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DOI: 10.1055/s-2000-8165
BIPAP - Ein zukunftsweisendes Beatmungsverfahren?: Pro
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
Die Evolution moderner Intensivrespiratoren wurde immer durch den Wunsch vorangetrieben, einfach und sicher zu bedienende Beatmungsgeräte zu entwickeln, die eine patientengerechte Beatmungstherapie gewährleisten können. Ein besonderer Schwerpunkt bildete dabei die Entwicklung neuer Beatmungsformen, deren Ziel es ist, (I) den Gasaustausch auch bei schweren Oxygenierungsstörungen zu verbessern, (II) kardiopulmonale Nebenwirkungen zu reduzieren und (III) eine zügige Entwöhnung vom Beatmungsgerät (Weaning) zu ermöglichen.
Seit langem wird diskutiert, dass eine erhaltene Spontanatmung die Gasdistribution ebenso wie die Hämodynamik positiv beinflussen kann und einer Zwerchfellatrophie vorbeugt. Nicht ohne Grund konzentriert sich daher die Entwicklung neuer Beatmungskonzepte auf Strategien, die die Spontanatmung in jeder Krankheitsphase erhalten können. Da der spontan atmende Patient nicht nur beim Auslösen („Triggern”) des maschinellen Hubes, sondern auch während der gesamten Inspirationsphase Atemarbeit leisten muss, ist insbesondere bei diesen Beatmungskonzepten eine gute Koppelung zwischen Patient und Beatmungsgerät zu fordern.
Erst der Einsatz softwaregestützter Systeme mit verbesserter Sensorik und Ventiltechnik erlaubt eine Implementierung neuer assistierender Beatmungsformen mit wesentlich intelligenteren Schnittstellen zwischen Patient und Ventilator. Neben den schon als Standard zu betrachtenden Beatmungsformen wie Synchronized Intermittent Mandatory Ventilation (SIMV) oder Druckunterstützung (Inspiratory Pressure Support, IPS) finden sich in neueren Beatmungsgeräten Beatmungskonzepte wie Automatic Tube Compensation (ATC), Proportional Assist Ventilation (PAV) und auch Biphasic Positive Airway Pressure (BIPAP).
Diese Verfahren unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Art, wie sie die Spontanatmung unterstützen. Während Verfahren wie IPS, ATC und PAV jeden Atemzug augmentieren, sind SIMV und BIPAP Mischformen aus Atmung und Beatmung. Das von Baum und Benzer beschriebene BIPAP [1] - nahezu identisch mit der Airway Pressure Release Ventilation (APRV) [2] - entspricht einer druckkontrollierten Beatmung, bei der jedoch eine simultane Spontanatmung unabhängig von der Phase des Atemzyklusses möglich ist. In Abhängigkeit von der Atemaktivität des Patienten besteht zumeist kein Unterschied zu bereits bekannten Beatmungsformen. Bei fehlender Spontanatmung entspricht BIPAP einer druckkontrollierten Beatmung (pressure control ventilation, PCV). Atmet der Patient während des unteren Druckniveaus, handelt es sich um eine druckkontrollierte Intermittent Mandatory Ventilation (PC-IMV) oder um eine Synchronisierte-IMV (PC-SIMV), wenn der kontrollierte Atemzug mit der Inspiration synchronisiert wird. Erst wenn der Patient auch während der Inspiration - also auf dem oberen Druckniveau - spontan atmet, kann von BIPAP gesprochen werden [1].
Die unter BIPAP erreichte Entkoppelung der Spontanatmung von der kontrollierten Beatmung wird als die entscheidende Neuerung dieser Beatmungsform angesehen. Im Vergleich zu anderen Beatmungsformen soll dies den Gasaustausch verbessern, kardiovaskuläre Nebenwirkungen verringern und eine frühzeitige Entwöhnung begünstigen. Hier wird insbesondere auf einen geringeren Bedarf an Sedierung [3] und die Möglichkeit einer flexiblen Unterstützung der Atemmuskulatur von 0 % (Spontanatmung) bis 100 % (kontrollierte Beatmung) hingewiesen [4].
Eine Verbesserung des Ventilations-Perfusions-Verhältnisses und der kardiovaskulären Funktion unter BIPAP/APRV konnte im Vergleich zur kontrollierten, wie auch der druckunterstützten Beatmung durch Putensen und Mitarbeiter im Tiermodell [5] [6] und bei Patienten im akuten Lungenversagen [7] gezeigt werden. Diese positiven Effekte scheinen jedoch nicht ausschließlich auf BIPAP/APRV beschränkt zu sein. Für die mit dem BIPAP am engsten verwandte Beatmungsform IMV/SIMV konnte im Vergleich zur kontrollierten Beatmung ebenso eine Verbesserung des Herzzeitvolumens gezeigt werden [8]. In einer Studie von Valentine et al. [9] an kardiochirurgischen Patienten war der Rechts-links-Shunt im direkten Vergleich unter APRV mit 19,9 % sogar signifikant größer als unter SIMV (15,4 %, p < 0,05). Vermutlich ist der durch die nicht unterstützten Atemzüge auftretende negative intrathorakale Druck unter BIPAP und SIMV für die beobachteten Verbesserungen des Gasaustausches und der Hämodynamik verantwortlich [7] [10]. Dies würde auch erklären, weshalb die Spontanatmung erhaltende, aber jeden Atemzug augmentierende Druckunterstützung, keine Verbesserung im Vergleich zur kontrollierten Beatmung erzielte [7].
Die durch Spontanatmung unter BIPAP erreichte Verbesserung des Gasaustausches muss aber auch in einem angemessenen Verhältnis zu der vom Patienten zusätzlich zu leistenden Atemarbeit stehen, ohne dabei eine nur ungenügende Entlastung oder sogar eine zusätzliche Belastung der Inspirationsmuskulatur zu bewirken. Im Vergleich zur Druckunterstützung konnte für BIPAP mit der indirekten Kaloriemetrie zwar kein erhöhter Energieaufwand gemessen werden [11], doch zeigte sich bei Messung der Atemmechanik eine erhöhte Atemanstrengung, ausgedrückt in einem Anstieg des Druck-Zeit-Produktes [12]. Untersuchungen [13] [14] für die mit BIPAP vergleichbare SIMV-Beatmung legen nahe, dass das Atemzentrum nicht in der Lage ist, den Atemantrieb entsprechend der wechselnden Atemlast zwischen nicht unterstützter Spontanatmung und kontrollierten/augmentierten Atemzügen atemzugweise anzupassen. Unter SIMV beobachteten Marini und Mitarbeiter [13] keinen Unterschied bezüglich der Atemanstrengung (Atemarbeit und Druck-Zeit-Produkt), unabhängig davon, ob es sich um einen spontanen oder kontrollierten Atemzug handelte. Imsand et al. [14] bestätigten diese Ergebnisse mittels eines vom Zwerchfell und der Atemhilfsmuskulatur abgeleiteten Elektromyogramms (EMG). Unabhängig vom Typus des Atemzuges (spontan/assistiert) zeigten sich keine wesentlichen Aktivitätsveränderungen im EMG. Zusätzlich konnten sie zeigen, dass mit zunehmendem Unterstützungsgrad der SIMV-Beatmung die Aktivität des EMG und damit auch die Entlastung der Inspirationsmuskulatur nicht proportional dazu abfiel [14]. Statt einem fließenden Übergang zwischen Beatmung und Spontanatmung erfolgt ab einem bestimmten - situations- und patientenabhängigen - Unterstützungsgrad der plötzliche Wechsel von einer überwiegenden Beatmung zu einer überwiegenden Spontanatmung. Ein kontinuierlicher Übergang zwischen 0 % und 100 % Atemmuskelunterstützung, wie er lange für die SIMV-Beatmung postuliert wurde, konnte somit nicht gezeigt werden. Dies könnte auch für das schlechtere Abschneiden der SIMV-Beatmung im Vergleich zu anderen Spontanatmungsverfahren verantwortlich sein [15] [16].
Selbst wenn die für SIMV gewonnenen Daten nicht direkt auf BIPAP übertragbar sind, ist ein Vergleich naheliegend: Wie unter SIMV, müsste sich auch unter BIPAP das Atemzentrum an eine zwischen Spontanatmung und kontrollierten Atemzügen wechselnde Atemlast anpassen. Außerdem wird die für BIPAP charakteristische Funktion während der Inspiration spontan weiterzuatmen von den Patienten wenig genutzt [11] [12] und erscheint auch unter energetischen Gesichtspunkten als äußerst ungünstig. Da während der Inspirationsphase der Atemwegsdruck konstant gehalten wird, gibt es nur zwei Kompensationsmechanismen, die ein Spontanatmen während dieser Phase des Atemzyklusses ermöglichen. Der Patient kann durch Rekrutieren der Exspirationsmuskulatur gegen den Beatmungsdruck ausatmen und das Lungenvolumen reduzieren, um eine Verkürzung/Optimierung der Inspirationsmuskulatur zu erreichen („operational length restoration”). Bleibt der Patient passiv, steigt das intrathorakale - endexspiratorische - Gasvolumen bei verkürzter Inspirationsmuskulatur, es kommt zur „operational length compensation” [17]. Während bei der „operational length restoration” ein Teil der Atemarbeit von der Exspirationsmuskulatur geleistet wird, erhöht sich bei der „operational length compensation” die Last der Inspirationsmuskulatur. Um einzuatmen, muss die Lunge bei erhöhter Atemruhelage auf ein noch höheres endinspiratorisches Lungenvolumen gebracht werden. Diese Situation empfinden Probanden als sehr unangenehm, insbesondere wenn eine Muskelermüdung vorbesteht [18]. Um auch auf dem höheren Druckniveau unter BIPAP weiterzuatmen, muss abhängig von der Kompensationsstrategie, entweder die In- oder Exspirationsmuskulatur zusätzliche Atemarbeit leisten. Die daraus resultierende Asynchronität zwischen Patient und Respirator ist wesentlich subtiler als in anderen bereits etablierten Beatmungsformen, da systembedingt ein „Pressen” und „Kämpfen” gegen das Beatmungsgerät unter BIPAP gar nicht möglich ist bzw. nicht als solches auffällt.
Eine Verbesserung des Zusammenspiels zwischen Patient und Beatmungsgerät durch die Kombination von uneingeschränkter Spontanatmung und kontrollierter Beatmung unter BIPAP wurde bisher nicht schlüssig nachgewiesen. In einer einzigen Studie konnten Rathgeber und Mitarbeiter [3] an kardiochirurgischen, kurzzeit-beatmeten Patienten einen günstigeren postoperativen Verlauf bezüglich Sedierungsbedarf und postoperativer Beatmung unter BIPAP im Vergleich zu SIMV zeigen. Bei einer maximalen Beatmungsdauer von 20 Stunden, konnten Patienten unter BIPAP Beatmung 4,6 Stunden früher extubiert werden und zeigten einen reduzierten Sedativa- und Analgetika-Bedarf. Durch das kurze Beatmungsintervall lässt dieses Ergebnis allerdings keine Schlüsse über die Qualität von BIPAP für das Weaning von langzeitbeatmeten Patienten zu. Auch waren die Patientenzahlen (BIPAP n = 42 vs. SIMV n = 431 Patienten) und die verwendeten Beatmungsgeräte unterschiedlich (Dräger Evita vs. Puritan-Bennett 7200).
In einer Zeit, in der eine „evidence based medicine” propagiert wird, müssen neue bzw. zunkunftsweisende Beatmungskonzepte eine signifikante Verbesserung gegenüber bereits bestehenden Beatmungsverfahren gewährleisten. Für die BIPAP-Beatmung existieren - nach mehr als 10 Jahren seit der Erstbeschreibung - keine schlüssigen Daten, die in Bezug auf Outcome, beatmungsassozierte Komplikationen sowie Beatmungs- und Entwöhnungsdauer in Tagen, eine klinische Überlegenheit dokumentieren. Auch wenn die Verbesserung des Gasaustausches während Spontanatmung unter BIPAP unstrittig ist, geschieht dies wahrscheinlich zu Lasten der Atemmuskulatur. Die für BIPAP in Anspruch genommenen günstigen Eigenschaften bezüglich einer flexiblen Unterstützung der Atemmuskulatur und einer gegenüber gebräuchlichen Beatmungsformen verbesserten Entwöhnung sind fraglich, solange sich BIPAP nicht deutlicher von SIMV abgrenzen lässt. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die SIMV-Beatmung in Bezug auf die Entwöhnungsdauer im Vergleich mit IPS und T-Stück die ungünstigste Beatmungstechnik ist [15] [16] .
Solange überzeugende Daten für Biphasic Positive Airway Pressure ausstehen, fällt es schwer, BIPAP als neues oder zukunftsweisendes Beatmungskonzept zu bezeichnen. Treffender ist wahrscheinlich der von der Firma Dräger für den amerikanischen Markt aus Gründen des Markenschutzes [19] (BiPAP ist in den U.S.A. eingetragenes Warenzeichen der Firma Respironics Inc.) gewählte Begriff PCVplus. Es handelt sich also eher um eine druckkontrollierte Beatmung mit einem plus an Spontanatmung, ein Gewinn im Vergleich zu PC-SIMV ist aber nicht nachgewiesen. Auch ist unklar, inwieweit BIPAP gegenüber neueren „intelligenteren” Beatmungstechniken wie PAV und ATC bestehen kann, die nicht nur ein Nebeneinander, sondern ein vom Atemantrieb gesteuertes Miteinander von Spontanatmung und Beatmung ermöglichen.
Literatur
- 1 Baum M, Benzer H, Putensen C, Koller W, Putz G. Biphasic positive airway pressure (BIPAP) - eine neue Form der augmentierenden Beatmung. Anaesthesist. 1989; 38 452-458
- 2 Downs J B, Stock M C. Airway pressure release ventilation: a new concept in ventilatory support. Crit Care Med. 1987; 15 459-461
- 3 Rathgeber J, Schorn B, Falk V, Kazmaier S, Spiegel T, Burchardi H. The influence of controlled mandatory ventilation (CMV), intermittent mandatory ventilation (IMV) and biphasic intermittent positive airway pressure (BIPAP) on duration of intubation and consumption of analgesics and sedatives. A prospective analysis in 596 patients following adult cardiac surgery. Eur J Anaesthesiol. 1997; 14 576-582
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- 16 Brochard L, Rauss A, Benito S, Conti G, Mancebo J, Rekik N, Gasparetto A, Lemaire F. Comparison of three methods of gradual withdrawal from ventilatory support during weaning from mechanical ventilation. Am J Respir Crit Care Med. 1994; 15 896-903
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Reflex compensation for changes in operational lenght of inspiratory muscles. In: Roussos C, Macklem PT (eds) The Thorax. New York; Decker 1985: p. 595-604 - 18 Yan S. Sensation of inspiratory difficulty during inspiratory threshold and hyperinflationary loadings. Effect of inspiratory muscle strength. Am J Respir Crit Care Med. 1999; 16 1544-1549
- 19 Silver M R. BIPAP: useful new modality or confusing acronym?. Crit Care Med. 1998; 26 1473-1474
Dr. med. Max Kirmse
Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Krankenhausstr. 12
91054 Erlangen