Z Gastroenterol 2017; 55(08): 804-805
DOI: 10.1055/s-0043-116279
Mitteilungen der Gastro-Liga
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„Auf den Punkt gebracht“

Wer profitiert von Sondenernährung: „PEGgen“ wir die falschen Patienten?
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Publication Date:
10 August 2017 (online)

Seit der Erstbeschreibung im Jahre 1980 (Gauderer et al.) hat sich die Anlage einer perkutan-endoskopischen Gastrostomie (PEG) als Methode der Wahl bei Patienten etabliert, die über längere Zeit keine Nahrung auf oralem Weg zu sich nehmen können. Bei wiederhergestellter Schluckfähigkeit kann die Sonde leicht wieder entfernt werden.

Die Entwicklung der letzten 10 – 20 Jahre, dass zunehmend Patienten mit degenerativen zerebralen Erkrankungen, vor allem Demenzen, aus Gründen der Pflege PEG-Sonden erhalten, ist dabei allerdings mit Skepsis zu betrachten. In einer retrospektiven Studie wurde kürzlich von einer Verdoppelung von PEG-Anlagen bei Alzheimer-Patienten berichtet (von 5 auf 10 % der Gesamtzahl der PEG-Anlagen, Mendiratta et al., 2012). Übertragen auf Deutschland wären dies mindestens 15 000 Sonden/Jahr bei dementen Patienten. Nicht immer sind Patienten und ihre Familien im Vorfeld zur wichtigen Frage der Ernährung fundiert beraten worden, häufig wird die PEG-Anlage-Indikation auch aus einer pflegerischen Notlage heraus getroffen. Das alternativ zur PEG-Anlage propagierte „Comfort-Feeding“ ist sehr personal- und kostenintensiv und in den heutigen Versorgungsstrukturen schwer durchführbar. Es handelt sich aber bei der PEG-Anlage um eine interventionelle Maßnahme, die bei 1 – 3 % der Patienten mit akuten, auch schweren Komplikationen wie Organperforation, Fistelbildung, Peritonitis oder schwerer Blutung einhergeht. Eine individuelle Risikonutzenabwägung ist also besonders wichtig und eine umfängliche Aufklärung von Patienten und Angehörigen unbedingt erforderlich, zumal fortgeschritten demente Patienten dazu neigen, Zugänge und Schläuche zu manipulieren und sich dadurch selbst zu verletzen.

Erfahrungen über die Jahre zeigen, dass Patienten mit chronischer Pankreatitis und ausgeprägtem (postprandialem) Schmerzsyndrom, mit pulmonaler Kachexie oder generell Krebserkrankungen von einer PEG-Anlage profitieren können, die die Gewichtsabnahme verhindert, die Mobilität und physische Aktivität erhält und damit die Lebensqualität (und bei Krebserkrankungen auch die Prognose) verbessert. Es ist zudem vorstellbar, dass auch Patienten mit anderen intermittierenden schweren Erkrankungen (wie ulzerierenden Refluxerkrankungen oder einer schweren eosinophilen Ösophagitis) von einer frühzeitigen PEG-Anlage profitieren, selbst wenn sie jung sind. Belastbare Daten hierzu fehlen allerdings und die Indikation sollte bei diesen ansonsten gesunden, manchmal sehr jungen Patienten streng gestellt werden. Inwieweit eine PEG-Anlage in diesem Patientengut zur Erhaltung eines bestimmten Körpergewichtes und dadurch auch zur Vermeidung einer körperlichen Schwächung beitragen kann, muss Gegenstand zukünftiger Studien sein.

In der Neurologie stellt die PEG bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) je nach Gesamtsituation und Präferenz dieser bis zum Ende der Erkrankung bewusstseinsklaren Patienten eine wichtige Therapieoption dar. Neuere Daten deuten außerdem darauf hin, dass der Zeitpunkt der Insertion möglichst frühzeitig gewählt werden sollte (Dorst et al., 2015). Dieser Aspekt des „Timings“ der Sondenanlage ist bisher zu wenig beachtet worden. Eine frühere konsequente enterale Ernährung kann durchaus prognostisch bedeutsam sein und sollte in zukünftigen Studien mitberücksichtigt werden. Hier schließt sich vielleicht der Kreis zur Demenz: Vielmehr als früher müssen auch wir als Endoskopiker lernen, Patienten mit chronischen degenerativen zerebralen Erkrankungen prognostisch einzuschätzen, gerade weil diese Erkrankungen aufgrund der demoskopischen Entwicklung deutlich zunehmen. Während in sehr fortgeschrittenen Stadien mit völliger Immobilität, Kontrakturen und fehlender Artikulation eine PEG-Anlage sicherlich nicht sinnvoll ist, könnten Patienten mit einer frühen oder allenfalls mäßiggradigen Demenz, bei denen wir die Indikation bisher zurückhaltend stellten, von einer PEG-Anlage möglicherweise tatsächlich im Hinblick auf längere Erhaltung der Mobilität und der Lebensqualität profitieren.

Worauf wir also meines Erachtens achten müssen:

Dementen Patienten in weit fortgeschrittenen Stadien sollte eine PEG nicht mehr gelegt werden. Wir müssen Angehörige und Zuweiser auf die fehlende Lebensqualität, die langfristig höhere Komplikationsrate und den fehlenden Nutzen für diese Patienten hinweisen. Auf der anderen Seite müssen wir vielleicht bei ausgewählten noch relativ gesunden Patienten mit vorübergehenden oder auch chronischen Einschränkungen der enteralen Nahrungsaufnahme frühzeitiger über eine PEG-Anlage nachdenken, bevor eine Gewichtsabnahme oder gar eine Katabolie eingetreten ist. Dies kann sowohl jüngere, sonst völlig gesunde Patienten als auch demente Patienten in einem früheren, noch mobilen Stadium betreffen.

Wir müssen also nicht mehr Patienten mit einer PEG versorgen, sondern die richtigen. Für die Definition dieser richtigen Patienten brauchen wir aber mehr prospektive Studien, die uns helfen, in diesen Grenzbereichen besser ärztlich zu handeln.

Informationen zum Autor

PD Dr. Dr. med. Christoph Dietrich ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Bethlehem-Krankenhaus in Stolberg/Rheinland. Zu seinen klinischen Schwerpunkten zählen die Behandlung von Darm- und Lebererkrankungen einschließlich der Tumorerkrankungen dieser Organe sowie die palliativmedizinische Versorgung schwerkranker Patienten. Die wissenschaftliche Tätigkeit erstreckt sich vor allem auf klinische Studien zu Versorgungsforschung, Palliativmedizin, Lebererkrankungen und Probiotika-Anwendung in der Gastroenterologie.

PD Dr. Dr. med. Christoph Dietrich
Bethlehem Gesundheitszentrum Stolberg gGmbH
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