liegt eine Nicht-Einnahme des Medikaments nahe.
Und schließlich unterschieden sich die beurteilten Ergebnisparameter (rezidivierende Harnwegsinfekte, renale Narbenbildung, Rückbildung des Refluxes) und die Nachbeobachtungszeiten (< 2 Jahre bis > 5 Jahre).
Die untersuchten Studien zur Prophylaxe bei VUR im Kindesalter unterscheiden sich in so vielen Punkten, dass eine vernünftige allgemeine Schlussfolgerung unmöglich ist, meinen die Autoren. Der Kliniker werde immer noch alleingelassen, wenn er bei einem individuellen Patienten entscheiden soll, ob dieses Kind von einer Antibiotikaprophylaxe profitieren wird oder nicht. Leitlinien, die auf der Metaanalyse solcher Studien beruhen, sollten mit Vorsicht betrachtet werden, schließen Greenfield et al.
Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim
Die Ergebnisse prospektiver Studien aus den letzten 10 Jahren zur Effektivität einer antibakteriellen Prophylaxe von Harnwegsinfektionen (HWI) bei Kindern mit und ohne VUR kamen zu überraschend unterschiedlichen Ergebnissen. In mehreren Meta-Analysen wurde daraufhin versucht, aus der Fülle der teils widersprüchlichen Daten eine zusammenfassende Aussage zu erarbeiten [1 – 5].
Greenfield et al. machen in ihrem Beitrag auf die Gefahren einer unkritischen Summation von Studien zur antibakteriellen Prophylaxe mit naturgemäß unterschiedlichen Populationen, unterschiedlichem Studiendesign und verschiedenen Ausgangsvoraussetzungen aufmerksam. Sie beziehen in die Betrachtung dieser Aspekte insgesamt 18 Studien aus den Jahren 1987 bis 2013 ein und stellen detailliert die teils gravierenden Unterschiede dar, welche eine aussagekräftige Meta-Analyse aus ihrer Sicht eigentlich nicht zulassen. Nun gibt es gar keine Meta-Analyse, welche die Ergebnisse der zitierten 18 Studien zusammenfasst. Offenbar sind die Autoren aktueller Meta-Analysen selbst kritisch genug mit den Daten umgegangen und haben jeweils eine strenge Selektion unter Berücksichtigung von Ein- und Ausschlusskriterien vorgenommen. Leider geht die Autorengruppe um Greenfield nicht konkret auf die letzten publizierten Meta-Analysen zur antibakteriellen Prophylaxe bei VUR ein. Zumindest zwei davon sollen hier wenigstens kurz erwähnt werden:
Eine dieser Meta-Analysen, welche die 8 aktuellsten Studien umfasste, kam zu drei wesentlichen Kernaussagen [3]:
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Die antibakterielle Infektionsprophylaxe reduzierte signifikant das Risiko rezidivierender fieberhafter bzw. symptomatischer HWI (gepoolte Odds ratio: 0,63; 95 % CI 0,42 – 0,96)
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Wenn HWI auftraten, so fanden sich in den Verumgruppen signifikant häufiger uropathogene Keime mit Resistenz gegen das verwendete Antibiotikum (gepoolte Odds ratio 8,75; 95 % CI 3,52 . 21,73).
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Die antibakterielle Infektionsprophylaxe führte nicht zu einer Reduktion der Rate neu auftretender Parenchymdefekte.
Eine weitere Meta-Analyse von 7 aktuellen Studien mit insgesamt 1593 Kindern (ca. 77 % Mädchen) prüfte den Einfluss des Refluxgrades auf den Erfolg der Prophylaxe [2]. Bei Kindern mit dilatierendem VUR betrug das Risiko eines HWI-Rezidivs unter antibakterieller Prophylaxe 20,84 %, während es ohne Prophylaxe bei 29,03 % lag. Die Number needed to treat lag bei 12,15 (p = 0008). Bei niedriggradigem VUR betrug das Risiko eines HWI-Rezidivs 12,95 % ohne und 6,44 % mit Prophylaxe. Die Number needed to treat betrug 15,36 (p = 0.002) [2]. Überraschenderweise war der Refluxgrad in dieser Meta-Analyse nicht maßgeblich für den Erfolg der antibakteriellen Prophylaxe [2].
Greenfield et al überlassen es den Lesern, die Aussagen vorhandener und zukünftiger Meta-Analysen anhand der in ihrem Beitrag aufgeführten Kriterien zu bewerten. Insofern ist die weitgehend deskriptive Auflistung von Charakteristika der von ihnen betrachteten Studien durchaus hilfreich. Eine konkrete „Analyse der Meta-Analysen“ jedoch bleiben die Autoren schuldig.
In den letzten Jahren sind die Standards für die Diagnose von HWI deutlich erhöht worden, und die Zusammenhänge zwischen VUR, HWI und Nierenparenchymschädigung werden besser verstanden. Dies hat zu einer wesentlich differenzierteren Betrachtung der Faktoren geführt, die bei der Beurteilung der Effektivität einer antibakteriellen Prophylaxe einbezogen werden müssen. Zukünftige Studien können nur von diesen Erkenntnissen profitieren.
Der Autor
Literatur
[1] Mori R, Fitzgerald A, Williams C, et al. Antibiotic prophylaxis for children at risk of developing urinary tract infection: a systematic review. Acta Paediatr 2009; 98: 1781 – 1786
[2] de Bessa J, Jr., de Carvalho Mrad FC, Mendes EF, et al. Antibiotic prophylaxis for prevention of febrile urinary tract infections in children with vesicoureteral reflux: a meta-analysis of randomized, controlled trials comparing dilated to nondilated vesicoureteral reflux. J Urol 2015; 193: 1772 – 1777
[3] Dai B, Liu Y, Jia J, Mei C. Long-term antibiotics for the prevention of recurrent urinary tract infection in children: a systematic review and meta-analysis. Arch Dis Child 2010; 95: 499 – 508
[4] Montini G, Hewitt I. Urinary tract infections: to prophylaxis or not to prophylaxis? Pediatr Nephrol 2009; 24: 1605 – 1609
[5] Wang HH, Gbadegesin RA, Foreman JW, et al. Efficacy of Antibiotic Prophylaxis in Children with Vesicoureteral Reflux: Systematic Review and Meta-Analysis. J Urol 2015
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