Einleitung
1985 empfahl die Weltgesundheitsorganisation, eine Sectiorate von 10 bis 15% nicht zu überschreiten [1]. Trotzdem wurde in Deutschland eine Zunahme der Sectiorate von 15,3 (1991) auf 31,1% (2015) und in Mecklenburg-Vorpommern von 11,5 (1991) auf 29,1% (2015) verzeichnet [2]. Bestimmte geburtshilfliche Situationen, z. B. Querlage, vorzeitige Plazentalösung oder Uterusruptur, erfordern eine Sectio, um das Leben von Mutter und/oder Kind zu retten oder nicht zu gefährden. Etwa 10% der Sectiones werden aufgrund einer solchen absoluten Indikation durchgeführt. Den überwiegenden Anteil der Sectioindikationen machen relative Indikationen aus, bei denen die Entscheidung für einen Kaiserschnitt durch die Abwägung geburtshilflicher Risiken getroffen werden muss. Zustand nach Sectio in der Anamnese, Beckenendlage (BEL) und Mehrlingsgeburten zählen beispielsweise dazu [3]. Diese Indikationen ebenso wie zunehmendes Alter der Schwangeren und maternale Komorbiditäten werden häufig als Einflussfaktoren für steigende Sectiofrequenzen diskutiert [4], [5], [6]. Auch Wunschsectiones werden häufig als Grund angeführt [7], [8], [9], [10]. Die Angst vor rechtlichen Konsequenzen bei Geburtsschäden und organisatorische Gründe spielen ebenfalls eine Rolle [4], [10], [11].
Auch wenn die Sectio heute als sicherer Eingriff gilt, müssen mögliche Risiken bedacht werden. Für die Mutter zählen vor allem Anästhesierisiko, Blutverlust, Infektionen, Thromboembolien sowie Organverletzungen dazu [12], [13], [14]. Ebenso ist das Risiko für eine Plazentationsstörung in der Folgeschwangerschaft erhöht [15], [16]. Häufigere respiratorische Anpassungsstörungen, die Neigung zu Asthma bronchiale und anderen Autoimmunerkrankungen wie atopische Dermatitis oder Nahrungsmittelallergien werden beispielsweise für das Kind beschrieben [17], [18], [19], [20], [21], [22]. Die genauen Entstehungsmechanismen und Kausalzusammenhänge derartiger Risiken sind noch weitgehend unverstanden und bedürfen daher weiterer Untersuchungen.
In der vorliegenden Arbeit wurde primär die Entwicklung der Sectiofrequenz an der Universitätsfrauenklinik Rostock zwischen 2008 und 2014 in Bezug auf verschiedene mütterliche und kindliche Parameter untersucht. Sekundäres Studienziel war die Ermittlung von Risikofaktoren für einen Kaiserschnitt. Des Weiteren wurden Vergleiche zur Standortanalyse der Jahre 1997 bis 2003 gezogen.
Material und Methode
Patientenkollektiv, erhobene Parameter und Datenerfassung
In dieser retrospektiven Arbeit wurden alle Geburten an der Universitätsfrauenklinik Rostock von 2008 bis 2014 erfasst (n = 20 091). Die Parameter Zustand nach Sectio, maternales Alter (unter 18 Jahre, 18 – 35 Jahre, über 35 Jahre), BMI-Wert vor der Schwangerschaft (WHO-Klassifikation), BEL und das Vorliegen einer Einlings- oder Mehrlingsgeburt wurden in Zusammenhang mit dem Geburtsmodus Sectio untersucht. Außerdem wurde das neonatale Outcome anhand des Apgar-Wertes nach 5 Minuten (8 – 10 Punkte – lebensfrisches Neugeborenes, ≤ 7 Punkte – deprimiertes Neugeborenes) und des Nabelarterien-pH-Wertes (NApH-Wert) (> 7,29 – normal, 7,20 – 7,29 – leichte Aziditätssteigerung, 7,10 – 7,19 – leichte Azidose, 7,00 – 7,09 – fortgeschrittene Azidose, < 7,00 – schwere Azidose) [23] analysiert. Die Parameter wurden aus dem geburtshilflichen Datenerfassungssystem der Universitätsfrauenklinik Rostock entnommen. Anhand der Operationsberichte konnten die Sectioindikationen nur für die Jahre 2012 bis 2014 erfasst werden, da die Krankenblätter für den übrigen Zeitraum nicht mehr im Klinikarchiv zur Verfügung standen.
Statistische Auswertung
Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgte mit dem Statistikprogramm IBM SPSS Statistics 20. Zunächst erfolgte die deskriptiv-statistische Datenanalyse. Mittels χ2-Test und exaktem Test nach Fisher wurden im Anschluss ausgewählte Parameter auf statistische Signifikanzen hinsichtlich ihres Einflusses auf die Sectio untersucht. Ein p-Wert < 0,05 wurde dabei als statistisch signifikant angesehen. Mithilfe der Regressionsanalyse wurde ermittelt, ob und inwieweit bestimmte Parameter mit einem erhöhten Risiko für einen Kaiserschnitt einhergehen. Das Konfidenzintervall (KI) wurde dabei auf 95% festgelegt.
Ergebnisse
Geburten und Geburtsmodi
Die jährliche Geburtenzahl stieg von 2645 (2008) auf 3136 (2014). Spontangeburten und vaginal-operative Entbindungen nahmen zu. Die Sectiorate nahm von 26,24 (2008) auf 23,57% (2014) ab ([Abb. 1]). Der Anteil primärer Sectiones an allen Sectiones wurde von 69,60 (2008) auf 40,05% (2014) verringert. Sekundäre Sectiones nahmen hingegen zu ([Abb. 1]).
Abb. 1 Sectiorate und Anteil der primären und sekundären Sectiones an den Sectiones eines Jahres zwischen 2008 und 2014.
Maternale Parameter
Der Anteil der Schwangeren mit vorausgegangener Sectio stieg von 9,68 (2008) auf 10,27% (2014). Im Untersuchungszeitraum wurden mehr als 50% der Schwangeren wieder per sectionem entbunden, wenngleich der Anteil von 58,20 (2008) auf 56,85% (2014) abnahm. Der Anteil primärer Re-Sectiones wurde dabei von 85,23 (2008) auf 67,21% (2014) verringert.
Das Durchschnittsalter der Schwangeren ist gestiegen ([Abb. 2]). Der Anteil der Schwangeren über 35 Jahren nahm von 11,15 (2008) auf 12,85% (2014) zu. Die Sectiorate bei diesen Schwangeren nahm jedoch von 33,90 (2008) auf 32,75% (2014) ab.
Abb. 2 Maternales Durchschnittsalter gesamt und bei Sectio zwischen 2008 und 2014.
Präkonzeptionelles Übergewicht und präkonzeptionelle Adipositas nahmen zu ([Tab. 1]). Sowohl Schwangere mit Übergewicht als auch mit Adipositas wurden in jedem Jahr des Untersuchungszeitraums häufiger per sectionem entbunden als normalgewichtige Schwangere.
Tab. 1 Maternaler präkonzeptioneller Body-Mass-Index (BMI, in kg/m2) zwischen 2008 und 2014.
BMI-Gruppe
|
|
Jahr
|
gesamt
|
|
2008
|
2009
|
2010
|
2011
|
2012
|
2013
|
2014
|
< 18,50
|
n
|
142
|
140
|
142
|
113
|
136
|
128
|
138
|
939
|
%
|
5,46
|
5,01
|
4,87
|
4,04
|
4,72
|
4,49
|
4,40
|
4,70
|
18,50 – 24,99
|
n
|
1694
|
1781
|
1852
|
1765
|
1787
|
1792
|
1920
|
12 591
|
%
|
65,18
|
63,68
|
63,56
|
63,13
|
62,03
|
62,81
|
61,26
|
63,04
|
25,00 – 29,99
|
n
|
484
|
543
|
560
|
576
|
595
|
565
|
648
|
3971
|
%
|
18,62
|
19,41
|
19,22
|
20,60
|
20,65
|
19,80
|
20,68
|
19,88
|
30,00 – 34,99
|
n
|
173
|
223
|
236
|
223
|
237
|
232
|
273
|
1597
|
%
|
6,66
|
7,97
|
8,10
|
7,98
|
8,23
|
8,13
|
8,71
|
8,00
|
35,00 – 39,99
|
n
|
74
|
78
|
83
|
90
|
88
|
97
|
115
|
625
|
%
|
2,85
|
2,79
|
2,85
|
3,22
|
3,05
|
3,40
|
3,67
|
3,13
|
≥ 40,00
|
n
|
32
|
32
|
41
|
29
|
38
|
39
|
40
|
251
|
%
|
1,23
|
1,14
|
1,41
|
1,04
|
1,32
|
1,37
|
1,28
|
1,26
|
gesamt
|
n
|
2599
|
2797
|
2914
|
2796
|
2881
|
2853
|
3134
|
19 974
|
%
|
100,00
|
100,00
|
100,00
|
100,00
|
100,00
|
100,00
|
100,00
|
100,00
|
Kindliche Parameter
Der Anteil von Kindern in BEL nahm von 7,02 (2008) auf 5,68% (2014) ab. Dies korrelierte jedoch nicht eindeutig mit einer abnehmenden Sectiorate. Mit Ausnahme von 2013 (76,37%) wurden in den übrigen Jahren mehr als 85% der Entbindungen bei einer BEL mittels Kaiserschnitt durchgeführt.
Die Häufigkeit der Mehrlingsgeburten nahm von 2,23 (2008) auf 2,68% (2014) zu. Dabei überwogen Zwillingsgeburten. Bei Mehrlingen nahm die Sectiorate von 73,11 (2008) auf 62,50% (2014) ab.
Neonatales Outcome
Nach Sectio konnte der Anteil deprimierter Neugeborener gesenkt werden. Trotz Abnahme der Sectiones und Zunahme der vaginalen Entbindungen wurde keine Zunahme deprimierter Neugeborener nach vaginaler Entbindung verzeichnet ([Abb. 3]).
Abb. 3 Anteil deprimierter Neugeborener mit einem Apgar-Wert ≤ 7 Punkte nach 5 Minuten zwischen 2008 und 2014.
Azidosen haben sowohl nach Sectio als auch nach vaginaler Entbindung zugenommen ([Abb. 4]). Allerdings wurde nur eine Zunahme leichtgradiger und fortgeschrittener Azidosen verzeichnet. Schwere Azidosen waren nach Sectio von ausgangs 0,83 (2008) auf 0,51% (2014) rückläufig. Nach vaginaler Entbindung war der Anteil schwerer Azidosen stabil bei 0,1%.
Abb. 4 Anteil der Neugeborenen mit Azidose (NApH-Wert < 7,20) zwischen 2008 und 2014.
Sectioindikationen
Bei den Sectiones zwischen 2012 und 2014 waren BEL (14,29%), Wunschsectio (13,69%) und pathologisches CTG (10,93%) die häufigsten Indikationen für einen Kaiserschnitt. Die meisten Wunschsectiones wurden als Wunsch der Re-Sectio (48,66%) durchgeführt. Darauf folgten die Indikationen Wunsch ohne weitere Begründung (24,83%) und sonstige Wunschindikationen (z. B. nach frustraner Einleitung, mütterlicher Erschöpfung, 14,09%).
Risikofaktoren für eine Sectio
Eine vorausgegangene Sectio erhöht das Risiko, wieder per sectionem entbunden zu werden, im Vergleich zu Schwangeren ohne vorherigen Kaiserschnitt. Mit steigendem Alter sowie erhöhtem präkonzeptionellen BMI-Wert steigt das Risiko, durch einen Kaiserschnitt entbunden zu werden, im Vergleich zu Schwangeren jünger als 18 Jahre bzw. Schwangeren mit einem BMI-Wert < 25,00 kg/m2. Ein Kind in BEL sowie eine Mehrlingsschwangerschaft erhöhen das Risiko für einen Kaiserschnitt ([Tab. 2]).
Tab. 2 Risikofaktoren für eine Sectio nach multivariater Regressionsanalyse.
Variable
|
Odds Ratio
|
95%-KI
|
p-Wert
|
* Referenzgruppe
|
Zustand nach Sectio
|
|
|
|
|
10,06
|
8,93 – 11,3
|
< 0,001
|
maternales Alter
|
|
|
|
|
1,63
|
1,01 – 2,66
|
0,049
|
|
2,82
|
1,71 – 4,65
|
< 0,001
|
BMI-Wert vor der Schwangerschaft
|
|
|
|
|
1,35
|
1,23 – 1,48
|
< 0,001
|
|
1,80
|
1,61 – 2,01
|
< 0,001
|
BEL
|
|
|
|
|
23,41
|
19,7 – 27,7
|
< 0,001
|
Mehrlingsschwangerschaft
|
|
|
|
|
2,18
|
1,69 – 2,81
|
< 0,001
|
Diskussion
Für den Untersuchungszeitraum wurde eine Abnahme der Sectiofrequenz von 26,24 (2008) auf 23,57% (2014) festgestellt. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zur vorherigen Standortanalyse, in der ein Anstieg der Sectiorate von 19,71 (1997) auf 26,50% (2003) registriert wurde [24]. In Deutschland stieg die Sectiorate von 30,2 (2008) auf 31,8% (2014), in Mecklenburg-Vorpommern von 27,6 (2008) auf 29,4% (2014), mit einem zwischenzeitlichen Höchstwert von 30,2% (2010) [2]. Mueller et al. stellten in einer Geburtenanalyse der Universitätsklinik Bern (1999 bis 2009) eine durchschnittliche Sectiorate von 36,6% fest. In den einzelnen Jahren wurden stets Werte über 30% verzeichnet, in den Jahren 2007 bis 2009 sogar über 40% [9]. In Anbetracht der Tatsache, dass der in der vorliegenden Studie untersuchte Standort ein Perinatalzentrum Level I ist, wo auch häufiger Risikogeburten betreut werden, ist die vergleichsweise niedrige und sogar rückläufige Sectiofrequenz bemerkenswert. Die Etablierung eines Indikationstrainings (Geburtshelfer/Hebamme) seit 2008 hinsichtlich der Entscheidungsfindung, ob eine Sectio indiziert ist, und eines interdisziplinären peripartalen Konsils zum geplanten Entbindungsmodus für Risikoschwangere (Geburtshelfer/Neonatologe) können dazu beigetragen haben. Auch vor dem Hintergrund zunehmender juristischer Konsequenzen bei ärztlichen Fehlern sowie zunehmender Patientenautonomie ist die rückläufige Sectiofrequenz bemerkenswert.
Der Anteil primärer Sectiones wurde verringert, während der Anteil sekundärer Sectiones stieg. Dieser Zusammenhang kann als Indiz gewertet werden, dass sich mehr Schwangere nach peripartaler Beratung für eine vaginale Geburt entscheiden. Bei maternalen und/oder fetalen Problemen oder Komplikationen sub partu muss gegebenenfalls mit einer sekundären Sectio reagiert werden. Zwischen 1997 und 2003 wurde hingegen ein Anstieg der primären Sectiorate von 32,63 (1997) auf 48,23% (2003) festgestellt, während der Anteil sekundärer Sectiones entsprechend abnahm [24]. Weitere Studien haben ebenfalls eine Zunahme der primären Sectiones beobachtet und für den Anstieg der Kaiserschnittraten verantwortlich gemacht [7], [12]. Daraus folgend wird eine Senkung der primären Sectiorate als eine Möglichkeit gesehen, hohe Sectioraten zu reduzieren [25].
Obwohl mehr Schwangere einen Zustand nach Sectio aufwiesen, nahmen die Re-Sectio-Rate und der Anteil primärer Re-Sectiones ab. Zwischen 1997 und 2003 war der Anteil der Schwangeren mit Zustand nach Sectio geringer. Die Re-Sectiones nahmen dennoch von 52,50 (1997) auf 59,09% (2003) zu. Es fand sich eine Zunahme der primären Re-Sectiones von 40,48 (1997) auf 66,67% (2003) [24]. Kyvernitakis et al. zeigten hingegen für Hessen zwischen 1990 und 2012 eine durchschnittliche Re-Sectio-Rate von 63,8%, die von 52,1 (1990) auf 73,9% (2012) anstieg [26].
Sowohl im Gesamtkollektiv als auch bei per sectionem entbundenen Schwangeren wurde eine Zunahme des Durchschnittsalters festgestellt. Obwohl der Anteil der Schwangeren über 35 Jahren zunahm, war die Sectiorate in dieser Altersgruppe rückläufig. Zwischen 1997 und 2003 stieg das Durchschnittsalter von 27,90 (1997) auf 28,33 Jahre (2003), bei abdomineller Schnittentbindung von 28,75 (1997) auf 28,89 Jahre (2003). Der Anteil Schwangerer über 35 Jahren nahm ebenfalls zu [24]. Laut der deutschen Perinatalerhebung stieg das Durchschnittsalter von 29,9 (2007) auf 30,2 Jahre (2011) [27]. Bei per sectionem entbundenen Schwangeren in einer Schweizer Klinik wurde ein Anstieg von 31,1 (2002) auf 32,5 Jahre (2008) festgestellt [28]. Voigt et al. stellten bei Erstgebärenden älter als 32 Jahre eine höhere Sectiorate (32,3%) im Vergleich zu jüngeren Schwangeren fest (20,7% bei 22- bis 32-Jährigen, 14,5% bei unter 22-Jährigen). Häufiger auftretende regelwidrige Geburtslagen, pathologische CTG-Befunde sub partu, vorzeitiger Blasensprung sowie mit maternalem Alter zunehmende chronische und schwangerschaftsassoziierte Erkrankungen wurden als mögliche Gründe angeführt [29]. Auch eine schlechtere Kontraktilität des Myometriums kann als weiterer Grund vermutet werden [30].
Die aktuellen Daten weisen eine Zunahme präkonzeptionell übergewichtiger und adipöser Schwangerer nach. Scholz et al. zeigten anhand der Auswertung der deutschen Perinatalerhebung einen Anstieg übergewichtiger Schwangerer bei der ersten Schwangerschaftsuntersuchung von 24,9 (2007) auf 25,4% (2011). Von 13,2% (2007) nahm die Häufigkeit von Adipositas kontinuierlich auf 14,8% (2011) zu. Eine Zunahme wurde auch im Vergleichszeitraum dieser Studie (1995 – 1997) beobachtet. Beides trat jedoch seltener auf als zwischen 2007 und 2011 [27]. Sowohl bei präkonzeptionell übergewichtigen als auch adipösen Schwangeren wurde eine höhere Sectiofrequenz festgestellt als bei normalgewichtigen. Briese et al. stellten in einer Auswertung der Perinataldaten 8 deutscher Bundesländer (1998 bis 2000) für Schwangere mit einem BMI-Wert zwischen 40,00 und 44,99 kg/m2 eine Sectiorate von 32,3%, für Schwangere mit einem BMI-Wert ≥ 45,00 kg/m2 von 38,4% fest im Vergleich zu 15,5% bei normalgewichtigen Schwangeren [31]. In einer Untersuchung von Callaway et al. lag die durchschnittliche Sectiorate übergewichtiger Schwangerer bei 29,5% und bei Schwangeren mit Adipositas III° bei 42,7% [32]. Angesichts der vorliegenden Daten wird deutlich, dass die Zunahme von Übergewicht und Adipositas sehr ernst zu nehmende Problemfaktoren in der Geburtshilfe darstellen, vor allem vor dem Hintergrund möglicher Komplikationen (z. B. Gestationsdiabetes mellitus, hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, kindliche Makrosomie). Auch die höhere Gefahr von Organverletzungen, Wundheilungsstörungen und nicht zuletzt die längere, für die Schwangere und das Personal belastende Operationsdauer bei einer Sectio sind zu bedenken.
Im Untersuchungszeitraum nahm der Anteil der Kinder in BEL von 7,02 (2008) auf 5,68% (2014) ab. In der vorherigen Standortanalyse wurde eine Abnahme von 6,30 (1997) auf 4,67% (2003) festgestellt [24]. Außer 2013 wurden stets über 85% der Kinder in BEL per sectionem geboren. Zwischen 1997 und 2003 wurde bei BEL stets eine Sectiorate über 90% registriert [24]. Hannah et al. fanden bei termingeborenen Kindern in BEL nach einer geplanten Sectio ein verbessertes Outcome hinsichtlich Morbidität und Mortalität im Vergleich zur geplanten vaginalen Geburt [33]. Eine Untersuchung französischer Perinataldaten (1994 bis 2010) zeigte nach Veröffentlichung dieser Studie einen deutlichen Anstieg der Sectiorate bei BEL [34]. Der gleiche Zusammenhang wurde auch in einer niederländischen Arbeit festgestellt [35]. Sowohl in der französischen als auch in der niederländischen Untersuchung wurde ab etwa 2005 ein leichter Rückgang der Sectiorate bei BEL registriert [34], [35]. Dies begründet sich möglicherweise durch eine von Whyte et al. publizierte Follow-up-Studie, die keinen Unterschied bezüglich Tod und neurologischer Entwicklungsverzögerung bei vaginal bzw. per sectionem geborenen Kindern aus BEL im Alter von 2 Jahren nachwies [36]. In einer kanadischen Untersuchung waren bei Zunahme der vaginalen BEL-Entbindungen (≥ 37 SSW) Morbidität und Mortalität im Vergleich zur geplanten Sectio signifikant erhöht [37]. Im Gegensatz dazu zeigten Maier et al. nur geringe Unterschiede im neonatalen Outcome (NApH-Wert, Base Excess, Apgar-Wert, Geburtstrauma, Verlegung auf die Intensivstation) zwischen vaginaler Entbindung und Sectio. Bei den vaginalen Geburten traten etwas niedrigere NApH-Werte und Apgar-Werte nach einer Minute auf. Dennoch schlussfolgerten die Autoren, dass eine vaginale BEL-Geburt bei Schwangeren ohne Risikofaktoren, in Anwesenheit eines erfahrenen Geburtshelfers, ein sicherer Geburtsweg ist [38]. Es wird deutlich, dass bei BEL keine eindeutige Aussage über den zu bevorzugenden Geburtsmodus existiert. Jedoch wurde in den vergangenen Jahren häufiger die Möglichkeit der vaginalen BEL-Geburt in Betracht gezogen. Allerdings darf das perinatale Risiko bei vaginaler BEL-Geburt nicht übersehen werden. Der Einfluss der äußeren Wendung bei BEL zur Senkung der Sectiorate wurde in dieser Untersuchung nicht erfasst, weil die Methode erst seit 2012 schrittweise im klinischen Alltag der Universitätsfrauenklinik Rostock etabliert wurde.
Mehrlingsgeburten, von denen Zwillingsgeburten den größten Teil ausmachten, nahmen zu, während die Sectiorate abnahm. Zwischen 1997 und 2003 wurde ein Anstieg der Mehrlingsgeburten und der Sectiorate dieser Geburten von 77,78 (1997) auf 96,55% (2003) festgestellt [24]. Die aktuell aufgezeigte Abnahme der Sectiorate bei Mehrlingsschwangerschaften kann darauf zurückzuführen sein, dass bei Zwillingsschwangerschaften ohne erhöhtes Risiko ein Umdenken in der Geburtshilfe hin zur vaginalen Entbindung stattfindet. Kyvernitakis et al. konstatierten an hessischen Universitätskliniken zwischen 1990 und 2012 bei Zwillingen eine Zunahme der Sectiorate von 59,0 (1990) auf 75,8% (2012) [39].
Der Anteil deprimierter Neugeborener konnte sowohl nach Sectio als auch nach vaginalen Entbindungen verringert werden. In der vorherigen Standortanalyse wurde zwar der gleiche Zusammenhang gesehen, dennoch war der Anteil deprimierter Neugeborener noch deutlich höher. [24]. In der Literatur existieren unterschiedliche Angaben, ob niedrigere Apgar-Werte häufiger nach einer Sectio erhoben werden oder nicht. Arikan et al. fanden beim Vergleich des Apgar-Wertes nach 5 Minuten keinen Unterschied zwischen vaginaler Entbindung und Sectio [40]. Hingegen zeigten Karlström et al. einen geringeren Anteil deprimierter Kinder nach einem geplanten Kaiserschnitt verglichen mit der vaginalen Geburt bzw. der sich daraus evtl. ergebenden Notsectio [13].
Die Zunahme der Azidosen im Untersuchungszeitraum betraf bei Sectiones und vaginalen Entbindungen nur die leichten und fortgeschrittenen Azidosen. Schwere Azidosen nahmen nicht zu. Obwohl zwischen 1997 und 2003 eine Abnahme der Azidosen nach Sectio von 17,82 (1997) auf 12,29% (2003) und schwerer Azidosen von 2,47 (1997) auf 1,66% (2003) festgestellt wurde [24], traten diese noch deutlich häufiger auf als in der aktuellen Untersuchung. Nach vaginaler Entbindung waren Azidosen in der vorherigen Standortanalyse mit Werten um 12% relativ konstant. Schwere Azidosen traten in 0,1% der Fälle auf. Die aktuell ermittelte Zunahme der leichten und fortgeschrittenen Azidosen, die für die Neugeborenen prognostisch weniger Bedeutung haben, ist nicht grundsätzlich kritisch zu sehen. Die konsequente Anwendung der Fetalblutanalyse führt einerseits zur Senkung der Sectiofrequenz, andererseits zu einer strengeren Indikationsstellung für eine sekundäre Sectio, insbesondere bei Präazidosen. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit verdeutlichen, dass eine Reduktion der Sectiorate keine Verschlechterung des neonatalen Outcomes hinsichtlich niedriger Apgar-Werte und schwerer Azidosen nach sich zog. In diesem Zusammenhang ist die Etablierung einer interdisziplinären Azidosekonferenz (Geburtshelfer/Neonatologe/Hebamme) zur retrospektiven Analyse stattgehabter Fälle und zur kritischen Analyse der Indikationsstellung für eine Sectio (Lernfunktion und Entwicklung von Handlungsstrategien) von großer Bedeutung gewesen.
Nach Auswertung der Sectio-Operationsberichte von 2012 bis 2014 erwiesen sich BEL, Wunschsectio und pathologisches CTG als häufigste Sectioindikationen. In der vorherigen Standortanalyse war die BEL ebenfalls die häufigste Sectioindikation. An 2. und 3. Stelle wurden das pathologische CTG und das zephalopelvine Missverhältnis angeführt [24]. In einer britischen Studie (2001 – 2007) waren Zustand nach Sectio, Geburtsstillstand, pathologisches CTG und BEL die häufigsten Sectioindikationen [41]. Laut Timofeev et al. unterscheiden sich die Gründe für eine Sectio in Abhängigkeit vom maternalen Alter. Bei Schwangeren bis 25 Jahre dominierten die Indikationen Geburtsstillstand, zephalopelvines Missverhältnis und pathologisches CTG, während bei Gebärenden älter als 25 Jahre der Zustand nach Sectio die häufigste Indikation war [6].
Der Wunsch der Re-Sectio machte den größten Anteil der Wunschsectiones aus. Die Analyse eines Schwangerenkollektivs an einem Perinatalzentrum Level 1 in der Schweiz (2002 – 2008) zeigte eine Zunahme der Wunschsectiones von 2,1 auf 5,1% und der Indikation Wunsch der Re-Sectio von 0,3 auf 1,2%. Die Differenz zu den Rostocker Zahlen erklärt sich dadurch, dass in der vorliegenden Studie für die Berechnung nur die Wunschsectiones herangezogen wurden, in der Schweizer Arbeit aber die Gesamtheit der Sectioentbindungen. Als Erklärungsansätze für diese Ergebnisse nannten die Autoren eine zunehmende Unterstützung des maternalen Wunsches durch den Geburtshelfer, einen Mangel an psychologischer Beratung sowie das Interpretieren der Sectio als sichereren Geburtsmodus durch die Schwangere [28]. Die häufig als Grund für steigende Sectioraten genannten Wunschsectiones werden nach den Ergebnissen verschiedener Studien als Ursache überschätzt [7], [8], [9], [42]. Die Vermutung, dass Wunschsectiones eher selten bevorzugt werden, stützt auch eine Befragung von 534 Schwangeren zur Präferenz des Geburtsmodus an der Universitätsfrauenklinik Lübeck. In dieser Untersuchung favorisierten die Schwangeren eine vaginale Geburt. Natürlichkeit, Geburtserlebnis und die Anwesenheit einer Begleitperson wurden als Hauptgründe für den Wunsch der vaginalen Geburt genannt. Die Sicherheit des Kindes war für die Befragten der ausschlaggebendste Grund für eine Sectio. Gegen einen Kaiserschnitt sprachen vor allem die Operation an sich sowie möglicherweise auftretender Wundschmerz [43].
Auch die Wunschsectio wegen maternaler Angst wird häufig diskutiert. Primiparae mit einer Wunschsectio an einer schwedischen Geburtsklinik hatten häufiger Angst vor der Geburt und davor, dass das Kind sterben wird als Schwangere mit einer Sectio wegen BEL und Schwangere mit geplanter vaginaler Entbindung [44]. Halvorsen et al. konnten durch die Anwendung von Bewältigungsstrategien bei Schwangeren mit Geburtsangst eine Senkung der Sectiorate und eine häufigere Hinwendung zur vaginalen Geburt nachweisen [45]. Das rechtzeitige Erkennen der Angst vor der Geburt in den geburtshilflichen Beratungsgesprächen und das Anbieten von Unterstützung zur Bewältigung sind wichtig, um Sectiones aus diesem Grund zu vermeiden.
Die Qualität der für diese Arbeit benötigten Daten hing von der Sorgfältigkeit der Erhebung und Eingabe der Daten durch verschiedene Klinikmitarbeiter ab, weshalb es zu fehlenden Angaben in den einzelnen Datensätzen kommen konnte. Bei fehlender Codierung einer Diagnose ist die Erhebung des entsprechenden Parameters außerdem möglicherweise unbemerkt unvollständig geblieben. Die Erhebung der Sectioindikationen konnte ebenfalls nur unvollständig erfolgen, da die Krankenblätter nur für einen Teil des Untersuchungszeitraums verfügbar waren. In dieser Arbeit wurden mehrere geburtshilfliche Faktoren im Zusammenhang mit dem Geburtsmodus Sectio untersucht. Angesichts dessen könnten weiterführende Studien auf einzelne Faktoren fokussieren. Um die weitere Entwicklungstendenz der Sectiofrequenz sowie der damit assoziierten Parameter und des kindlichen Outcomes im Anschluss an diese und die vorherige Standortanalyse in Erfahrung zu bringen, könnte eine weitere Untersuchung in einigen Jahren in Erwägung gezogen werden.
Schlussfolgerung
Die Sectiorate kann auch an einem Perinatalzentrum Level I ohne Verschlechterung des neonatalen Outcomes gesenkt werden.
Im Vergleich zur vorherigen Standortanalyse (1997 – 2003) wurde im jetzt untersuchten Zeitraum eine geringere Sectiorate, vor allem bei den primären Sectiones, festgestellt. Analog nahm die Zahl primärer Re-Sectiones ab. Besonders hervorzuheben sind geringere Sectiofrequenzen bei BEL und Mehrlingsgeburten. Daraus kann abgeleitet werden, dass nach sorgfältiger individueller Abwägung maternaler und fetaler Risiken eine vaginale Geburtsleitung angestrebt wurde. Das neonatale Outcome hinsichtlich deprimierter und azidotischer Kinder hat sich, im Vergleich zur vorherigen Standortanalyse, ebenfalls verbessert.
Hauptinstrumente zur Senkung der Sectiorate waren:
-
intensivierte Geburtsaufklärungsgespräche („Planung“) durch Geburtshelfer und Hebammen sowie ein interdisziplinäres peripartales Konsil für Risikoschwangere (Geburtshelfer/Neonatologe)
-
ein Indikationstraining (Geburtshelfer/Hebamme) seit 2008 hinsichtlich der Entscheidungsfindung, ob eine Sectio indiziert ist
-
eine interdisziplinäre Azidosekonferenz zwischen Geburtshelfern, Neonatologen und Hebammen