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DOI: 10.1055/s-2000-107
Zerebrotendinöse Xanthomatose bei Kleinwuchs einer 12-jährigen Patientin
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)
Die Zerebrotendinöse Xanthomatose ist eine autosomal rezessive Erkrankung, die sich meist in der Pubertät klinisch manifestiert. Katarakt und Xanthome der Achillessehne sind die ersten klinischen Hinweise auf die Erkrankung. Später folgen, wenn die Patienten nicht suffizient therapiert werden, Bewegungsstörungen und Persönlichkeitsveränderungen. Durch die orale Gabe von Gallensäuren kann die Ausbildung neurologischer und psychiatrischer Symptome verhindert werden.
#Fallbericht
Eine 12-jährige Patientin mit Minderwuchs (127,5 cm) und pathologisch erniedrigtem Wachstumshormonanstieg im Insulin-Hypoglykämie-Test wurde in der endokrinologischen Ambulanz der Universitätskinderklink vorgestellt. Das Kind wurde als erster Zwilling in der 33. Schwangerschaftswoche nach einem vorzeitigen Blasensprung geboren. Die Zwillingsschwester hat mit 140 cm eine normale Körperlänge. Der neurologische Untersuchungsbefund war unauffällig, es lag keine Sehstörung vor. Außer der Beeinträchtigung durch den Kleinwuchs und dem fehlenden Pubertätsbeginn gab die Patientin keine subjektiven Beschwerden an. Zum Ausschluß eines Hypophysentumors wurde das Kind zur MRT vorgestellt.
Die kraniale Kernspintomographie wurde an einem 0,5 Tesla Gyroscan (Fa. Philips, Best, Niederlande) mit einer Kopfspule durchgeführt. Es wurden transversale T1- und T2-gewichtete Aufnahmen des gesamten Neurokraniums angefertigt. Sagittale und koronare T1-gewichtete Aufnahmen der Sella mit 3 mm Schichtdicke wurden vor und nach Kontrastmittelgabe erstellt. Zusätzlich wurde eine transversale Fluid attenuated inversion recovery (FLAIR)-Sequenz des gesamten Neurokraniums angefertigt.
Die Kernspintomographie zeigt in der Sella eine schmächtige Hypophyse. Der Hypophysenstiel ist vollständig angelegt und im kranialen Anteil verdickt. Weder in der Sella noch an dem verdickten Hypophysenstiel zeigt sich das für die Neurohypophyse in nativen Aufnahmen typische hyperintense Signal. Die Neurohypophyse ist somit weder ektop noch orthotop nachweisbar. Die Nuclei dentati zeigen symmetrisch ausgeprägte, in T2-gewichteten Aufnahmen und in der FLAIR-Sequenz erkennbare (Abb. [1]) Signalsteigerungen. In T1-gewichteten Aufnahmen sind sie hypointens. Die Kaudatuskerne sind beidseits in T1-gew. Aufnahmen hyperintens (Abb. [2]) und zeigen ein hyperintenses Signal im FLAIR-Bild. Die symmetrischen Signalveränderungen der Kaudatus- und Dentatus-Kerne weisen auf eine systemisch wirksame Stoffwechsel- oder Speichererkrankung hin. Die Kombination von Kaudatus- und Dentatusbefall macht eine zerebrotendinöse Xanthomatose wahrscheinlich. Bei einer erneuten eingehenden körperlichen Untersuchung fanden sich Sehnenxanthome, wie sie für die Erkrankung typisch sind.
Die zerebrotendinöse Xanthomatose beruht auf einem mitochondrialen Stoffwechseldefekt der 27-Hydroxylase, der zu einem gestörten Abbau von Cholesterin zu Gallensäuren führt. Es handelt sich um einen autosomal rezessiven Erbgang. Die gesteigerte Speicherung von Cholesterin und Cholestanol in Sehnen manifestiert sich in Xanthomen. Im zentralen und peripheren Nervensystem werden Cholesterin und Cholesterol in den Zell- und Zellorganellmembranen gespeichert. Die deutlichsten Veränderungen finden sich im Kleinhirn. Eine Demyelinisierung insbesondere der efferenten Fasern des Nucleus Dentatus im oberen Kleinhirnstiel ist in der MRT nachweisbar. In manchen Fällen wird die weiße Substanz des Kleinhirns nahezu vollständig durch Xanthome ersetzt.
Die peripheren Nerven lassen die Zeichen einer segmentalen Demyelinisierung mit partieller Remyelinisierung erkennen. Einige Patienten weisen auch Zeichen einer primären Axondegeneration auf. Bereits in der Kindheit haben die meisten Patienten eine verminderte Intelligenz. In der Pubertät manifestieren sich Xanthome an den Achillessehnen, den Quadrizeps- und Trizepssehnen sowie an den Fingerextensoren. Neurologische Symptome treten in der zweiten und dritten Lebensdekade in den Vordergrund. Zerebelläre Ataxie, spastische Para- und Tetraparesen und Dysästhesien als Zeichen einer peripheren Neuropathie beeinträchtigen die Patienten. Die Degeneration der Rückenmarkshinterstränge führt zu einem Verlust der Propriozeption und des Vibrationsempfindens. Bei 40 % der Patienten treten im Krankheitsverlauf generalisierte Krampfanfälle auf. In der dritten Dekade kommt es zu Persönlichkeitsveränderungen bis hin zur Demenz.
Für die Patienten ist eine frühe Diagnose ihrer Stoffwechselstörung entscheidend. Der Regulationsmechanismus, welcher bei einem Mangel an Gallensäuren über einen fehlenden negativen Feedback-Mechanismus zu einer gesteigerten Cholesterolsynthese führt, kann durch orale Zufuhr von Gallensäuren unterbrochen werden. Diese Therapie kann die fortschreitende Nervenschädigung verhindern oder verzögern. Über eine sich bessernde Motorik sowie eine Rückbildung dementieller Symptome wird berichtet (van Heijst et al. Eur. J. Pediatr. 1998; 157: 313 - 316).
J. B. Fiebach, R. Wunsch, Heidelberg