Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2018; 13(04): 403-422
DOI: 10.1055/s-0043-120311
Systemerkrankungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Diagnostik und Therapie primärer Knochentumoren

Ulrich Lenze
,
Carolin Knebel
,
Hans Rechl
,
Rüdiger von Eisenhart-Rothe
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. med. Ulrich Lenze
Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie
Klinikum rechts der Isar der TU München
Ismaningerstraße 72
81675 München

Publication History

Publication Date:
27 July 2018 (online)

 

Maligne Knochentumoren sind ein seltenes Ereignis. Insbesondere die hochmalignen Knochentumoren treten typischerweise bei Kindern und Jugendlichen auf. Wesentlich häufiger sind benigne Knochentumoren, in der Regel wenig symptomatisch und deshalb oft Zufallsbefunde.


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Abkürzungen

AKZ: aneurysmatische Knochenzyste
AP: alkalische Phosphatase
ASS: Azetylsalizylsäure
BMP: Bone Morphogenetic Protein
BSG: Blutsenkungsgeschwindigkeit
CRP: C-reaktives Protein
MRSA: Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus
MRSE: Methicillin-resistenter Staphylococcus epidermidis
PMMA: Polymethylmethacrylat
RANKL: RANK-Ligand (RANK = Receptor Activator of NF-κB)
TGF-β: Transforming Growth Factor beta
TSE: Turbo Spin-Echo
VEGF: Vascular endothelial Growth Factor
VIDE: Chemotherapieprotokoll bestehend aus Vincristin, Ifosfamid, Doxorubicin und Etoposid
WHO: World Health Organization
 

Grundlagen und Epidemiologie

Definition

Primäre Knochentumoren

Primäre Tumoren des Knochens sind Neoplasien, die sich de novo aus Knochengewebe – also aus Knochen- bzw. Knorpelzellen selbst – entwickeln. Hierdurch unterscheiden sie sich von sekundären Knochentumoren, die sich als Absiedelung anderweitiger Neoplasien lediglich im Knochen manifestieren (z. B. Mammakarzinommetastasen).

In Anbetracht der großen Gesamtzahl an benignen und malignen Tumoren des menschlichen Körpers sind primäre Tumoren des muskuloskelettalen Systems selten. Knochentumoren sind darüber hinaus 10 × seltener als Weichgewebstumoren. Unter den Knochentumoren wird der Anteil von gutartigen Neoplasien mit etwa 40 – 50% angegeben, wobei aufgrund der hohen Dunkelziffer (symptomlose Tumoren, welche dauerhaft unentdeckt bleiben, Zufallsbefunde etc.) und tumorähnlichen Läsionen deren Anteil als deutlich höher einzuschätzen ist [1], [2].

Merke

Primär maligne Knochentumoren machen etwa 0,2% aller Malignome des Menschen aus [3], [4], bei Kindern sind sie jedoch die sechsthäufigste Krebsart, bei Jugendlichen und Adoleszenten stehen sie sogar an dritter Stelle [3], [5].

Primäre Knochentumoren folgen meist einer typischen Alters- und Geschlechtsverteilung und kommen vermehrt während der ersten 3 Lebensdekaden vor. Dies trifft im Besonderen auf gutartige Knochenläsionen sowie das bösartige Osteo- und Ewing-Sarkom – die zwei häufigsten primär malignen Knochentumoren des Menschen – zu, während Chondrosarkome, Myelome und Lymphome in höherem Alter und vornehmlich jenseits des 40. Lebensjahres angetroffen werden [6]. Mit Ausnahme des Riesenzelltumors (u. a.) ist das männliche Geschlecht bei gut- und bösartigen Tumoren meist bevorzugt betroffen.

Ein Großteil der Knochentumoren besitzt typische Prädilektionsstellen sowie eine typische Verteilung innerhalb des jeweiligen Skelettabschnitts. Typischerweise treten beispielsweise das Chondroblastom und der Riesenzelltumor in der Epiphyse bzw. Epi-/Metaphyse auf, besonders Letzterer wird zudem meist erst nach Schluss der Wachstumsfuge beobachtet. Das Osteosarkom hingegen geht zumeist von den kniegelenksnahen Metaphysen, das Ewing-Sarkom häufiger vom diaphysären Knochen aus ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Typische Lokalisationverteilung von Knochentumoren innerhalb langer Röhrenknochen.

An der Wirbelsäule werden häufig Myelome und Hämangiome angetroffen, welche sich bevorzugt im Wirbelkörper manifestieren. Tumoren wie das Osteoidosteom, das Osteoblastom oder die aneurysmatische Knochenzyste (AKZ) sind hingegen eher in den dorsalen Wirbelanteilen zu finden ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Typische Lokalisationsverteilung von Knochentumoren in Wirbelknochen.

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Klassifikation von Knochentumoren

Im Jahr 1972 stellte die WHO eine allgemeine Klassifikation von Knochentumoren vor, die fortan regelmäßig ergänzt und überarbeitet wurde. Bei der Einteilung wurde besonders der histologische Ursprung der Tumoren berücksichtigt und ferner eine Unterscheidung in Abhängigkeit von der Dignität der Tumoren in maligne, semimaligne und benigne vorgenommen. In der jüngsten Überarbeitung des WHO-Manuals (WHO Classification of Tumours of Soft Tissue and Bone) im Jahr 2013 wurden maßgebliche Veränderungen vorgenommen, welche jedoch nach wie vor Anlass zu kontroversen Diskussionen geben [7]. So wurde die Gruppe der semimalignen Tumoren entfernt und durch „intermediate/locally aggressive“ bzw. „intermediate/rarely metastasizing“ ersetzt. Die bislang als maligne („low grade“) klassifizierten G1-Chondrosarkome beispielsweise, welche nach neuer Nomenklatur nun als „atypical cartilaginous tumours“ bezeichnet werden, wurden in die Gruppe der lokal aggressiven Tumoren (benigne) eingestuft.

Merke

Insgesamt ist die historisch gewachsene Klassifikation der WHO als Standardwerk und gültige Lehrmeinung hinsichtlich der Klassifikation von muskuloskelettalen Tumoren zu sehen, neuere Forschungserkenntnisse offenbaren jedoch immer wieder (zumindest bei einigen Entitäten) Aktualisierungsbedarf.


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Ätiologie

Bei den meisten primären Knochentumoren ist der genaue Pathomechanismus bislang nicht geklärt bzw. erforscht. Man geht jedoch davon aus, dass beispielsweise Noxen (z. B. ionisierende Strahlung) oder vorbestehende Knochenveränderungen (z. B. beim epiexostotischen Chondrosarkom, s. [Fallbeispiel 1] u. [Abb. 3]) das Auftreten von aggressiven Tumoren begünstigen und/oder auslösen können.

Fallbeispiel

Fall 1: Multiple Exostosenerkrankung


Der 72-jährige Patient entwickelte ein epiexostotisches Chondrosarkom G2 im Bereich des Beckens (blauer Kreis), ein weiteres Osteochondrom befindet sich auf der kontralateralen Seite (gelber Kreis) ([Abb. 3 a]). Typische bildgebende Morphologie eines Chondrosarkoms in der präoperativen MRT-Bildgebung ([Abb. 3 b]) sowie makroskopisch nach Resektion ([Abb. 3 c]).

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Abb. 3 Fall 1. a Präoperative koronare CT-Bildgebung. b Präoperative MRT-Bildgebung (axiale T1-gewichtete Sequenz). c Makroskopischer Aspekt nach Resektion.

Eine maligne Transformation ossärer Vorläuferläsionen wurde hierbei sowohl für nicht neoplastische- bzw. tumorähnliche – Veränderungen (u. a. Knocheninfarkt, chronische Osteomyelitis, fibröse Dysplasie, Morbus Paget, Osteogenesis imperfecta, nicht ossifizierendes Fibrom) als auch gutartige Neoplasien (z. B. Enchondrom, kartilaginäre Exostose) beschrieben [2]. Nicht ausreichend mit Evidenz belegt ist hingegen die Rolle von Umweltkarzinogenen (z. B. Asbest), Traumata (Knochennarben) oder vorausgegangenen Operationen (Implantation von Endoprothesen, Osteosynthesen etc.) [2].


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Diagnostisches Vorgehen

Allgemeine Grundsätze

Symptome, Anamnese

Nur in den seltensten Fällen weisen Knochentumoren eine spezifische Anamnese auf. Eine Ausnahme stellt jedoch das Osteoidosteom dar, bei dem typischerweise eine zirkadiane Rhythmik der Beschwerden (vor allem Nachtschmerz) und eine Beschwerdebesserung unter ASS-Einnahme (diagnostisch bei entsprechendem bildmorphologischem Korrelat) angegeben wird.

Merke

Generell werden als führendes „Symptom“ bei Knochentumoren meist eine lokale Schwellung und/oder lokale Schmerzen (bei malignen Tumoren häufig in Form von Nachtschmerzen) geschildert.

Cave

Besonders Letzteres wird nicht selten als „Wachstumsschmerz“ bagatellisiert und kann zu einer – teilweise erheblichen – zeitlichen Verschleppung der Diagnose führen (s. [Fallbeispiel 2] u. [Abb. 4]).

Fallbeispiel

Fall 2: Unspezifische Schmerzen im distalen Femur


In einem peripheren Krankenhaus wurde von einem Patienten mit seit wenigen Wochen bestehenden Beschwerden im Bereich des distalen Femurs das in [Abb. 4 a] gezeigte Röntgenbild angefertigt. Es lässt sich im lateralen Strahlengang bereits die Osteoidbildung dorsal am distalen Femur erkennen, die Symptomatik wurde jedoch im dortigen Krankenhaus als Wachstumsschmerz fehlinterpretiert.


Etwa 4 Monate später stellt sich der Patient dann mit einem lokal bereits weit fortgeschrittenen Osteosarkom des distalen Femurs bei uns vor ([Abb. 4 b]).

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Abb. 4 Fall 2. a Röntgenbild, 4 Monate zuvor in einem peripheren Krankenhaus angefertigt. b Lokal weit fortgeschrittenes Osteosarkom.

Aufgrund des Kausalitätsbedürfnisses der Eltern bzw. der Patienten selbst wird die lokale Symptomatik jedoch oftmals auch einem zurückliegenden Trauma zugeordnet, was zur Fehldiagnose eines „Hämatoms“ oder einer „Prellung“ verleiten kann.

Merke

Primäres Symptom im Kleinkindalter ist zumeist eine Gehverweigerung.

Die Diagnosestellung benigner und tumorähnlicher Läsionen erfolgt in vielen Fällen als Zufallsbefund („Inzidentalom“) im Rahmen einer anderweitig begründeten Bildgebung (z. B. nach Trauma) und völliger klinischer Inapparenz. Andererseits werden besonders nicht ossifizierende Fibrome oder einfache Knochenzysten nicht selten auch durch das Auftreten pathologischer Frakturen offenbar [4].

Bei malignen Knochentumoren fehlen systemische Allgemeinsymptome wie Fieber, Nachtschweiß oder Gewichtsverlust (B-Symptomatik) in den allermeisten Fällen. Eine Ausnahme stellen jedoch Lymphome und Ewing-Sarkome dar. Bei Letzteren kann daher und auch aufgrund der bildmorphologischen Ähnlichkeit im Einzelfall die Abgrenzung von der Osteomyelitis schwierig sein.


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Laboruntersuchungen

Die Labordiagnostik ist bei muskuloskelettalen Tumoren weitgehend uncharakteristisch, Parameter wie die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG), das C-reaktive Protein (CRP) und die Aktivität der alkalischen Phosphatase können jedoch erhöht sein.

Cave

Die alkalische Phosphatase (AP) kann bei Kindern auch unter physiologischen Bedingungen erhöht sein und muss daher in Zusammenschau aller Befunden beurteilt werden [4].

Prinzipien

Eine verzögerungsfreie Frühdiagnose ist bei malignen Knochentumoren von höchster Wichtigkeit, da das diagnostische Fenster auch indirekt Auswirkungen auf die Prognose der Patienten hat [3]. Eine unverzügliche Überweisung an ein spezialisiertes Sarkomzentrum ist bei Verdacht auf Vorliegen eines malignen Knochentumors daher imperativ.


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Bildgebende Diagnostik

Röntgen

Die initiale radiologische Diagnostik bei Verdacht auf Vorliegen eines Knochentumors sollte in jedem Fall zunächst ein konventionelles Röntgenbild des betroffenen Extremitätenabschnitts in 2 Ebenen beinhalten. Anhand der Übersichtsradiografie sowie der Anamnese lassen sich hierbei die meisten benignen und tumorähnlichen Knochenläsionen (z. B. kartilaginäre Exostose, einfache Knochenzyste, nicht ossifizierendes Fibrom) bereits eindeutig typisieren und benötigen keine weitere histologische Sicherung [1].

Merke

Das konventionelle Röntgenbild gibt generell essenzielle Information hinsichtlich folgender Parameter:

  • mögliche Matrixbildung (osteoblastisch versus osteolytisch),

  • Ausmaß und Qualität der Periostreaktion sowie

  • Wachstumsgeschwindigkeit des Tumors (Transitionszone).

Die Berandung der Läsion (Transitionszone) findet in der Klassifikation nach Lodwick – welche sich im klinischen Alltag besonders bewährt hat –, Beachtung, wobei auch Aussagen bezüglich der zu erwartenden Dignität getroffen werden können ([Abb. 5] u. Übersicht) [8].

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Abb. 5 In der Lodwick-Klassifikation wird die im Röntgenbild sichtbare Transitionszone (Berandung) eines Tumors besonders berücksichtigt (s. a. [Übersicht „Lodwick-Einteilung“]).
Übersicht

Lodwick-Einteilung

Typ I

  • Lodwick-Typ-I-Läsionen weisen immer eine geografisch umschriebene Lage auf,

  • fast ausschließlich benigne Tumoren.

Typ II

  • Typisches, mottenfraßartiges Destruktionsmuster,

  • Typ-II-Läsionen können aber noch geografisch begrenzt sein.

Typ III

  • Ohne geografische Begrenzung,

  • permeatives Destruktionsmuster,

  • ausschließlich maligne Tumoren.

So sind Lodwick-I-Läsionen (geografisch umschriebene Lage) in fast 100% der Fälle benigne, während eine Lodwick-Typ-III-Morphologie (ohne geografische Begrenzung, permeatives Destruktionsmuster) ausschließlich bei malignen Tumoren zu finden ist [8].

Praxistipp

Generell spricht ein gut abgegrenzter Befund mit intakter Kortikalis eher für einen langsam wachsenden Tumor oder eine inaktive Läsion, ein mottenfraßartiges oder permeatives Destruktionsmuster hingegen für ein aggressives Wachstum.

Ferner lässt aber auch die Beurteilung der Periostreaktion Rückschlüsse auf die Aggressivität des Tumors zu. Unterschieden werden hierbei vor allem

  • kontinuierliche (solide oder lamellär) Reaktionen von

  • unterbrochenen bzw. komplexen Reaktionen (Spiculae, Codman-Dreieck, Sunburst-Strukturen).

Erstere sprechen eher für ein langsames und Letztere für ein schnelles Wachstum, wie beim Osteo- und Ewing Sarkom [9].


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MRT

Bei Läsionen, die mittels konventionellem Röntgenbild nicht eindeutig angesprochen werden können, sollte eine Magnetresonanztomografie (MRT) des gesamten tumortragenden Abschnitts mit angrenzenden Gelenken (z. B. gesamtes Femur) durchgeführt werden. Hierdurch können neben einer präzisen Bestimmung der Tumorausdehnung auch extraossäre Tumoranteile bzw. mögliche Skipmetastasen abgegrenzt und die anatomische Lagebeziehung zu Gefäßen und Nerven beurteilt werden (s. [Fallbeispiel 3] u. [Abb. 6]).

Fallbeispiel

Fall 3: Osteoblastisches Osteosarkom


Es handelt sich um eine 10-jährige Patientin mit osteoblastischem Osteosarkom der rechten Femurdiaphyse. Im präoperativen MRT zeigt sich proximal des Haupttumors eine singuläre Skipmetastase (blauer Kreis). Der Operationsplan beinhaltete in diesem Fall eine weite Resektion beider Tumoranteile mit Allograft-Fibula-Composite-Rekonstruktion des Hauptsegments und akuter Verkürzung im proximalen Bereich ([Abb. 6 b], [Abb. 6 c]). Das postoperative CT (koronare Schnittführung) des Resektats zeigt die makroskopisch vollständige Resektion des Haupttumors sowie der Skipmetastase ([Abb. 6 d], blauer Kreis).

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Abb. 6 Fall 3. a Präoperatives MRT (koronare Schnittführung, ganzes Kompartiment) b OP-Planung. c Allograft-Fibula-Composite-Rekonstruktion des Hauptsegments, akute Verkürzung im proximalen Bereich. d Postoperative CT (koronare Schnittführung).

Trotz weitreichender Fortschritte in der diagnostischen Bildgebung kann die genaue Diagnose muskuloskelettaler Tumoren aufgrund des oftmals sehr heterogenen Signalverhaltens in der MRT nur annäherungsweise gestellt werden.


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CT lokal

Die Computertomografie (CT) als Ergänzung zur konventionell-radiologischen Diagnostik und der MRT ist besonders in anatomisch komplexen Regionen wie dem Becken oder der Wirbelsäule sinnvoll, kann jedoch auch bei peripheren Tumoren im Einzelfall einen wichtigen Informationsgewinn (z. B. Beurteilung der Kortikalis, Osteoidbildung etc.) erbringen [4].


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CT-Thorax

Da hinsichtlich der Filialisierung Lungenmetastasen am weitaus häufigsten sind, ist bei allen Patienten mit malignen Knochentumoren ein CT-Thorax erforderlich.


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Skelettszintigrafie

Zur primären Ausbreitungs- und Aktivitätsdiagnostik ist u. a. die Skelettszintigrafie mit Technetium-99-Methylen-Diphosphat etabliert, welche neben einer Detektion möglicher Absiedelungen im Ganzkörper auch Rückschlüsse auf den Knochenstoffwechsel der Läsion und somit eine differenzialdiagnostische Beurteilung zulässt (aktive versus inaktive Läsion). Es sei jedoch erwähnt, dass Tumoren wie das multiple Myelom oder das eosinophile Granulom im Szintigramm stumm sein können [4]. Das eosinophile Granulom kann bildgebend unterschiedlichste – teilweise auch maligne anmutende – Erscheinungsformen annehmen, weshalb diese Tumoren im englischen Sprachgebrauch auch „great imitators“ genannt werden.

Prinzipien

Insgesamt gilt der Grundsatz, dass nur Läsionen, welche bildgebend eindeutig einer benignen Entität zugeordnet werden können und die Stabilität des Knochens nicht gefährden bzw. nicht symptomatisch sind, im Verlauf beobachtet werden können und keiner Biopsie bedürfen.


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Biopsie

Merke

Alle Tumoren, die in Zusammenschau von Klinik und radiologischen Befunden nicht eindeutig angesprochen werden können, müssen bioptisch gesichert werden.

Dies ist der Fall, wenn Zweifel an der Dignität der Läsion bestehen, wenn die zur Diskussion stehenden Differenzialdiagnosen unterschiedliche Therapieoptionen nach sich ziehen würden oder wenn die möglicherweise indizierte Therapie erhebliche Folgen für den Patienten hätte [4]. Auch bei bereits bestehender maligner Erkrankung und Verdacht auf (singuläre) ossäre Filialisierung kann eine bioptische Sicherung vor Einleitung einer Therapie erforderlich sein (Cave: Zweittumor, Sekundärmalignom).

Prinzipiell kann bei Knochentumoren sowohl eine Inzisionsbiopsie (offen) als auch eine bildgestützte Stanzbiopsie (perkutan) durchgeführt werden. In der aktuellen Literatur zeigen beide Verfahren hinsichtlich Sensitivität und Spezifität vergleichbare Ergebnisse (s. u.) [10].

Merke

Die Biopsie ist als integraler Bestandteil des Patientenmanagements zu sehen und stellt den letzten und wichtigsten Schritt des Stagings dar.

Obgleich die technische Durchführung in den meisten Fällen relativ einfach ist, bedarf die Biopsie – sowohl die Inzisions- als auch die Stanzbiopsie – einer sorgfältigen Planung.

Praxis

Prinzip

Bei der Planung muss die spätere operative Versorgung bereits miteinbezogen und der Zugang so gewählt werden, dass der Tumor en bloc mit der entsprechenden Biopsienarbe bzw. dem Stanzbiopsiekanal entfernt werden kann. Die genaue Planung der Biopsielokalisation kann daher nur im interdisziplinären Dialog (besonders bei Stanzbiopsien) und unter Anwesenheit des späteren Operateurs vorgenommen werden.

Die Rate an biopsiebezogenen Komplikationen mit negativen Auswirkungen auf das Ergebnis und/oder die Prognose wird in der Literatur mit 25 – 30% angegeben, wobei in der zugrunde liegenden Grundsatzarbeit von Mankin et al. etwa ⅔ der Biopsien in nichtonkologischen Zentren durchgeführt wurden [11]. Die Biopsie sollte daher zwingend an einem spezialisierten Zentrum und idealerweise derjenigen Klinik durchgeführt werden, in der später auch die operative Versorgung vorgenommen wird.

Inzisionsbiopsie

An den Extremitäten wird über einen möglichst kleinen Längsschnitt (der Biopsiezugang wird bei endgültiger Resektion en bloc mit dem Tumor entfernt) eine Probe aus dem Tumorgewebe entnommen.

Praxis

Praktischer Hinweis

Es ist generell darauf zu achten, beim operativen Zugang den kürzesten und direktesten Weg zum Tumor zu wählen, um so eine potenzielle Kontamination weiterer Kompartimente zu vermeiden:

  • extraanatomische Zugänge (keine klassischen Zugänge entlang von Verschiebeschichten!).

Die wahrscheinlichste operative Versorgungsstrategie muss bei der Wahl des Biopsiezugangs ebenfalls berücksichtigt werden.

In Abhängigkeit von den bildgebenden Differenzialdiagnosen soll die wahrscheinlichste operative Versorgungsstrategie bei der Wahl des Biopsiezugangs Berücksichtigung finden: So kann beispielsweise der hochgradige Verdacht auf das Vorliegen eines Chondrosarkoms im Bereich des Trochanter minor in Antizipation der wahrscheinlich erforderlichen operativen Therapie (proximaler Femurersatz) eine Biopsie von lateral (≠ kürzester Weg!) rechtfertigen.

Cave

Keinesfalls sollten bei der Biopsie Blutgefäße, Nerven und Sehnen dargestellt werden, da im Falle eines malignen Tumors kontaminierte Strukturen mitreseziert werden müssten.

Maligne Tumoren haben oftmals eine zentrale Nekrose; es handelt sich dabei um nicht diagnostisches Gewebe. Die Gewebeprobe sollte deshalb aus der Peripherie der Läsion, nicht jedoch einer möglichen Periostreaktion (→ Gefahr der Fehldiagnose einer Periostitis o. Ä.) gewonnen werden. Ein extraossärer Anteil ist zur Biopsie ebenfalls geeignet. Zur Sicherstellung einer verzögerungsfreien histopathologischen Diagnosestellung sollte auf die Gewinnung einer ausreichenden Gewebemenge (ca. 1 – 2 cm3) geachtet werden. Ferner ist empfohlen, routinemäßig einen Abstrich bzw. Gewebe für die mikrobiologische Untersuchung zu entnehmen. Bei Unsicherheit, ob die Läsion getroffen und diagnostisches Material entnommen wurde, besteht die Möglichkeit eines intraoperativen Gefrierschnitts (Schnellschnitt) zur Bestätigung der Wertigkeit der gewonnenen Probe.

Merke

Eine sorgfältige Blutstillung während der gesamten Operation ist von höchster Wichtigkeit, um der Ausbildung eines Hämatoms und somit der Verschleppung von Tumorzellen, was im schlimmsten Fall die Notwendigkeit einer Amputation nach sich ziehen kann, vorzubeugen.

Eine Blutsperre kann verwendet werden, es empfiehlt sich jedoch, diese noch intraoperativ zu öffnen und eine suffiziente Blutstillung sicherzustellen. Die Indikation zur Einlage einer Drainage kann großzügig gestellt werden, die perkutane Ausleitung der Drainage sollte im Wundwinkel oder in enger Nachbarschaft des Wundverlaufs erfolgen, denn bei Malignomen muss auch der Drainagekanal im Rahmen der endgültigen Resektion mit ausgeschnitten werden.

Da der betroffene Extremitätenabschnitt insbesondere bei malignen Tumoren oftmals stabilitätsgefährdet ist und durch eine Biopsie eine weitere Schwächung des Knochens anzunehmen ist, muss – je nach radiologischem Befund – eine Entlastung/Teilbelastung der Extremität sorgfältig abgewogen werden. Bei präoperativ intakter Kortikalis, z. B. rein intramedullärem Prozess, sollten zur weiteren Minimierung des Frakturrisikos scharfe Ecken vermieden („Stress Risers“) und stattdessen ein rundes/ovales Knochenfenster angelegt werden.

Das größte Risiko bei der Inzisionsbiopsie ist die nicht sachgemäße Ausführung durch den Operateur, weshalb die Wichtigkeit der Diagnosestellung an einem spezialisierten Zentrum nicht oft genug betont werden kann [4]. Hefti formulierte die 7 klassischen Fehler der Inzisionsbiopsie wie in der Übersicht zusammengefasst [12].

Übersicht

Die 7 klassischen Fehler („Todsünden“) der Inzisionsbiopsie

  • Zugang durch klassischen Zugangsweg

  • Entnahme von zu wenig und nicht repräsentativen Tumoranteilen

  • Verwendung von Hohmann-Hebeln

  • Redon-Drainage weit außerhalb der Inzision

  • Hautnaht mit weit durchgreifenden Einzelknopfnähten

  • Fixation des Exzidates in Formalin (Anmerkung: aufgrund neuerer Prozessierungsmethoden unter Umständen erlaubt und in Absprache mit dem Pathologen möglich)

  • Biopsie von malignen Tumoren nicht an der Klinik, an der die Therapie erfolgt

(nach [12])


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Stanzbiopsie

Die genaue Lokalisation des Tumors und der optimalen Biopsiestelle erfolgt bildgestützt (Durchleuchtung, ggf. Sonografie oder CT), wobei die CT nach unserer Auffassung bei Knochentumoren als Methode der Wahl anzusehen ist. Durch die Weiterentwicklung der bildgebenden Verfahren ist eine Stanzbiopsie heute an nahezu allen Körperregionen sicher durchführbar. Wie bei der (offenen) Inzisionsbiopsie muss auch bei der Stanzbiopsie der Biopsieweg sorgfältig geplant werden. Obgleich in einer bislang einzigartigen Studie kein Nachweis von Tumorzellen im Biopsiekanal erbracht werden konnte, ist die Mitentfernung des Biopsiekanals bei der endgültigen Resektion en bloc mit dem tumortragenden Segment nach wie vor dringend angeraten.

Die Vorteile der Stanzbiopsie liegen in der schonenden und minimalinvasiven Durchführbarkeit. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass besonders bei Kindern und Jugendlichen in der Regel eine Allgemeinanästhesie zur Biopsieentnahme erforderlich ist. Ein weiterer Vorteil der Stanzbiopsie ist, dass der genaue Ort der Biopsatentnahme in der CT dreidimensional dokumentiert und nachvollzogen werden kann. Dies kann besonders bei histopathologisch nicht eindeutig zuordenbaren Befunden oder nur fraglich diagnostischem Gewebe im Einzelfall von hohem diagnostischem Wert sein.

Merke

Als größter Nachteil der Methode ist die begrenzte Menge an Biopsiematerial und das damit verbundene Risiko eines sog. „sampling error“ (Erhalt von zu wenig oder nicht ausreichend diagnostischem Gewebe) zu sehen.

Wie bereits erwähnt, sind an spezialisierten Zentren die Ergebnisse der Inzisions- und Stanzbiopsie jedoch weitgehend gleichwertig, weshalb der schonenderen Stanzbiopsie mittlerweile an vielen Institutionen der Vorzug bei Knochentumoren gegeben wird.


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Feinnadelbiopsie

Feinnadelbiopsien werden vor allem im Rahmen von zytologischen Punktionen (z. B. Schilddrüse) eingesetzt und sind, anders als Stanzbiopsien (Core Needle Biopsy), nicht zur Diagnostik von Knochentumoren geeignet. Ausnahmen sind Situationen wie die Durchführung einer Biopsie zum Nachweis von Metastasen oder zur Dokumentation eines Lokalrezidivs, in denen im Einzelfall auch die Verwendung einer Feinnadelbiopsie sinnvoll sein kann.


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Staging

Nach Abschluss der Primärdiagnostik (s. o.) und Diagnosestellung erfolgt bei malignen Tumoren das sog. Tumorstaging, wobei prinzipiell zwei Arten – das lokale und das systemische Staging – unterschieden werden.

Lokales Staging

Unter dem Begriff „lokales Staging“ wird die Beurteilung der lokalen Tumorausdehnung (in Korrelation zu anatomischen Strukturen) sowie die Graduierung des Tumors („Grading“) und damit die Abschätzung des Metastasierungspotenzials verstanden.


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Systemisches Staging

Das „systemische Staging“ verfolgt den Zweck, eine (primäre) Metastasierung bildgebend auszuschließen bzw. zu diagnostizieren. Bei malignen Knochentumoren wird hierfür zumeist ein CT-Thorax sowie eine Ganzkörperszintigrafie (oder PET-CT/PET-MRT) durchgeführt (s. o.). Weitaus am häufigsten bei Knochentumoren ist eine pulmonale Metastasierung, in selteneren Fällen können aber auch die Lymphknoten oder abdominale Organe (z. B. Leber) betroffen sein.

Knochenmetastasen kommen vor allem beim Osteosarkom im Rahmen von Skipmetastasen (s. [Definition „Skipmetastase“]) vor. Die Prognose bei Vorliegen von Skipmetastasen ist ähnlich schlecht wie bei einer anderweitigen Metastasierung, die Darstellung des gesamten (betroffenen) Knochens in der initialen MRT daher von hoher Wichtigkeit. Beim Ewing-Sarkom oder primären Lymphom des Knochens ist für das systemische Staging neben der Bildgebung eine Knochenmarkpunktion erforderlich.

Definition

Skipmetastase

Knochenmetastasen innerhalb des gleichen Knochensegments, aber in räumlicher Distanz vom Primärtumor.

Bei Vorliegen von Skipmetastasen ist die Prognose ähnlich schlecht wie bei einer anderweitigen Metastasierung der Tumorerkrankung.

In großen Kooperationsstudien konnte gezeigt werden, dass ca. 10 – 15% der Patienten mit Osteosarkom und ca. 20 – 25% der Patienten mit Ewing-Sarkom bereits bei Erstdiagnose eine Metastasierung (vor allem Lunge und Skelett) aufweisen [13], [14].

Ziel des Stagings ist es, einen spezifischen Behandlungsplan abzuleiten bzw. zu entwickeln und die Prognose des Patienten abschätzen zu können. Das Stagingsystem nach Enneking für Knochentumoren ([Tab. 1]) beruht hierbei im Wesentlichen auf 3 Säulen [15]:

  • Grading,

  • lokale Tumorausdehnung (Kompartimente),

  • Metastasierung.

Tab. 1 Stagingsystem von Knochentumoren nach Enneking.

Stadium

Tumor

Metastase

Grad

IA

T1

M0

G1

IB

T2

M0

G1

IIA

T1

M0

G2

IIB

T2

M0

G2

III

T1 oder T2

M1

G1 oder G2

Bewertung:

T1 – intrakompartimentell

T2 – extrakompartimentell

M0 – keine Metastasen

M1 – Regional- oder Fernmetastase

G1 – Low-Grade-Tumor

G2 – High-Grade-Tumor

Das potenzielle Metastasierungsrisiko kann hierbei am besten anhand des Gradings beurteilt werden. Als grobe Größenordnung gilt:

  • benigne: 0%,

  • Low Grade: < 15%,

  • High Grade: > 15%.


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Therapeutisches Vorgehen bei benignen Tumoren

Die Entscheidung, ob und wann ein benigner Knochentumor behandelt werden sollte, wird maßgeblich von Faktoren wie der zugrunde liegenden Entität, der Lokalisation bzw. der Stabilitätsgefährdung und der Symptomatik beeinflusst.

Zu den sogenannten „leave me alone Lesions“ – also Läsionen, die bildgebend eine pathognomonische Morphologie aufweisen und weder einer bioptischen Sicherung noch Behandlung bedürfen – zählen beispielsweise das nicht ossifizierende Fibrom oder das kortikale Desmoid. Ist eine Behandlung indiziert, so erfolgt diese mit wenigen Ausnahmen meist operativ.

Thermofrequenzablation

Das Osteoidosteom wird heutzutage bei geeigneter Lage (ausreichender Abstand zu Nerven und Gefäßen) an den meisten Zentren primär mittels Thermofrequenzablation behandelt. Hierbei wird durch einen interventionellen Radiologen eine Sonde (Applikator) in das Zentrum der Läsion eingebracht und ein Hochfrequenzstrom angelegt, durch den eine starke Hitzeentwicklung entsteht, die zur Auslösung von Hitzenekrosen und der Zerstörung des Tumorgewebes führt.


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Gefäßembolisation

Beim Riesenzelltumor können in ungünstiger anatomischer Lage wie z. B. dem Sakrum die zuführenden Gefäße embolisiert und somit lokale Kontrollraten von bis zu 50% erreicht werden.


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Medikamentöses Downstaging bei Riesenzelltumoren

Ist generell die Resektion eines Riesenzelltumors nicht ohne relevanten Funktionsverlust möglich, so kann auch ein „Downstaging“ (Verkleinerung, bessere Abgrenzung) des Tumors durch neoadjuvante Gabe von Denosumab – einem humanen monoklonalen Antikörpers des RANK-Liganden (RANKL) – diskutiert werden (s. [Fallbeispiel 4] u. [Abb. 7]).

Fallbeispiel

Fall 4: Riesenzelltumor


Um bei einem 18-jährigen Patienten mit Riesenzelltumor des linken Schienbeinkopfes ([Abb. 7 a]) die Chance eines langfristigen Gelenkerhalts zu verbessern, wurde der Patient mit Denosumab vorbehandelt. Trotz geringgradig abweichender CT-Schicht ist die verbesserte Abgrenzung des Tumors nach Behandlung mit Denosumab zu erkennen ([Abb. 7 b]).

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Abb. 7 Fall 4. a Koronare CT-Bildgebung vor Behandlung mit Denosumab. b Koronare CT-Bildgebung nach Behandlung mit Denosumab.

Die Gabe von Denosumab wird unter Beachtung der Kontraindikationen und entsprechendem Monitoring (hinsichtlich möglicher Nebenwirkungen wie z. B. Kiefernekrosen) neoadjuvant über einen Zeitraum von 3 – 12 Monaten empfohlen, bei inoperablen Tumoren kann auch eine Langzeittherapie erwogen werden. Als problematisch ist jedoch der Tumorprogress nach Absetzen des Präparats anzumerken.


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Operative Therapie

Die operative Behandlung benigner Tumoren beinhaltet in den meisten Fällen die marginale (z. B. Osteochondrom) oder intraläsionale (z. B. Enchondrom) Resektion, in selteneren Fällen kann aber auch eine En-bloc-Resektion (z. B. Chondromyxoidfibrom) sinnvoll sein. Bei der intraläsionalen Resektion sollte generell zur Verminderung des Rezidivrisikos neben der reinen Kürettage des Tumors zumindest ein weiteres Verfahren bzw. eine Kombination aus mehreren Verfahren (sog. Adjuvanzien) angewendet werden:

  • mechanische Verfahren

    • Turbofräsung mit Hochfrequenzfräse,

  • chemische Verfahren

    • Phenol,

    • Alkohol,

    • Wasserstoffperoxid,

  • thermische Verfahren

    • Knochenzement,

    • Elektrokauter,

    • Kryochirurgie.

Das Rezidivrisiko konnte hierdurch in großen Studien bei einigen Entitäten mehr als halbiert werden.

Die Auffüllung des durch die Operation entstehenden Defekts ist stark den Präferenzen des jeweiligen Operateurs unterworfen. Im klinischen Alltag etabliert sind vor allem die Auffüllung mittels

  • Eigenspongiosa,

  • Allograft (z. B. bei fibröser Dysplasie),

  • PMMA-Zement (z. B. bei Riesenzelltumoren),

  • synthetischen Knochenersatzmaterialien (z. B. Trikalziumphosphat, Kalziumsulfat etc.)

  • oder einer Kombination aus den Vorgenannten.


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Therapeutisches Vorgehen bei malignen Tumoren

Während die Therapie für High-Grade-Osteosarkome und Ewing-Sarkome im Rahmen/analog zu interdisziplinären Therapieoptimierungsstudien – bestehend aus neoadjuvanter Chemotherapie, Resektion mit weiten Resektionsrändern und adjuvante Chemotherapie (s. u.) – erfolgt, beinhaltet die Behandlung von Low-Grade-Osteosarkomen, dem Chondrosarkom, Adamantinom u. a. meist nur die Resektion des Tumors.

Systemische Therapie und Strahlentherapie

Osteosarkom

Die Patientenrekrutierung der bislang größten prospektiv multizentrisch randomisierten Osteosarkomstudie, der EURAMOS-1-Studie (European and American Osteosarcoma Study Group), wurde bereits zum 30.06.2011 geschlossen. Neuere Patienten werden daher nicht mehr in die Studie eingeschlossen, können jedoch als Registerpatienten gemeldet und analog dem EURAMOS-1-Studienprotokoll behandelt werden.

Das Protokoll beinhaltet zunächst eine ca. 10-wöchige neoadjuvante Chemotherapie mit 2 Zyklen Cisplatin/Doxorubicin und 4 Zyklen Methotrexat. Nach der hierauf durchgeführten Operation schließt sich die adjuvante Chemotherapie an, welche maßgeblich vom Regressionsgrad des Tumors (histologisches Ansprechen auf die neoadjuvante Chemotherapie) abhängt und entweder aus einer Fortführung der präoperativ applizierten Substanzen mit/ohne zusätzliche Gabe von Interferon-α oder einer Salvage-Therapie mit zusätzlicher Gabe von Ifosfamid/Etoposid bei einem Regressionsgrad ≥ IV nach Salzer-Kuntschik (≥ 10% vitales Tumorgewebe) besteht.

Seit Februar 2010 ist zudem ein neues Präparat (Mifamurtid, Mepact) für die Behandlung operabler, nicht metastasierter Osteosarkome in Deutschland erhältlich, welches im Anschluss an eine vollständige Tumorresektion zusammen mit weiteren Substanzen in Form einer Kombinationschemotherapie eingesetzt werden kann und bereits erste erfolgversprechende Ergebnisse zeigte.

Für Patienten jenseits des 40. Lebensjahres wurde im Jahr 2004 ein eigenes Chemotherapieprotokoll (EURO-B.O.S.S.: European Bone over 40 Sarcoma Study) etabliert.

Da Osteosarkome nur wenig strahlensensibel sind, ist die Radiatio kein integraler Bestandteil der Behandlung. In Ausnahmefällen kann bei nicht im Gesunden resezierbaren Tumoren (stammnahe Lage, kraniofaziale Tumoren etc.) eine Bestrahlung nach interdisziplinärer Absprache indiziert sein.


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Ewing-Sarkom

Die Behandlung von lokalisierten wie auch primär metastasierten Ewing-Sarkomen wird derzeit gemäß des Euro-E. W. I. N. G.-2008-Protokolls (European Ewing Tumour Working Initiative of National Groups – Ewing tumour studies 2008) durchgeführt. Dieses sieht initial 6 Zyklen einer einheitlichen Induktionschemotherapie mit VIDE (Vincristin, Ifosfamid, Doxorubicin und Etoposid) vor. Nach der sich anschließenden Lokaltherapie (Operation) erfolgt wie auch beim Osteosarkom eine adjuvante Chemotherapie. Diese wird in Abhängigkeit der vorliegenden Risikofaktoren in unterschiedliche Therapiearme gruppiert.

Im Gegensatz zum Osteosarkom weist das Ewing-Sarkom eine gute Strahlensensibilität auf. Zur lokalen Tumorkontrolle können daher je nach Tumorlokalisation und -größe operative Verfahren und/oder eine Strahlentherapie zum Einsatz kommen. Bei alleiniger Radiochemotherapie scheint die Rezidivrate im Vergleich zur Kombinationsbehandlung aus Chemotherapie und Operation etwas erhöht zu sein, weshalb wenn möglich immer eine weite Resektion angestrebt werden sollte. Nur bei besonders ungünstiger anatomischer Lage (z. B. Becken) oder Erfordernis mutilierender Operationen bzw. zu erwartendem erheblichen funktionellen Defizit kann eine ausschließliche Radiochemotherapie ohne Resektion erwogen werden. Die lokale Kontrollrate wird hierbei in der Literatur mit bis zu 80 – 85% angegeben.


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Grundsätzliche Überlegungen zur operativen Therapie

Da gezeigt werden konnte, dass bei malignen Tumoren eine Amputation gegenüber der lokalen Resektion mit weiten Resektionsrändern keinen Überlebensvorteil erbringt, wurde in den letzten Jahrzehnten in den meisten Fällen ein Extremitätenerhalt (Limb Salvage) angestrebt. So wurde beispielsweise beim Osteosarkom nach neoadjuvanter Chemotherapie von einem Extremitätenerhalt in > 80 – 97% der Fälle berichtet.

Es gilt jedoch, bei der Indikationsstellung und technischen Durchführung einige Prinzipien zu beachten. So sind bei primär malignen Knochentumoren Kompromisse bezüglich der Radikalität zugunsten eines möglichen Funktionserhalts nicht zulässig. Die Entscheidung über die Art der Operation (Extremitätenerhalt versus Amputation oder Umkehrplastik) sowie gegebenenfalls das Rekonstruktionsverfahren ist hierbei in erster Linie von der Lage und Ausbreitung (lokal und systemisch) des Tumors abhängig.

Folgende Faktoren müssen bei der Entscheidung über die Art der Operation berücksichtigt werden:

  • die lokale Ausdehnung im Knochen,

  • das Vorliegen von Skipmetastasen,

  • eine Epiphysen- bzw. Gelenkbeteiligung,

  • das Ausmaß des extraossären Anteils und

  • die anatomische Lagebeziehung zu neurovaskulären Strukturen bzw. benachbarten Kompartimenten.

Die Rekonstruktion wird durch zusätzliche Faktoren maßgeblich beeinflusst:

  • Lebenserwartung,

  • Aktivitätsanspruch,

  • ggf. zu erwartendes Restwachstum,

  • anatomische Voraussetzungen (z. B. Knochendurchmesser für Endoprothesen),

  • Compliance und

  • persönliche Präferenzen von Operateur und Patienten.

Prinzipien

Prinzipielle Überlegungen zur chirurgischen Therapie maligner Knochentumoren

  • Kann eine Resektion mit weiten Resektionsrändern voraussichtlich nicht erreicht werden, so ist in den meisten Fällen eine Amputation indiziert.

  • Sind an der unteren Extremität die Gefäße ummauert (Encasement), der Nerv jedoch frei, so kann eine Umkehrplastik durchgeführt werden, welche aus funktioneller Sicht der Amputation vorzuziehen ist. Für Kinder bis 8 Jahre stellt die Umkehrplastik nach wie vor die biologische Rekonstruktionsform der Wahl dar.

  • Durch Fortschritte in der Sarkomdiagnostik und -therapie kann bei einigen Patienten von einer nahezu normalen Lebenserwartung ausgegangen werden. Daher müssen die operativen Rekonstruktionsstrategien jedoch in zunehmendem Maße auf eine möglichst lebenslange Haltbarkeit ausgerichtet werden. Hierbei sollte idealerweise sowohl der entstandene Knochendefekt stabilisiert bzw. überbrückt und eine möglichst gute Funktionsfähigkeit des betroffenen Extremitätenabschnittes wiederhergestellt werden.

  • Die zur Verfügung stehenden Rekonstruktionsoptionen können grundsätzlich in endoprothetische und biologische Rekonstruktionen unterteilt werden.


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Endoprothetische Rekonstruktion

Tumorprothese

Tumorprothesen sind modulare Endoprothesen, mithilfe derer unter bestimmten anatomischen Voraussetzungen heute ein endoprothetischer Ersatz beinahe aller großen Gelenke möglich ist.

Die freie Verfügbarkeit, eine hohe Kosteneffektivität und insbesondere die schnelle Rückkehr zur Vollbelastung bei relativ vorhersagbarer Funktion sind als besondere Vorteile der endoprothetischen Versorgung zu sehen. Die 5- bzw. 10-Jahres-Standraten von modernen Endoprothesen liegen an der oberen Extremität bei etwa 90 bzw. 87% und bei 69 – 87 % bzw. 69 – 80% an der unteren Extremität [9].


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Komplikationen der endoprothetischen Rekonstruktion

Den o. g. Erfolgen steht jedoch ein lebenslanges Risiko für Komplikationen gegenüber. Zu den häufigsten Komplikationen moderner Tumorprothesen zählen

  • Infektion,

  • Lockerungen und

  • Frakturen.

Henderson et al. schlugen eine Einteilung der Komplikationsmöglichkeiten von Rekonstruktionen nach Tumorresektion in mechanische, nicht mechanische und pädiatrische Komplikationen vor und klassifizierten diese in Typ 1 – 6 ([Tab. 2]) [16].

Tab. 2 Versagensgründe von endoprothetischen und biologischen Rekonstruktionen nach Tumorresektion [16].

Kategorie

Typ nach Henderson

Subtyp

mechanisch bedingtes Prothesenversagen

1

Weichteilversagen

Funktion

Weichteildeckung

2

aseptische Lockerung

früh

spät

3

strukturelles Versagen

Implantat

Knochen

nicht mechanisch bedingtes Prothesenversagen

4

Infektion

früh

spät

5

Progress/Rezidiv

Weichteil

Knochen

pädiatrisches Versagen

6

Versagen bei Kindern

Wachstumsarrest

Gelenkdysplasie

  • Mechanisch bedingte Komplikationen (Henderson Typ 1 – 3):

    • Typ 1: Von einem Weichteilversagen (z. B. Luxation) sind besonders häufig Schulter- und proximale Femurersatzprothesen betroffen, bei denen die umgebenden Weichteile in hohem Maße zur Stabilität des Gelenks beitragen.

    • Typ 2: Aseptische Lockerungen treten in bis zu 27% der Fälle auf und werden generell aufgrund des verbesserten Langzeitüberlebens und dem hohen Mobilitätsanspruch besonders bei jüngeren Patienten vermehrt beobachtet. Durch Einführung von Tumorprothesen mit rotierender Plattform und Hydroxylapatit-beschichtetem Kragen am Knochen-Prothesen-Interface konnte das Risiko für aseptische Lockerungen beispielsweise beim distalen Femurersatz jedoch relevant (ca. 24%) gesenkt werden [9].

    • Trotz dieser und weiterer Verbesserungen moderner Tumorprothesen stellen aber auch strukturelle Komplikationen (Typ 3, vor allem Bruch der Verankerungsstiele) weiterhin ein Problem dar.

  • Nicht mechanisch bedingte Komplikationen (Henderson Typ 4 und 5):

    • Typ 4: Infektionen sind eine schwerwiegende Komplikation und derzeit der häufigste Versagensgrund von Tumorprothesen. So beträgt die lebenslange Inzidenz für einen periprothetischen Infekt bei Tumorprothesen etwa 11,8% [9]. Besonders multiresistente Keime wie MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) und MRSE (Methicillin-resistenter Staphylococcus epidermidis) werden mehr und mehr als Verursacher periprothetischer Infektionen ausgemacht und stellen die Behandler mit Re-Infektraten von ca. 19% vor große Probleme.

  • Pädiatrische Komplikationen (Henderson Typ 6):

    • Unter den pädiatrischen Komplikationen werden vor allem Komplikationen wie Wachstumsarrest, Ausbildung von longitudinalen bzw. angulären Deformitäten oder auch die Dysplasieentstehung eines Gelenks durch Artikulation mit einer Endoprothese subsumiert.

Merke

Generell muss auch im Kindes- und Jugendalter in vielen Fällen aufgrund der epi-/metaphysären Tumorlage (Osteosarkom) eine endoprothetische Rekonstruktion erfolgen (s. [Fallbeispiel 5] u. [Abb. 8]).

Durch die Resektion einer Wachstumsfuge selbst und ggf. eine iatrogene Beeinträchtigung der angrenzenden Fuge können in Abhängigkeit vom Erkrankungsalter relevante Beinlängendifferenzen entstehen, welche bei der Operationsplanung berücksichtigt werden müssen. Mögliche Lösungsansätze sind

  • die akute Überverlängerung der betroffenen Seite (wegen des hohen Komplikationsrisikos für Weichteil-, Gefäß- und Nervenschäden nur bis zu 3 cm am Femur bzw. 2 cm an der Tibia empfohlen),

  • eine Epiphyseodese an der gesunden Gegenseite (wegen geringerer Endgröße nur bis Größenordnung 3 – 4 cm; Cave: Timing bei Kindern nach Chemotherapie erschwert),

  • bei größeren zu erwartenden Längendifferenzen (> 4 cm) die Implantation einer Wachstumsprothese.

Neben relativ hohen allgemeinen Komplikationsraten bergen Wachstumsprothesen den speziellen Nachteil, dass durch jeden Verlängerungsschritt das Längenverhältnis zwischen angrenzendem Knochen und Prothese verschlechtert und somit das Risiko für aseptische Lockerungen erhöht wird. Die neueste Entwicklung von Wachstumsprothesen („bioexpandierbare“ Wachstumsprothese) zielt daher darauf ab, den Knochen selbst und nicht die Prothese zu verlängern.

Fallbeispiel

Fall 5: Hochmalignes osteoblastisches Osteosarkom


Dieses Fallbeispiel zeigt eine 11-jährige Patientin mit hochmalignem osteoblastischem Osteosarkom der proximalen Tibia mit Überschreitung der Wachstumsfuge (blauer Kreis in [Abb. 8 a, b]). In solchen Fällen muss auch bei Kindern und Jugendlichen meist eine endoprothetische Rekonstruktion erfolgen ([Abb. 8 c]).

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Abb. 8 Fall 5. a Präoperative MRT-Bildgebung (koronare T1-gewichtete TSE-Sequenz). b Präoperative MRT-Bildgebung (T1-gewichtete Sequenz mit Kontrastmittel). c Postoperatives Röntgenbild in a.–p. und seitlich.

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Biologische Rekonstruktion

In Abhängigkeit von Lokalisation, Defektgröße und -art sowie der zugrunde liegenden Tumorentität können unterschiedliche biologische Rekonstruktionsmethoden zur Anwendung kommen. Besonders etabliert sind vaskularisierte/nicht vaskularisierte Autografts und Allografts.

Autograft (vaskularisierter oder nicht vaskularisierter Eigenknochen)

Bei vaskularisierten und nicht vaskularisierte Autografts bestehen hinsichtlich der chirurgischen, funktionellen und onkologischen Ergebnisse prinzipiell keine signifikanten Unterschiede, beide Verfahren weisen jedoch gewisse individuelle Vor- und Nachteile auf, welche bei der Indikationsstellung Beachtung finden sollten.

Die nicht vaskularisierte Fibulatransplantation zeichnet sich vor allem durch die geringere technische Schwierigkeit (ohne Mikrochirurgie) und somit auch kürzere Operationsdauer aus. Da der Periostschlauch bei der Entnahme erhalten bleiben kann, besitzt die verbleibende Fibula zudem das Potenzial einer vollständigen Remodellierung und Kontinuitätswiederherstellung. Nachteilig sind jedoch die – im Gegensatz zu vaskularisierten Fibulae – geringere biologische Aktivität bei Rekonstruktionen an den Extremitäten und bei Patienten mit adjuvanter Chemotherapie sowie das Risiko einer Transplantatresorption.

Vaskularisierte Fibulatransplantate haben den Vorteil einer frühen Gefäßversorgung. Hierdurch können einerseits die knöcherne Hypertrophie- bzw. Remodellierungsraten (in der Literatur 37 – 90%) verbessert und andererseits die Komplikationen infolge von Chemotherapie bzw. Immunsuppression minimiert werden [9]. Die Transplantation einer vaskularisierten Fibula unter Erhalt der proximalen Wachstumsfuge (mit Fibulaköpfchen) erlaubt im frühen Kindesalter unter bestimmten Umständen sogar eine biologische osteoartikuläre Rekonstruktion (vor allem proximaler Humerus und koxales Femurende) sowie das weitere Längenwachstum des Transplantates (bis zu 1 cm pro Jahr). Durch die Möglichkeit einer osteokutanen Transplantation kann mit vaskularisierten Transplantaten zudem eine Weichteilrekonstruktion bzw. plastische Deckung in gewissem Maße durchgeführt werden.


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Allograft (Fremdknochen)

Allografts weisen im Gegensatz zu Autografts eine beinahe uneingeschränkte Verfügbarkeit auf. Primäres Ziel ist es, einen knöchernen Defekt mit ausreichender struktureller Primärstabilität zu überbrücken und durch die langfristige Inkorporation des Allografts das Segment biologisch zu rekonstruieren.

Die Vorteile von Allografts liegen neben der freien Verfügbarkeit vor allem darin, dass wichtige Sehnen und Bandstrukturen refixiert und somit die funktionellen Ergebnisse verbessert werden können. Nachteile bestehen vor allem durch das hohe Komplikationsrisiko:

  • sekundäre Frakturen (ca. 16%),

  • Infektionen (ca. 13%),

  • Non-Union (ca. 11%),

  • Restrisiko für Infektionskrankheiten [9].

Im klinischen Alltag werden Allografts daher meist nur noch für diaphysäre Rekonstruktionen (sog. intercalary Allografts) oder als sogenanntes Composite Graft (s. u.) eingesetzt.


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Composite Graft

Es handelt sich um eine Kombination aus Allograft und vaskularisierter Fibula oder Endprothese. Bei der durch Capanna et al. beschriebenen Technik wird ein Fibulatransplantat in das Allograft eingebracht und hierauf an der Empfängerregion wieder an die Gefäßversorgung angeschlossen [17]. Hierdurch kann eine ausreichende Primärstabilität (Allograft) erreicht und das Allograft später durch die hypertrophierende Fibula zunehmend „vitalisiert“ bzw. ersetzt werden. Die Komplikationsraten hinsichtlich Non-Union und Frakturen konnte mithilfe dieser Technik im Vergleich zu singulären Allografts nahezu halbiert werden.


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Alternative Techniken zur biologischen Rekonstruktion

Explantation-Replantation

Alternative biologische Rekonstruktionsmethoden beinhalten u. a. Techniken mit extrakorporaler Devitalisierung des tumortragenden Segments und anschließender Replantation (Explantation-Replantation). Hierzu zählen beispielsweise die extrakorporale Bestrahlung, Autoklavierung, Pasteurisierung oder Kryobehandlung des befallenen Knochensegments. Wichtigste Nachteile dieser Verfahren sind jedoch die Beeinträchtigung der mechanischen und biologischen Eigenschaften des Knochensegments sowie der Umstand, dass die Resektionsränder sowie das Ansprechen auf die neoadjuvante Chemotherapie histopathologisch nicht beurteilt werden können.


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Segmenttransport

Beim Segmenttransport können Defekte gemäß den Prinzipien der Kallusdistraktion mit biologisch hochwertigem Eigenknochen überbrückt bzw. rekonstruiert werden. Nachteile sind die lange Behandlungsdauer sowie relativ hohe Komplikationsraten für Pininfektionen, Regeneratversagen, Achsabweichung und sekundäre Frakturen.


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Masquelet-Technik

Eine weitere Technik zur Autoregeneration von Knochen ist die sogenannte Masquelet-Technik. Prinzip des Verfahrens ist die Induktion einer fremdkörperassoziierten Membran (durch passageres Einbringen eines PMMA-Spacers in den Defekt), welche durch Sekretion osteoinduktiver Wachstumsfaktoren wie VEGF, TGF-β und BMP-2 die Knochenheilung und -neubildung nach Defektauffüllung mit (meist) autologer Spongiosa unterstützt. Für die Defektrekonstruktion nach Tumorresektion mittels Masquelet-Technik sind bislang nur einzelne Kasuistiken beschrieben, prinzipiell kann das Verfahren jedoch auch bei ausgedehnten knöchernen Defekten von bis zu 20 cm Länge und sogar bei Bestrahlung oder Infektion angewendet werden.


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Nachsorge und Prognose

Benigne Knochentumoren

Bei benignen Tumoren werden bildgebende Kontrollen des Lokalbefundes in Abhängigkeit vom individuellen Rezidivrisiko der jeweiligen Entität sowie der Tumorlokalisation in (zumeist) halb- bzw. einjährlichen Intervallen für einen bestimmten Zeitraum (meist ca. 5 Jahre, beim Riesenzelltumor aufgrund des Risikos für Spätrezidive 10 Jahre) durchgeführt. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt dies mittels konventioneller Röntgenbilder, seltener kann auch die Nachsorge mittels MRT sinnvoll sein, z. B. bei Riesenzelltumor nach Zementplombage.

Cave

Bei Riesenzelltumoren, die mittels RANKL-Inhibitoren behandelt werden (Denosumab, s. o.), ist neben der lokalen Nachsorge auch auf die mögliche Entwicklung von Kiefernekrosen bzw. Kontrollen der Knochenstoffwechselparameter im Blut zu achten.


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Maligne Knochentumoren

Maligne Knochentumoren bedürfen einer engmaschigen lokalen sowie systemischen Nachsorge.

Beim Osteo- wie auch dem Ewing-Sarkom liegt das Rezidiv-/bzw. Metastasierungsrisiko bei etwa 30 – 40%, wobei das Wiederauftreten der Erkrankung in der überwiegenden Zahl der Fälle innerhalb der ersten 2 Jahre beobachtet wird. Für beide Entitäten sind studienbezogene Nachsorgepläne erhältlich, welche einer stetigen Überarbeitung und Aktualisierung unterzogen werden. Die Prognose des Osteo- sowie des Ewing-Sarkoms konnte durch die Einführung der neo-/adjuvanten Chemotherapie deutlich verbessert werden, das 5-Jahres-Überleben liegt heute für beide Entitäten bei etwa 70%. Die Prognose wird hierbei maßgeblich durch Faktoren beeinflusst [2] wie

  • Tumorlokalisation, -größe und -volumen,

  • das histologische Ansprechen auf Chemotherapie,

  • das Vorliegen und die Art (pulmonal versus ossär) von Metastasen sowie

  • die Art des Fusionstranskripts (bei Ewing-Sarkomen).

High-Grade-maligne Knochentumoren

Generell sollte bei High-Grade-malignen Knochentumoren eine klinische und bildgebende Kontrolle des Lokalbefundes (MRT/Röntgen) sowie der Lungen (CT/Röntgen) während der ersten 2 Jahre nach Therapieende in 3-monatlichen Abständen, danach bis zum Abschluss des 5. Jahres halbjährlich und danach in jährlichen Intervallen erfolgen.


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Low-Grade-maligne Knochentumoren

Bei Low-Grade malignen Knochentumoren führen wir lokale und systemische Nachsorgeuntersuchungen während der ersten 5 Jahre in 6-monatlichen Abständen und anschließend einmal jährlich durch.

Merke

Von höchster Wichtigkeit ist, dass die Nachsorge idealerweise an dem primär behandelnden Sarkomzentrum durchgeführt werden sollte und der Nachsorgeplan in Abhängigkeit von klinischen Auffälligkeiten oder anderweitiger Indikationen (knappe Resektionsränder, schlechtes Ansprechen auf Chemotherapie etc.) entsprechend angepasst werden muss.


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Kernaussagen
  • Primäre Tumoren des Knochens sind Neoplasien, die sich de novo aus Knochengewebe entwickeln.

  • In Anbetracht der großen Gesamtzahl an benignen und malignen Tumoren des menschlichen Körpers sind primäre Tumore des muskuloskelettalen Systems selten. → Primär maligne Knochentumoren machen etwa 0,2% aller Malignome des Menschen aus.

  • Primäre Knochentumoren folgen meist einer typischen Alters- und Geschlechtsverteilung und kommen vermehrt während der ersten 3 Lebensdekaden vor.

  • Ein Großteil der Knochentumoren besitzt typische Prädilektionsstellen sowie eine typische Verteilung innerhalb des jeweiligen Skelettabschnitts.

  • Die Klassifikation der WHO ist das Standardwerk zur Einteilung der Knochentumoren.

  • Der genaue Pathomechanismus ist bei den meisten Entitäten bislang nicht/nicht genau geklärt. Man geht davon aus, dass u. a. Noxen und vorbestehende Knochenveränderungen die Entstehung von aggressiven Knochentumoren begünstigen können.

  • Eine lokale Schwellung und/oder lokale Schmerzen sind typische Symptome von malignen Knochentumoren.

  • Empfohlene diagnostische Kaskade:

    • Anamnese,

    • klinische Untersuchung/Inspektion,

    • Laboruntersuchung,

    • Röntgen,

    • MRT,

    • ggf. CT lokal,

    • Inzisions- oder Stanzbiopsie weisen hinsichtlich ihrer Sensitivität und Spezifität vergleichbare Ergebnisse auf.

    • bei malignen Tumoren: CT Thorax,

    • Ausbreitungsdiagnostik (z. B. Skelettszintigrafie),

  • Die Entscheidung, ob und wann ein benigner Knochentumor behandelt werden sollte, wird maßgeblich von Faktoren wie zugrunde liegende Entität, Lokalisation, Stabilitätsgefährdung und Symptomatik beeinflusst.

  • Bei der intraläsionalen Resektion sollte generell zur Verminderung des Rezidivrisikos neben der reinen Curettage des Tumors zumindest ein weiteres mechanisches (Turbofräsung mit Hochfrequenzfräse), chemisches (Phenol, Alkohol, Wasserstoffperoxid) oder thermisches (Knochenzement, Elektrokauter, Cryo, etc.) Verfahren (sogenannte Adjuvantien) bzw. eine Kombination aus mehreren angewendet werden.

  • Die Behandlung des Osteosarkoms und Ewing-Sarkoms folgt interdisziplinären Therapieoptimierungsstudien – bestehend aus neo- und adjuvanter Chemotherapie sowie weiter Tumorresektion. Beim Ewing-Sarkom kann im Einzelfall (z. B. bei ungünstiger anatomischer Lage) eine alleinige Radio-Chemotherapie erwogen werden. Bei der chirurgischen Therapie wird hinsichtlich der Rekonstruktion grundsätzlich zwischen endoprothetischen und biologischen Rekonstruktionsformen (mit jeweils individuell unterschiedlichem Komplikationsprofil) unterschieden.

  • Nachsorge ist für maligne, aber auch für benigne Knochentumoren notwendig und muss an die individuellen Begebenheiten des einzelnen Patienten angepasst werden.

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Dr. med. Ulrich Lenze, München.


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Autorinnen / Autoren

Ulrich Lenze

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Dr. med. Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Schwerpunkt: Tumororthopädie und Deformitäten-/Defektrekonstruktion. Zuletzt Limb Reconstruction Fellow am Royal Childrenʼs Hospital in Melbourne (Aus). Tätig in der Sektion Tumororthopädie an der Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum rechts der Isar der TU München.

Carolin Knebel

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Dr. med., Jahrgang 1976. 1995 – 2002 Studium der Humanmedizin Universität Regensburg und TU München. 2002 – 2012 Facharztausbildung Chirurgie und Facharztausbildung Orthopädie und Unfallchirurgie an der TU München. 2008 Fachärztin für Chirurgie, 2012 Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie. Seit 01/2014 Oberärztin an der Klinik für Orthopädie Klinikum rechts der Isar der TU München. Schwerpunkt: Tumororthopädie (DGOOC-Zertifikat Tumororthopädie 05/2017).

Hans Rechl

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apl. Prof. Dr. Dr. med. Facharzt für Orthopädie, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Schwerpunkt: Tumororthopädie. Ehemaliger Leiter des Muskuloskelettalen Tumorzentrums sowie der Sektion Tumororthopädie an der Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum rechts der Isar der TU München.

Rüdiger von Eisenhart-Rothe

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Univ.-Prof. Dr. med., Dipl.-Kfm. Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Facharzt für Orthopädie. Schwerpunkte: Endoprothetik, Wechselendoprothetik, Tumororthopädie. Tätig als Direktor der Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie am Klinikum rechts der Isar der TU München.

Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Ulrich Lenze
Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie
Klinikum rechts der Isar der TU München
Ismaningerstraße 72
81675 München


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Abb. 1 Typische Lokalisationverteilung von Knochentumoren innerhalb langer Röhrenknochen.
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Abb. 2 Typische Lokalisationsverteilung von Knochentumoren in Wirbelknochen.
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Abb. 3 Fall 1. a Präoperative koronare CT-Bildgebung. b Präoperative MRT-Bildgebung (axiale T1-gewichtete Sequenz). c Makroskopischer Aspekt nach Resektion.
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Abb. 4 Fall 2. a Röntgenbild, 4 Monate zuvor in einem peripheren Krankenhaus angefertigt. b Lokal weit fortgeschrittenes Osteosarkom.
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Abb. 5 In der Lodwick-Klassifikation wird die im Röntgenbild sichtbare Transitionszone (Berandung) eines Tumors besonders berücksichtigt (s. a. [Übersicht „Lodwick-Einteilung“]).
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Abb. 6 Fall 3. a Präoperatives MRT (koronare Schnittführung, ganzes Kompartiment) b OP-Planung. c Allograft-Fibula-Composite-Rekonstruktion des Hauptsegments, akute Verkürzung im proximalen Bereich. d Postoperative CT (koronare Schnittführung).
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Abb. 7 Fall 4. a Koronare CT-Bildgebung vor Behandlung mit Denosumab. b Koronare CT-Bildgebung nach Behandlung mit Denosumab.
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Abb. 8 Fall 5. a Präoperative MRT-Bildgebung (koronare T1-gewichtete TSE-Sequenz). b Präoperative MRT-Bildgebung (T1-gewichtete Sequenz mit Kontrastmittel). c Postoperatives Röntgenbild in a.–p. und seitlich.