Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(34/35): 1025-1026
DOI: 10.1055/s-2000-7166
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Notfalleinsätze für Schlaganfallpatienten im Raum Münster. Eine Querschnittuntersuchung der regionalen Versorgungsqualität

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Publication Date:
28 April 2004 (online)

 

In der Arbeit von Weltermann et al. [7] werden verschiedene wesentliche Qualitätskriterien zur Beurteilung des Notarzteinsatzes bei Schlaganfallpatienten untersucht. Während den Indikatoren »komplette medizinische Behandlung« und »Einsatzzeit« unumwunden zugestimmt werden kann, bedarf das Kriterium »Zielkrankenhaus« eines Kommentars. Da die Prognose von Schlaganfallpatienten durch Betreuung auf Spezialstationen verbessert werden kann [6], steht außer Zweifel, dass Kliniken angefahren werden sollten, die noch näher zu definierende Struktur und Prozessmerkmale aufweisen. Ob es sich hierbei unbedingt um Stroke Units nach dem Konzept der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [4] handeln soll, ist aber fraglich, da deren Struktur in wesentlichen Punkten von den in der Literatur beschriebenen und als effektiv gefundenen Stroke Units abweicht.

Zur Versorgung von 500 000 Einwohnern sind vier Betten mit Intensivpflegestandard (Intensive Care Stroke Unit Konzept) bei einer Verweildauer von 3 Tagen vorgesehen. Abgesehen von der problematischen Verkürzung der Betreuung von Schlaganfallpatienten durch ein spezialisiertes Team auf die ersten Tage, der Schaffung einer neuen Schnittstelle (Stroke Unit/Normalstation) in der Behandlungssequenz und eines sicherlich sachlich-medizinisch nicht immer gerechtfertigten »Patiententourismus« ist bei der geringen Bettenzahl eine prähospitale und intrahospitale Selektion notwendig, die keine Rechtfertigung besitzt [6]. Insbesondere ist eine Konzentration auf »Lysekandidaten« strikt abzulehnen. Die Lysetherapie beherrscht derzeit in einer grotesken Weise die Diskussion um die Neustrukturierung der Schlaganfalltherapie, die in keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Bedeutung im klinischen Alltag steht. Ihr Stellenwert ist nach der derzeitigen Studienlage unsicher [2]: einer positiven Studie stehen drei wegen intolerablen Nebenwirkungen abgebrochene Untersuchungen mit Streptokinase und zwei negative Studien mit r-tPA gegenüber. Für die Lyse in Frage kommende Patienten stellen eine kleine Minderheit dar. So kommt Jorgenson [3] bei retrospektiver Analyse seiner großen Schlaganfallstudie zum Schluss, dass bei Zugrundelegung der Selektions- und Erfolgskriterien der NINDS Studie [5] in der ordinären Gesamtpopulation der Untersuchung nur 0,4 % und bei hypothetischer Annahme, alle Patienten würden im erwünschten Zeitfenster von 3 Stunden aufgenommen werden, nur 4 % von ihr profitieren. Auf Grund dieser Überlegungen ist es heute nicht gerechtfertigt Strukturen zu postulieren, die realistischerweise nur an Großkliniken erstellt werden können und deren wesentliches Qualitätsmerkmal die Möglichkeit der Durchführung einer Lysetherapie darstellt. Es sollte vielmehr ernsthaft darüber nachgedacht werden, wie vorhandene Mittel (insbesondere in den bisher 80 % der Schlaganfallpatienten betreuenden Medizinischen Kliniken) so umstrukturiert und miteingesetzt werden können, dass die Deklaration von Helsingborg ( alle Schlaganfallpatienten sollen bis zum Jahr 2005 in Europa die Möglichkeit haben, auf spezialisierten Stationen behandelt zu werden) [6] erfüllt werden kann. Dies ist mit dem derzeit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie publizierten Stroke Unit Konzept[4] flächendeckend weder realisierbar noch finanzierbar.

Da dies vielerorts erkannt wurde, ist zu begrüßen, dass unter Mitwirkung aller an der Behandlung von Insultpatienten beteiligten Ärztegruppen (insbesondere Neurologen, Internisten und Geriater) bei gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern darüber nachgedacht wird, wie die Verbesserung der Behandlung von Schlaganfallpatienten bei ökonomischem Einsatz der Mittel als interdisziplinäre Aufgabe neu gestaltet werden kann. So wurde in Baden-Württemberg ein dreigliedriges Modell auf den Weg gebracht, das unter der Priorität der flächendeckenden Versorgung neben siebenSchlaganfallzentren, die dem Konzept der DGN folgen und 12regionalen Schlaganfallschwerpunkte auchlokale Schlaganfallstationen#160; als wohnungsnahes Behandlungsangebot in jedem Stadt- und Landkreis vorsieht. Diese sollen so strukturiert werden, dass sie realistischerweise auch an Medizinischen Kliniken von Häusern mittlerer Größenordnung verwirklicht werden können. Es wird Zeit, dass das Ziel einer flächendeckenden Etablierung von Schlaganfallstationen als das erkannt wird, was es ist, nämlich eine interdisziplinäre Aufgabe und nicht ein Instrument von Standesinteressen.

Literatur

  • 1 Aboderin I. Venables G for the pan European consesus meeting of stroke management Stroke management in Europe.  J Intern Med. 1996;  240 173-180
  • 2 Bath P. Ateplase not yet proven for acute ischaemic stroke.  Lancet. 1998;  352 1238-1239
  • 3 Jorgensen H S, Nakayama H, Kammersgaard L P, Raaschou H O, Olsen T S. Predicted impact of intravenous thrombolysis on prognosis of general population of stroke patients:simulation model.  Brit Med. 1999;  319 288-289
  • 4 . Komission »Stroke Units« der Deutschen Gesellschaft für Neurologie . Empfehlungen für die Einrichtung von Schlaganfallspezialstationen (»Stroke Units«) Aktualisierung 1997.  Nervenarzt. 1998;  69 180-185
  • 5 . The National Institute of Neurological Disorders and Stroke rt-PA Stroke Study Group . Tissue plasminogen activator for acute ischemic stroke.  New Engl. 1995;  333 1581-1587
  • 6 . Stroke Unit Trialists‘ Collaboration . Collaborative systemic review of the randomised trials of organised inpatient (stroke unit) care after stroke.  Brit Med. 1997;  314 1151-1159
  • 7 Weltermann B, Eyser D vom, Kleine Zander R, Riedel T, Dieckmann J, Ringelstein E B. Notfalleinsätze für Schlaganfallpatienten im Raum Münster Eine Querschnittuntersuchung der regionalen Versorgungsqualität.  Dtsch med Wschr. 1999;  124 1192-1196

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