Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(44): 1346-1347
DOI: 10.1055/s-2000-8079
Leserbriefe
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nachweis des HFE-Polymorphismus bei deutschen Patienten mit hereditärer Hämochromatose

Zuschrift Nr. 2
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Erhardt et al. [1] leiten aus den Ergebnissen ihrer molekulargenetischen Untersuchungen an 75 Deutschen mit phänotypisch gesicherter hereditärer Hämochromatose (HH) ab, dass die genetische Analyse »auch als Screeningmethode eingesetzt werden« kann und die HH-Diagnose »lange vor dem Auftreten einer Eisenüberladung« ermöglicht, und damit eine vorbeugende Aderlasstherapie. Eine derartige Schlussfolgerung wäre jedoch nur gerechtfertigt, wenn sämtliche homozygoten Träger der Cys282Tyr-Mutation auch gefährliche Eisenmengen speichern würden, was aber mit dem gewählten Untersuchungsansatz prinzipiell nicht feststellbar ist. Einige Punkte zur Diskussion:

1. Soweit bisher bekannt, macht nicht irgendeine feststellbare genetische Konstellation krank, sondern die Eisenspeicherung, wie wir von homozygoten Genträgern wissen, bei denen sich - aus welchen Gründen auch immer - keine gefährliche Eisenüberladung entwickelt. Zumindest beim derzeitigen Stand gibt es für Screeningzwecke keine Alternative zu den bewährten Parametern des Eisenstoffwechsels, auch aus Kostengründen.

2. Es ist vielfach nachgewiesen worden, dass mit den herkömmlichen Laborparametern wirtschaftliches (!) Massenscreening möglich wäre. Umso unverständlicher ist es, dass ganz offensichtlich die große Mehrzahl der Betroffenen weiterhin unentdeckt bleibt, wie eine kürzlich von Niederau et al. [2] veröffentlichte epidemiologische Untersuchung aus dem Ruhrgebiet zeigt, auch wenn es nicht besonders betont wurde, vermutlich aus Rücksicht auf die beteiligten Allgemeinärzte.

3. Unverständlich bleibt mir auch, warum die Hämochromatose-Forscher die zahlreichen Belege und Hinweise auf erhöhtes Krankheitsrisiko unter anderem für Herzinfarkt, Schlaganfall, Typ-2-Diabetes oder Kolonkarzinom schon bei mäßiger Eisenspeicherung bzw. heterozygoten Genträgern nicht wahrnehmen. Entsprechende Arbeiten wurden und werden - MEDLINE-recherchierbar - in renommierten Zeitschriften veröffentlicht, die zumindest an Universitäten leicht zugänglich sind. Stellvertretend nenne ich ein ausführliches Editorial des »Vordenkers« Sullivan [3] . Dabei geht es nicht um einige Promille der Bevölkerung, sondern um 10-20 %; in Arztpraxen und Kliniken dürfte der Prozentsatz noch erheblich höher sein. Da die Eisenspeicherung alters- und ernährungsabhängig ist, liegt eine Beziehung zu entsprechenden Krankheiten nahe, etwa zum metabolischen Syndrom, dessen Teilparameter - z.B. Gewicht/BMI, Blutdruck, Blutzucker - durchweg stark mit Eisenparametern korrelieren; Eisenspeicherung geht mit Insulinresistenz einher. Zudem gibt es zahlreiche Hinweise, dass »Eisenentzug« bzw. niedrige Eisenspeicher eine präventive Wirkung haben, bis hin zur Alzheimer-Demenz.

4. Meines Erachtens gibt es sehr gewichtige Argumente gegen HH-Gentests: Mit gesicherter Diagnose einer »aderlasspflichtigen« Hämochromatose darf selbst ein gesunder Jugendlicher oder junger Erwachsener mit gering erhöhten Eisenspeichern strenggenommen nicht mehr Blutspender werden, sondern muss lebenslang auf Kosten der Krankenkassen zur Ader gelassen werden. Allein hierzulande ist mit mehreren 100 000 Betroffenen zu rechnen, deren Blut »entsorgt« werden müsste - während gleichzeitig die Blutspendedienste große Schwierigkeiten haben, genügend Spender zu finden! Sehr viel vernünftiger wäre es, eine(n) 18-Jährige(n) mit einer Transferrinsättigung um 50 % und Ferritinwerten von einigen 100 g/l zum Blutspenden zu motivieren (und natürlich vor gefährlicher Eisenzufuhr zu warnen) und den Erfolg anhand gelegentlicher Ferritinbestimmungen zu kontrollieren. Die Empfehlung wäre leichter zu vermitteln, wenn die Ärzte selber lernen, dass die bisher genannten Ferritin-»Normalwerte« (z.T. bis 450 ng/ml) viel zu hoch reichen: Günstig sind weniger als 50 ng/ml wie bei Jugendlichen, jüngeren Frauen und regelmäßigen Blutspendern (die ein minimales Herzinfarktrisiko haben); bei höheren Werten ist mit einem erheblichen Anstieg unter anderem des kardiovaskulären Risikos zu rechnen. Auch Übergewicht, Hyperlipidämie und Hypertonie sind trotz hoher Prävalenz keineswegs »normal«, vielmehr gesundheitsgefährdend; das gilt für mäßige Eisenspeicherung nach heutigem Stand genauso, nur weiß das bisher kaum ein Arzt. Nicht teure Gentests, sondern die bewährten Laborparameter sind nach wie vor entscheidend, zumal auf diese Weise alle Varianten der Hämochromatose erfasst werden, nicht nur die »nordischen«.

5. Molekulargenetische Untersuchungen zur Hämochromatose mögen aus akademischem Blickwinkel interessant sein, binden jedoch Aufmerksamkeit und Ressourcen, die für längst überfälligen Aufgaben benötigt würden: Wirtschaftliches Massenscreening und intensive Forschung zur pathogenetischen Bedeutung mäßiger Eisenspeicherung (überwiegend heterozygote Genträger) sowie zur Präventivwirkung bewusst niedrig gehaltener Eisenspeicher gegen kardiovaskuläre und Tumorerkrankungen, Infektionen/Sepsis, Diabetes und Nierenversagen bis hin zu neurodegenerativen Leiden.

Literatur

  • 1 Erhardt A, Niederau C, Osman Y, Hassan M, Häussinger D. Nachweis des HFE-Polymorphismus bei deutschen Patienten mit hereditärer Hämochromatose.  Dtsch med Wschr. 1999;  124 1448-1452
  • 2 Niederau C. et al . Screening for hemochromatosis and iron deficiency in employees and primary care patients in Western Germany.  Ann Intern Med. 1998;  128 337-345
  • 3 Sullivan J L. Iron and the genetics of cardiovascular disease.  Circulation. 1999;  100 1260-1263

Dr. Heinz Joachim Mensing

Am kleinen Ämmerle 5

72070 Tübingen