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DOI: 10.1055/s-0043-104881
Kariesinfiltration – Update 2017
Korrespondenzadresse
Publication History
Publication Date:
08 June 2017 (online)
- Minimal-intervenierend – das Ziel
- Das Kariesmodell zur ökologischen Plaquehypothese
- Therapeutische Konsequenz: „Heal & Seal“-Konzept“
- Grundlagen der Infiltrationstechnik
- Infiltration zu Arretierung einer Karies
- Infiltration zur Maskierung
- Fazit
- Literatur
Die Technik der Kariesinfiltration wurde 2009 unter dem Handelsnamen Icon® (DMG, Hamburg) in die Zahnmedizin eingeführt. In der Zwischenzeit hat sich diese Therapie im Behandlungsspektrum der präventiv orientierten Zahnarztpraxis sowohl für das Milch- als auch das bleibende Gebiss etabliert. Auch wenn die grundsätzlichen Indikationen nach wie vor die Infiltration approximaler kariöser Läsionen mit einer röntgenologischen Ausdehnung bis maximal in das 1. Dentindrittel sowie die Infiltration ästhetisch relevanter kariöser Läsionen darstellen, konnte das Therapiespektrum auf beispielsweise die Maskierung von Fluorose erweitert werden. Dieser Übersichtsartikel soll aufbauend auf das im Thieme Verlag erschienene Lehrbuch „Karies“ [1] und den daraus entnommenen Beitrag für die Reihe Zahnmedizin up2date [2] den Stand der Technik aktualisieren.
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Schlüsselwörter
Zahnmedizin - Zähne - Karies - Kariesinfiltration - Maskierung - Hypomineralisation - FluoroseMinimal-intervenierend – das Ziel
Möglichst minimal-intervenierend zu therapieren, ist das Ziel der modernen Zahnheilkunde [3]. Hierzu sollten die Histologie sowie die Pathogenese der Karies und auch anderer Mineralisationsdefekte (z. B. Fluorose, Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation) beachtet werden und ein aktuelles Verständnis über die Faktoren, die den Kariesprozess beeinflussen, bestehen. Darüber hinaus bedarf es eines praxistauglichen Weges, relevante Erkrankungsstadien zu erkennen und zu dokumentieren, sowie einer zeitsparenden Erfassung des individuellen Kariesrisikos. Auf den hierauf basierenden Diagnosen können dem Patienten relevante Therapievorschläge unterbreitet werden, der partizipativ in die Therapieplanung einbezogen werden sollte.
Eine moderne kariologische Behandlungsphilosophie verfolgt das Ziel, Karies möglichst mit minimal-intervenierenden Maßnahmen zu therapieren.
Dass das grundsätzliche Verständnis über Karies wie auch deren Diagnostik und Therapie unterschiedlich interpretiert wird, verdeutlicht der stark variierende Zeitpunkt eines invasiven Therapieentscheids bei approximaler Karies in verschiedenen Ländern. Während in Frankreich ca. 90% aller Zahnärzte kariöse Läsionen, die radiografisch ausschließlich im Schmelz sichtbar sind, invasiv therapieren [4], sind dies in den USA 40 – 75% und in Skandinavien unter 15% [5].
Über Faktoren wie beispielsweise die Erfragung der Ernährungsgewohnheiten oder die extraorale Anzüchtbarkeit von Bakterien kann zumeist keine Information über die individuelle Progressionstendenz einer kariösen Läsion gewonnen werden. Neben der starken Reduktion des Speichels stellt allenfalls die vergangene Karieserfahrung einen einigermaßen zuverlässigen Prädiktor für neu auftretende kariöse Läsionen oder auch deren Voranschreiten dar. Deshalb bedarf es für einen möglichst minimal-intervenierenden Therapieentscheid idealerweise der Beobachtung der individuellen kariösen Läsion über einen vertretbaren Zeitraum. Gleichwohl setzt dies voraus, dass
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der Zahnarzt und in der Folge der Patient davon überzeugt sind, dass Karies einen langsam ablaufenden Prozess darstellt, der zumindest im unkavitierten Stadium angehalten werden kann,
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der Patient zu entsprechenden regelmäßigen Kontrollen kommt,
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Karies auch in frühen Stadien entdeckt und dokumentiert wird,
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bei einem Behandlerwechsel zumindest die Röntgenbilder und idealerweise die bisherigen Befunde weiterhin verfügbar bleiben.
Neben den biologischen und diagnostischen Herausforderungen spielt ebenso die Erwartungshaltung des Patienten eine große Rolle, damit ein minimal-intervenierendes Behandlungskonzept als sinnvoll erkannt wird. Oftmals wird eine invasive Kariestherapie immer noch als die „wahre“ und einzige Art der Kariesbehandlung angesehen – ein Zahnarzt, der bohrt, ist ein guter Zahnarzt, da etwas aktiv getan wird. Zudem wird dies auch meist besser honoriert als rein noninvasiv zu behandeln; also quasi nur abzuwarten und zu beobachten. Rein noninvasive und in geringerem Maße mikroinvasive (d. h. Fissurenversiegelung sowie Kariesinfiltration) Maßnahmen basieren zudem auf einer ausreichenden Adhärenz des Patienten, ein zahngesundes Verhalten zu etablieren. Gleichwohl befürchten Zahnärzte und in der Folge auch deren Patienten das rasche, unkontrollierte Voranschreiten einer initial unkavitierten Karies, was bei einer adäquaten häuslichen Mundhygiene und einigermaßen zahngesunden Ernährung allerdings nicht wahrscheinlich ist. Auch das Belassen von Mikroorganismen unterhalb der Versiegelung oder im infiltrierten Bereich, was bei der Füllungstherapie in unterschiedlichem Ausmaß schon immer akzeptiert wird, scheint bei den mikroinvasiven Verfahren oftmals ein Hemmschuh für den Behandler. Die Folge: Es wird lieber vorzeitig gebohrt, ausführlich exkaviert und gefüllt, um „Schlimmeres zu verhindern“. Dies ist zumindest bei niedrigem und mittlerem Kariesrisiko angesichts der Studienlage zur (geringen) Geschwindigkeit der Kariesprogression [6] wie auch zur wissenschaftlich dokumentierten Wirksamkeit der approximalen Kariesinfiltration allerdings bei unkavitierten Läsionen mit maximal mittlerer Ausprägung nicht mehr empfehlenswert [7].
Heutzutage geht man geht davon aus, dass der Kariesprozess aufgehalten werden kann, wenn kariesbegünstigende Faktoren reduziert werden, sei es durch noninvasive, invasive oder aber auch mikroinvasive Therapien.
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Das Kariesmodell zur ökologischen Plaquehypothese
Ein minimal-intervenierendes Behandlungskonzept erscheint nur dann sinnvoll, wenn die tradierte Vorstellung der Karies als eine quasi klassische Infektionskrankheit überdacht wird. Dieses Paradigma basierte auf der wenig zutreffenden Annahme, dass eine (exogene) Inokulation mit spezifischen Keimen (vor allem Streptococcus mutans) unweigerlich zu einer Karies führt und somit eine Besiedelung beim Kleinkind am besten verhindert werden sollte. Auch wenn bald darauf erkannt wurde, dass dies meist gar nicht möglich ist, stand für viele Jahre neben der Ernährungslenkung und Mundhygieneverbesserung, sozusagen gleichberechtigt, eine Reduktion der kariogenen Keime im Fokus der Kariesprävention. Als eine weitere Konsequenz der spezifischen Plaquehypothese wurde meist frühzeitig invasiv eingeschritten, da auch in unkavitierten Läsionen einzelne Keime vermutet wurden, die unweigerlich zu einer weiteren Kariesprogression führen könnten. Nach gleichem Verständnis wurden auch bei der Kavitätenpräparation die Zahnhartsubstanzen extensiv entfernt [8].
Das Paradigma der spezifischen Plaquehypothese resultiert in einer restaurativ ausgerichteten Behandlungsstrategie, die einen hohen DMFT-Wert zur Folge hat.
Heutzutage wird in der Wissenschaft die sogenannte ökologische Plaquehypothese favorisiert, die Karies somit als Folge der Veränderung des Gleichgewichts verschiedener (endogener) kariogener und nicht kariogener Bakterien in Abhängigkeit vom Ausmaß des Zuckerkonsums betrachtet [9].
[Abb. 1] zeigt ein aktuelles, an der ökologischen Plaquehypothese orientiertes Modell zur Ätiopathogenese der Karies [8]: Einer zuckerreichen Ernährung kommt nach dem gegenwärtigen Verständnis eine zentrale Rolle zu [10]. Diese exponierte Rolle des Zuckers ist dadurch zu begründen, dass Karies eine Erkrankung in Zivilisationen ist, in denen vermehrt (oder übermäßig viel?) Zucker konsumiert wird, was in dem weit überwiegenden Anteil der Menschheitsgeschichte nicht der Fall war. Ein übermäßig hoher Konsum an niedermolekularen Kohlenhydraten scheint daher eher unphysiologisch zu sein als die Existenz normalerweise geringer Mengen an potenziell kariogenen Keimen in der natürlichen Mikroflora. Durch die häufige Zufuhr niedermolekularer Kohlenhydrate kommt es jedoch zu einer pathologischen Veränderung der oralen Mikroflora unter Begünstigung azidogener und azidurischer Spezies [9]. Der Konsum niedermolekularer Kohlenhydrate führt auch dazu, dass potenziell kariogene Bakterien wie Streptococcus mutans im dentalen Biofilm organische Säuren produzieren, die eine Demineralisation der Zahnhartsubstanzen induzieren. Hierdurch entstehen letztlich die für Karies charakteristischen Symptome. Doch auch protektive Faktoren wirken auf den Kariesprozess ein. Sowohl die Wirtsabwehr als auch die Mundhygiene des Patienten limitieren das Wachstum und die Stoffwechselaktivität des oralen Biofilms sowie dessen Säureproduktion. Der Speichel begünstigt mit seinen puffernden Eigenschaften und seinem Mineralgehalt eine Remineralisation der Zahnhartsubstanzen. Durch eine äußere Zufuhr von Fluoriden und eventuell auch Kalziumverbindungen kann die remineralisierende Wirkung des Speichels zudem noch verstärkt werden. Die Remineralisationsprozesse lindern die klinischen Symptome. Neben diesen lokal und direkt wirkenden Faktoren sind auch andere verhaltensbedingte und sozioökonomische Faktoren mit Karies assoziiert, wie aus epidemiologischen Untersuchungen erkennbar wird [8].
Alle Bakterien sind nach der ökologischen Plaquehypothese Teil der physiologischen Flora. Nur durch den exogenen Faktor „fermentierbare Kohlenhydrate“ werden solche Bakterien (u. a. auch S. mutans) im Wachstum gefördert, die niedermolekularen Zucker in organische Säuren metabolisieren (Azidogenität) und das saure Milieu tolerieren (Azidurizität) können.


Mit Ausnahme des Konsums „niedermolekularer Kohlenhydrate“, der als pathogener Faktor angesehen wird, werden alle anderen lokalen Faktoren, die den Kariesprozess beeinflussen, als protektive Faktoren dargestellt. Die Minderung oder der Wegfall der protektiven Faktoren kann jedoch schwerwiegende Auswirkungen auf den Kariesprozess haben. So führt der Wegfall der protektiven Funktion des Speichels häufig zu extrem schnell voranschreitender Karies, obwohl andere Faktoren kaum verändert sind. Insofern sind sowohl eine Steigerung des pathogenen Faktors als auch der Wegfall oder die Minderung protektiver Faktoren als Risikofaktoren für Karies anzusehen.
Nach dem gegenwärtigen Wissen scheint die ökologische Plaquehypothese die derzeit am weitesten akzeptierte Theorie zur Ätiologie und Pathogenese der Karies zu sein. Die ökologische Plaquehypothese stellt eine Verschiebung des ökologischen Gleichgewichts in der Mundhöhle in den Vordergrund der Kariesätiologie und führt zu therapeutischen Ansätzen, die auf eine Kontrolle der verschiedenen ätiologischen Faktoren des Prozesses abzielen.
Nach unserem heutigen Verständnis ist Karies also eine durch Zuckerkonsum verursachte, aber multifaktoriell beeinflusste Erkrankung. Ob und wie schnell Karies entsteht, hängt von dem komplexen Zusammenspiel der verschiedenen beteiligten pathogenen und protektiven Faktoren ab [11]. Der dynamische Charakter des Kariesprozesses erlaubt eine Beeinflussung der Erkrankung in jedem Stadium. Ansätze zur Kariesprävention (noninvasive Therapie) zielen daher auf die Minimierung des pathogenen und die Unterstützung der protektiven Faktoren ab. Allerdings stößt man hierbei bei weit vorangeschrittenen Läsionen und vor allem bei Kavitation an biologische Grenzen, sodass nach wie vor invasive Therapien unumgänglich sind.
Nicht nur die noninvasiven, sondern auch die invasiven Therapien zur Behandlung der Karies sollten primär darauf abzielen, ein für die Mikroorganismen günstiges orales Milieu zu beseitigen und dessen erneutes Auftreten nachhaltig zu verhindern.
noninvasiv |
mikroinvasiv |
minimalinvasiv |
---|---|---|
Etablierung von Basismaßnahmen durch den Patienten (d. h. 2-mal täglich Putzen mit fluoridierter Zahnseide) |
Versiegelung von Okklusalflächen (gesund und kariös) |
pulpanah „selektive“ Kariesexkavation |
ggf. zusätzliche Anwendung risikoorientierter noninvasiver Maßnahmen (professionell oder eigenständig) |
(approximale) Kariesinfiltration |
adhäsive Füllungsreparatur minimalinvasive adhäsive Füllungstherapie |
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Therapeutische Konsequenz: „Heal & Seal“-Konzept“
Ein alleiniges restauratives Konzept, um den Kariesprozess zu behandeln, sollte demnach der Vergangenheit angehören. Vielmehr entsteht aufgrund der geringen Progressionstendenz der (approximalen) Karies [6] ein ausreichend großes Zeitfenster, um zunächst nicht- und mikroinvasive Maßnahmen anzuwenden ([Abb. 2]).


Dieses minimal-intervenierende Kariesbehandlungskonzept kann am besten mit dem Anglizismus „Heal & Seal“ umrissen werden ([Abb. 3]).


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Grundlagen der Infiltrationstechnik
Die Kariesinfiltration ergänzt seit einigen Jahren (2009) das bisherige Behandlungsspektrum bei Karies. Die ursprüngliche Idee zielte darauf hin, das bis dahin recht eingeschränkte Behandlungsspektrum approximaler kariöser Läsionen zu erweitern.
Bei der Kariesinfiltration wird die kariöse Zahnoberfläche mittels 15%iger Salzsäure konditioniert und danach die Läsion getrocknet. Sodann werden fließfähige Kunststoffe (Infiltranten) aufgetragen, die in die poröse Struktur des Läsionskörpers einer Karies eindringen. Nach der Aushärtung versiegelt der Infiltrant die Karies gewissermaßen intern, wodurch eine weitere Kariesprogression verhindert wird [12].
Dies ist prinzipiell auch an allen anderen Zahnflächen durchführbar, allerdings sollte man sich immer die Frage stellen, ob es sich um eine aktive (progrediente) und damit behandlungsbedürftige Karies handelt. Darüber hinaus kann durch Infiltration bei ästhetisch störenden „White-Spot“-Läsionen ein Maskierungseffekt erzielt werden. Zur ausführlichen Beschreibung der Grundlagen und der Entwicklung der Technik verweisen wir auf die oben genannten Übersichtsarbeiten [2].
Der Infiltrant dringt nach teilweiser Entfernung der pseudointakten Oberflächenschicht und Trocknung der Läsion, getrieben von Kapillarkräften, in den Läsionskörper ein und verhindert nach Aushärtung ein weiteres Voranschreiten einer Karies. Zudem können White-Spot-Läsionen durch Infiltration optisch maskiert werden.
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Infiltration zu Arretierung einer Karies
Diagnostik und Indikation
Die Approximalkaries kommt nach wie vor bis zu einem mittleren Erwachsenenalter am häufigsten vor im Vergleich zu anderen Lokalisationen und ist somit auch am relevantesten für eine Kariesinfiltration. [Tab. 2] gibt einen Überblick über die wichtigsten aktuellen diagnostischen Hilfsmittel sowie die diagnostischen und therapeutischen Konsequenzen.
inaktive Karies (Caries non-progressiva) |
gesund (unter Risiko) |
aktive Karies (Caries progressiva = C. p.) |
||||
---|---|---|---|---|---|---|
C. p. superficialis |
C. p. media |
C. p. profunda |
||||
* Werte schwanken stark. |
||||||
Diagnostik |
visuell-taktil |
alle ICDAS-Stadien (inaktiv) |
0 |
ICDAS 1 – 2 (aktiv) |
ICDAS 3 – 4 (aktiv) |
ICDAS 5 – 6 (aktiv) |
radiologisch |
v. a. E0, E1, E2, D1 |
0 |
E0, E1, E2, D1 |
D1, D2 |
D2, D3 |
|
DIAGNOdent |
v. a. < 50 |
< 15 |
0 – 40 |
20 – 99* |
keine Aussage |
|
Therapievorschlag (Invasivität) |
keine |
noninvasiv oder mikroinvasiv |
minimalinvasiv |
invasiv + Pulpaschutz, ggf. Endo |
Zur Indikationsstellung bedarf es grundsätzlich einer Einschätzung
-
der Ausdehnung der Karies,
-
des Vorhandenseins von klinisch relevanten Kavitationen,
-
der Wahrscheinlichkeit einer Kariesprogression anhand des individuellen und/oder lokalen Kariesrisikos.
Die Ausdehnung der Karies auf dem Röntgenbild ist zumeist geringer als die histologische und damit auch geringer als diejenige, die man nach Aufziehen der Kavität klinisch feststellt.
Bei geschlossener Zahnreihe stehen wir allerdings vor der Herausforderung, dass die Ausdehnung einer approximalen Karies nur durch eine qualitativ ausreichende Bissflügeltechnik zuverlässig beurteilt werden kann und die Kavitation mithilfe einer feinen Sonde zumindest abgeschätzt werden muss. Um die Qualität der Kariesbeurteilung auf Bissflügelröntgenaufnahmen zu erhöhen, wird die Verwendung von individualisierbaren Röntgenfilmhaltern empfohlen ([Abb. 4]).


Folgende Überlegungen führten zu der Abgrenzung des Indikationsbereichs für die approximale Kariesinfiltration:
-
Oberflächliche Läsionen können durch eine rein nichtinvasive Therapie arretiert werden.
-
Eine Kavitation kann zumindest bei geschlossener Zahnreihe nicht zuverlässig infiltriert oder gefüllt werden. Während radiologische D2-Läsionen meist kavitiert sind, ist dies bei D1-Läsionen nur zu ca. 30% der Fall.
-
Die Karies sollte nicht zu tief sein, damit diese gefahrlos weiter beobachtet werden kann. Dies ist bei einer D2-Läsion nicht mehr der Fall, selbst wenn diese unkavitiert wäre.
Somit ist es bei potenziell progredienten unkavitierten approximalen kariösen Läsionen mit einer röntgenologischen Ausdehnung in die innere Schmelzhälfte bis maximal in das 1. Dentindrittel ratsam zu infiltrieren ([Tab. 2]). Aufgrund der geringen Schmelzdicke können Läsionen an Milchzähnen auch schon bei ersten radiologischen Anzeichen infiltriert werden. Grob geschätzt sind dies durchschnittlich 5 – 8 approximale Flächen pro Mensch bis zu einem Lebensalter von 40 Jahren, die prinzipiell infiltriert werden könnten.
Radiologische Schmelzläsionen (E1 und E2) weisen klinisch nur sehr selten Kavitationen auf und somit innerhalb des Läsionskörpers nur wenige Bakterien. Erst mit Kavitation (bei D1: ca. 30% der approximalen Läsionen [14]) etabliert sich ein Biofilm innerhalb des kavitierten Schmelzbereichs, der kaum mit Zahnseide entfernbar ist.
Der Infiltrant ist nicht röntgenopak – eine röntgenologisch gesicherte Arretierung der Karies gilt als Behandlungserfolg. Hierzu sollten möglichst überlagerungsfreie Bissflügelröntgenbilder, bestenfalls unter Zuhilfenahme der in [Abb. 4] gezeigten Röntgenhalter, angefertigt werden. Um den Patienten bei einem Behandlerwechsel vor einer vorzeitigen invasiven Therapie zu bewahren, wird ein entsprechendes Behandlungsheft ausgehändigt, in dem die behandelten Zähne mit den jeweiligen röntgenologischen Ausdehnungen dokumentiert werden. Dieses Heft soll ebenso helfen, dem nachfolgenden Behandler die Anforderung der bereits vorhandenen Röntgenaufnahmen sowie ggf. des individualisierbaren Röntgenhalters beim Vorbehandler zu er leichtern.
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Anwendung
Insofern an benachbarten approximalen Flächen nur eine zu infiltrierende Karies vorliegt, empfiehlt sich die Benutzung der Folienbügelhalter. Es ist hierbei keine vorherige Separation der Zähne notwendig; die Behandlung erfolgt in einer Sitzung.
[Abb. 5] zeigt einen interessanten Fall einer zu Beginn der Therapie 11-jährigen Patientin. Die ersten Bissflügelaufnahmen zeigen lediglich eine kariöse Läsion, allerdings bis in die mittlere Dentinhälfte (D2) an Zahn 14 distal, die zu diesem Zeitpunkt mit einer Füllung versorgt wurde. Ansonsten lag kein akuter Behandlungsbedarf vor; es wurde eine engmaschige individualprophylaktische Begleitung empfohlen. Gleichwohl zeigten die Bissflügelaufnahmen 2,5 Jahre später, dass an fast allen approximalen Flächen unkavitierte, aktive kariöse Läsionen entstanden waren, die aufgrund der röntgenologischen Extension bis maximal in das 1. Dentindrittel infiltriert werden konnten (Diagnose: Caries progressiva superficialis). Die Behandlung erfolgte in 4 Sitzungen quadrantenweise. Das Vorgehen soll exemplarisch anhand des 1. Quadranten dargestellt werden ([Abb. 5]). Bei mehreren zu infiltrierenden Läsionen in einem Quadranten empfiehlt es sich, dorsal mit der Infiltration zu beginnen, da sonst der sehr fließfähige Infiltrant versehentlich die hinteren Zähne benetzen könnte.


Insofern an benachbarten Approximalflächen infiltrierbare Läsionen diagnostiziert werden, können diese ohne Zuhilfenahme der Folienbügelhalter behandelt werden ([Abb. 6]). Dies spart nicht nur Zeit, sondern auch Material, da neben der gleichzeitigen Behandlung von 2 Läsionen auch der Totraum der hierbei verwendeten Kanülen wesentlich kleiner ist als derjenige der Folienbügelhalter. Somit reduziert sich der Materialpreis pro behandelter Läsion deutlich. Eine Auflösung des approximalen Kontaktpunkts oder eine „Verklebung“ der approximalen Flächen ist bei gewissenhafter Entfernung überschüssigen Kunststoffs vor der Lichthärtung nicht zu befürchten.


Insbesondere bei kleineren Kindern im Alter von 5 bis 9 Jahren stellt die Kariesinfiltration nicht kavitierter Läsionen eine Alternative zur invasiven Therapie dar ([Abb. 7]). Hierbei ist es das Ziel, bestenfalls eine invasive Therapie bis zur Exfoliation zu vermeiden.


Eine intensive Trocknung der kariösen Läsion vor Infiltration ist sehr wichtig. Hierbei ist die Verwendung von Kofferdam sicherlich der beste Weg, allerdings kann ein sogenannter Mini-Dam (DMG, Hamburg) helfen, die Papille nach apikal zu drücken und ausreichend trockene Verhältnisse zu erhalten ([Abb. 8]).


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Evidenz
Inzwischen gibt es einige publizierte [12], [15], [16], [17], [18] sowie als Abstrakt vorliegende Studien, welche die Wirksamkeit der approximalen Kariesinfiltration aufzeigen ([Tab. 3]). Bei allen Studien wurden Läsionen mit einer röntgenologischen Ausdehnung bis maximal in das 1. Dentindrittel (D1) inkludiert und randomisiert im Kreuzdesign eine oder mehrere infiltrierte Läsionen meist einer gleichen Anzahl an Kontrollläsionen zugeordnet. Je nach Kariesrisiko wurden unterschiedliche zusätzliche noninvasive Maßnahmen bei den Patienten etabliert, sei es die Intensivierung einer regelmäßigen Zahnseidenbenutzung, die häusliche Verwendung von Fluoridgelen oder die professionelle Applikation von Fluoridlacken.
Autoren |
Jahr |
n (Läsionen pro Gruppe) |
Beobachtungsdauer |
Progression Kontrolle |
Progression Infiltrant |
relative Risikoreduktion |
---|---|---|---|---|---|---|
* nur Abstrakt Die randomisierte Verteilung D1- zu E2-Läsionen war bei Peters et al. und Paris u. Meyer-Lueckel nachteilig für die Infiltrationsgruppe (= ca. 30 – 50% mehr D1-Läsionen als in der Kontrolle). |
||||||
Permanente Dentition |
||||||
2010, 2012 |
26 bzw. 17 |
3 Jahre bzw. 7,5 Jahre* |
42 bzw. 47% |
4 bzw. 6% |
90 bzw. 87% |
|
Martignon et al. [16] |
2012 |
37 |
3 Jahre |
70% |
32% |
54% |
Meyer-Lueckel u. Paris [17] |
2016 |
186 bzw. 165 |
1,5 Jahre bzw. 3 Jahre* |
31 bzw. 38% |
5 bzw. 13% |
83 bzw. 68% |
Peters et al.* |
2012 |
17 |
1 Jahr |
47% |
12% |
66% |
Milchzähne |
||||||
Ekstrand et al. [15] |
2010 |
39 |
1 Jahr |
62% |
23% |
63% |
Foster Page et al.* |
2016 |
66/69 |
2 Jahre |
44% |
21% |
52% |
Soviero et al.* |
2016 |
30 |
1 Jahr |
30% |
10% |
67% |
Milchzähne (fazial) |
||||||
Turska-Szybka et al. [20] |
2016 |
40/41 Kinder |
1 Jahr |
29% |
8% |
72% |
Alle Studien zeigen eine deutlich bessere Wirksamkeit der Kariesinfiltration in Bezug auf die Verhinderung einer Kariesprogression im Vergleich zur Kontrolle ([Tab. 3]). Die Studie mit der längsten Beobachtungsdauer von 7,5 Jahren (nur Abstract) zeigt eine Überlebensrate der infiltrierten Läsionen von 94% und einen relativen Vorteil (ausgedrückt als relative Risikoreduktion) gegenüber einer rein noninvasiven Therapie von 87% ([Abb. 9]). Diese Werte liegen auf einem ähnlichen Niveau wie diejenigen zur Wirksamkeit der (Fissuren-)Versiegelung [19].


Auch Patienten mit hohem Kariesrisiko und röntgenologisch bereits deutlich in das 1. Dentindrittel vorangeschrittenen approximalen kariösen Läsionen profitieren von einer Infiltration in ähnlichem Ausmaß wie Patienten, die ein vergleichsweise niedriges Kariesrisiko haben [17]. Allerdings sollte vor der Behandlung nach dem Legen von Kofferdam und Verwendung des Keilchens unbedingt darauf geachtet werden, dass keine kavitierte Läsion versehentlich behandelt wird, da selbst Mikrokavitationen nur unzureichend mit dem Infiltranten aufgefüllt werden können.
Auch eine Cochrane-Übersichtsarbeit bestätigt, dass eine mikroinvasive Behandlung approximaler Läsionen signifikant effektiver ist als rein noninvasive Maßnahmen (z. B. Fluoridlack) oder Anleitungen zu Mundhygieneverbesserungen (z. B. Zahnseide) [7].
Die jährlichen Versagensraten für Klasse-II-Füllungen werden in universitären Studien mit ca. 2% und für praxisbasierte Studien mit ca. 4 – 5% angegeben. Die approximale Kariesinfiltration scheint ähnlich (niedrige) Versagensraten von ca. 2% aufzuweisen, auch wenn die bisher publizierten Studien noch keine zuverlässige Aussage erlauben.
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Kosteneffektivität
Basierend auf publizierten klinischen Studien wurde die Wirksamkeit verschiedener Kariestherapien evaluiert und anschließend die langfristige Kosteneffektivität von non-, mikro- und minimalinvasiver Kariestherapie moduliert und für okklusale und approximale Läsionen verglichen. Auch wenn die initialen Kosten mikroinvasiver Therapien wie Kariesinfiltration und okklusale Versiegelung zunächst höher sind als die noninvasiver Maßnahmen, führt die bessere Wirksamkeit dieser Behandlungen langfristig dazu, restaurative Maßnahmen und damit noch höhere Kosten zu vermeiden [21], [22]. Aus der Sicht der Autoren ist es bei als aktiv eingeschätzter, nicht kavitierter approximaler Karies wesentlich sinnvoller, zunächst zu infiltrieren und nur die wenigen trotzdem progredienten Läsionen später restaurativ zu behandeln, bei denen die Infiltrationstherapie nicht erfolgreich war.
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Verhinderung der Kariesprogression an anderen Zahnflächen
Auch an anderen Glattflächen ist eine Infiltration mit dem Ziel der Kariesarretierung zumindest bei Patienten mit hohem Kariesrisiko überlegenswert. Wie die Studie zur Infiltration fazialer kariöser Milchzahnläsionen bei kleinen Kindern zeigt ([Tab. 3]), konnten 92% der Läsionen über ein Jahr stabilisiert werden [20]. Insofern demineralisierte Bereiche an eine Kavitation angrenzen, können diese Bereiche ebenso infiltriert werden; die Kavitation wird wie gewohnt mit Komposit versorgt.
Die Infiltration nicht kavitierter Fissurenkaries an Milchmolaren scheint einen etwas größeren kariesinhibierenden Effekt im Vergleich zur Versiegelung zu ermöglichen. Beide Therapien waren hingegen signifikant besser als die alleinige Verwendung von Fluoridlack [23].
Zur Infiltration von Fissurenkaries an bleibenden Zähnen gibt es bisher nur einen experimentellen Ansatz. Hierbei konnte gezeigt werden, dass eine spezielle feine Bürste in Kombination mit einem abrasiveren Ätzgel eine höhere Infiltrationstiefe im Vergleich zum herkömmlichen Vorgehen ermöglichte [24].
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Infiltration zur Maskierung
Insbesondere der Maskierungseffekt durch Infiltration hat weltweit viel Aufmerksamkeit erfahren. Allerdings ist eine diagnostische Unterscheidung weißlicher Veränderungen (oftmals auch als „white spots“ bezeichnet) wichtig, um die Anzahl nicht zufriedenstellender Ergebnisse zu minimieren, da vor allem Karies und leichte bis mittlere Fluorose gut, die anderen Veränderungen hingegen vergleichsweise schlechter maskiert werden können.
Grundlagen und Indikation
Neben kariösen Läsionen, häufig auftretend nach kieferorthopädischer Behandlung mit festsitzenden Apparaturen, sind fluorotische Veränderungen geringerer Ausprägung sowie Hypomineralisationen im Sinne der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation wie auch als Folge von Milchzahntraumata die häufigsten Indikationen zur Maskierung mittels Kariesinfiltration.
Allen weißlichen Veränderungen gemein sind der fehlende Mineralanteil und die somit innerhalb der White Spots erhöhten Anteile an Luft oder Wasser (Speichel). Beide Medien haben einen geringeren Brechungsindex (1,0 bzw. 1,33) als der umgebende, gut mineralisierte, gesunde Schmelz (1,62). Diesen Brechungsindexunterschied nimmt man als eine weißliche Veränderung wahr [25]. Bei älteren kariösen Läsionen können zusätzlich sekundär, aber auch bei manchen MIH-Läsionen sowie bei mittelgradiger bis schwerer Fluorose bereits primär, gelbliche bis schwärzliche Verfärbungen vorhanden sein. Der Infiltrant weist einen ähnlich hohen Brechungsindex (1,52) wie der gesunde Schmelz auf, sodass bei möglichst vollständiger Infiltration eine gute Anpassung der Läsion erwartbar ist.
Unterschiedliche Brechungsindizes bewirken an den Grenzflächen eine Lichtstreuung, die diesen Läsionen insbesondere im ausgetrockneten Zustand ein weißlich opakes Aussehen verleiht. Die Maskierung einer Karies durch Infiltration basiert auf einer Erhöhung des Brechungsindexes im Bereich der Läsion.
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Diagnostik
Die Diagnostik ästhetisch relevanter Veränderungen beruht auf der visuell-taktilen Beurteilung. Auch mit Diagnodent sowie der quantifizierbaren lichtinduzierten Fluoreszenz (QLF) können vor allem kariöse Läsionen prinzipiell bewertet werden. Gleichwohl ist der zusätzliche diagnostische Wert eher gering, auch wenn Veränderungen durch den Infiltranten mit diesen beiden Geräten erfasst werden können. Wichtiger ist die Abgrenzung der Ätiologie ([Tab. 4]) und des Kavitationsgrads der White Spots anhand klinisch sichtbarer Merkmale.
Karies |
milde Fluorose |
traumatisch bedingte Hypomineralisation |
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation |
|
---|---|---|---|---|
Lokalisation |
Plaqueretentionsstellen, z. B. apikal der (ehemaligen) Brackets |
als „snow caps“ inzisal oder flächig als feine Linien an homologen Zähnen |
meist mittig, selten inzisal als singulärer Fleck |
meist bukkale, singuläre Flecken an homologen Zähnen |
Farbe |
weißlich, deutlich opak (kreidig), evtl. sekundär verfärbt |
weißlich, mattiert |
eher weißlich, selten auch gelblich verfärbt |
weißlich, öfter gelblich bis leicht bräunlich verfärbt |
betroffene Zähne |
alle möglich |
eher Prämolaren, aber auch OK-Frontzähne |
meist Frontzähne |
meist mittlere Schneidezähne und zusätzlich zumindest ein 1. Molar |
Bei kavitierten Läsionen können eine Infiltration der unkavitierten Umgebung und eine anschließende Füllung des kavitierten Bereichs erfolgen. Der Infiltrant besitzt eine relativ gute Haftung auf dem Schmelz, sodass hier keine separate Behandlung des Schmelzes nach Infiltration nötig erscheint. Ist hingegen Dentin beteiligt, sollte dieser Bereich mit einem Dentinadhäsiv mit oder ohne vorherige Ätzung behandelt werden. Da der Infiltrant versehentlich in die Kavität gelangen könnte, empfiehlt sich eine vorherige „Anfrischung“ mit einem Diamanten.
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Klinische Anwendung
Wie auch bei approximaler Kariesinfiltration sollten die Arbeitsschritte eingehalten werden. Eine Trockenlegung mittels flüssigem oder regulärem Kofferdam kann sinnvoll sein, allerdings sollte insbesondere bei zervikal gelegenen White Spots darauf geachtet werden, dass die Infiltration hierdurch nicht behindert wird.
Folgende zusätzliche Maßnahmen können bei der Infiltration im sichtbaren Bereich wichtig sein:
-
stärkere Abrasion der Oberflächenschicht bei inaktiven kariösen Läsionen und allen entwicklungsbedingten Veränderungen
-
Wiederbefeuchtungstest zur Vorausschau, ob die Kariesinfiltration zufriedenstellend funktionieren wird
-
Politur der infiltrierten Zähne
Karies
Insbesondere die Maskierung von ästhetisch relevanten, nicht kavitierten kariösen Zahnflächen (vor allem Frontzähne und Prämolaren), deren Erscheinungsbild durch noninvasive Maßnahmen nicht verbessert werden kann, stellt einen wichtigen Anwendungsbereich der Kariesinfiltration dar. Hierbei sollte zwischen Läsionen, die bereits einige Zeit oberflächlich remineralisiert sind (inaktive Karies), und solchen, die direkt nach kieferorthopädischer Behandlung mit Multibandapparaturen entdeckt werden, unterschieden werden. Letztere sind relativ einfach nach einmaligem Ätzen zufriedenstellend zu infiltrieren, während bei inaktiven Läsionen die dickere remineralisierte Oberfläche oftmals vermehrt geätzt werden muss.
Festsitzende kieferorthopädische Apparaturen stellen besondere Anforderungen an die Mundhygiene der Patienten und auch an die Unterstützung durch die Prophylaxe-Mitarbeiterinnen. Bei manchen Patienten macht es Sinn, die Individualprophylaxe auf 3-monatige Intervalle zu kürzen. Der beschriebene Fall zeigt das Vorgehen bei der Behandlung von Initialläsionen nach Kieferorthopädie bei einem 16-jährigen Patienten ([Abb. 10]).


Nach Abnahme der Brackets kann bei dezenten – also eher flachen – Läsionen zunächst eine natürliche Remineralisation, die aufgrund der nun veränderten Reinigungsmöglichkeiten auftreten wird, für ca. 2 Monate abgewartet werden. Allerdings ist es bei aus einem normalen Sprechabstand im feuchten Milieu sichtbaren Läsionen sehr unwahrscheinlich, dass diese ohne weitere Maßnahmen ästhetisch verschwinden werden [27], [28]. Vielmehr weisen diese Demineralisationen oftmals bereits eine gewisse Dentinbeteiligung auf, die jedoch keine Kontraindikation für eine erfolgreiche Infiltration der Schmelzareale darstellt.
Bei inaktiven Läsionen mit bis zu 150 µm dicken, stark mineralisierten Oberflächenschichten sollte hingegen mehrfach geätzt werden (2 min Ätzen entfernt ca. 40 µm), um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Der Wiederbefeuchtungstest mit Ethanol oder Wasser ([Abb. 11]) kann hierbei einen Hinweis darauf geben, ob genügend Oberflächenschicht entfernt wurde, sodass es hiernach zu einer schnellen und möglichst vollständigen Infiltration kommen kann.
Wenn nach dem Ätzen Wasser oder Ethanol innerhalb weniger Sekunden (ca. 3 – 5 s) in die getrockneten Läsionen einzudringen vermögen und hierdurch das ästhetische Erscheinungsbild des Zahnes deutlich verbessert wird, vermag dies der Infiltrant sogar mit einem noch besseren Maskierungseffekt.


Beginnen Sie von einem Punkt aus langsam die Oberfläche mit dem Infiltranten zu benetzen, so wird verhindert, dass in tiefen Läsionen Lufteinschlüsse verbleiben.
Zahlreiche klinische Studien ([Tab. 5]) mit [27], [28], [29] oder ohne (zunächst nicht infiltrierten) Kontrollzähnen [30], [31] zeigen die zufriedenstellenden Maskierungserfolge mittels Kariesinfiltration. Sogar Läsionen mit Schmelzkavitation können zunächst infiltriert und anschließend mit Komposit und/oder alleiniger Politur ästhetisch optimiert werden [30].
Autor |
Jahr |
Dauer |
n |
Zähne |
Ergebnis |
---|---|---|---|---|---|
* Abstrakt (wird nachbeobachtet bis zu 2 Jahre) # Nachfolgeauswertung von Knösel et al. 2013 |
|||||
Kim et al. [31] |
2011 |
1 Woche |
9 Patienten, 18 Zähne |
Frontzähne |
61% komplett, 33% teilweise, 6% gar nicht maskiert |
Hammad et al. [30] |
2012 |
sofort |
18 Patienten, 108 Zähne |
Oberkieferfrontzähne (ICDAS2 + 3) |
signifikanter Anstieg des Grauwerts (= Maskierung) |
Knösel et al. [27] |
2013 |
6 Monate |
20 Patienten, 111 infiltrierte u. 108 Kontrollzähne |
Front- und Eckzähne |
ΔΔE: Infiltration − 2,3; Kontrolle + 0,2; signifikante Verbesserung |
Senestraro et al. [28] |
2013 |
8 Wochen |
20 Patienten, 46 infiltrierte u. 20 Kontrollzähne |
Oberkieferfrontzähne |
Reduktion der Läsionsfläche: 61% Infiltration; 1% Kontrolle |
Eckstein et al. [29] |
2015 |
1 Jahr# |
9 Patienten, 96 Zähne |
Front- und Eckzähne |
ΔΔE: Infiltration − 5,3 (6 Monate: ΔΔE = − 4,3) |
Kobbe et al.* |
2015 |
1 Woche |
29 Patienten, 240 Zähne |
Front-, Eck- + 1. Prämolar |
Patienten: 6% vollständig; 16% verbessert, aber zusätzlich einzelne Füllung; 75% zufriedenstellend; 3% gar nicht maskiert |
Bei der Kombination der Füllungs- mit der Infiltrationstherapie (angrenzende Bereiche) kann der Infiltrant als Schmelzhaftvermittler verwendet werden; Dentin muss aber in jedem Fall mit entsprechenden Haftvermittlern am besten nach „Anfrischung“ der Zahnhartsubstanz behandelt werden.
Die Maskierungsergebnisse scheinen auch über längere Zeiträume stabil. Falls es dennoch zu einer Verfärbung im Bereich der infiltrierten Läsion kommen sollte, kann man dies meist mit einer Politur beheben. Auch das Bleichen der Zähne scheint ohne Einschränkungen möglich, wodurch tiefer gelegene Verfärbungen ebenfalls aufgehellt werden können [32]; hierzu gibt es noch keine klinischen Daten.
#
Fluorose
Als Dentalfluorose werden Schmelzveränderungen bezeichnet, die durch zu hohe Fluorideinnahmen verursacht sind. Sie tritt in sehr unterschiedlichen Schweregraden auf. Beginnend mit weißlich opaken Linien in der Schmelzoberfläche entlang der Perikymatien, bis hin zu starkem Schmelzverlust und Veränderung der Zahnkronen. Zur Maskierung von Fluorosen durch Infiltration mit Icon® gab es bereits bei Einführung der Technik im Jahre 2009 positive Berichte [33]. In der Zwischenzeit hat sich bestätigt ([Tab. 6]), dass leichte ([Abb. 12]) bis mittlere ([Abb. 13]) Fluorosen ähnlich erfolgreich wie kariöse Läsionen behandelt werden können. Oftmals empfiehlt sich, wie auch bei inaktiven kariösen Läsionen, ein häufigeres Ätzen vor der Infiltration.
Autor |
Jahr |
Dauer |
n |
Zähne |
Ergebnis |
---|---|---|---|---|---|
* nur als Abstrakt |
|||||
Paris et al. [33] |
2009 |
sofort |
1 Patient, 6 Zähne |
Schneide- und Eckzähne |
gut (Kombinationsfall mit kariösen Läsionen) |
Wang et al. [34] |
2013 |
1 Jahr |
1 Patient, 20 Zähne |
Schneide- und Eckzähne + Prämolaren |
gut, Mikroabrasion, Bleaching und Infiltration bei bräunlicher Fluorose |
Munoz et al. [35] |
2013 |
sofort |
2 Patienten, 12 Zähne |
Schneide- und Eckzähne |
gut |
Attal et al. [36] |
2014 |
sofort |
1 Patient, 2 Zähne |
Schneidezähne |
gut |
Gugnani et al. [37] |
2014 |
sofort |
3 Patienten, 3 Zähne |
Schneidezähne |
gut |
Gugnani et al.* |
2014 |
sofort |
80 Patienten, Anzahl der Zähne unbekannt |
Schneide- und Eckzähne + Prämolaren |
Bleichen signifikant schlechter als Infiltration |


Die ästhetische Beeinträchtigung und die damit verbundenen psychologischen Auswirkungen auf den Patienten stehen bei der Therapie im Vordergrund. Der vorliegende Fall zeigt eine Dentalfluorose mit einem mittleren Schweregrad ([Abb. 13]).


#
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH)
Zur ästhetisch relevanten Infiltration von Inzisiven mit entwicklungsbedingten Veränderungen beispielsweise beim Vorliegen einer MIH wurden bereits im Jahr 2011 recht vielversprechende Ergebnisse publiziert [31]. Allerdings zeigten die Daten ebenso, dass diese Läsionen zumindest bei einmaligem Ätzen wohl nicht gleichermaßen gut optisch maskiert werden können wie Karies ([Tab. 7]). Insbesondere verfärbte wie auch großflächige Läsionen haben ihre Tücken. Aber auch kleinere MIH-Läsionen zeigen oftmals einen unmaskierten Randbereich ([Abb. 14]; Zahn 12). Dies konnte mit dem histologischen Aufbau erklärt werden [38], da die Randbereiche eine recht dicke Oberflächenschicht aufweisen, sodass der Infiltrant auch nach mehrmaligem Ätzen nicht eindringen kann.


Autor |
Jahr |
Dauer |
n |
Zähne |
Ergebnis |
---|---|---|---|---|---|
In dieser Studie wurden die Zähne nur einmal für 2 min geätzt. |
|||||
Kim et al. [31] |
2011 |
1 Woche |
11 Patienten, 20 Zähne |
Frontzähne |
25% komplett, 35% teilweise, 40% gar nicht maskiert |
Bei sehr stark demineralisierten weißlichen Veränderungen und/oder einer unvollständigen Penetration des niedrig viskösen Infiltranten, beispielsweise aufgrund unzureichender Entfernung der stärker mineralisierten Oberflächenschicht oder aber eines hohen Proteingehalts, ist der Maskierungseffekt nicht immer zufriedenstellend. Wenn dies der Fall ist, kann nach Abtrag von ca. 100 – 200 µm mit einem Diamanten eine kleine schmelzbegrenzte Füllung auf den zuvor und eventuell nun nochmals infiltrierten Bereich aufgebracht werden. Somit kann man dennoch ein sehr gutes und wenig invasives Gesamtergebnis erzielen.
Aber auch bei komplexeren Fällen kann die Kariesinfiltration in Verbindung mit dem Bleichen der Zähne eine optische Verbesserung erzielen, wie bei diesem 35-jährigen Patienten, der zur routinemäßigen Kontrolle erschien ([Abb. 15]). Nach Zahnreinigung und Initialphase wurde eine lokalisierte Parodontitisbehandlung durchgeführt. Die Hinweise zur Mundhygiene wurden von dem Patienten angenommen und umgesetzt, sodass abschließend eine ästhetische Verbesserung mit möglichst wenig invasiven Methoden angeraten wurde.


Entwicklungsbedingte weißliche Schmelzveränderungen können nicht alle gleichermaßen mithilfe der Kariesinfiltration vollständig maskiert werden. Gerade MIH-Läsionen lassen sich oftmals nur unvollständig infiltrieren.
#
Traumatisch bedingte Hypomineralisationen
Eigene undokumentierte Fälle sowie Bilder aus einem Fallbericht zu 2 Patienten mit jeweils einem Zahn mit traumatisch bedingter Hypomineralisation [36] zeigen die prinzipielle Anwendbarkeit der Kariesinfiltration zur Maskierung. Ein mehrmaliges Ätzen wird hier ebenfalls empfohlen, um nach wiederholten Wiederbefeuchtungstests den Zeitpunkt der eigentlichen Infiltration zu bestimmen.
#
#
#
Fazit
Im Vergleich zu unserem letzten Artikel in Zahnmedizin up2date im Jahr 2011 konnte die Indikation und Wirksamkeit der Kariesinfiltration für die ursprünglich angedachte Anwendung an approximalen Flächen umfassend bestätigt werden. Indikationen, Limitationen und Kontraindikationen für die Infiltrationstechnik sind in [Tab. 8] zusammenfassend dargestellt.
Indikationen |
Indikationen mit limitiertem Therapieerfolg |
Kontraindikationen |
---|---|---|
Caries progressiva superficialis (nicht kavitierte aktive Karies)
|
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation |
Caries progressiva profunda (kavitierte Läsionen) |
Caries non-progressiva (nicht kavitierte inaktive Karies), wenn ästhetisch relevant |
traumatisch bedingte Hypomineralisationen |
Läsionen im Wurzelbereich |
leichte bis mittlere Fluorose |
kariöse Läsionen in Fissuren und Grübchen |
Erosionen |
-
Bei einer progredienten unkavitierten kariösen Läsion sollte mit einer röntgenologischen Ausdehnung um die Schmelz-Dentin-Grenze immer zuerst an eine Infiltration und nicht an eine Füllung gedacht werden.
-
Diese lokale Therapie sollte immer von einer Intensivierung noninvasiver Maßnahmen (z. B. Fluoridierung, Interdentalraumhygiene) begleitet werden.
-
Da der Erfolg aller noninvasiver Verfahren zu einem großen Teil von der Adhärenz des Patienten abhängt, scheint gerade bei Patienten mit hohem Kariesrisiko die approximale Kariesinfiltration eine sicherere Alternative.
-
Eine Infiltration zur Verhinderung der Kariesprogression ist auch an allen anderen Zahnflächen denkbar, allerdings sind diese oftmals alleinig durch geeignete Mundhygieneverbesserungen arretierbar.
-
Bei Fissurenkaries sind die Wirksamkeit der Versiegelung sowie die Überlebensraten von Kompositfüllungen recht hoch. Auch wenn rein logisch hier eine Infiltration zwar durchaus auch sinnvoll erscheint, ist die Kosteneffektivität im Vergleich zur Versiegelung und auch der Füllung sicherlich ungünstiger.
-
Hinsichtlich der Maskierungseffekte sollten der beschriebene Wiederbefeuchtungstest und die möglicherweise sinnvolle mehrfache Ätzung beachtet werden. Darüber hinaus sollte man die Erwartungshaltung bei den Patienten mit MIH-Läsionen sowie traumatisch bedingten Hypomineralisationen gering halten und ggf. eine Füllung unzufriedenstellender Bereiche im Anschluss an die eigentliche Infiltration in Erwägung ziehen.
Dieser Beitrag basiert teilweise auf den folgenden Publikationen: Paris S, Meyer-Lückel H. Paradigmenwechsel. In: Meyer-Lückel H, Paris S, Ekstrand KR. Karies – Wissenschaft und klinische Praxis. Stuttgart: Thieme; 2012: 71 – 76. Meyer-Lückel H, Paris S. When and how to intervene in the caries process. Oper Dent 2016; 41 (S7): 35 – 47
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#
Hendrik Meyer-Lückel


1992 – 1997 Studium Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Gießen. 1998 – 2000 Assistent in freier Praxis, 1999 zahnärztliche Entwicklungshilfe Jamaika. 2000 Promotion. 2000 – 2008 Wissenschaftlicher Assistent/Funktionsoberarzt Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. 2008 Habilitation. 2008–2012 Oberarzt an der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. 2009 Master of Public Health. Seit 2012 Direktor der Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde, RWTH Aachen Universität. 2017 Ruf an die Universität Bern.
Sebastian Paris


1998 – 2003 Studium Zahn-, Mund- und Kieferheilkund in Berlin. 2004 – 2008 Wissenschaftlicher MA Poliklinik für Zahnerhaltungskunde u. Parodontologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. 2008 Wissenschaftlicher MA Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. 2011 Habilitation und Venia Legendi Christian-Albrechts-Universität Kiel. Seit 2013 Direktor Abteilung Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin. Seit 2016 wissenschaftlicher Leiter CharitéCentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde.
Andreas Schult


1986 – 1991 Studium der Zahnmedizin Universität Hamburg. 1991 – 2004 Wissenschaftlicher MA Abteilung für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie Universitätsklinikum-Hamburg Eppendorf. 2001 Niederlassung in Praxisgemeinschaft in Bad Bramstedt. 2010 – 2012 Masterstudium Endodontologie Düsseldorfer Dental Academy. Behandlungsschwerpunkte: Endodontie, Mikrochirurgie, Parodontologie, mikroinvasive Zahnheilkunde.
Interessenkonflikt
H. Meyer-Lückel und S. Paris werden in den von der Charité Berlin gehaltenen Patenten zur Methode Kariesinfiltration als Erfinder aufgeführt und sind an den Erlösen der Lizenzierung der Patente an die Dentalfirma DMG beteiligt. A. Schult gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.H. Meyer-Lückel und S. Paris werden in den von der Charité Berlin gehaltenen Patenten zur Methode Kariesinfiltration als Erfinder aufgeführt und sind an den Erlösen der Lizenzierung der Patente an die Dentalfirma DMG beteiligt. A. Schult gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
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Korrespondenzadresse
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