Schlüsselwörter
Schwangerschaftsabbruch - Fetozid - gesetzliche Vorgaben
Einleitung
In der Bundesrepublik Deutschland gab es lt. Gesundheitsberichterstattung des Bundes im Jahre 2015 bei 96 442 Schwangerschaftsabbrüchen gemäß der geltenden Beratungsregelung vor der 12. Schwangerschaftswoche (SSW), zusätzlich nach der 12. SSW (post conceptionem, p. c.) insgesamt 2795 Schwangerschaftsabbrüche, davon in der 12. bis 15. SSW 1060, in der 16. bis 18. SSW 617, in der 19. bis 22. SSW 484 und nach der 22. SSW 634 Abbrüche [1]. Ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund medizinischer Indikation ist gemäß § 218a Abs. 2 StGB auch nach der 12. SSW p. c. möglich:
(2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.
Was sich in der Praxis hinter diesen Formulierungen verbirgt, bedarf der differenzierteren Betrachtung mit Blick auf das schrittweise Prozedere:
Der Gesetzeswortlaut verlangt, dass „nach ärztlicher Erkenntnis“ die in § 218a Abs. 2 StGB beschriebenen Voraussetzungen vorliegen [2], [3]. In der Praxis geht der „ärztlichen Erkenntnis“ eine differenzierte pränatalmedizinische Diagnostik (Ultraschall, invasive und nicht invasive genetische Diagnostik) und eine Beratung der Schwangeren voraus [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10]. Erst danach kann eine Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch fallen, für dessen Vornahme es derzeit keine zeitliche Grenze bis zum Geburtstermin gibt [11], [12].
Damit wurde den behandelnden Ärzten eine Aufgabe gegeben, deren Wahrnehmung in der Praxis zu Konflikten mit den Strafverfolgungsbehörden führen kann, wenn diese in der ärztlichen Dokumentation keine hinreichende Grundlage für einen Schwangerschaftsabbruch erkennen können und weitergehende Darlegungspflichten postulieren [2]. Zugleich ist die Datengrundlage zur Praxis von Schwangerschaftsabbrüchen gem. § 218a Abs. 2 StGB in Deutschland relativ wenig detailliert, aus dem Ausland gibt es einzelne Studien und Publikationen zur Problematik des sog. Spätabbruchs [13], [14], [15], [16].
Jenseits einer Einzelfallbetrachtung konnten bei bisher 160 Schwangerschaftsabbrüchen aus medizinischer Indikation Daten erhoben werden, die unter Umständen z. B. für die Diskussion um eine zeitliche Begrenzung der Zulässigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs von Bedeutung sein können, aber auch weitere Erkenntnisse liefern.
Ziel der vorliegenden Arbeit war, neben der zuvor genannten Analyse der durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche, den Algorithmus des „Gießener Modells“ vorzustellen. Mit diesem lässt sich ein hohes Maß an Standardisierung der klinischen und administrativen Abläufe bei der Durchführung von medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen und somit nicht zuletzt Rechtssicherheit für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte erreichen.
Material und Methoden
Vom 01.05.2012 bis zum 25.07.2016 wurden in der Frauenklinik des Universitätsklinikums Gießen 160 Schwangerschaftsabbrüche gem. § 218a Abs. 2 StGB vorgenommen, d. h. bei sehr großem überregionalem Einzugsgebiet 3–4 Abbrüche pro Monat. Den Krankenunterlagen wurden folgende Daten entnommen: Alter der Schwangeren, Zahl der Schwangerschaften, Art der diagnostizierten Erkrankung des Feten, Zeitpunkt der Diagnose, medizinische und psychosoziale Beratung der Schwangeren bzw. des Paares, Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs, Art des Schwangerschaftsabbruchs, Zeitpunkt der Entbindung, Geschlecht des Feten. Die retrospektive Datenanalyse erfolgte deskriptiv. Die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs erfolgte bei einem Gestationsalter von weniger als 20 + 0 SSW p. m. als Abortinduktion mittels Prostaglandin-Zervixpriming. Bei einem Gestationsalter ab 20 + 0 SSW erfolgte vor der Geburtseinleitung der Fetozid mittels intravasaler oder intrakardialer KCl-Instillation nach vorausgegangener Analgesie mit Piritramid maternal und fetal. Die pränatale Bild- und Befunddokumentation erfolgte mit Viewpoint (GE Healthcare). Im Auftrag der Staatsanwaltschaft erfolgte post partum jeweils eine rechtsmedizinische Leichenschau mit Ausstellung des Leichenschauscheins bzw. der Todesbescheinigung, wobei rechtlich zutreffend ein nicht natürlicher Tod als Todesart anzugeben ist [17].
Ergebnisse
Demografie und Spektrum fetaler Fehlbildungen
Bei 160 Spätabbrüchen fanden sich 84 männliche und 64 weibliche Feten, bei einer Zwillingsschwangerschaft. In 12 Fällen war aufgrund des Entwicklungsstands das Geschlecht makroskopisch nicht sicher zuzuordnen. Das Alter der Schwangeren lag zwischen 19 und 47 Jahren (Mittelwert 31,6 Jahre). 61 Erstpara, 57 Zweitpara, 24 Drittpara und 18 Multipara hatten sich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden ([Tab. 1]). Zum Zeitpunkt des Schwangerschaftsabbruchs waren die erkrankten Feten in der 13.–37. SSW (Mittelwert 23,4 SSW).
Tab. 1 Anzahl und prozentuale Verteilung der Schwangerschaften und Geburten bei 160 Schwangeren mit Spätabbrüchen (Zeitraum: 01.05.2012 bis 25.07.2016) nach Gravidität und Parität.
Gravida
|
Partus
|
Anzahl
|
gesamt (%)
|
G1
|
P0
|
61
|
61 (38)
|
G2
|
P0
|
16
|
57 (36)
|
|
P1
|
41
|
|
G3
|
P0
|
2
|
25 (16)
|
|
P1
|
11
|
|
|
P2
|
12
|
|
G4
|
P0
|
0
|
6 (4)
|
|
P1
|
3
|
|
|
P2
|
2
|
|
|
P3
|
1
|
|
G5
|
P0
|
0
|
7 (4)
|
|
P1
|
3
|
|
|
P2
|
1
|
|
|
P3
|
1
|
|
|
P4
|
2
|
|
G6
|
P0
|
0
|
2 (1)
|
|
P1
|
0
|
|
|
P2
|
0
|
|
|
P3
|
2
|
|
|
P4
|
0
|
|
|
P5
|
0
|
|
G7P3; G9P4
|
|
2 (1)
|
In 60 Fällen wurden pränatal mittels Karyotypisierung Chromosomenanomalien diagnostiziert. Dies waren in 27 Fällen eine Trisomie 21, in 10 bzw. 9 Fällen eine Trisomie 13 bzw. 18, in 4 Fällen unspezifische Deletionen bzw. Translokationen, 5 Monosomien (Monosomie 18, Turner-Syndrom), in 4 Fällen andere Chromosomenstörungen und in 1 Fall eine partielle Trisomie 1q ([Tab. 2]).
Tab. 2 Anzahl und prozentuale Verteilung von Chromosomenanomalien bei 60 von 160 Feten (37,5 %).
Chromosomenanomalie
|
n = 60
|
Trisomie 13
|
10
|
Trisomie 18
|
9
|
Trisomie 21
|
27
|
partielle Trisomie
|
1
|
unspezifische Deletionen
|
4
|
Monosomien
|
5
|
andere
|
4
|
Bei den übrigen 100 erkrankten Feten waren sonografisch Anomalien verschiedener Organsysteme nachweisbar ([Tab. 3]): am häufigsten war mit 52 Feten das ZNS betroffen, u. a. mit einem Arnold-Chiari-Syndrom, z. T. in Kombination mit einer Spina bifida oder einem Hydrozephalus. Weiterhin fanden sich Feten mit Anenzephalie, Holoprosenzephalie und Mikrozephalie, einmal ein ausgeprägter Gehirngewebsverlust bei tumorösem Umbau des ZNS und Makrozephalie. 15 Feten wiesen kardiovaskuläre Erkrankungen auf: Klappenatresien, Malformationen der großen Gefäße, hypoplastisches Linksherzsyndrom und Ventrikelseptumdefekte. Drei Feten präsentierten pulmonale Anomalien entsprechend einem CHAOS (Congenital high airway obstruction syndrome), einer Lungenhypoplasie bei Anhydramnion und einer CCAML (Congenital cystic adenomatoid malformation of the lung). Daneben war der Urogenitaltrakt betroffen: als Fehlbildungen ließen sich LUTO (Lower urinary tract obstruction), Nierenagenesien und multizystische Nierendysplasien bei 16 Feten diagnostizieren. Bei 2 Feten dominierten ausgeprägte Formen der Laparoschisis mit Exenteration innerer Organe. Sieben Feten wiesen Erkrankungen des Skelettsystems auf, wie z. B. eine thanatophore Skelettdysplasie, eine Arthrogryposis multiplex congenita und eine fibulare Hemimelie. Drei Feten wiesen intrauterin Tumoren im Sinne eines Teratoms auf. Bei 1 Fetus war molekulargenetisch eine Mukoviszidose gesichert worden, 1 Fet litt an den Folgen einer frühen Plazentainsuffizienz mit fetaler Zentralisation und Oligohydramnie. In diesem Fall waren die werdenden Eltern trotz des zu erwartenden intrauterinen Fruchttods in so hohem Maße belastet, dass ein Schwangerschaftsabbruch gewünscht wurde.
Tab. 3 Betroffene Organsysteme im Falle von Organfehlbildungen bei 100 von 160 Feten (62,5 %).
betroffenes Organsystem
|
n = 100
|
ZNS
|
51
|
Herz
|
15
|
Lunge
|
3
|
Spaltbildungen
|
2
|
Urogenitaltrakt
|
16
|
Skelett
|
7
|
Neoplasien
|
3
|
Stoffwechsel
|
1
|
Plazenta
|
1
|
Zeitintervalle zwischen Diagnose und Schwangerschaftsabbruch
Zwischen der ersten Mitteilung der Diagnose an die Schwangere bzw. das betroffene Paar bis zur Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs, entweder mittels Fetozid durch KCl-Instillation (n = 118) bei einem Gestationsalter von mehr als 20 vollendeten Schwangerschaftswochen oder durch Abortinduktion mittels Prostaglandin-Priming (n = 42), sind in den Krankenunterlagen Zeitintervalle von 3 bis 101 Tagen dokumentiert, durchschnittlich vergingen 17 Tage. Das lange Intervall von 101 Tagen betraf eine Schwangere, bei deren Fetus aufgrund einer LUTO zunächst pränatale Behandlungsversuche mittels Shunteinlagen zur Harnableitung unternommen worden waren, bei einer Verschlechterung der Nierenretentionswerte und abnehmender Fruchtwassermenge dann jedoch mit einer postnatal nicht ausreichenden Nierenfunktion zu rechnen war. Die postnatal wahrscheinliche Dialysepflicht und konsekutiv notwendige Nierentransplantation war von der Schwangeren als erheblich belastend empfunden worden. Ein weiteres langes Zeitintervall lag zwischen Diagnosemitteilung und Schwangerschaftsabbruch vor bei einer Mehrlingsschwangerschaft in fortgeschrittenem Gestationsalter, hier um den Ausgang der Gesamtschwangerschaft im Falle von Komplikationen nicht zu gefährden. Zwischen Fetozid bzw. Beginn der Abortinduktion und Abort bzw. Entbindung sind Zeitintervalle von 0 bis 13 Tagen dokumentiert, durchschnittlich betrug das Zeitintervall 2,6 Tage. Die Verteilung der Entbindungstermine bei den 160 Spätabbrüchen auf die Schwangerschaftswochen zeigt [Abb. 1].
Abb. 1 Verteilung der Schwangerschaftsabbrüche, gruppiert nach Schwangerschaftswochen, zum Zeitpunkt des Abbruchs.
Beratungen und Indikationsstellung
Eine psychosoziale Beratung wurde in allen Fällen angeraten bzw. vermittelt. Lediglich 35 Mütter/Paare lehnten daraufhin eine psychosoziale Mitbetreuung ab.
Die Indikation zum Schwangerschaftsabbruch wurde in den meisten Fällen durch den betreuenden Pränatalmediziner gestellt, im Falle genetischer Aberrationen auch durch einen Facharzt für Humangenetik nach ausführlichem Beratungsgespräch. In einigen Fällen wurde eine Begutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie veranlasst. In allen Fällen wurde die Kasuistik im Rahmen der Klinikkonferenz im ärztlichen Kollegium erörtert und das Placet des Klinikdirektors der Frauenklinik eingeholt.
Nach Diagnosemitteilung schlossen sich wiederholte interdisziplinäre Beratungen der Schwangeren an, je nach fetaler Fehlbildung gemeinsam mit Neonatologie, Neuropädiatrie, Neurochirurgie, Kinderkardiologie oder Humangenetik. Mit der Diagnosemitteilung war stets auch das Angebot der psychosozialen Beratung und der psychosomatischen Mitbetreuung verbunden.
Nach erfolgtem Fetozid oder Beginn der Abortinduktion wurde gemäß getroffener Absprache aktiv vonseiten der Frauenklinik die zuständige Staatsanwaltschaft informiert.
Diskussion
Der Gesetzgeber hat die frühere embryopathische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch auch nach der 12. SSW p. c. verlassen und stellt nunmehr im Rahmen einer medizinisch-sozialen Indikation allein auf die Situation der Schwangeren ab [6], [8], [12], [18]. Dies geschah, um den Eindruck zu vermeiden, eine erwartete Behinderung des Kindes sei ein Rechtfertigungsgrund für einen Schwangerschaftsabbruch [18].
Dem für § 218a Abs. 2 StGB gewählten Gesetzeswortlaut kann durchaus mangelnde Bestimmtheit vorgeworfen werden und er gibt keine Zeitgrenze vor, bei deren Überschreiten der Schwangerschaftsabbruch unzulässig wäre. Berücksichtigt man die Vorgaben des § 218a Abs. 2 StGB, so ist eine sorgfältige Dokumentation des Prozedere sinnvoll. In Gießen hat sich das an der früher publizierten Kieler Praxis orientierte nachfolgende Vorgehen bewährt [3]:
-
Ausgangspunkt ist, dass nach vorangegangener pränataler Diagnostik (Ultraschall, pränatale genetische Diagnostik) objektive Befunde eine Erkrankung des Feten belegen. Limitierungen durch Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes, wie etwa das Verbot der pränatalen Diagnostik spätmanifestierender Erkrankungen, sind zu beachten [19], [20].
-
Über Art, Ausprägungsgrad, Prognose und therapeutische Optionen bei der Erkrankung des Feten muss die Schwangere interdisziplinär ausführlich informiert werden.
-
Die beratende Information der Schwangeren muss von qualifizierten Ärztinnen und Ärzten vorgenommen werden, die über genügend Wissen und Erfahrung verfügen, um die bei dem Feten intrauterin diagnostizierte Krankheit einschließlich Prognose und Therapiemöglichkeiten beurteilen zu können. Das bedeutet: liegt bei dem Feten eine neurologische Erkrankung vor, wird die Schwangere von einem Neuropädiater beraten, liegt eine Erkrankung des Urogenitaltrakts vor, so erfolgt die Heranziehung eines Urologen/einer Urologin usw. Die Beratung muss dem aktuellen Stand medizinischen Wissens entsprechen und kann im Einzelfall auch intrauterin durchführbare operative Maßnahmen umfassen [21], [22], [23], [24], [25].
-
Die Information und Beratung der Schwangeren wird verbunden mit dem Angebot der Vermittlung an eine psychosoziale Beratungsstelle.
-
Ist eine ausreichende (fach-)ärztliche Information der Schwangeren sowie eine psychosoziale Beratung erfolgt und hat die Schwangere sich für einen Schwangerschaftsabbruch als einzigen Ausweg aus der gegebenen Situation entschieden, so ist dennoch „nach ärztlicher Erkenntnis“ eine den Anforderungen des § 218a Abs. 2 StGB entsprechende „Gefahr“ zu erkennen und zu dokumentieren. Voraussetzung ist dabei der Nachweis, dass aufseiten der Mutter eine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung von behandlungsbedürftigem Krankheitswert bei ausbleibendem Schwangerschaftsabbruch zu erwarten ist. Dazu sollen Umstände dokumentiert werden, die es als möglich und beweisbar erscheinen lassen, dass schwerwiegende gesundheitliche Risiken für die Mutter bestehen (vgl. OLG Stuttgart, MedR. 29 [2011] 667–669).
-
Nach vorgenommenem Schwangerschaftsabbruch kommt es – unter Umständen Tage später – zu einer Entbindung bzw. Beendigung der Schwangerschaft. Ganz überwiegend wird der Fetozid mittels Kaliumchlorid-Injektion herbeigeführt, bei einem Gestationsalter von weniger als 20 vollendeten Schwangerschaftswochen kann die bloße Abortinduktion bei nicht gegebener extrauteriner Lebensfähigkeit des Feten eine Option sein [13], [14], [26]. Aufgrund des in Deutschland üblichen Ultraschallscreenings mit Fokussierung auf die sonografische Diagnostik um die 20. SSW werden einige schon im 1. Trimenon diagnostizierbare Fehlbildungen erst spät erkannt, sodass im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs ein Fetozid erfolgt. Hat der Fet ein Geburtsgewicht von mehr als 500 g, so gelten außerdem die gesetzlichen Mutterschutzregelungen. Darüber ist die Schwangere zu beraten.
-
Bei der obligatorischen Leichenschau muss angesichts der Vorgeschichte zutreffend ein nicht natürlicher Tod attestiert werden, was zur Benachrichtigung von Polizei und Staatsanwaltschaft führt, wo eine Beschlagnahme des Feten ausgesprochen und ein sog. Todesermittlungsverfahren eingeleitet wird, welches nach Prüfung mit einer Einstellung und einer Freigabe des Feten zur Bestattung endet [27]. In Gießen haben viele Schwangere bzw. Paare einer vorherigen Obduktion des Feten, in Form einer fetalpathologisch-wissenschaftlichen Sektion, zugestimmt.
-
Nach erfolgter Obduktion: Angebot der Erläuterung des fetalpathologischen Befunds und erneuter, z. B. genetischer, Beratung dann, wenn sich Konsequenzen für Folgeschwangerschaften ableiten lassen.
Vor dem Hintergrund der dargelegten Chronologie wurde seitens der Staatsanwaltschaft kritisiert, die ärztliche Dokumentation erlaube keine Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB überhaupt vorliegen würden, insbesondere müsse die Gefahr für die Schwangere festgestellt und belegt werden. Eine „formelartige“ Begründung, bei der Schwangeren läge die vom Gesetz verlangte Gefahr „nach ärztlicher Erkenntnis“ vor, reiche nicht aus. Auch standardmäßig diktierte Sätze, bei der Schwangeren sei die Gefahr einer schwerwiegenden Depression bis hin zum Suizid gegeben, werden skeptisch gesehen. Die Heranziehung psychiatrisch-psychosomatischen Sachverstands hingegen stellt die Bewertung des Einzelfalls auf eine noch breitere diagnostische Basis und untermauert die medizinische Indikation für einen von der Schwangeren ausdrücklich gewünschten Schwangerschaftsabbruch. Ansonsten hieße dies, zu verlangen, dass – auf der Grundlage des derzeit geltenden Gesetzeswortlauts – einer Schwangeren der Abbruch jedenfalls dann verweigert wird, wenn Ärzte eine „schwerwiegende Beeinträchtigung“ unter „Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren“ nicht erkennen können, die Schwangere eine solche Beeinträchtigung aber geltend macht und explizit den Abbruch wünscht. Hier ist ein nicht unerhebliches Konfliktfeld gegeben [28], [29], [30], [31], [32], [33]. In eine solche Konfliktsituation können auch konsiliarisch herangezogene Psychiater oder Psychosomatiker geraten.
Gänzlich fehl geht die Unterstellung, Schwangere seien bei schwerwiegenden Erkrankungen des Feten – womöglich in Abhängigkeit von der Art der Erkrankung – nicht tief betroffen und würden sich die Entscheidung für einen Spätabbruch leicht machen. Die Praxis zeigt das Gegenteil. Besonders weit fortgeschrittene Schwangerschaftsabbrüche, teilweise jenseits der 30. SSW, führen zu einer erheblichen Belastung im Rahmen der Entscheidungsfindung, da die Schwangeren in diesen Fällen aufgrund der späten Diagnose über einen langen Zeitraum von einer unauffälligen Schwangerschaft ausgehen konnten und nun mit Diagnosemitteilung gezwungen werden, ihre bisherigen Wünsche und Erwartungen an Geburt und Leben mit dem Kind zu revidieren. Es ist nicht zuletzt deshalb wichtig, erneut auf den herausragenden Stellenwert einer kompetenten psychosomatischen Mitbetreuung hinzuweisen, gerade auch in der längerfristigen Begleitung der Paare nach erfolgtem Schwangerschaftsabbruch und Entlassung aus der Klinik.
Die Kritik der Staatsanwaltschaft – vorrangig an der Qualität der ärztlichen Dokumentation in den Krankenunterlagen – führte schließlich zur Etablierung eines in jedem Einzelfall transparenten Vorgehens mit einer rechtsmedizinischen Leichenschau und einer rechtsmedizinischen Stellungnahme zur Vollständigkeit und Plausibilität der Dokumentation nach Sichtung der überlassenen entscheidungserheblichen Krankenunterlagen [3], [36]. Bei einer medizinischen Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch darf unter den besonderen Voraussetzungen des § 218 Abs. 2 StGB eigentlich erwartet werden, dass die ärztliche Mitwirkung als verpflichtend gesehen wird. Dennoch gilt es das ärztliche Standesrecht in Betracht zu ziehen, welches ein Weigerungsrecht bei der Mitwirkung an Schwangerschaftsabbrüchen zugesteht [34]. Eine entsprechende Vorgabe findet sich in der Musterberufsordnung für die Deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä), dort in § 14 Abs. 1 [35].
Fazit
Die Beratung Schwangerer bzw. werdender Eltern nach intrauterin jenseits der 12. Schwangerschaftswoche (p. c.) diagnostizierter schwerwiegender Erkrankung des Feten erfordert ein differenziertes und zugleich komplexes Vorgehen vor einer Entscheidung über einen sog. Spätabbruch. Dies setzt zunächst eine möglichst präzise Beratung über die Prognose der Erkrankung und eventuell gegebene therapeutische Optionen mit der Vermittlung eines psychosozialen Beratungsangebots voraus. Es kann weiterhin eine psychiatrische bzw. psychosomatisch-konsiliarische Untersuchung der Schwangeren umfassen. Die gesetzlichen Vorgaben verlangen dies zwar nicht explizit, jedoch ist eine exakte Dokumentation des Prozedere wie der Argumente für die Bejahung einer nach ärztlicher Erkenntnis vorliegenden Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation dringend anzuraten.