Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(38): 1117-1118
DOI: 10.1055/s-2000-7576
Medizinisches Publizieren
Medizinisches Publizieren
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Mediale Möglichkeiten

T. Connertz
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Das Internet ist ein Medium, dessen Nutzen von der Wissenschaft früh erkannt wurde, lange bevor es als Massenmedium für Werbung und Handel entdeckt wurde. Betrachtet man die Wachstumsraten der kommerziellen Nutzung, so scheint es, als sei die wissenschaftliche Kommunikation, oder allgemeiner gesagt der Austausch von Fachinformationen, weit abgeschlagen und hinke der Entwicklung nur noch hinterher. Dennoch ist auch hier die Entwicklung nicht stehen geblieben, und das nicht mehr so ganz neue »neue Medium« wird - parallel zu den durch die Vernetzung getriebenen globalen ökonomischen Veränderungen - auch die Fachkommunikation in einem Maß verändern, das mit den Auswirkungen der Erfindung des Buchdrucks vergleichbar ist. Und zwar sowohl auf der Nutzer- als auch auf der Anbieterseite.

Stellen wir uns zur Veranschaulichung einen Arzt im Jahr 2015 vor. Er wird von einer ca. 50-jährigen Patientin aufgesucht, die über trockene Schleimhäute und Gelenkschmerzen klagt. Aufgrund des Alters, der Symptome und einiger weiterer Tests diagnostiziert er eine bestimmte Krankheit (nehmen wir an, es handle sich um das Sjögren-Syndrom) und vereinbart einen neuen Termin.

Die Zeit nutzt er, um sein Wissen über diese chronische Krankheit zu aktualisieren. Da er seit seinem Studium keine aktuellen Lehrbücher mehr angeschafft hat, und auch seine Standard-Nachschlagewerke nicht mehr auf dem aktuellsten Stand sind, benutzt er hierfür eine Online-Datenbank, mit der er immer Zugang zu den neuesten Erkenntnissen der medizinischen Forschung und ihren Auswirkungen auf die ärztliche Praxis hat.

Hier hat er schon in anderen Fällen von interessanten neuen Behandlungsmethoden erfahren und einmal sogar eine lange Fachdiskussion mit einem japanischen Kollegen geführt, dessen E-Mail-Adresse er einem Artikel entnahm. In einem anderen Fall konnte er sogar einen kleinen Beitrag zur Erforschung einer wenig dokumentierten Krankheit beitragen, indem er - selbstverständlich streng anonymisiert - Untersuchungsergebnisse eines seiner Patienten übermittelte.

Während er nach einer Bestätigung für seine Diagnose sucht, erkennt er, dass sich die Forschungslage bei dieser Krankheit doch erheblich verbessert hat. So findet er z.B. einige interessante Hinweise, die auf eine infektiöse Genese der Krankheit hindeuten könnten. Er markiert die Beiträge und nimmt sich vor, sie bei Gelegenheit genauer zu studieren.

Erfreut stellt er fest, dass die Datenbank ihm sogar Patienteninformationen bietet, in denen das Syndrom in für den Laien verständlichen Worten beschrieben ist. Behutsam wird auf die langwierige Behandlung und die Erfolgsprognosen eingegangen, und die Auswirkungen auf die allgemeine Lebensführung der Patientin werden thematisiert. Er druckt diese Informationen aus und legt sie sich zurecht, um sie beim nächsten Termin der Patientin mitzugeben.

Nach getaner Arbeit hat er nun das Gefühl, wieder auf dem aktuellen Stand des Wissens zu sein. Seine Mühe wird ihm nicht nur durch eine zufriedene und bestmöglich behandelte Patientin gelohnt werden, sondern auch ganz unmittelbar. Er hat nämlich eine Option genutzt, die das System ihm anbietet, und seine Nutzungsdauer und -tiefe protokollieren lassen. Dies wird automatisch in CME(»Continuous Medical Education«)-Punktanteile umgerechnet und seinem Weiterbildungskonto gutgeschrieben.

In dieser scheinbar harmlosen Geschichte verbergen sich einige Sprengsätze für unser bisheriges Verständnis der wissenschaftlichen oder Fachkommunikation: Sie sollen im Folgenden unter den Stichworten »Zugang statt Besitz« und »Vernetzung« diskutiert werden.

Weiterführende Literatur

  • 1 Brown R. The Changing Economic Environment - Access vs. Ownership. Access Where? On What?.  J United Kingdom Serials Group. 1995;  8 (2) 125-129
  • 2 Manguel A. Eine Geschichte des Lesens. Volk und Welt Berlin; 1998
  • 3 Rifkin J. Access. Das Verschwinden des Eigentums. Campus Frankfurt; 2000
  • 4 Turkle S. Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet. Rowohlt Reinbek; 1999

Thomas Connertz

Georg Thieme Verlag

Rüdigerstr. 14

70469 Stuttgart

Email: E-Mail: thomas.connertz@thieme.de