physiopraxis 2018; 16(03): 1
DOI: 10.1055/s-0043-121826
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Loslassen!

Rosi Haarer-Becker

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
16 March 2018 (online)

Ich weiß nicht, ob Sie das kennen. Es gab für mich während meiner Zeit, in der ich eine Physiotherapiepraxis hatte, Hands-on-Techniken, die ich einfach gerne machte. Ich verlor mich manchmal in therapeutischem „Behandeln“, und natürlich waren die Patienten für die „Zuwendung“ dankbar. Ich musste mir dann regelrecht sagen: „Sofort umschalten! Was will der Patient, was soll er lernen? Um ihn geht’s.“

Die WHO fordert: Die Funktionsfähigkeit von Menschen zu optimieren, ist das wichtigste Ziel der Rehabilitation. Und das Modell der menschlichen Bewegung in der Physiotherapie von Annette Probst (Probst A. Modell der menschlichen Bewegung in der Physiotherapie. physioscience 2007; 3: 131–135) beschreibt, dass das Wesen der Physiotherapie darin besteht, die sensomotorische Selbstbestimmtheit von Individuen oder von Individuen in sozialen Gruppen zu fördern, zu erhalten, wiederherzustellen oder, wenn nötig, Kompensationsmechanismen für eine weitestgehende sensomotorische Selbstbestimmung zu entwickeln.

Mir geht es nicht um mehr Hands-off oder weniger Hands-on. Dazu braucht es kein Ranking. Beide Interventionstypen sind wertvoll einzusetzen. Es ist ein Plädoyer für eine Haltungsänderung bei uns Therapeuten: mehr Loslassen, mehr Verantwortung an Patienten abgeben. Es ist ein Plädoyer dafür, sich auch in Beratung und effektiver Patientenedukation weiterzubilden. Ich möchte Ihnen dazu die Ergebnisse einer Umfrage der Kolleginnen Beckmann-Fries, Gubler-Gut und Niedermann ans Herz legen. In der aktuellen physioscience (Beckmann-Fries V et al. Umfrage bei Physio- und Ergotherapeuten zu Verständnis und Anwendung von Patientenedukation. physioscience 2018; 14: 13–21) schlussfolgern die Autorinnen, wie wichtig es ist, „dass sich Physio- und Ergotherapeuten mit den Aspekten der Patientenedukation bewusst befassen und Kompetenzen insbesondere in Kommunikation und der Unterstützung von Verhaltensänderungen und Selbstmanagement entwickeln“.

Herzlichst
Ihre
Rosi Haarer-Becker

PS: DANKE, dass sich so viele Kolleginnen und Kollegen wie nie für das Programm des physiokongresses, des IMTA-Jubiläums und des Süddeutschen Verbände-Symposiums interessierten. Es war großartig.

Zoom Image
Von Prof. Gabriele Wulf konnten wir beim physiokongress lernen: „Zahlreiche Untersuchungen der letzten Jahre heben die besondere Rolle motivationaler Faktoren für das motorische Lernen hervor.“ So ist beispielsweise die positive Erwartungshaltung auf das Gelingen einer Aufgabe motivierend. Die Aufgabe meistert der Patient, nicht der Therapeut.
Abb.: S. Oldenburg