Gesundheitswesen 2000; 62(5): 257-263
DOI: 10.1055/s-2000-10979
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Subjektive Gesundheit und Rehabilitationsbedürftigkeit von LVA-Versicherten, die aktuell eine medizinische Rehabilitation beantragen

H. Petras2 , H. Raspe1
  • Institut für Sozialmedizin, Medizinische Universität zu Lübeck
  • Prevention Research Center, Johns Hopkins University, Baltimore
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Zusammenfassung

Im Unterschied zu Leistungen der GKV werden Anträge auf medizinische Rehabilitation nur auf der Grundlage von zum Teil gesetzlich normierten Kriterien gewährt. Hierbei kommt es in manchen Fällen zu einer Übergewährung von Leistungen. Zur Minimierung dieses Problems werden in der vorliegenden Studie Informationen über den subjektiven Gesundheitszustand von Antragstellern in den prüfärztlichen Entscheidungsprozess integriert. Der Rücklauf der postalischen Befragung der Antragsteller (87 %) sowie die Beurteilung des ärztlichen Prüfdienstes belegen die Praktikabilität des Verfahrens. Im Vergleich zu einer Population von prästationär befragten Rehabilitanden schilderten sich die Antragsteller auf einzelnen Dimensionen des an der ICIDH orientierten Gesundheitsstatus als stärker eingeschränkt, wobei sich die jeweiligen Streuungen bei beiden Populationen ähnelten. Die befragten Antragsteller machten darüber hinaus in den letzten 12 Monaten selten Gebrauch von komplementären Behandlungen sowie sozialmedizinischen und rechtlichen Beratungen. Ein weiteres überraschendes Ergebnis bestand in der fehlenden Assoziation zwischen Dimensionen des subjektiven Gesundheitszustandes und der Begutachtungsentscheidung/Rehabilitationsempfehlung. Hierin manifestiert sich ein schwerwiegendes Legitimations- und Akzeptanzproblem prüfärztlichen Handelns.

Subjective Health and Need for Medical Rehabilitation by Patients Insured by the Federal German Statutory Health Insurance Scheme Who Apply for Such Rehabilitation

Unlike services paid through the Federal German Health Insurance, applications for medical rehabilitation are granted based on defined criteria. In some cases, rehabilitation is granted without apparent reason. Seeking to minimize this problem, this study integrates information on the subjective health status into the decision-making process of medical examiners. The return rate of the postal questionnaire (87 %) as well as the evaluation of the examiners documented the practicability of the approach. The interviewed applicants described themselves as more limited in their abilities on several health dimensions (ICIDH) compared to a population of prestationary interviewed rehabilitation patients, whereby the standard deviations in both populations were similar. Furthermore, the applicants rarely utilized complementary treatments and sociomedical/legal advice. A surprising result lies in the mostly non-existent association between the subjective health status and the medical decisions. This constitutes a significant difficulty in legitimizing the decision-making process of the medical examiners.

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Fußnoten

1 Die LVA Schleswig-Holstein lässt eine Begutachtung nur dann durchführen, wenn eine Entscheidung über den Antrag durch Akteneinsicht und eventuell weitere Ermittlungen bei Hausärzten, Krankenhäusern etc. nicht möglich ist.

2 Wir möchten in diesem Zusammenhang der LVA Schleswig-Holstein herzlich für ihre großzügige Unterstützung und die ausgezeichnete Zusammenarbeit danken. Ein besonderer Dank gilt Frau Dr. Glaser-Möller für die kritische Durchsicht zweier früherer Versionen des Manuskripts.

3 Nicht berücksichtigt wurden die Angaben zur Schmerzintensität (numerische Ratingskala).

Prof. Dr. med. et phil. Heiner Raspe

Institut für SozialmedizinMedizinische Universität zu Lübeck

Beckergrube 43-47

23552 Lübeck

Email: Heiner.Raspe@sozmed.mu-Luebeck.de