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DOI: 10.1055/s-1999-10842
Editorial
Publication History
Publication Date:
28 April 2004 (online)
Im Frühsommer 1998 fand das Tübinger Anaesthesie-Symposium (TAS '98) zur Frage statt, ob auf den Einsatz von Humanalbumin in Anästhesie und Intensivmedizin nicht mehr und mehr verzichtet werden kann. Der Titel „Humanalbumin - Time to say good-bye?” mag zunächst etwas provozierend geklungen haben. Immerhin bieten derzeit in Deutschland 17 verschiedene Hersteller insgesamt 41 Humanalbumin-Präparationen an und machten damit im Jahre 1997 einen Umsatz von über 70 Mio. DM. Zwar ist der Verbrauch von Humanalbumin anhaltend rückläufig, der Umsatz betrug im Jahre 1992 noch annähernd 180 Mio. DM. Aber die Frage ist berechtigt, ob Humanalbumin nicht immer noch zu großzügig eingesetzt wird.
Wenige Wochen nach dem TAS erschien im British Medical Journal eine Metaanalyse der Cochrane Injuries Group, London [1]. Hier waren randomisierte kontrollierte Studien systematisch hinsichtlich eines Effektes von Humanalbumin oder Plasma Protein Lösungen auf die Mortalität bei Intensivpatienten analysiert worden. Die Autoren kommen in ihrem Rechenmodell zu dem Schluß, daß die Gabe von Humanalbumin die Mortalität der Intensivpatienten eher erhöht (1 zusätzlicher Todesfall für je 17 mit Humanalbumin behandelter Patienten). Dieser Artikel hat ein anhaltendes Echo mit einer Vielzahl von Leserbriefen und auch konträren Stellungnahmen ausgelöst.
Somit ist nicht nur unter ökonomischen, sondern auch unter qualitativen Aspekten der Anaesthesie und Intensivtherapie eine Bestandsaufnahme des Stellenwerts von Humanalbumin notwendig. Auf dem TAS '98 wurden zunächst die physiologischen Grundlagen der Kompensation von Blutverlusten und eine detaillierte Einführung in die Bedeutung des Hydratationszustandes für die Zellfunktion sowie die heutigen und die zukünftigen rekombinanten Herstellungsweisen von Humanalbumin von anerkannten Experten aus England, der Schweiz und Deutschland dargestellt. Im zweiten klinisch orientierten Abschnitt der Tagung wurden zum Teil wenig bekannte und neue Fakten zur Sicherheit und Verträglichkeit vorgetragen. Auch bei dem häufig genannten Einsatzbereich für Plasmaproteinlösungen und Albumine, der Infusionstherapie bei Kindern, liegen heute valide Daten vor, die eine weitgehende Verdrängung der natürlichen Kolloide durch die künstlichen Kolloide, speziell HES, erwarten lassen. Jedoch gilt hier, wie auch für den weiten Bereich der klinischen Praxis in der Intensivmedizin, daß ein erheblicher Nachholbedarf an Forschungsarbeit besteht. Die Bedeutung spezieller physiologischer Funktionen des Albumins, etwa der Transportfunktion oder des Scavenging von Radikalen, ist bei Intensivpatienten bislang nicht untersucht.
Unstrittig ist heute, daß Humanalbumin-Lösungen als Volumenersatzmittel durch die künstlichen Kolloide HES, Dextran und Gelatine effektiv, verträglich und preiswert ersetzt werden können. Der Wert der Albuminsubstitution beim Intensivpatienten ist heute mehr denn je umstritten. Sicher ist, daß in Zukunft in prospektiven, klinischen Studien hierzu aussagekräftige Daten erarbeitet werden müssen. Es wäre allerdings fast schon eine Überraschung, wenn sich aus diesen Studien überhaupt noch Empfehlungen für den Einsatz von Humanalbumin ableiten ließen.
Literatur
- 1 Roberts I. Cochrane Injuries Group Albumin Reviewer. Human albumin administration in critically ill patients: systematic review of randomised controlled trials. BMJ. 1998; 317 235-240
Dr. Hans-Jürgen Dieterich
Klinik für Anaesthesiologie und Transfusionsmedizin
Abteilung für Anaesthesiologie
Hoppe-Seyler-Str. 3
D-72076 Tübingen