GGP - Fachzeitschrift für Geriatrische und Gerontologische Pflege 2017; 01(02): 54-55
DOI: 10.1055/s-0043-104622
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Krankenhauseinweisung – was nun?

Sabine Hindrichs
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Publication Date:
09 August 2017 (online)

Wäre das nicht auch für jeden von uns eine kleine Katastrophe?

Niemand begibt sich freiwillig in ein Krankenhaus. In der Regel zwingen uns gravierende medizinische Probleme dazu, uns in eine stationäre Krankenhausbehandlung zu begeben. Das Ziel einer Krankenhausbehandlung ist dabei klar definiert: der Patient soll eine medizinische Behandlung nach den modernsten Methoden und Standards erhalten, um möglichst schnell als gesund bzw. geheilt entlassen zu werden.

Jeder, der schon einmal als Patient in einem Krankenhaus war, weiß, dass mit dem Eintritt in die geschlossene Welt eines Krankenhaussystems die Selbstbestimmung, die Privatsphäre und zum Teil auch die Selbstständigkeit in den Hintergrund rücken und das Gefühl von Unsicherheit, Angst und Ausgeliefertsein Oberhand gewinnt. Dies ist eigentlich völlig normal, ist doch die gesundheitliche Situation so außer Balance, dass der Patient auf die Hilfe und Fachkenntnisse der Mitarbeiter des Krankenhauses angewiesen ist. Die persönliche Alltagsgestaltung muss dabei vom einen zum anderen Moment aufgegeben werden und die Anpassung an den Krankhausalltag ist für jeden Patienten eine enorme Belastung und Herausforderung, insbesondere auch im Bereich seiner Kognition.

Wie gravierend muss dann erst für einen kognitiv beeinträchtigten Menschen sein, in ein Krankenhaus eingewiesen zu werden, wenn er z. B. nach einem Sturzereignis aus seinem gewohnten und vertrauten Lebens- und Alltagsumfeld herausgerissen wird und in eine völlig andere Welt mit ihren gänzlich anders gestalteten medizinischen Rahmenbedingungen verbracht wird?

Und hier treffen wieder die beiden Paralleluniversen aufeinander: Im einen Universum der Akutpflege geht es um eine klar umschriebene Aufgabenstellung: die Wiederherstellung von Gesundheit. Im anderen Universum der Langzeitpflege ist die Aufgabe, der pflegebedürftigen Person die höchstmögliche selbstständige Lebensführung und Alltagsgestaltung zu ermöglichen; dabei ist Krankheit und deren medizinische Behandlung einer von vielen Aspekten und nicht die ausschließliche Aufgabenstellung.

Insbesondere bei Personen mit kognitiven Einschränkungen ist die kontinuierliche Alltagsgestaltung und die örtliche Kontinuität die oberste Zielsetzung, um Selbstständigkeit und Selbstbestimmung so lange wie möglich zu erhalten. Wird die pflegebedürftige Person aus dieser Pflege-, Betreuungs- und Lebenssituation durch ein akutes medizinisches Problem herausgerissen und in ein Krankenhaus eingewiesen, kommt zu den normalen Ängsten und Sorgen, die jeder Mensch hat, zwangsläufig der Verlust der gewohnten sicherheitsgebenden Alltagsgestaltung und damit der Verlust der Orientierung im Alltagsgeschehen und den Alltagsfähigkeiten hinzu.

Es sind die kleinen, eher unscheinbaren Dinge, die mit der Einweisung in ein Krankenhaus für das weitere Leben nach dem Krankenhaus gravierende Folgen haben können. Da ist z. B. das Krankenhausbett, das anders steht als das Bett im Zuhause der betroffenen Person. Ein Drei- oder Zweibettzimmer, in dem die Pflegebetten nur mit dem Kopfende an der Wand stehen, bedeutet, dass auf beiden Seiten die Begrenzung fehlt. Ist es die betroffene Person gewohnt, dass eine Bettseite an der Wand steht, ist alleine dieser Umstand nachgewiesenermaßen einer der häufigsten Gründe für Sturzereignisse in den ersten 24 Stunden nach Aufnahme in ein Krankenhaus. In der Langzeitpflege gehört nicht nur die Risikoeinschätzung zu den grundlegenden pflegefachlichen Kernkompetenzen und Aufgaben, sondern auch die Beratung, die Planung und die Durchführung von Präventionsmaßnahmen, um z. B. die Schlafsituation und das damit vorhandene Sturzrisiko zu minimieren.

Eine unserer größten Herausforderungen in den kommenden Jahrzehnten, mit einer immer älter werdenden Bevölkerung, wird sein, tragfähige Lösungen zu entwickeln, bei denen pflegebedürftige Personen mit körperlichen sowie mit kognitiven Einschränkungen in ihrer Lebens- und Alltagssituation so medizinisch versorgt werden, dass eine Krankenhauseinweisung in der Regel nur noch die letzte Option ist, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Setzt man seinen gesunden Menschenverstand ein, ohne an Abrechnungssystematiken und medizinisch geprägte Hierarchien zu denken, ist eine medizinische Behandlung in allen Bereichen der Langzeitpflege (ambulant, teilstationär und stationär) kein Problem. Ganz im Gegenteil, wie einfach wäre es doch, wenn der zuständige Mediziner zum Patienten kommt, seine Diagnostik und Therapie durchführt und das medizinisch-pflegerische Fachpersonal die weitere Behandlung bei der betroffenen Person in ihrer gewohnten Umgebung durchführt!

Seien wir ehrlich: Röntgenuntersuchungen und Operationen sind diagnostische und therapeutische Maßnahmen, die zugegebenermaßen in einem Akutkrankenhaus durchgeführt werden müssen, aber muss es für die weitere medizinische Behandlung zwingend ein Krankenhaus sein? Es gibt zaghafte und leider eher halbherzige Versuche und Bestrebungen, neue medizinische Versorgungssysteme zu erproben.

Ich bin der Meinung, dass wir es uns weder gesellschaftlich noch pflegefachlich auf Dauer weiter leisten können, das vorhandene Krankenhaussystem für pflegebedürftige Menschen in der jetzigen Form so weiterzuführen. Für eine adäquate und pflegefachliche medizinische Versorgung steht die Langzeitpflege schon lange bereit, warum diese Versorgungsform nicht zügig angegangen und umgesetzt wird – diese Antwort steht immer noch aus, ist aber längst überfällig.

Ihre
Sabine Hindrichs