Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0043-114465
Vom notwendigen Übel zum wertvollen Sachverständigenbeweis: Gutachten in unserer Praxise
From necessary evil to valuable expert proof: expert opinion in our daily routinePublication History
Publication Date:
28 September 2017 (online)
Liebe Leserinnen und Leser,
heute halten Sie erstmals ein Schwerpunktheft zum Thema Begutachtung in den Händen. Riccardo Giunta und ich haben uns während der letzten Jahre immer wieder über dieses doch komplexe Thema ausgetauscht.
Das Thema der Begutachtung wird in unserem Fachbereich, der Plastischen Chirurgie und Handchirurgie, nicht strukturiert ausgebildet. Das liegt möglicherweise daran, dass die Begutachtung als solche oftmals als lästige Pflicht bei sowieso schon ausreichender Belastung durch unsere chirurgische Arbeit gesehen wird. Zum anderen sehen wir uns einem enger werdenden rechtlichen Korsett gegenüber, das uns oftmals in eine eher defensive Rolle zu drängen scheint.
Gutachten aus unseren Händen bewirken viel. Sie können im Sozialrecht dazu beitragen, dass Ansprüche von Patienten gegenüber Krankenversicherungen und sonstigen Sozialversicherungsträgern objektiviert werden. Im Rahmen des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens sind oftmals die Dauer und der Wert einer Berentung zu überprüfen. Der weitaus größte Teil unserer Expertenmeinung wird allerdings von Schlichtungsstellen und Gerichten abgerufen. Hier geht es in den allermeisten Fällen um den großen Komplex der Behandlungsfehler, wobei hierunter auch Diagnosefehler, Befunderhebungsmängel oder Aufklärungsprobleme subsumiert werden können. Unsere Expertise ist wichtig, um die Gerichte und Gutachterstellen in die Lage zu versetzen, eine fachlich fundierte Beurteilung zu treffen. Dabei geht es zum einen darum, ggf. berechtigte Ansprüche eines Patienten zu objektivieren. Genauso wichtig ist es aber auch, ein unberechtigtes Begehren so aufzuklären, dass die beklagten Kolleginnen und Kollegen entlastet werden. Dabei ist es nicht immer einfach, allen Bedürfnissen (Kläger, Beklagter, Gericht) zur Gänze gerecht zu werden. Dies liegt zum einen daran, dass die Fälle zunehmend komplexer werden. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass Patienten, geprägt von mannigfaltigen Einflüssen, Vorstellungen entwickeln, die aus ärztlicher Sicht prima vista einer sachlichen Grundlage entbehren. Dennoch können Gutachten gerade in solchen Fällen zu einer Befriedigung der Situation beitragen, wenn sie die Fakten klar analysieren und bewerten und dies zudem in einer Sprache, die allen Seiten zugänglich ist.
Wir freuen uns, dass es uns gelungen ist, ganz unterschiedliche Autoren davon zu überzeugen, dass der Mangel an struktureller Ausbildung hinsichtlich der Erstellung von Gutachten durch die hier veröffentlichte Expertenmeinung teilweise wettzumachen ist.
Zunächst einmal haben wir die persönliche Position eines gestandenen Kämpfers für die Ziele der Plastischen Chirurgie, Herrn Prof. Germann gewinnen können. Wir wissen, dass um den Inhalt dieser Arbeit sicher Diskussionsbedarf besteht. Dann freut es uns, dass zwei fachlich versierte Juristen, Herr Dr. Johann Neu mit einer Übersichtsarbeit zu Qualitätskriterien von Arzthaftungsgutachten aus juristischer Sicht und Herrn Dr. Bichler mit einer Arbeit zu Aufklärungsnotwendigkeiten bei ästhetisch-plastisch-chirurgischen Eingriffen zum Inhalt dieses Heftes beitragen. Aus der Gruppe der Plastischen Chirurgen hat Herr Prof. Bütemeyer das Problem der Befangenheit beleuchtet. Diese Fragestellung beschäftigt uns regelmäßig bei der bekanntermaßen kleinen Gruppe der Plastischen Chirurgen und Handchirurgen. Zwei Arbeiten, die interessante Patientenkollektive auswerten, können dazu beitragen, bestimmte Fragestellungen zukünftig anders zu bewerten. So hat Herr Dr. Güven die Frage, ob es hilfreich sei, die Qualifikation des Handchirurgen stärker bei handchirurgischen Eingriffen zu berücksichtigen, recht klar beantworten können. Anhand des möglichen Fehlerpotentials bei Brustvergrößerungen wird aufgezeigt, wie diese gutachterlich bewertet werden können.
Wir freuen uns, Ihnen dieses Heft präsentieren zu können und hoffen auf einen regen fachlichen Austausch.
Das Thema der Begutachtung mag dem einen oder anderen als trocken erscheinen. Zudem findet eine nicht unerhebliche zusätzliche Belastung des Arbeitsalltages statt. Dennoch möge man sich vergegenwärtigen, dass hinter den allermeisten Gutachtenanfragen persönliche Schicksale stecken. Natürlich trifft dies in erster Linie auf Patienten zu, dennoch ist auch im Rahmen der Prüfung von Behandlungsfehlervorwürfen der Arzt betroffen, der durch eine vernünftige Begutachtung ebenso entlastet werden kann. Insofern werben wir dafür, die Begutachtung ernst zu nehmen und freuen uns, wenn dieses Schwerpunktheft dazu beiträgt, die Begutachtungspraxis zu verbessern.
Sixtus Allert
im August 2017
-
Literatur
- 1 Mühlbauer W, Biemer E, Steinau HU, Olbrisch RR, von Mallinckrodt G, Giunta RE. Frau Em. Univ.-Prof. Dr. med. Ursula Schmidt-Tintemann (19. Juni 1924 bis 26. Juli 2017) - Ein persönlicher Nachruf aus unterschiedlichen Perspektiven. Handchir Mikrochir Plast Chir 2017; 49: 220–221.